REV 01.03.2020

Holste; Faber (Hrsg.): Vom jüdischen Bilderverbot zur Gründung israelischer Kunstgeschichte

Rezensiert von Peter Bexte, Kunsthochschule für Medien Köln
Redaktion: Livia Cárdenas
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Die Geschichte des Faches Kunstgeschichte ist von den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts durchzogen. Auf sehr besondere Weise gilt dies für Leben und Werk des Kunsthistorikers Moshe Barasch (1920-2004). Ein von Christine Holste und Richard Faber edierter Sammelband lässt dies auf eindrucksvolle Weise deutlich werden.[1]

Moshe Barasch entstammte einer jüdischen Familie in Czernowitz. Seinen ursprünglichen Namen ‚Moses‘ hat er nach dem Zweiten Weltkrieg hebräisiert; in dieser Schreibweise kennt man ihn als Begründer der israelischen Kunstgeschichte wie als Autor zahlreicher Werke zu Fragen des Bildverständnisses. In Kindheitstagen besuchte Barasch dieselbe Schule wie Paul Celan. Beide, der Dichter wie der Kunsthistoriker, entstammten einem vielsprachigen Mitteleuropa, das es heute nicht mehr gibt und das unter dem Namen ‚Bukowina‘ ein gleichsam mythisches Fortleben führt. Der junge Moses Barasch wurde früh als Maler bekannt, man nannte ihn ein Wunderkind. Seine stark vom Expressionismus geprägten Bilder wurden auch in Prag und Boston gezeigt. Es war die Zeit einer sogenannten ‚jüdischen Renaissance‘, in der sich das jüdische Verhältnis zum bildlichen Ausdruck entscheidend wandelte (vgl. hierzu den Beitrag von Christine Holste, S. 39-64). Nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1941 beteiligte sich der junge Moses Barasch am Widerstand. Zeichnungen aus jenen Jahren suchen dem Grauen der Shoah Ausdruck zu geben. 1948 ging er nach Israel, um das Land mit aufzubauen. Unter diesen Umständen hat er niemals ein geregeltes Studium aufnehmen können. Weitgehend autodidaktisch gebildet, sollte er sich mit brennender Geduld dem Schicksal der Bilder widmen. In welch hohem Maße die eigene Erfahrung von Kreativität für seine Forschungen bedeutsam wurde, ist dem Beitrag „Barasch the artist“ von Ziva Amishai-Maisels zu entnehmen; sie war seine erste Doktorandin sowie Nachfolgerin. (S. 65-102) Den endgültigen Übergang von Künstler zum Kunsthistoriker hat Barasch erst 1960 vollzogen, als es um die Einrichtung des ersten kunsthistorischen Seminars in Israel ging. Das Projekt war arbeitsintensiv. Es implizierte eine Vielzahl an Übersetzungen nebst der Schaffung einer hebräischen Terminologie, die es bis dato nicht gab.

Moshe Barasch einen Kunsthistoriker zu nennen, ist zweifellos richtig, besagt jedoch zu wenig. Denn seine Studien greifen weit ins Kulturwissenschaftliche sowie ins Religionshistorische aus. In dieser Hinsicht hat er der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg nahe gestanden. Studienaufenthalte am Warburg Institute London sowie am Institute of Advanced Studies in Princeton markieren wesentliche Punkte seiner Entwicklung. Es waren aus Deutschland verbannte Kunsthistoriker, zu denen er vorrangig in Kontakt trat, namentlich Erwin Panofsky, Richard Krautheimer, Meyer Shapiro (zum Verhältnis Moshe Barasch / Meyer Shapiro vgl. den Beitrag von Kerstin Thomas, S. 247-261). Eine spätere Anfrage für die Nachfolge Panofskys hat er abgelehnt, um ‚Das Land‘ nicht zu verlassen, d.h. Israel.

Die Rezeption seiner Schriften in Deutschland verlief weniger über die Kunstgeschichte als vielmehr über Philosophie, Judaistik und Kulturwissenschaften. Bezeichnenderweise geht das vorliegende Buch auf eine Tagung zurück, die 2017 am Centrum für religionswissenschaftliche Studien in Bochum stattfand.[2] Herausgeberin und Herausgeber entstammen dem diskursiven Feld von ‚Philosophie und Sozialwissenschaften‘, wie der einschlägige Fachbereich der Freien Universität Berlin ehemals hieß. Eine der prägenden Gestalten dort war Jacob Taubes. Er hat Moshe Barasch im Wintersemester 1982/83 nach Berlin eingeladen, wo Christine Holste und Richard Faber ihm erstmals begegneten. Der nun von ihnen vorgelegte Sammelband legt Zeugnis ab von dem tiefen Eindruck, den er bei den beiden hinterließ. Neben Berlin ist es vor allem Heidelberg gewesen, wo man das Gespräch mit dem jüdischen Gelehrten suchte. Dort ist 2001 eine Festschrift für Barasch entstanden, von deren Beiträgern auch in dem neuerlichen Buch manche vertreten sind.[3] Aleida und Jan Assmann wie auch Hubert Cancik sind hier zu nennen. Aleida Assmann hat Erinnerungen an Moshe Barasch sowie an eine Reise nach Czernowitz aufgeschrieben (S. 299-310). Jan Assmann hat sich mit dem Konzept des ‚mental image‘ auseinandergesetzt, auf das Moshe Barasch in seiner Monographie zur Darstellung von Blindheit rekurrierte (S. 263-277).[4] Einleitend schreibt Jan Assmann: „Mir ist auch in den Jahren meiner Freundschaft mit Moshe Barasch erst wirklich aufgegangen, welch eine ungeheure Lücke die Vertreibung und Ermordung der Juden für das deutsche Geistesleben bedeutet hat.“ (S. 263)

Das Buch mit seinen recht verschieden gelagerten Texten wird durchgehend von einem Geist der Freundschaft getragen. Dies ist bemerkenswert angesichts einer ansonsten von Konkurrenzdruck geprägten akademischen Welt. Demgegenüber verbindet hier ein freundschaftlicher Ton gelehrte Studien mit persönlichen Erinnerungen. Es sind Stimmen aus unterschiedlichen Disziplinen versammelt, auch aus verschiedenen Generationen, sowohl aus einer älteren wie aus einer jüngeren. Prima vista mag der Eindruck einer gewissen thematischen Streuung entstehen, dennoch ist ein roter Faden nicht zu verkennen. Es sind Fragen nach der Transformationskraft der Bilder, nach der Ambiguität des Sinns sowie (damit zusammenhängend) nach der Bildwerdung des Unbildlichen. Moshe Barasch hat diese Fragen auf vielfache Weise erörtert; sie haben in allen hier versammelten Texten ein Echo gefunden. Man mag darin ein Zeugnis von der Kraft seiner Fragen finden, welche er in einer unprätentiösen Sprache zu entwickeln wusste. Es ist hier nicht der Ort auf jeden der insgesamt siebzehn Beiträge einzugehen (eine alphabetisch geordnete Namensliste findet sich am Ende dieses Textes). Als Überblick sei notiert, dass die Publikation in vier Gruppen gegliedert ist: I. Der Czernowitzer Moses Barasch; II. Der Kunsthistoriker jüdischer und griechisch-römischer Antike; III. Der Kunsthistoriker des christlichen, humanistischen und säkularen Europas; IV. Persönliche Erinnerungen an Moshe Barasch.

Zum Abschluss bietet das Buch drei Texte von Moshe Barasch selbst. Auf eindrucksvolle Weise zeugen sie von dem historisch weit gespannten Horizont seiner Überlegungen bei zugleich punktueller Genauigkeit und einer Belesenheit, die Erwin Panofsky einst mit der Bemerkung quittierte: „Er hat alles gelesen.“ In Baraschs Überlegungen zur „Wissensvermittlung durch Bilder“ steht eine Unsicherheit im Zentrum, nämlich das Fehlen piktoraler Formeln zur Darstellung des Wahnsinns in der frühen Neuzeit. (S. 313-337) In dem Aufsatz „Antike und klassische Moderne. Über Pablo Picasso“ ist Barasch der Frage nachgegangen, ob die moderne Kunst einen Anteil hat an dem neuen Verständnis des Antiken post Friedrich Nietzsche, Aby Warburg et al. (S. 339-352) Die beiden soeben genannten Texte sind im Inhaltsverzeichnis deutlich ausgewiesen, der dritte Beitrag hingegen nicht, ihn muss man suchen. Er findet sich eingebaut in den Text von Richard Faber (S. 287-293, hier S. 291-293: „Das Bild eines Selbstgesprächs“). Barasch bezog sich dabei auf die antike Darstellung eines Gesprächs zwischen Dichter und Muse (Abb. S. 293). Seine Frage, ob es sich vielleicht um ein Selbstgespräch handele, ist durchaus abgründig.

Von den mehr als zwanzig Büchern, die Moshe Barasch verfasste, sind die meisten in englischer Sprache erschienen, manche auf Hebräisch und nur ein einziges auf Deutsch.[5] Eine umfassende Bibliographie seiner Schriften wäre wünschenswert. Auf der Internetplattform www.archive.org sind drei seiner Monographien als PDF-Datei erhältlich, darunter „Icon. Studies in the history of an idea“ von 1992. Es findet sich darin so einiges, was von einer späteren Bildwissenschaft erneut gefunden werden musste.

Die vorliegende Publikation bietet eine Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten. Sie führt von Czernowitz über das Warburg Institut London nach Jerusalem, mit Stationen in Princeton, Heidelberg und Berlin. Es ist ein weiter Weg gewesen, nahezu verschüttet von den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Diesen Weg erneut kartiert und in höchst lesenswerten Studien entfaltet zu haben, zählt zu den Verdiensten dieses Buches. Zusammenhänge zu zerschlagen ist schrecklich einfach. Sich ihrer zu erinnern aber ist fordernd und beglückend zugleich.

[1] Die Autorinnen und Autoren in alphabetischer Reihenfolge: Ziva Amishai-Maisels, Meir Appelfeld, Aleida Assmann, Jan Assmann, Hubert Cancik, Jürgen Ebach, Richard Faber, Burkhard Fehr, Christine Holste, Sonia Klinger, Miriam Sarah Marotzki, Stephan Meier-Oeser, Enno Rudolph, Kurt Scharr, Chana Schütz, Chaim Shapiro, Kerstin Thomas.
[2] https://ceres.rub.de/de/veranstaltungen/moshe-barasch-de/ (23.02.2020).
[3] Jan Assmann und Albert I. Baumgarten (Hrsg.): Representation in Religion. Studies in Honor of Moshe Barasch, Leiden/Boston/Köln: Brill 2001.
[4] Moshe Barasch: Blindness. The history of a mental image, New York/London: Routledge 2001.
[5] Moshe Barasch: Das Gottesbild. Studien zur Darstellung des Unsichtbaren, München: Fink1998.

Holste, Christine; Faber, Richard (Hrsg.): Vom jüdischen Bilderverbot zur Gründung israelischer Kunstgeschichte. Zu Leben und Werk des Kunsthistorikers Moshe Barasch, Würzburg: Königshausen & Neumann 2019
ISBN-13: 978-3-8260-6765-5, 362 S., 64,00, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Peter Bexte: [Rezension zu:] Holste, Christine; Faber, Richard (Hrsg.): Vom jüdischen Bilderverbot zur Gründung israelischer Kunstgeschichte. Zu Leben und Werk des Kunsthistorikers Moshe Barasch, Würzburg 2019. In: ArtHist.net, 01.03.2020. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/22652>.

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