Prunkvolle Waffen, Sättel und Rüstungen, glänzende Schwerter, goldene Helme und reich verzierte Streitkolben füllen derzeit die Vitrinen des Karlsruher Schlosses. Aber auch filigran dekoriertes Kaffeegeschirr, kostbare Teppiche und prachtvolle Gewänder sind auf den zwei Stockwerken der Ausstellung zu sehen. Sogar das riesige goldbestickte Zweimastzelt eines osmanischen Kommandanten, das vermutlich 1683 bei der Schlacht um Wien erbeutet wurde, ist aufgebaut. Über 300 Exponate wurden für die Ausstellung „Kaiser und Sultan“ im Badischen Landesmuseum zusammengetragen. Sie erzählen von den Konflikten, Begegnungen und kulturellen Verflechtungen zwischen dem Reich des Habsburger Kaisers und dem des osmanischen Sultans im 17. Jahrhundert. Im geographischen Fokus stehen dabei vor allem der Balkan, Siebenbürgen und Ungarn. Dass diese Länder – in der (westlichen) Nachkriegsgeschichte lange, wenn überhaupt, als östliche Peripherie präsent – im Ausstellungstitel mit Europas Mitte assoziiert werden, zeigt den Anspruch der Kuratorin Schoole Mostafawy, einen neuen Blick auf die osmanisch-habsburgischen Interaktionen im Zeitalter der Türkenkriege zu werfen. Ein besonderes Augenmerk der Ausstellung liegt dabei auf den nachbarschaftlichen Kontakten in diesen Ländern, die als Transit- und Grenzgebiete sowohl Kriegsschauplatz wie auch Ort des kulturellen Austauschs waren.
Es sind vor allem die Objekte selbst, welche die verschiedenen Aspekte dieser Kontakte anschaulich machen. Ein in Istanbul in osmanischer Manier gefertigter Säbel, der mit einer griechischen Inschrift und dem Bildnis der Muttergottes verziert wurde, erzählt eindrücklich von den kulturellen Verflechtungen über Religionsgrenzen hinweg (Kat. 50). Auch in einer Küstenkarte des Mittelmeers werden die kulturellen Verbindungen deutlich (Kat. 187). In den Niederlanden, Norditalien oder Süddeutschland gedruckt, blieb die Karte zunächst ohne Beschriftungen. Städtenamen und Provinzen wurden dann im 17. Jahrhundert im osmanischen Reich auf Osmanisch mit arabischen Schriftzeichen hinzugefügt.
Andere Ausstellungsstücke verdeutlichen die Faszination, die das osmanische Reich an den Höfen des Reiches auslöste. Das mit Ölfarbe bemalte, maskenartige Helmvisier mit menschlichen Gesichtszügen war beispielsweise Teil einer Kostümrüstung für Schauturniere (Kat. 46). In Böhmen kämpften mit solchen Masken ausstaffierte „türkische“ gegen „ungarisch-husarische“ Kämpfer. Eine sorgsam ausgeführte, am kursächsischen Hof entstandene Buchmalerei zeigt Herzog Christian II. bei einem Umritt sogar selbst als Sultan (Kat. 47). Anlässlich einer Fasnachtsinvention kleidete er sich mit Turban, Kaftan und türkischer Streitaxt und stattete auch seinen Hofstaat mit türkischen Gewändern und Waffen aus.
Wie weit die Verflechtungen reichten, wird an einem in Siebenbürgen vom Waffen- und Goldschmied Thomas Kapustran gefertigten Prunkschwert deutlich, das eine japanische Samuraiklinge mit einem neuen Griff mit Amethyst- und Email-Verzierungen verbindet (Kat. 91). Kostbares Porzellan (Kat. 16, 286 -292), lederne Faltbecher (Kat. 12, 266) und Traktate (Kat. 13) erzählen zudem eindrücklich von der Verbreitung des Kaffees und den verschiedenen Formen seines Konsums.
Mit dem Fokus auf solche und viele andere, ähnlich aussagekräftige Objekte möchte die Ausstellung ältere Narrative hinter sich zu lassen, welche die osmanisch-habsburgische Geschichte vor allem als kriegerische Auseinandersetzung thematisieren. Dass dies trotz der konzeptuellen Grundidee und der teils hochklassigen Ausstellungsstücke aus nationalen und internationalen Sammlungsbeständen leider nur teilweise gelingt, hat verschiedene Gründe.
Einer der gewichtigsten ist sicher, dass eine chronologische Kriegsgeschichte als Grundstruktur beibehalten wird. Sowohl im Katalog als auch in der Ausstellung sind es die Kämpfe in den sogenannten Türkenkriegen, durch welche die Ereignisse des 17. Jahrhunderts gegliedert und Hintergrundinformationen über die Geschichte des 17. Jahrhunderts vermitteln werden sollen.
Dass ein Großteil der gezeigten Exponate dabei aus Sammlungen stammt, die ihren Ursprung in fürstlichen Trophäen- und Beutekollektionen haben und daher Militaria deutlich überwiegen, mag dies zusätzlich befördert haben. Allerdings entsteht dadurch bisweilen der Eindruck, als würde die Ausstellung ihrer eigenen Konzeption nicht trauen. Dabei wird im online Begleitprogramm zur Ausstellung vorgeführt, dass durchaus auch eine andere Ordnung denkbar gewesen wäre.[1] Hier werden ausgewählte Objekte nicht kriegschronologisch, sondern thematisch geordnet und unter Aspekten wie ‚Angst und Faszination‘, ‚Begegnung und Austausch‘ oder ‚Aneignung und Verwandlung‘ präsentiert.
Auch hätte ein kulturhistorischer oder wissensgeschichtlicher Überblick im Eingangsbereich helfen können, die Aufmerksamkeit mehr auf die konkreten Austauschprozesse oder die Sammlungspraktiken bei Hof zu lenken, statt auf die Kriegshandlungen zu fokussieren. Der Filmbeitrag der Filmhochschule Ludwigsburg zu Ausstellungsbeginn kann das leider nicht leisten. Nicht nur fokussiert auch dieser vorwiegend auf die Türkenkriege, er ist mit seinem hohen Tempo, seinen schnellen Schnitten, seiner flapsigen Sprache und seinem ironischen Unterton zwar als online-Teaser, nicht aber als Ausstellungseinstieg geeignet.
Bedauerlich ist zudem, dass die Ausstellung wenig über die Sammlungspraxis an den Adelshöfen und damit über die weitere Lebensgeschichte der Objekte preisgibt. Gerne hätte man mehr über den Umgang mit den Trophäen und die Bedeutung der Beute für die Sieger erfahren. Zwar lässt sich den Tafeln und Katalogbeiträgen entnehmen, dass manche der Trophäen weiterverschenkt wurden, doch über den Bedeutungswandel der Objekte und ihre Weiterverwendung erfährt man wenig. Dass an einem osmanischen Faltbecher aus dem 17. Jahrhundert beispielsweise noch im 18. neue Zier-Ösen angebracht wurden (Kat. 12), legt nahe, dass solche Objekte nicht allein als Memorabilien an die Türkenkriege aufbewahrt wurden, sondern weiter im Gebrauch blieben. Inwieweit dies auch für die Waffen, prunkvollen Stoffe und Sättel gilt und ob diese weiter mit ihrer geographischen und kulturellen Herkunft verbunden blieben, bleibt leider ungefragt.
Hier wünschte man sich, dass die Ausstellung auch den Umgang mit Kriegsbeute und Trophäen am Sultanshof in Istanbul thematisiert hätte. Doch leider haben keine Objekte aus der heutigen Türkei ihren Weg nach Karlsruhe gefunden. Trotz des grundsätzlich transkulturellen Ansatzes der Ausstellung bleibt der Blick durch den Objektfundus der ausgewählten Sammlungen und deren Geschichte so weitgehend einseitig von West nach Ost ausgerichtet.
Auch die Katalogeinträge und Aufsätze in dem reich bebilderten und schön gestalteten Katalog führen bei diesen Fragen nicht weiter. Die Entscheidung in diesem, gänzlich auf detaillierte Fußnoten zu verzichten und die verwendete Literatur zu jedem Beitrag nur summarisch zu nennen, ist äußerst bedauerlich. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Objekten wird dadurch maßgeblich erschwert.
Hingegen wird der verflechtungsgeschichtliche Ansatz der Ausstellung besonders immer dann greifbar, wenn sie sich auf die Details von Personen und Objekten einlässt. Die raumgreifende Inszenierung des osmanischen Zweimastzeltes beispielsweise ist atemberaubend und erlaubt eine große materielle und atmosphärische Nähe. Es wird die Bedeutung des Zeltes in der osmanischen Kultur aufgerufen und zugleich sein Stellenwert als Trophäe nach der Belagerung Wiens beleuchtet. An Hörstationen lassen sich – mit Bezug zu einzelnen Objekten – die Lebensgeschichten einzelner Akteure und Akteurinnen verfolgen. Die Karriere Sokollu Mehmed Paschas, der aus einer christlichen Familie auf dem Balkan stammte, über die Dewschirme nach Istanbul kam und dort durch seine Ausbildung an der Palastschule zum mächtigsten Mann im osmanischen Reich aufstieg, ist nur ein Beispiel. Ein anderes ist das der kroatisch-ungarische Adeligen Ilona Zrínyi, die – als strenggläubige Katholikin in zweiter Ehe mit einem Protestanten verheiratet – im Aufstand gegen die Herrschaft der Habsburger in Ungarn drei Jahre lang einer Belagerung trotzte und schließlich, wie viele andere, im osmanischen Reich Exil fand.
Auch die Informationsstelen zu Migration, Flucht und Umsiedelung im frühneuzeitlichen Südosteuropa zeigen, wie wenig ein Denken in stabilen und fixen Kultur- und Herrschaftsräumen der historischen Wirklichkeit vieler Akteure und Akteurinnen im 17. Jahrhundert gerecht wird. An den interaktiven Stationen lassen sich die Routen, Ursachen und Umstände der Menschen nachvollziehen, welche vor Verfolgung, Krieg und Gewalt flohen oder sich andernorts bessere Bildungs- oder Berufschancen erhoffen konnten. Die Informationsstelen sind das Ergebnis einer Kooperation mit dem Institut für Geschichte der Universität Graz. Sie wurden von Studierenden unter Leitung der Historikerin Zsuzsa Barbarics-Hermanik erarbeitet. Mutig – und bisweilen auch provokant verkürzend – wird dabei der Bezug zur Gegenwart gesucht.
Juden, Protestanten und ethnische Gruppen, aber auch Kaufleute und Adlige siedelten im 17. Jahrhundert aus dem Habsburger in das Osmanischen Reich über, das vor allem in Glaubensfragen weit toleranter war. Zugleich verbreiteten sich Kaffee, Tabak sowie die türkische Männermode an den Höfen in Wien und andernorts. Auch wenn die große Badische Landesausstellung, die eine oder andere Chance vergibt, arbeitet sie diese Verflechtungen eindrücklich heraus. Dass sich das Leben im 17. Jahrhundert nicht entlang scharf konturierter, religiös-kultureller Demarkationslinien zwischen Christentum und Islam, Orient und Okzident oder West und Ost abspielte, wird jede und jeder aus der Ausstellung mitnehmen können.
Landesmuseum Karlsruhe, Badisches (Hrsg.): Kaiser und Sultan. Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700, Hirmer Verlag 2020
ISBN-13: 978-3-7774-3353-0, 416 S., 39,30, Inhaltsverzeichnis
Recommended Citation:
Nicolai Kölmel: [Review of:] Kaiser und Sultan: Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700 (Karlsruhe, Badisches Landesmuseum, Oct 19, 2019–Apr 19, 2020). In: ArtHist.net, Feb 16, 2020 (accessed Oct 10, 2024), <https://arthist.net/reviews/22582>.
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