REV-CONF 16.12.2019

Grundlagenforschung zur Wandmalerei in Brandenburg

Dom, Brandenburg an der Havel, 20.–21.06.2019

Bericht von Katharina Januschewski, Paderborn/Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas

Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter

Im Herbst 2017 startete das durch die DFG geförderte interdisziplinäre Tandemprojekt zur grundlegenden Erforschung des 2001/2005 freigelegten spätmittelalterlichen Wandmalereizyklus in der Brandenburger Domklausur zu den Wissenschaften und Künsten der Universität Paderborn, Leitung Prof. Dr. Ulrike Heinrichs und der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK), Leitung von Prof. Dr. Dipl. Rest. Ursula Schädler-Saub.[1] Die Arbeiten finden in enger Kooperation mit dem Domstift Brandenburg, dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum (BLDAM) sowie dem Architekturbüro pmp-Architekten statt. Das Projekt setzt gezielt auf die Entwicklung interdisziplinärer Arbeitsschwerpunkte und den konstruktiven Umgang mit Synergieeffekten bei der Interpretation des mehrheitlich nur fragmentarisch erhaltenen Bestands sowie seiner Visualisierungen, nicht zuletzt mit Blick auf das integrierte Vorhaben einer Zusammenführung der digitalisierten Daten mittels des Archivierungsprogramms MonArch.

Im Rahmen eines Kolloquiums wurden nun erste Projektergebnisse sowie ergänzende Forschungsbeiträge im interdisziplinären Expertenkreis zur Diskussion gestellt. In ihren Grußworten hoben Dr. Cord-Georg Hasselmann (Kurator des Domstifts) und Prof. Dr. Thomas Drachenberg (Landeskonservator und stellvertretender Direktor des BLDAM) die Chance der ‘Entschlüsselung’ der Wandmalereien und deren Erkenntniswert für die museale und denkmalpflegerische Praxis hervor. Auf außeruniversitäre Effekte der transdisziplinären Dynamik des Projekts verwies auch Prof. Dr. Volker Peckhaus (Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn). Strukturell zielte das zweitägige Programm auf einen komplementären Dialog der Forschungsfelder und Methoden der beteiligten Partner und Fachleute ab.

Kunsttechnologische Untersuchungen der Deckengewölbe des Oberen Kreuzgangs von Anneli Ellesat / Jürgen Pursche (HAWK) konnten eine hochwertige Secco-Malerei als Technik belegen. Der Aufbau der Malerei lässt sich durch Kohlevorzeichnungen und eine sorgfältige Modellierung der Motive u.a. einhergehend mit Schraffuren charakterisieren. Für die Gattung eher untypische Spezifika in Brandenburg an der Havel lassen eine Nähe zur Buchmalerei (Wahl der Bindemittel und Pigmente) sowie zur Tafelmalerei (Verwendung von Lacken) vermuten. Der Vergleich spätmittelalterlicher Wandmalereitechniken der umliegenden Kunstlandschaft der Mark Brandenburg, vorgestellt durch Mechthild Noll-Minor (BLDAM) regte Überlegungen zur Deutung von Pigmentveränderungen und weiteren Alterungs- und Schadensphänomenen an, die an Fragen des ursprünglichen Farbeindrucks der Domklausur heranführten.

Kunsthistorische Methoden des gattungsübergreifenden Vergleichs und der stilgeschichtlichen Einordnung wandte Katharina Pick (Universität Paderborn) auf die Deckengewölbe und ihre Rankenmalereien an. Mit Blick u.a. auf böhmische Buchmalerei, rheinfränkische Mustervorlagen sowie Wand- und Glasmalerei in der Umgebung Norddeutschlands aus dem 14. und 15. Jh. wurden künstlerische Voraussetzungen und Stilzusammenhänge erschlossen. Durch den Abgleich mit überlieferten Quellen – darunter der zeitgenössischen Beschreibung des Wandmalereizyklus von Hermann Schedel (sic!), Nürnberger Frühhumanist und Leibarzt des Kurfürsten Friedrich II., dessen Aufenthalt in der Mark von 1446-52 urkundlich belegt ist – wurde eine Datierung der Wandmalereien in die 1440er Jahre herausgearbeitet. Ein bislang unbekanntes Wappen konnte dem Dompropst und mutmaßlichen Auftraggeber Peter von Klitzke zugeordnet werden, dessen Amtszeit mit dieser Datierung korreliert. Die Stilanalyse konnte eine einheitliche Organisation und Ausstattung des gesamten Raumes belegen.

Die These einer systematischen Konzeption bestätigte auch die epigrafische Analyse der Inschriften des Wandmalereizyklus von Martina Voigt (BBAW). Sowohl die durchfensterte Süd- als auch die Nordwand des Oberen Kreuzgangs verfügen über eine kohärente Textgestaltung: im Norden bandförmig und jochweise höhengleich, im Süden als jochübergreifend einheitliches Arrangement von Textsegmenten, die auf die Fensterdurchbrüche Bezug nehmen. Die Inschriften der Nordseite lassen sich mit Hilfe der Handschrift von Schedel weitgehend rekonstruieren und weisen kontextuelle Bezüge zu den Bildmotiven auf. Bei den Textsegmenten im Süden handelt es sich um bislang nicht entschlüsselte Quellenzitate. Das auf Text- und Bildebene ausgespannte Themenfeld eines religionsphilosophischen Studiums in Verbindung mit der räumlichen Disposition, inklusive der Nischen auf der Südwand als mögliche Buchablagen, lässt auf die Nutzung als Bibliothek schließen.

Eine vergleichende Analyse der Bildprogrammatik gegenüber der Beschreibung von Hermann Schedel präsentierte Ulrike Heinrichs (Universität Paderborn). Beide Medien greifen auf die klassische Systematisierung des Fächerkanons für das scholastische Studium der artes / scientiae im Studienbuch ‘Didascalicon de studio legendi’ des Hugo von St. Victor (um 1127) zurück, bedienen jedoch unterschiedliche Modi der Veranschaulichung. Das Bildprogramm stellt den an der Südwand durch Personifikationen und Philosophenbüsten als dialogische Kompositionen dargestellten artes liberales, die narrativen Darstellungen der artes mechanicae gegenüber. Die tradierte übergeordnete Stellung der philosophia als regina korreliert hier mit ihrer Omnipräsenz im Bildtypus der disputatio, während die figurale Auszeichnung stattdessen der theologia zukommt: scientia scientiarum erscheint sie als gekrönte Königin im Osten des Oberen Kreuzgangs, in achsendiagonaler Korrespondenz zur Darstellung der Kaiserbüste im Westen. Während Schedel der scholastischen Tradition folgt und der philosophia den wichtigsten Platz unter den Wissenschaften einräumt (der medicina eine Vermittlerrolle zuweisend), markiert das Bildprogramm mit seiner neuen Gewichtung den Anspruch auf Modernität, als Verweis auf die Curricula der Universitäten des 15. Jahrhunderts sowie eine bewusste Positionierung innerhalb weltlicher Bezugssysteme.

Den verfügbaren Quellenbestand in der Stiftsbibliothek zur Zeit der Entstehung des Programms befragte Rüdiger von Schnurbein (Domstift Brandenburg, Dommuseum). Die erste Katalogisierung datiert in die Jahre 1901-1905. Anschließend wurde der Gesamtkorpus an die Königliche Bibliothek zu Berlin übergeben. Bei den 90 heute verzeichneten Titeln handelt es sich vorwiegend um juristische und theologische Schriften (die ältesten datieren ins 13. Jahrhundert), gefolgt von Sammelhandschriften, Wörterbüchern und Heiligenlegenden (z.B. Norbert von Xanten). Die Vielzahl niederdeutscher Schriften korrespondiert mit den Schwerpunkten der Prämonstratenser, die auf der Seelsorge und dem Gottesdienst liegen. Als spiritus rector des Ausmalungsprogramms des Bibliotheksraums kann Stephan Bodecker, Bischof von Brandenburg 1421-1459, wahrscheinlich gemacht werden. Auffällig sind die ‘Lücken’ im Bestand von 1901-1905: Werke antiker Autoren und einschlägige Chroniken fehlen ebenso wie Bibelhandschriften und liturgische Bücher. Gründe hierfür mögen Brandschäden oder Zweckentfremdungen sein (z.B. Einbände von Akten im 18. Jahrhundert oder ‘Reparaturpflaster’). Einen Teil des Buchbestandes übernahm die 1704 gegründete Ritterakademie für die Lehrerbibliothek, hier besteht Überprüfungsbedarf. Die Rolle der Stiftsbibliothek im Kontext der Wende der kurfürstlichen Kirchenpolitik im 15. Jahrhundert könnte als Anstoß zur Ausgestaltung gesehen werden.

Fragen der Entstehungs-, Nutzungs- und Restaurierungsgeschichte behandelte Ursula Schädler-Saub (HAWK). Grünlich-schwarz glasierte Formziegel und Schmuckfugen mit Ritzungen belegen eine erste kurzzeitige Gestaltungsphase ohne Wandmalerei, in deren Anschluss eine helle Graufassung auf weißer Tünche als Träger der Ausmalung fungiert. Umfassende Bauveränderungen und Neugestaltungen erfolgten im Rahmen der von 1704-1945 bestehenden Ritterakademie. Diese lassen sich nach der Freilegung der Wandmalereien 2001/2005 befundtechnisch mehrheitlich nicht mehr nachvollziehen. Für Fragen zum Zustand unmittelbar vor und während der Freilegung stand Olaf Schwieger (Gramann und Schwieger GbR) als involvierter Restaurator zur Verfügung.

Darstellungsmöglichkeiten bauhistorischer Bezüge mit dem Archivierungsprogramm MonArch fokussierte Sabine Hermann vom Architekturbüro pmp-Architekten, das seit 1999/2000 sukzessive die Baualterskartierung der Domklausur bearbeitet. Auf Monumentalbauten spezialisiert, erlaubt das Programm die Zuordnung der Bauglieder zu einzelnen Gebäudeteilen und ihre Visualisierung an Gebäudeplänen. Die synchronisierte Navigation über den gemeinsam entwickelten Partonomieaufbau und aktive Flächen innerhalb der Gebäudepläne, Themenbaum-, Schlüsselwort- und Datensatzsuche gehören zu dessen Vorteilen.

Für die langfristige Erhaltung von Wandmalereien durch kontinuierliches Monitoring – Überwachung von Veränderungsprozessen am Bestand – plädierte Jan Raue (FH Potsdam) mit Praxisberichten aus der Region Brandenburg. Angesichts der schwierigen Finanzierungslage von Monitoring- und Wartungsaufträgen haben sich bewährte Methoden wie die traditionelle fotografische Dokumentation im Maßstab 1:1 als effektiv erwiesen. An die Gewährleistung der konservatorischen Deutung des Originalbestands appellierte der Restaurator Peter Turek anhand von Fallbeispielen aus der Klosterkirche Prüfening sowie aus Kirchen- und Wohnbauten in Bamberg, in denen eine Visualisierung der Wandmalereifragmente durch UV-Fluoreszenz-Aufnahmen ohne restauratorische Interventionen, wie z.B. Retuschen, überzeugend gelang. Jeder Eingriff verunklärt die Aussagekraft der Aufnahmen respektive des Originals.

Neue Visualisierungstechniken präsentierten Gunnar Siedler (fokus GmbH Leipzig), mit Beispielen der 2D-/3D-Visualisierung, und Sabine Krause-Riemer (HAWK), mit Ergebnissen der im Oberen Kreuzgang durchgeführten UV-Fluoreszenz- und Hyperspektralaufnahmen im Kartierungsprogramm metigoMAP. Letzteres Verfahren erlaubt die Erfassung des teilweise außerhalb der menschlichen Wahrnehmung liegenden Bestands, wobei einzelne optische Phänomene separiert und computergrafisch visualisiert werden. Dessen Anwendung im Rahmen der interdisziplinären Projektkooperation stellten Katharina Pick und Sabine Krause-Riemer am Beispiel der gemeinsamen Interpretation von Joch IX mit der Darstellung der theatrica vor. Die Verschmelzung von kunsttechnologischem Wissen mit motivgeschichtlicher und ikonografischer Analyse führte hierbei zu frappanten Ergebnissen, deren Erkenntniswert für die Deutung des Wandmalereizyklus großes Potential in sich trägt.

Die Forschungen im DFG-Tandem-Projekt laufen noch bis Sommer 2020. Anschließend ist eine öffentliche Abschlusstagung geplant.

Empfohlene Zitation:
Katharina Januschewski: [Tagungsbericht zu:] Grundlagenforschung zur Wandmalerei in Brandenburg (Dom, Brandenburg an der Havel, 20.–21.06.2019). In: ArtHist.net, 16.12.2019. Letzter Zugriff 03.12.2024. <https://arthist.net/reviews/22302>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^