REV 19.05.2001

Francis Haskell: The Ephemeral Museum

Rezensiert von Marc Schalenberg, Berlin
Redaktion: Claudia Sedlarz

Als Francis Haskell, der "bedeutendste Kunsthistoriker seiner
Generation" (Henning Ritter) am 18.1.2000 starb [1], war das
vorliegende Buch noch in Arbeit, weshalb es nur mit Einschraenkungen
als "Vermaechtnis" des britischen Gelehrten zu werten ist. Sein
langjaehriger Weggefaehrte Nicholas Penny, der bis in die Fussnoten
hinein die Komplettierung dieser ueberwiegend auf einzelnen
Vorlesungen basierenden Studie uebernommen hat, erlaeutert in seinem
Vorwort die editorischen Probleme und Prinzipien.

In der Sache erschliesst Haskell ein faszinierendes Feld: die
Urspruenge und die Fortentwicklung der "grossen" (Wander-
)Ausstellungen Alter Meister. Angesichts des Standes der Vorarbeiten
zu diesem nur interdisziplinaer zu erforschenden Thema - neben der
Kunstgeschichte im engeren Sinne ist, wie unmissverstaendlich klar
wird, die Beruecksichtigung der politischen, wirtschafts-, sammlungs-
und wissenschaftsgeschichtlichen Umstaende vonnoeten -, kann dies
noch nicht flaechendendeckend geschehen. Da Haskell bei seinen
punktuellen Verdichtungen aber ein intensives Quellenstudium
betrieben hat (inklusive Museumsarchiven, einzelnen Privatnachlaessen
und zeitgenoessischen Zeitungsberichten), koennen die vorliegenden
Ergebnisse weit mehr als nur vorlaeufigen Charakter fuer sich in
Anspruch nehmen.

Die Geschichte, die in den neun Kapiteln des Buches erzaehlt wird,
reicht vom 17. Jahrhundert bis in unsere Tage. Sie wechselt haeufig
die Schauplaetze, ist aber im Wesentlichen eine europaeische
Geschichte, unter Einbezug der U.S.A. seit dem spaeten 19.
Jahrhundert. Den Ausgangspunkt fuer die Translokation von Gemaelden
"Alter Meister" [2] an einen bestimmten Ort sieht H. im Rom des
spaeteren 17. Jahrhunderts, als bis zu viermal pro Jahr Werke
verstorbener Maler in vorwiegend geistlichen Raeumlichkeiten
zusammengetragen wurden. Frueh imitiert wurde dieser Ausstellungstyp,
unter Mitwirkung der Accademia del Disegno, im Grossherzogtum
Toskana, doch erwies er sich in Florenz, einiger zukunftsweisender
Innovationen wie Ausstellungskatalogen zum Trotz, als weniger
kontinuierlich und langlebig als in Rom.

Angesichts der auch damals schon nicht ganz einfachen, Kontakte und
diplomatisches Geschick erfordernden Ueberredung von Leihgebern -
mehrheitlich aristokratischen und/oder vermoegenden Privatleuten -,
betont H. die Bedeutung des Kurators bzw. Impresarios fuer das
Gelingen derartiger Ausstellungen. Was Giuseppe Ghezzi (1634-1721)
fuer Rom, das war spaeter Mammès-Claude Pahin de La Blancherie (1752-
1811) fuer Paris. In wirkliche Bewegung gerieten die Sammlungen und
der Kunstmarkt dann durch die Emigration franzoesischer Adeliger nach
1789. H. verweist namentlich (und nicht zum ersten Mal) auf den
Herzog von Orléans, dessen Gemaeldesammlung Thomas Moore Slade in
grossen Teilen bei Christie's in London ersteigerte. Dieser Sammler
und Spekulant nutzte bereits 1793 die Gelegenheit zu einer grandiosen
(Selbst-)Praesentation von ueber 250 Werken vorwiegend
nordeuropaeischer Alter Meister.

Als Grundlage der weiteren Entwicklung des "ephemeren Museums"
koennen durchaus die mitunter eifersuechtigen Rivalitaeten zwischen
privaten und oeffentlichen Sammlungen betrachtet werden, wobei
letztere sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eindeutig in den
Vordergrund spielten - nicht zuletzt deshalb, weil Kunst, auch und
gerade "alte" Kunst des 13. bis 18. Jahrhunderts zunehmend
Fluchtpunkt nationaler und nationalistischer Emotionen wurde. Hier
kann H. mit einer stupenden Detailkenntnis und einem sicheren Gespuer
fuer Anekdoten aufwarten, um die zunehmende Politisierung, aber auch
Professionalisierung des Ausstellungswesens zu illustrieren. Seine
wichtigsten Etappen auf diesem Weg sind die 1797 eroeffnete, freilich
auf Dauer angelegte Schau in der Galerie d'Apollon des Louvre, die
geradezu schulbildende Reynolds-Retrospektive in der British
Institution (1813), die verstaerkt von kunsthistorischer Forschung
gepraegte "Art Treasures Exhibition" in Manchester (1857) und die
Holbein-Ausstellung in Dresden (1871), die patriotismusschwangere
Michelangelo-Schau in Florenz (1875) sowie die Rembrandt-Ausstellung
in Amsterdam (1898), zu der erstmals ein begleitender
kunsthistorischer Fachkongress tagte.

Den vorlaeufigen Abschluss auf dem Weg zu einer fachwissenschaftlich
untermauerten, aber (national-)politisch motivierten
kunsthistorischen Selbstaufwertung bildete die "Mostra della Pittura
Italiana del Sei e Settecento" im Florentiner Palazzo Pitti (1922).
In bester englischer Tradition lockert H. seinen Text mit ironischen
Einsprengseln auf, in denen sich zugleich eine empiristische Vorsicht
gegen allzu schnelle und plausible Verallgemeinerungen manifestiert.
Wollte man dennoch einen "bias" benennen, so wohl am ehesten die
Hervorkehrung Londons, der dort ansaessigen Sammler, Museen und
Vereinigungen, die vom Autor, der neben seiner Professur in Oxford
selber ein Teil dieses Londoner Netzwerkes war, betrieben wird. Paris
erscheint dagegen immer als eine Art Sonderfall oder Nachzuegler, mit
Ausnahme der ausfuehrlicher gewuerdigten Exposition "Les Peintres de
la Réalité" im Musée de l'Orangerie (1934/35); ueber Berlin erfaehrt
man wenig, ueber Wien so gut wie nichts, ueber die groesseren
italienischen, belgischen und niederlaendischen Staedte sowie ueber
Madrid dagegen einiges.

Bezueglich der Formalia sind der hilfreiche Index und die erfreulich
wenigen Druckfehler herauszustellen [3]; dagegen unterblieb leider
die Kumulierung der benutzten Literatur in einem separaten
Verzeichnis. Insgesamt laesst sich festhalten, dass dieses in jeder
Hinsicht anregende und gut geschriebene Buch einen Leserkreis weit
ueber das Kunsthistorikerpublikum im engeren Sinne hinaus verdient,
etwa in der derzeit boomenden Forschung zu den europaeischen und
nordamerikanischen Weltausstellungen, derjenigen zum Maezenatentum
oder auch zur auswaertigen Kulturpolitik. Letztere exemplifiziert H.
im Uebrigen eindrucksvoll an der vom faschistischen Italien
getragenen Ausstellung "Italian Art 1200-1900" im Burlington House,
London [4]. Und die Skepsis des Autors, der immerhin die
kunsthistorische Relevanz des Themas herausarbeitet, gegenueber der
Sinnhaftigkeit von immer staerker auf schiere Ueberbietung
abzielenden "Blockbuster"-Ausstellungen, fuer die er
konservatorische, aber auch wissenschaftliche und paedagogische
Gruende anfuehrt, koennte auch aktiven Kulturpolitikern und Sponsoren
zu denken geben.

[1] Vgl. etwa die Nachrufe in: The Burlington Magazine CXLII (No.
1166, May 2000), 275; 307f; Revue de l'Art 128 (2/2000), 87;
Zeitschrift fuer Kunstgeschichte 64 (2/2001), 299-303.

[2] Haskell fuellt dieses Konzept begriffs- und sachgeschichtlich in
seinem einfuehrenden Kapitel (3ff.).

[3] Dem Rezensenten fielen lediglich drei auf. Es muesste lauten:
"Anglo-Batavian Society" statt "Anglo-Bavarian Society" (109),
"impossibile" statt "impossible" in dem italienischen Zitat Roberto
Longhis (145), und die Fussnote 12 des 7. Kapitels ist
irrtuemlicherweise doppelt vergeben worden (110).

[4] Das 7. Kapitel "Botticelli in the Service of Fascism" (107-127)
war im gleichen Wortlaut und mit gleichen Abbildungen zuvor bereits
unter dem Titel "Botticelli, Fascism and Burlington House - the
'Italian Exhibition' of 1930" abgedruckt worden in: The Burlington
Magazine CXLI (August 1999), 462-472.

Haskell, Francis: The ephemeral museum. old master paintings and the rise of the art exhibition, New Haven, Conn. [u.a.]: Yale University Press 2000
ISBN-10: 0-300-08534-6, XIV, 200 S

Empfohlene Zitation:
Marc Schalenberg: [Rezension zu:] Haskell, Francis: The ephemeral museum. old master paintings and the rise of the art exhibition, New Haven, Conn. [u.a.] 2000. In: ArtHist.net, 19.05.2001. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/reviews/22>.

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