Venedigs prunkvolle Paläste, feingeschwungene Brücken, glitzernde Kanäle und elegante Gondeln geben ein einmaliges Bild ab. Die Stadt auf dem Wasser wird daher gerne als Kulisse genutzt. Touristen und Touristinnen posieren hier für Selfies, Prominente nutzen das Ambiente, um medienwirksame Hochzeiten zu feiern und Menschen aus Politik und Wissenschaft dient die Stadt als Hintergrund, um das eigen kulturelle und historische Interesse zur Schau zu stellen.
Auch für zahlreiche mittelalterliche und frühneuzeitliche Herrscher war Venedig eine Reise wert. Als bedeutende vormoderne Metropole und (spätestens seit dem Hochmittelalter) eigenständiger Herrschaftsraum, bot die Lagunenstadt Kaisern, Königen und (Kirchen)fürsten eine Plattform, auf der sie sich und ihr herrschaftliches Selbstverständnis weithin sichtbar präsentieren konnten. Zugleich dienten die Begegnungen der Dogen mit den ausländischen Monarchen dazu, die Stellung Venedigs im komplexen Machtgefüge vormoderner Adelshierarchien auszuhandeln. Der Organisation, Inszenierung und Wahrnehmung solcher Besuche und Begegnungen in Venedig ist der Band gewidmet, der 2017 in der Schriftenreihe des Deutschen Studienzentrums in Venedig publiziert wurde.
Unter dem Titel «Venedig als Bühne» sind dort 13 Beiträge versammelt, welche die Besuche vormoderner Fürsten analysieren. Sie alle sind der Grundannahme verpflichtet, dass Herrscherempfänge und -begegnungen nicht allein als Ausdruck vorbestehender Ordnungen zu verstehen sind, sondern dass das zeremonielle Aufeinandertreffen adeliger Würdeträger selbst soziale Wirklichkeiten schuf. Eindrucksvoll verdeutlichen die Aufsätze, dass die Herrscherbegegnungen keine starren Wiederholungen tradierter Formeln waren, sondern dass in ihrer jeweiligen Symbolik und Ausgestaltung gezielt auf politische und soziale Kontexte reagiert wurde. Mittels der zeremoniellen Treffen und ihrer Planung wurden wechselseitigen Rechte, Pflichten und Machtverhältnisse festgelegt oder verändert. Gerade Forscherinnen und Forscher, die sich mit der Visualisierung von Macht und Zugehörigkeiten beschäftigen, werden von den Einsichten einer solch kulturhistorisch informierten Geschichte des Politischen profitieren.
Der Zeithorizont, vor dem sich die Aufsätze bewegen, erstreckt sich chronologisch geordnet von den frühen Kaiserbesuchen der Karolinger im 9. Jahrhundert (Achim Hack) bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und den inkognito in Venedig verweilenden Fürsten (Stephan Oswald). Eingeführt werden die Beiträge durch eine kurze Einleitung der Herausgeber und einen Überblick, welcher die generelle Funktion, Bedeutung und Ausgestaltung der Abläufe mittelalterlicher Herrscherbesuche von der Ankunft und Einholung der Fürsten (adventus) über deren Aufenthalt bis zu ihrer Abreise vorstellt. (Gerd Althoff).
Einen solch großen Zeitraum in einem Sammelband zu bewältigen und die Beiträge dabei dennoch vergleichbar zu halten, ist keine einfache Aufgabe. Für eine homogene Darstellung scheinen die je verfügbaren Quellen, die wechselnden historischen Kontexte und nicht zuletzt auch die Forschungshintergründe und -interessen der Autorinnen und Autoren eigentlich zu unterschiedlich. Dass das Ergebnis dennoch erstaunlich einheitlich und gut lesbar ausfällt, hat vor allem zwei Gründe. Zuvorderst ist dies sicher einem gemeinsamen Fragekatalog der Herausgeber geschuldet, der die Beiträge hintergründig strukturieren half. Themenkomplexe wie die Vorbereitungen der Herrschaftsbesuche, ihre konkrete Durchführung und Ausgestaltung sowie Fragen nach Rezeption und Tradierung bilden so übergreifende Orientierungspunkte.
Der zweite Grund, der zur Geschlossenheit des Bandes beiträgt, ist die thematische Konzentration auf mittelalterliche Kaiserbesuche. Rund zwei Drittel der Beiträge drehen sich um Herrscherbegegnungen mit kaiserlicher Beteiligung. Der weltliche Universalmonarch der lateinischen Christenheit stellt so den impliziten Referenzpunkt und das eigentliche Leitthema des Bandes dar. Die Aufsätze zu den spätmittelalterlichen Besuchen der byzantinischen Palaiologen in der Lagunenstadt (Niccolò Zorzi), zum Spektakel venezianischer Prunkregatten bei Herrscherempfängen, (Tobias C. Wießmann), zu den Akkreditierungszeremonien für französische Botschafter (Stefanie Cossalter-Dallmann) oder auch zur eingeschränkten zeremoniellen Notwendigkeit gegenüber dem inkognito reisenden Adel im Barock (Stephan Oswald) gehen daher – trotz ihrer interessanten Einzelergebnisse – in der Gesamtkomposition leider ein wenig unter.
So sehr die Fokussierung auf kaiserliche Besuche der Lesbarkeit des Buches im Ganzen entgegenkommt und der Vergleichbarkeit der Beiträge untereinander nützt, stellt sich aus einer mehr venezianischen als kaiserlichen Perspektive doch die Frage der Gewichtung. Ob es unter dem Sammeltitel «Venedig als Bühne» wirklich notwendig ist, jeden vormodernen Kaiserbesuch in der Lagunenstadt mit (mindestens) einem Aufsatz zu behandeln, kann bezweifelt werden. Die spärliche Quellenlage zum Aufenthalt Friedrichs II. (1232) beispielsweise (Houbert Houben) lässt bezüglich der Planung, Durchführung und der Wahrnehmung des Besuchs kaum Aussagen zu. Der Aufsatz hält so zwar wichtige Einsichten zum Streit des Stauferkaisers mit dem lombardischen Städtebund und zur quellenkritischen Neubewertung der erhaltenen Dokumente bereit, kann zum inszenatorischen Potential der Lagunenstadt oder der symbolischen Funktion von Herrscherempfängen aber nur wenig beitragen.
Auch die Entscheidung, die Begegnung von Papst Alexander III. und Friedrich Barbarossa im Rahmen des Friedens von Venedig (1177) in gleich zwei Beiträgen zu untersuchen, kann angesichts der umfangreichen Sekundärliteratur zu diesem Thema kritisch hinterfragt werden. Das soll nicht die Verdienste der beiden Autoren in Abrede stellen, denen es – mal aus Sicht der Besucher (Romedio Schmitz-Esser), mal aus päpstlicher Perspektive (Jochen Johrendt) – überzeugend gelingt, die nuanciert austarierte rituelle Symbolik der Versöhnung zwischen Papst und Kaiser sowie ihre Rezeption zusammenfassend auszuleuchten. Dennoch nimmt die Figur des westlichen Kaisers durch solche Dopplungen einen immensen Raum ein und verursacht so – neben der zeitlichen Fokussierung auf die Herrscherbesuche des Mittelalters – auch thematisch bedauerliche blinde Flecken. So hätten beispielsweise die Empfangsinszenierungen von Regenten niedrigeren Adelsranges die Kaiserbesuche wertvoll ergänzen und interessante Einsichten in die Selbstverortung Venedigs innerhalb der europäischen Adelshierarchie liefern können. Auch der Besuch von Herrscherinnen kommt durch die thematische Engführung an der Figur des Kaisers zu kurz. Zwar wird in einem der ergiebigsten Beiträge des Bandes – dem facettenreichen Aufsatz von Claudia Märtls zu den vier Besuchen Friedrichs III. – auch der Empfang von Kaiserin Eleonore (1452) thematisiert, doch hätte der sich dort andeutende Unterschied zwischen männlich und weiblich konnotierten Empfangsritualen fraglos einen eigenen Beitrag verdient. Mit dem Empfang von Cateriana Cornaro (1489), der Königin von Zypern, oder den Besuchen Isabella d’Estes (1493, 1502), der Markgräfin von Mantua, hätte zumindest das Spätmittelalter hierfür zwei schillernde Figuren bereitgehalten.[1]
Vor allem aber geht mit dem Fokus auf den lateinisch-christlichen Universalherrscher die Besonderheit Venedigs als einem mediterranen Gemeinwesen verloren. Die venezianische Bühne stand schließlich nicht allein christlichen Monarchen offen, sondern wurde auch von Venedigs muslimischen Nachbarn reiflich genutzt. Ein Beitrag zu den zahlreichen Gesandtschaften der osmanischen Sultane oder zum Empfang und mehrmonatigen Aufenthalt des mamlukischen Botschafters Taghribirdi, der sich von 1506 bis 1507 in der Lagunenstadt aufhielt, hätten den Untersuchungshorizont sicher gewinnbringend in Richtung Osten erweitert.[2]
Eine Buchbesprechung, welche zum Abschluss nach weiteren Aufsätzen verlangt, macht aber letztlich vor allem eines deutlich: nämlich wie stimulierend die einzelnen Beiträge und ihre Zusammenstellung sind. Die kenntnisreichen Darstellungen zum diplomatischen Fingerspitzengefühl hinter dem heimlichen Venedigbesuch von Otto III. im Jahr 1001 (Knut Görlich) und zu der fast hollywoodreifen Flucht des späteren Karl IV, mit der dieser sich 1337 einem forcierten Empfang durch den Dogen zunächst entzog, um so seine politische Handlungsfähigkeit in Norditalien wiederzuerlangen (Eva Schlotheuber), sind nicht nur unterhaltsam zu lesen, sondern leuchten die Bedeutung von Herrscherbegegnungen gewissermassen ex negativo aus. Auch wie Heinrich IV. 1095 die venezianische Bühne nutzte, um nach den Rückschlägen der Vorjahre zurück ins Rampenlicht europäischer Herrschaftspolitik zu treten, und wie der Kaiserbesuch umgekehrt Venedig dazu diente, die Bedeutung des Heiligen Markus als ihrem Stadtheiligen weitwirksam in Szene zu setzen, zeigt eindrücklich, wie mittels Herrscherbesuche Politik in einem ganz wörtlichen Sinn gemacht wurde. (Roman Deutinger).
Damit weisen die Aufsätze des Sammelbandes über ihre eigentlichen Themen hinaus. Empfänge, Zeremonien und Rituale werden hier nicht allein als passive Ausdrucksformen politischer Hierarchien greifbar, sondern als Gestaltungskräfte, die gesellschaftliche Wirklichkeiten aktiv ausbildeten. Ein solches Verständnis das vormoderne Rituale als gleichermassen Formen und Formanten einer sozialen, politischen oder kulturellen Welt versteht, bietet damit ein vielversprechendes Modell an, das sich auch für andere Forschungskontexte als attraktiv erweisen könnte.
[1] James, Carolyn: The travels of Isabella d’Este, Marchioness of Mantua. Studies in Travel Writing 13, 2; 2009; S. 99–109.
[2] Pedani, Maria Pia: In Nome del Gran Signore. Inviati Ottomani a Venezia dalla Caduta di Constantinopoli alla Guerra di Candia. Venedig; Deputazione Editrice, 1994. Wansbrough, John: A Mamluk ambassador to Venice in 913/1507. Bulletin of the School of Oriental an African Studies, 26; 1963; S.503 – 530.
Schmitz-Esser, Romedio; Görich, Knut; Johrendt, Jochen (Hrsg.): Venedig als Bühne. Organisation, Inszenierung und Wahrnehmung europäischer Herrscherbesuche (= Studi; NF, 16), Regensburg: Schnell & Steiner 2017
ISBN-13: 978-3-7954-3222-5, 264 Seiten, EUR 39.95, table of contents
Recommended Citation:
Nicolai Kölmel: [Review of:] Schmitz-Esser, Romedio; Görich, Knut; Johrendt, Jochen (Hrsg.): Venedig als Bühne. Organisation, Inszenierung und Wahrnehmung europäischer Herrscherbesuche (= Studi; NF, 16), Regensburg 2017. In: ArtHist.net, Sep 15, 2019 (accessed Dec 26, 2024), <https://arthist.net/reviews/21386>.
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