Nicht lange ist es her, dass der Schutzengel den Schlaf unserer Großeltern behütet hat, der brünftige Hirsch ins Wohnzimmer röhrte, das feiste Mönchlein den Bierhumpen über dem Esstisch stemmte und der fromme Wahlspruch im Kreuzstichmuster die Küchenwand zierte. In den besseren Kreisen unserer modernen Gesellschaft pflegt man anderes Bildgut übers Bett zu hängen. Trivialkunst hat ausgedient und Motivplakatierung bestimmt kontemporäre Wohnkultur. Bestsituierte Haushalte halten es eher mit der großen Kunst.
Das Käthe Kollwitz Museum am Kölner Neumarkt, als dessen Träger die Kreissparkasse Köln fungiert, wagt mit der Sonderausstellung „Kollwitz im Esszimmer – Leben mit ‚schwerer Kost‘...“, einen Blick hinter die Kulissen der Sammlerkultur. Hier berichten drei Sammler von ihrer Leidenschaft für die zeichnerischen und plastischen Arbeiten der Sozialistin Käthe Kollwitz. Freimütig gewähren sie photographische Einblicke in ihr Leben mit der ‚schweren Kost‘. Mit jeweils 10 bis 15 ausgewählten Leihgaben werden ihre wichtigsten Werke vorgestellt und die damit verbundene individuelle Erfahrung beschrieben.[1]
Käthe Kollwitz (1867-1945) ist eine der tragischen Figuren der neueren Kunstgeschichte. Bereits 1913 beginnen die Verbote ihrer sozialkritischen Arbeiten. Seit 1918 opponiert sie offen gegen den Krieg, in den 1920er und 30er Jahren mahnt sie die sozialen Bedingungen von Unterschichten an und arbeitet für linke politische Gruppen. Trotz Ehrungen und ‚Pour le Mérite‘ steht sie im Widerstand gegen die Staatsraison. 1933 erfolgt der Ausschluss aus der Preußischen Akademie der Künste. Ihre Werke werden aus Ausstellungen und Museen entfernt. Bis Kriegsende hat sie die Schikane der Faschisten zu ertragen. Sie verliert den Mann, den Sohn und den Enkel.[2]Kollwitz war eine der politisch engagiertesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit großer sozialer Klarsicht verteidigte sie die Rechte der Armen und Geknechteten. Mit Kreide und Radiernadel klagte sie gegen die Ausbeutung der Arbeiter, die Anmaßungen des Kapitals, den Krieg.[3] Ihre grafischen Arbeiten zeugen von virtuoser Meisterschaft, die Skulptur ist von überragender Ausdruckskraft. Liebhaber von Zeichnung und Grafik zählen sie zu ihren Favoriten, Liebhaber kritischer Kunst bewundern ihren eindringlichen Furor, Kunstsammler schätzen ihren soliden Marktwert.
Auf Informationstafeln und im Begleitheft zur Kölner Ausstellung bekennen sich bestsituierte Kunstfreunde – zweifellos in guter Absicht, wenngleich in saturierter Leichtfüßigkeit – zum gesellschaftskritischen Werk der Künstlerin. Ignoriert wird nolens volens, dass die Welt da draußen in offensichtlichem Widerspruch zur eigenen Lebensweise steht. Akzeptiert wird nur der Status quo. Die sozialkritischen Arbeiten der Künstlerin – so die erschütternde Lithographie „Ruf des Todes“ (1937) oder die bestürzende Komposition „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ (1941) – werden von einer Kölner Unternehmerin und Kunstsammlerin angeführt, um mit den „Imponderabilien“, d.h. unwägbaren Gegebenheiten „des Lebens fertigzuwerden“ (6). Das klingt, als seien die Darstellungen menschlichen Elends ein Vademekum bei Migräne oder Zolas „Germinal“ ein empfehlenswerter Kompass für Investmentgeschäfte. Man stelle sich nur vor: die Hausherrin auf dem Diwan, darüber die angstvollen Blicke der Mütter, die um ihre Kinder bangen („Mütter“, 1919); ihre Zinserträge im Büro kalkulierend, angesichts der verzweifelten Streikarbeiter; die Familie beim Trüffelsoufflé mit Blick auf das goldgerahmte Bild „Deutschlands Kinder hungern“ (1924). Bon appetit!
Das Ärzte-Ehepaar begründet u.a. seine Sammelmotivation mit dem berufsbedingten Ansatz, die Leidens- und Todes-Darstellungen Kollwitz‘ als künstlerische Verarbeitung ihrer täglichen Berufspraxis zu verstehen: „…der Bruder Tod ist willkommen“ (12) – für das Geschäft willkommen? Die Lithographie „Abschied und Tod“ (1923) hilft den Sammlern das „Leid der Welt“ (11) einzufangen und zu verstehen. Therapieempfehlung im Schöner-Wohnen-Format?
Den Schweizer Sammlern nun liegt das „menschliche Befinden im 20. Jahrhundert“, welches sich in Kollwitz‘ Werk äußert, am Herzen (17). Hier wird getafelt unter den Radierungszuständen des ausgemergelten „dengelnden Bauern“ (1905). Die drastischen „Hunger“-Holzschnitte (1922) dienen der Problembewußtseinserweiterung! Und dem Pazifismus der Künstlerin wird im Schweizer Haushalt gedacht mit ‚Wand-Aktien‘, die alle Übel des Krieges beklagen: die Kohlezeichnung „Schlachtfeld“ (1907), die Strichätzung „Schlachtfeld“ (1907) aus dem ‚Bauernkrieg-Zyklus‘ sowie zwei Fassungen der Lithographie „Gefallen“ (1919) (17 f.). Den moralischen Gestus sucht man in der Ausstellung sowie im begleitenden Heft vergebens und der soziale Imperativ „Eigentum verpflichtet“ scheint den ‚Wohlbetuchten‘ Ansporn zum Sammeln sozialkritischer Kunst zu sein.
Am Schluss des Begleitheftes zur Ausstellung kommen eine Kunsthändlerin und zwei Auktionatoren zu Wort, die mit Anekdoten übers Geschäft daherkommen. Im Beitrag „Der Großwildjäger und die Syphilis: Zwei Begegnungen mit Käthe Kollwitz“ wird über die verschlungenen Wege des Kunsthandels schwadroniert (26 f.). Das Heft ist bebildert mit Fotos von Innenansichten der Wohnungen der jeweiligen Kunstsammler. Die Titelseite sowie das Ausstellungsplakat zeigen im Bildausschnitt ein Esszimmer mit reich gedecktem Tisch und einer Kollwitz-Grafik. Der Text des Heftes ist vorwiegend in Interview-Form abgefasst und besteht aus Original-Zitaten. Im Internet können unter „https://www.kollwitz.de/2019-07-01-kollwitz-im-esszimmer-kaethe-kollwitz-museum-...“ die Interviews eingesehen werden.
Die Kunst von Käthe Kollwitz ist alles andere als mainstreamkompatibel. Die Bildsprache der Künstlerin ist ästhetisch bewegend und inhaltlich erschütternd. Es ist die eindringliche Infragestellung des Wohlstands auf den müden Schultern der Armut. Vor diesem soziopolitischen Hintergrund berührt die Hängung der Kollwitz-Bilder ethische Grundsatzfragen. Kollwitz‘ Werke eignen sich weder für Deko-Accessoires im modernen Wohn-Ambiente noch für profitmaximierende Spekulation. Das sollten die Verantwortlichen wissen. Und Ausstellungen wie diese schaden nicht nur der Museumskultur.
Schließlich muss man sich fragen, ob man hier nicht in eine Werbeveranstaltung für wertschöpfendes Investment geraten ist, was aus der Sicht des Museumsträgers durchaus nachvollziehbar wäre. Aber vielleicht hat sich das Ausstellungsteam mit dieser widersprüchlichen Präsentation auch etwas dabei gedacht. Zu wünschen wäre es!
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Anmerkungen:
[1] „Kollwitz im Esszimmer – Leben mit ‚schwerer Kost‘...“, Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum, Köln, 04.07.-29.09.2019. Eintritt 5/2 Euro. Das 31seitige Begleitheft ist bei Besuch der Ausstellung erhältlich.
[2] Vgl. Kollwitz Lebensdaten in: https://www.kollwitz.de/lebensdaten.
[3] Zahlreiche Texte und Bücher sind über die Künstlerin und ihr Werk verfasst worden. Als Auswahlliteratur zu Kollwitz seien nur zwei Titel genannt: Hannelore Fischer (Hg.): Käthe Kollwitz: Meisterwerke der Zeichnung; Käthe-Kollwitz-Museum, Köln, Ausst., 20.04.-18.06.1995, Köln 1995; Yvonne Schymura: Käthe Kollwitz: die Liebe, der Krieg und die Kunst: eine Biographie, München 2016.
Recommended Citation:
Dietmar Spengler: [Review of:] „Kollwitz im Esszimmer – Leben mit ‚schwerer Kost‘...“ (Köln, Käthe-Kollwitz-Museum, Jul 4–Sep 29, 2019). In: ArtHist.net, Sep 2, 2019 (accessed Oct 15, 2024), <https://arthist.net/reviews/21382>.
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