Der Bildhauer Andrea Bregno ist wohl eine der Künstlerpersönlichkeiten der italienischen Renaissance, deren Nachruhm in einem sehr unglücklichen Verhältnis zu ihrer historischen Bedeutung stehen: Obwohl seine Grabmäler, Altäre und Tabernakel die Kirchen Roms in der Frührenaissance dominierten – ja, bis heute ihre Innenräume in großer Zahl prägen – verlor sich sein Andenken schon schnell im Schatten der ihm nachfolgenden Bildhauergeneration mit Künstlern wie Andrea Sansovino, Donato Bramante und vor allem Michelangelo. Schon Giorgio Vasari erwähnte in seinen Viten den wohl bedeutendsten Skulpteur der römischen Frührenaissance nur noch am Rande.[1]
Mit der vorliegenden Publikation von Thomas Pöpper ist nun die erste Künstlermonographie über Andrea Bregno erschienen. Dieses unbedingt lesenswerte Grundlagenwerk – so viel sei vorweggenommen – kann die schmerzliche Lücke mehr als ausfüllen und geht weit über den Anspruch einer klassischen Künstlerbiographie hinaus.
Dass Bregnos Biographie nun in deutscher Sprache erschien, folgt einer gewissen Forschungstradition, da es Ernst Steinmann war, der Andrea Bregno 1899 als Künstlerpersönlichkeit wieder entdeckte, sein römisches Œuvre zusammenstellte und damit seinen Namen in das Gedächtnis der noch jungen Kunstgeschichte zurückrief.[2] Das Erscheinen einer kritischen Bregno-Werkschau war mehr als überfällig, denn wie um das Schweigen der vorhergehenden Jahrhunderte auszugleichen, haben sich in den letzten Jahrzehnten eine übergroße Anzahl oft eher assoziativ zugeschriebener Werke an Bregnos Namen angelagert und der Ausdruck des „bregnesken“ ist zu einem unscharfen Sammelbegriff für die römische Skulptur der Frührenaissance geworden. Der 500. Todestag Andrea Bregnos 2003 war der letzte Kulminationspunkt dieser Tendenz; deren Ausläufer sich selbst im Katalog der medial vielbeachteten Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Berliner Bode-Museum wiederfinden, wenn dort zwei weitere Büsten mit leichter Hand und wenig zwingend erstmals mit dem Namen Bregnos in Verbindung gebracht werden.[3]
Die vorliegende Biographie, mit der die Dissertationsschrift Pöppers publiziert wird, ordnet das Œuvre des lombardischen Meisters um den Kern der wenigen quellenkundlich gesicherten oder gar signierten Werke. Die aufmerksame – und vor allem kritische – Sichtung der bisherigen, ebenso breiten wie disparaten Forschung kontrastiert verschiedene wissenschaftliche Positionen und führt zu neuen Synergien. So macht Pöpper bereits beschriebenes, aber kaum rezipiertes Wissen fruchtbar, wenn er den bereits 1905 edierten Vertrag, den Vanozza de Catanei über ein Sakramentstabernakel für Santa Maria del Popolo abschloss, nicht nur mit dem Bildhauermeister Andrea Bregno, sondern vor allem mit einem Tabernakelfragment aus derselben Kirche in Verbindung bringen kann, das sich heute in der Skulpturensammlung des Bode-Museums (Berlin) befindet (Kapitel IV.3). Hinzu kommen erfreuliche Neufunde des Autors als Resultat einer intensiven Beschäftigung mit Werk und Archivalien. So konnte der Autor auch die Sockelkonsole des eben genannten Tabernakels mit dem Stifterwappen der Vannozza unterhalb des Waschbeckens in einem Sakristeiraum von Santa Maria del Popolo wiederentdecken (297-298).
Eingebettet in den Hintergrund des künstlerischen Umfeldes im Rom des 15. Jahrhunderts setzt Pöpper in dem ebenso kurzen wie dichten Kapitel III die puzzlesteinartigen Quellen zu Person und Biographie Bregnos zu einem überraschend plastischen Charakterbild zusammen. Auch hier werden Quellenbefund und Forschungsstand vorsichtig abwägend diskutiert. Im Lichte der, in den Worten des Autors „wenig ersprießlich[en]“(43) Dokumentenlage, die vor allem die Frühzeit des Meisters im Dunkeln lässt, entsteht so mit der Werkstatt des Andrea Bregno, seiner Familie und seinen Hausangehörigen eine lebendige Milieustudie der frühneuzeitlichen Gesellschaft.
Das Hauptaugenmerk des Buches liegt aber auf den Werkanalysen, die der Autor statt in einem chronologischen Durchgang zu verschiedenen Gattungsgruppen zusammenfasst vorstellt, um so Genese, Fortentwicklung und Variation von Formfindungen herausarbeiten zu können. Kapitel IV.1 ist den Hochaltarädikulen und kleineren Altaretabeln gewidmet. Zu recht an den Anfang gestellt ist hier die Rekonstruktion der 1473 errichteten Hochaltarädikula von Santa Maria del Popolo, die als Fix- und Angelpunkt des künstlerischen Universums Bregnos gelten muss: Als einzige signierte Arbeit gibt dieses Hauptwerk Zeugnis von den bildhauerischen wie konzeptionellen Fähigkeiten des Meisters und ist stilistische Gegenprobe für weitere Zuschreibungen auf der Basis von Händescheidung.
Es folgt die zahlenmäßig dominierenden Gruppe der Grabmonumente und Epitaphe (Kapitel IV.2), deren wissenschaftliche Beurteilung hoch kontrovers ausfällt: Epochemachende Neuschöpfungen wie das um 1465 entstandene Monument für den Kardinal Louis d’Albret in Santa Maria del Popolo beweisen den Erfindungsgeist und feinsinnigen Esprit, zu dem Bregno in der Lage war, und kontrastieren mit späteren, oft einen festen Formenkanon monoton durchdeklinierenden und in der Forschung dementsprechend gering geschätzten Projekten. Diesem Spezifikum der italienischen Kunstpraxis des Quattrocento, die das Original als Unikat nicht kannte und „fast seriell zu nennende“ Repliken und Reproduktionen hervorbrachte (126), begegnet der Autor mit einer sensiblen Betrachtung der Wechselwirkungen von Kunstmarkt, Kunstideal und Werkstattpraxis im Rom des 15. Jahrhunderts (124-130): Während der 40 Jahre dauernden, fruchtbaren römischen Schaffensperiode verließ die Werkstatt des lombardischen Meisters eine bemerkenswerte Anzahl an Werken für Auftraggeber, die sich meist aus dem kurialen Umfeld rekrutierten und ein nie versiegendes Repräsentationsbedürfnis an den Tag legten. Bregnos Leistung bestand, so Pöpper, weniger in besonders individuellen, ausgefallenen oder ingeniösen Inventionen, sondern in der Choreographie einer großen Werkstatt, die die Aufträge effizient und auf qualitativ anspruchsvollem Niveau befriedigte. Dass dabei Originalität und Innovationskraft der Werke auf der Strecke blieben, wurde von der Forschung oft kritisiert, ist jedoch nicht primär dem versiegenden Ideenreichtum des alternden Meisters zuzuschreiben. Vielmehr war es die konsequente Folge der konkreten Wünsche der Auftraggeber und eines Kunstideals, das weniger Wert auf Innovation (inventio) sondern auf die Anbindung an bewährte und als angemessen anerkannte Formen suchte (decorum und dignitas).
Das nach Ende von Schisma und Exil politisch, wirtschaftlich und kulturell wiedererstarkende Rom fand erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer eigenen Stilsprache, deren skulpturales Formenvokabular in der Werkstatt Bregnos wesentlich ausformuliert wurde und Einflüsse von reisenden Künstlern wie Giovanni Dalmata und dem Toskaner Mino da Fiesole in sich aufnahm, die sich wiederholt in Rom aufhielten und mit Bregno an gemeinsamen Aufträgen arbeiteten. Wichtigste Inspirationsquelle Bregnos war jedoch das Antikenstudium. Diesem Aspekt widmet Pöpper ein eigenes Kapitel (Kapitel V.), denn Andrea Bregno ist als einer der bedeutendsten Antikensammler seiner Zeit anzusprechen: In seiner Obhut befanden sich berühmte Werke wie der Torso von Belvedere oder der Adonis-Sarkophag. Die für Bregno typische Stabornamentik der Pilasterspiegel zeugt nicht nur von der ästhetischen Begeisterung am antiken Formenvokabular, sondern von einem geradezu archäologischen Interesse an den dargestellten Motiven, wie den vom Pantheon übernommen Festons mit der Darstellung einer markanten, vom Autor als Opferkappe bezeichneten, antiken priesterlichen Kopfbedeckung, die Bregno neu in die Renaissanceskulptur einführte (143).
Die aufmerksame Analyse des Grabmonumentes, das der zu erheblichem Wohlstand gekommene Bildhauermeister für sich selbst in S. Maria sopra Minerva errichten ließ (271-282), ist maßgeblich für das Verständnis dieser aufschlussreichen Selbstinszenierung eines Renaissance-Künstlers: Ganz auf christliche Symbolik verzichtend rühmt die Inschrift den in einer antikisierenden Büste dargestellten Bregno als neuen Polyklet. Neben epigraphischen Details gilt die Aufmerksamkeit des Autors der technisch versierten Wiedergabe von Bildhauerwerkzeugen in der Pilasterornamentik des Monumentes, die nicht nur ikonographisch als Ausweis der Akkuratesse des Meisters dienen: Pöpper entdeckt, dass die Markierung des dargestellten Maßstabes exakt der Länge des antiken palmus maior entspricht, dessen korrekte Länge zeitgleich, im Jahr der Entstehung des Grabmals 1503 wiederentdeckt worden war (284).
Wichtiger Anspruch der hier besprochenen Arbeit ist die Abgrenzung des Oevres Bregnos innerhalb der Skulptur aber auch über die Gattungen hinweg, und so stellt der Autor die immer wieder neu diskutierte Frage „War Andrea Bregno Architekt?“ in Kapitel VI ganz offen: Obwohl die Forschung in Bregno immer wieder gern den architektonischen wie urbanistischen Masterplaner sah, beantwortet Pöpper diese nach Analyse der Quellenevidenzen und Abwägung der in Frage kommenden Projekte mit einem eindeutigen „nein“ (335). Konsequenterweise endet der Band nach einer Chronologie zu Leben und Werke Bregnos mit einem Kapitel (VII.3), in dem der Autor abgeschriebene Werke diskutiert.
Pöppers Bregno-Biographie ist über die eloquente wie kenntnisreiche Analyse einer Künstlerpersönlichkeit und ihres Werkes hinaus lesenswert, da der Autor in Exkursen wiederholt größere Zusammenhänge aufgreift. Hierzu gehören beispielsweise die grundsätzlich Frage kunsthistorischer Methodik, wie mit Werken umzugehen sei, die in oftmals arbeitsteiliger, auf Effizienz angelegter Weise im Werkstattbetrieb des Meisters entstanden, und somit Zuschreibungsverfahren, die auf die stilistische Unterscheidung der individuellen Hand ausgelegt sind, an ihre Grenzen geraten lassen (124-126). In ähnliche Richtung zielen die Überlegungen zu den Mechanismen des Kunstmarktes, dessen Strukturen und Erwartungen das Œuvre Bregnos formten: Der Künstler der Frühen Neuzeit prägte mit seinen Entwürfen einerseits intensiv den Geschmack und das ästhetischen Empfinden der römischen Frührenaissance, war auf der anderen Seite eng an die Wünsche und Bedürfnisse der Auftraggeber gebunden. Nicht zuletzt sind hier Pöppers Beobachtungen zur gelebten Antikennachfolge zu nennen, z.B. sein bereits erwähnter Exkurs zur Wiederentdeckung und Anwendung des römischen palmus maior im Werk Bregnos (282-286).
Der grundsätzlich positive Eindruck des Bandes wird nur von wenigen Wermutstropfen auf formaler Ebene getrübt: Für das schnelle Auffinden einzelner Werke wird ein Register schmerzlich vermisst. Die Defizite der Bebilderung werden durch die klaren und sensiblen Beschreibungen der Objekte, die zu einer eingehenden Betrachtung einladen, noch potenziert: die zahlreichen Abbildungen sind zwar exquisit ausgesucht, aber durchgehend kontrastschwach wiedergegeben. Oft kaum mehr als Briefmarkengroß sind sie meist an den äußeren oder oberen Seitenrand gesetzt – was zum Teil zu tragischen Beschneidungen des Bildfeldes führt, und gerade bei den achsensymmetrischen Werken Bregnos erheblich störend wirkt.
Im Fazit füllt die vorliegende Biographie eine klaffende Lücke der Italienforschung jedoch mehr als zufriedenstellend und ist in ihren grundsätzlichen Überlegungen und Exkursen über die Italienforschung hinaus wärmstens zu empfehlen. Auch wenn zu erwarten ist, dass einzelne Details oder Zuschreibungen in Pöppers Monographie im Zuge weiterer Arbeiten auf diesem Gebiet ergänzt oder angepasst werden, so ist nun für das Leben und Werk des Bildhauermeisters Andrea Bregno ein standfestes Fundament gelegt; das Forschungsgebäude der Römischen Renaissanceforschung ist ein wichtiges, tragendes Grundlagenwerk gewachsen.
Anmerkungen:
[1] Vasari 1568, hg. von Gaetano Milanesi 1878-1885, Bd. IV, Florenz 1879, S. 155.
[2] Ernst Steinmann: Andrea Bregnos Thätigkeit in Rom, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 20 (1899), S. 216-232.
[3] Claudio Strinati: Kat. 125 „Andrea Bregno: Büste des Kardinals Raffaele Sansoni Riario“; Kat. 126 „Andrea Bregno: Büste des Kardinals Raffaele Sansoni Riario“, in: Gesichter der Renaissance: Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst [erscheint anlässlich der Ausstellung "Gesichter der Renaissance, Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst", Bode-Museum Berlin (25.8.2011 - 20.11.2011), Metropolitan Museum of Art, New York (19.12.2011 - 18.3.2012)], hg. von Keith Christiansen und Stefa
Pöpper, Thomas: Skulpturen für das Papsttum. Leben und Werk des Andrea Bregno im Rom des 15. Jahrhunderts, Leipzig: Plöttner Verlag 2010
ISBN-13: 978-3-938442-86-9, 415 S., EUR 34,90
Empfohlene Zitation:
Anett Ladegast: [Rezension zu:] Pöpper, Thomas: Skulpturen für das Papsttum. Leben und Werk des Andrea Bregno im Rom des 15. Jahrhunderts, Leipzig 2010. In: ArtHist.net, 27.04.2012. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/2132>.
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