REV-EX 26.06.2019

Wir. Glauben. Kunst. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuiten-Sammlung

Wallraf-Richartz-Museum, Köln, 24.05.–18.08.2019
www.wallraf.museum/ausstellungen/aktuell/2019-05-24-wir-glauben-kunst/information/

Rezensiert von Dietmar Spengler, Köln
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Eine längst fällige Ausstellung wird im ‚Wallraf‘ gezeigt. Das Museum lädt seine Besucher ein, 90 Zeichnungen in Feder und Kreide aus der ehemaligen Kölner Jesuiten-Sammlung zu verarbeiten. Ein opulenter Katalog begleitet die Schau [1]. Zumeist werden hier Studien- und Arbeitsmaterial des Kunstbetriebs Deutschlands, Italiens und der Niederlande vorgestellt. Vorab sei gesagt, die Ausstellung ist anspruchsvoll und geistreich – ohne auf Glaubensfestigkeit zu insistieren, wie die kryptische Titelei suggeriert. Jene war allein den Zöglingen des Kölner Tricoronatums (Gymnasium der Societas Jesu), aus dessen ehem. Sammlung der Bestand der Zeichnungen im ‚Wallraf‘ stammt, abverlangt. Dass der Wahlspruch ‚Omnia ad maiorem Dei gloriam‘ (Alles zur größeren Ehre Gottes) kaum den ausgestellten Zeichnungen korrespondiert, ist nicht den Ausstellungsmachern geschuldet, es ist schlicht die Diversität und Beliebigkeit des Materials.

Es war der Jesuitenobere der Deutschen Provinz am Stammsitz der Societas in Rom, der durch einen mehr oder weniger gravierenden Zufall in den Besitz eines Zeichnungskonvoluts von über 6.000 Handzeichnungen gelangte. Dem Kölner Jesuitenkolleg verbunden, bedachte er dieses mit dieser Sammlung. Nur wenige Jahre verblieb sie in Köln, um 1794 von den französischen Revolutionstruppen nach Paris verbracht zu werden. Nur knapp über 500 Blätter gelangten nach Napoleons Sturz zurück in die Rheinmetropole und wurden Ende des 19. Jahrhunderts als Leihgabe des Gymnasial- und Stiftungsfonds dem neugegründeten Kunstmuseum integriert.

Herausragend und wohltuend sind die bekannten Blätter mit geläufigen Namen, wie Georg Beham, Guglielmo Cortese, Giacomo Franco, Tobias Stimmer, Friedrich Sustris, Joachim Wtewael und Federico Zuccari. Unter den Deutschen überraschen neben den ‚Klassikern‘ Hans Schäufelin und Ehrhard Schön der imposante Entwurf für eine Glasschnittarbeit von Friedrich Sustris (um 1595), das skurrile Skizzenblatt Christoph Jamnitzers (um 1600), das gewitzte Selbstporträt des Johann Caspar Berncke (1656) und die sensible Kreidestudie von Johann Jacob Henrich Moller (1673). Bei den Niederländern sind es die allegorischen Miniatur-Amoretten von Joachim Wtewael (?) und Hans Speckaerts ‚Sine Cerere et Libere friget Venus‘ (?). Ein Augenschmaus begegnet in Federico Zuccaris Engelstudien für den Hochaltar der römischen Kirche San Lorenzo in Damaso (1566/67). Nur fehlt hier der ‚Col.‘-Stempel, der üblicherweise die Kölner Jesuiten-Blätter auszeichnet. Emphatisches Linienspiel ziert die Himmelfahrtsskizze des Piemontesen Guglielmo Caccia (?). Virtuos gepinselt sind die an Alessio de Marchis zugeschriebenen italienischen Traumlandschaften (?). Aus der Maratti - Schule ist ein routiniert gezeichneter Entwurf einer Prozessionsfahne des Routiniers Giacinto Calandrucci (um 1690) ausgestellt.

Dass der Lünetten-Entwurf einer ‚Sacra conversazione‘ mit recht signifikanter Handschrift nicht an die Brüder Della Rovere (hier: Mauro) vergeben wurde, sondern mit „Italienisch, 1. Viertel 17. Jahrhundert“ bezeichnet wird, dürfte der knappen Vorbereitungszeit geschuldet sein. Und ob es sich bei einem der Oratoren in dem schönen, mit blauem Pinsel gemalten Altarentwurf „Böhmisch?, 17. Jahrhundert“ um den Ordensgründer Ignatius von Loyola handelt, ist sehr fraglich (62 f.). Zur Petrus-Zeichnung, die nun Taddeo Zuccaro zu- und Federico abgeschrieben wurde (85 f.), ist angesichts der „komplizierten Händescheidung“ anzumerken, dass man dem letzteren die „souveräne Handhabung der Zeichenmittel“ nicht absprechen sollte. Vielmehr begegnet man just bei ihm dieser leicht fahrigen und etwas sperrigen Linienführung der Zeichnung, während Taddeo die Feder weit spielerischer und runder handhabt. Irreführend ist die Wandbeschriftung in der Ausstellung, die von 10 Klebebänden mit Zeichnungen Carlo Marattas spricht, ohne anzumerken, dass es sich dabei lediglich um Schülerzeichnungen handelt.

Neu sind einige Zuschreibungen im italienischen und deutschen Bestand. Viele Zeichnungen sind Kopien großer Namen, zugeschrieben oder unbenannt und harren weiterer Recherche. Das Forschungstrio, bestehend aus Iris Brahm, Karen Buttler und Mireille Cornelis hat nach Möglichkeit aus diesem „bunten Compositum“ (Eberhard von Groote) geschöpft. Es ist schon eine beachtenswerte Leistung dem mediokren Bestand dieser Rumpfsammlung eine halbwegs ansehbare Ausstellung abzuringen.

Der Katalog „Wir Glauben Kunst“, in der Serie „Wallraf IM FOKUS“ erschienen [1], gibt viel Bekanntes, aber auch neue Einblicke zum Besten. Michael Venator hat sich exemplarisch mit der Bildspiritualität des Ordens beschäftigt. Iris Brahm hat in ihrem Aufsatz über Stammbuchblätter malerische Freundschaftsblätter von Georg Schardt, Wolfgang Kilian, David Henschler und Joannes Ghinago publiziert. Dass die Barockkonvolute der ehem. Sammlung Lambert Krahe, heute Akademiesammlung im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, parallele Bezüge zum Zeichnungsbestand der Jesuiten-Sammlung aufweisen, und damit aus gleicher Quelle stammen, ist seit den 1990er Jahren bekannt [2]. Nur der Kontext erscheint ungeklärt. So wagen Michael Venator und Thomas Ketelsen in ihrem Beitrag die durchaus plausible Ansicht, dass Pater Stolzen die Paar Tausend Zeichnungen von Krahe „als Pfand“ für seine Schulden bei den Jesuiten erhalten habe (45 f.). Somit kamen die Jesuiten zu den Zeichnungen gleichwie ‚die Jungfrau zum Kind‘, denn selbst wenn man das gesteigerte bildmediale Interesse der Societas in Rechnung stellt, dieses Medium ist kaum geeignet, in Sachen Meditation und Glaubensunterricht Hilfestellung zu leisten. Allein die Masse der Blätter in den Bänden ‚Disegni Paesi di Paolo Bril, Pietro Breugel ed altri‘, ‚Disegni e studii di Carlo Maratti‘ und ‚Disegni di academie‘ mit ihren zugegeben himmlisch schönen Aktzeichnungen [3], zeugen von der unbeabsichtigten aller Zweckbestimmung abholden Akquisition. Ob allerdings die Aussonderung der an Stolzen gegebenen Konvolute erst in Düsseldorf vorgenommen wurde, wie die Autoren vermuten (47), ist fraglich. Und wann sollen die knapp 6.000 Blatt Druckgrafik in Köln eingetroffen sein? Was die Bandtitel bzw. die Sortierung und Benennung der Zeichnungskonvolute betrifft, dürfte Lambert Krahe, so das ‚Quellenkonvolut‘ durch beide Hände ging, selbst für diese verantwortlich gewesen sein. Nur er war sich im Klaren über die Zusammensetzung der Konvolute und konnte darüber Auskunft geben [4]. Ein Komplex von Vermutungen und Hypothesen. Sie sind das Salz in der Suppe des Kunsthistorikers, sie regen an und tragen zur Klärung von Sachverhalten bei.

Die rhetorische Formel des „Verbergens“ und „erneuten Verbergens“ im Katalog–Text (34 f., 39, 50 f.) unterstellt die absichtsvolle Verschleierung des Entführungsgutes. Zumindest für die Zeichnungen im Cabinet des dessins trifft dies nicht zu. Und in der Bibliothèque nationale gab es eine handschriftliche Aufstellung, die wörtlich dem Heyder-Katalog entnommen war. Auch hatte man die tausende Grafiken lange vor 1814 mit der estampille ‚Col.‘ = „envois de Cologne“ versehen [5].

Noch ein Wort zur Titelei: Der im Foyer und an Litfaßsäulen plakatierte Slogan „WIR.GLAUBEN.KUNST“ widerspricht in Syntax und Semantik dem Lernort Museum. Sich durch verbale Juvenalisierung als ‚up to date‘ zu erweisen, um neue Besucherschichten zu gewinnen, dürfte sich kaum als zielführend herausstellen. Der ‚Wow-Effekt‘ verpufft, das klassische Museums-Publikum reagiert mit Unverständnis.

Was nun will uns die knappe Botschaft mitteilen? Meint der Titelheld ‚Ohne WIR kein Glauben‘, oder ‚Ohne GLAUBEN keine Kunst‘, oder meint er ‚Wir glauben an die KUNST‘? Aber nichts von alledem lehrt die zugehörige Abbildung nach dem Blatt des süddeutschen Malers Georg Kopp (Umkreis): Da erscheint der Überirdische in seiner himmlischen Lichtaura vor den enttäuschten Sterblichen, um ihnen mitzuteilen, dass der, an den sie glauben, mithilfe der Kunst entschwunden ist. Im Ernst, die Ausstellungsmacher tun mir leid! Der kunstaffinen Besucherschaft wird das nicht behagen. Und was wird wohl der Eigner der ausgestellten Blätter, der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, dessen Aufgabe es ist, Bildung zu fördern und Stipendien zu vergeben, zu dieser Wortakrobatik sagen?

Die Ausstellung „Wir.Glauben.Kunst“ wird gezeigt vom 24.05.2019 bis zum 18.08.2019. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Er ist zum Preis von 15.- Euro nur im Cedon Museumsshop erhältlich!

[1] Ketelsen, Thomas; Hüpel, Ricarda (Hrsg.): Wir.Glauben.Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuiten-Sammlung Col., Katalog zur Ausstellung, Köln 2019.
[2] Nicht erst seit der Bedeschini-Ausstellung (43) haben die Pariser Kuratoren Kenntnis von der Herkunft der ‚Krahe‘–Konvolute aus dem Kölner Kolleg gehabt. Seit 1993 konnten Sie das Eingangsinventar des Museum des arts (Inventaire Général IX) mit dem Kölner Kollegs–Katalog (Stampe e Disegni…) abgleichen. „Die Durchsetzung der historischen Wahrheit braucht eben ihre Zeit“ (43).
[3] Die Zeichnungen dieser Bände befinden sich heute im Département des arts graphiques des Louvre und sind über die Online-Datenbank des Louvre: http://arts-graphiques.louvre.fr/ einsehbar.
[4] Es ist kaum anzunehmen, dass der Prokurator der Deutschen Assistenz der SJ in Rom, der für die Reichsprovinzen zuständig war, sich intensiv mit den Zeichnungskonvoluten auseinandergesetzt hat.
[5] Im Inventaire Général IX stehen zwar nur die summarischen Titel „Ecole Italienne“ und „Ecoles Diverses“, in den Rubriken jedoch die Details aus dem Kölner Museumskatalog. Ein Abgleich der Posten hätte mühelos stattfinden können. Nur der preußische Commissaire spécial Von Groote nahm sich keine Zeit für Nachforschungen! Bezüglich des „Tabus“ der Herkunft der Pariser Bestände aus den „Conquètes militaires…“ war den Kuratoren des Cabinet des dessins bereits 1993 durch Vorlage des Kölner Sammlungs-Kataloges Aufklärung beschieden worden. (34 f.).
Ketelsen, Thomas; Hüpel, Ricarda (Hrsg.): Wir.Glauben.Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuiten-Sammlung Col., Katalog zur Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln 2019. ISBN 978-3-9819709-2-0, 272 S., EUR 15.

Empfohlene Zitation:
Dietmar Spengler: [Rezension zu:] Wir. Glauben. Kunst. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuiten-Sammlung (Wallraf-Richartz-Museum, Köln, 24.05.–18.08.2019). In: ArtHist.net, 26.06.2019. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/21146>.

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