REV Feb 15, 2019

Kämpf, Tobias: Archäologie offenbart

Reviewed by Katharina Bedenbender, Kunstgeschichtliches Institut, Goethe Universität Frankfurt/Main
Editor: Philipp Zitzlsperger
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Der Titel des Buches stellt den Leser zunächst vor ein Rätsel, das Kämpf in seiner hervorragenden Studie zur Liegefigur der Heiligen Cäcilie in Santa Cecilia in Trastevere (1600) nur schrittweise offenbart. Obwohl der Autor hier ein neues Standardwerk zur posttridentinischen Kunst und Kultur Roms verfasst hat, fand es bislang wenig Beachtung in der Forschung. Es handelt sich um Kämpfs überarbeitete Dissertationsschrift, die nebst 470 Seiten Text einen umfangreichen Appendix mit teils erstmalig publizierten Schriftquellen umfasst. Die Auseinandersetzung mit der Thematik stellt insofern eine Herausforderung dar, als sich zum unmittelbaren Entstehungsprozess der Skulptur keinerlei Dokumente erhalten haben. Als mutmaßlichen Schöpfer überliefert Giovanni Baglione (1571–1643) Stefano Maderno (1576–1636), eine Einschätzung, die bereits von Cicognara (1824) bezweifelt wurde und stilistisch nur schwer zu klären ist (Kämpf 2015, 204) .

Dass Kämpf hier auf ein Forschungsdesiderat gestoßen ist, zeigt der Blick auf die Rezeptionsgeschichte: neben der frühen Maderno-Rezeption, die sich vor allem mit dem religiösen Gehalt der Liegefigur beschäftigt (14), gibt es nur wenige Arbeiten zur Heiligen Cäcilie und ihrer Bedeutung als Skulptur. Wittkower (1958) betont das innovative Potenzial und den großen Einfluss der Liegefigur und beschäftigt sich mit ihrer Rolle im Kontext der Entstehung von Berninis Frühwerk. Dem folgt Antonia Nava Cellini (1969) in ihrem für Kämpfs Arbeit grundlegenden Aufsatz: die Plastik teile formale Werte mit den progressiven Strömungen der zeitgenössischen Malerei und nehme Entwicklungen der Barockskulptur vorweg (16f).

Trotz der jüngeren Beiträge von Verdon (1996) und Wolf (1997) fehlte es bislang an einer umfassenden Analyse der künstlerischen und historischen Genese der Skulptur, ihrer Ikonographie und Position innerhalb des Kirchenraumes. Kämpf bezieht sich in dieser Herangehensweise zunächst auf Kummer (1993) und dessen Beobachtung, dass sich als Folge des Bilderdekrets die römischen Kirchen mit malerischen Dekor füllen, der in Verbindung mit der Architektur trat und nach einer einheitlichen Gestaltung strebte. Neueren Datums sind der Oeuvre-Katalog zu Maderno von Economopoulos (2013) und die Santa Cecilia-Monographie von La Bella (2007), die jedoch völlig andere Fragestellungen verfolgen als der hier besprochene Autor.

Als zweifelsfrei gesichert gilt der Name des Auftraggebers Kardinal Paolo Camillo Sfondrato, der Kämpf zufolge als Hauptverantwortlicher für die formale und inhaltliche Gestaltung der Plastik zu bewerten ist und der die Heilige Cäcilie – ihre Reliquien und ihre Skulptur – vollkommen für sich und das Vorantreiben seiner Karriere im Kontext der gegenreformatorischen Bemühungen des Papsttums und der römisch-katholischen Kirche – in ihrem Streben nach einer Rückkehr zur Urkirche des Frühchristentums – vereinnahmte. Thematisiert wird dabei immer wieder das Spannungsfeld zwischen der Selbstdarstellung und der tiefen Frömmigkeit des Kardinals (152ff). So widmen sich die ersten beiden Kapitel dem bislang vernachlässigten Werdegang Sfondratos vom Oratorianerzögling (Oratorium des Filippo Neri in Rom) zum Kardinalnepoten Gregor XIV. (1590–91) bis in die nachpontifikale Phase. Kämpf fördert dabei bislang unbekannte Details insbesondere über die frühe Vita Sfondratos zutage. Aufschlussreich sind die Ausführungen des Autors über die Rezeption der Märtyrerin Cäcilie im 16. und 17. Jahrhundert, bei der – neben Sfondrato – vor allem die Antiquare Antonio Bosio (1575–1629) und Cesare Baronio (1538–1607) eine tragende Rolle spielten. Kämpf zeigt, dass hier ein neues Ideal von Weiblichkeit ausgehandelt wird, das neben Jungfräulichkeit und Reinheit auch Gelehrtheit und Rhetorik in sich birgt. So konnte Cäcilie geschlechterübergeifend zur Identifikationsfigur für ganz unterschiedliche soziale Gruppierungen werden.

Die Fokussierung auf den Auftraggeber Sfondrato wird in Kapitel 3 relativiert, in dem der Autor den Cäcilienaltar als Gemeinschaftswerk beleuchtet. Kämpf bringt erstmals das der Basilika angeschlossene Kloster als Akteur der Ausstattungskampagne ins Spiel. Sowohl die Skulptur als auch ihre Rahmung stellen eine Innovation um 1600 dar; es finden sich dem Autor zufolge weder unmittelbare Vorgänger noch Nachfolger. Auch der Mangel an Archivalien wirft die Frage nach dem/den Entwerfer/n der Gesamtanlage auf. Zum Vergleich zieht Kämpf den Hochaltar von Paul V. in Santa Maria Maggiore heran, an dem bereits in den frühen Planungsstufen mehrere Autoren beteiligt gewesen sind (199). Für Santa Cecilia schließt der Autor den leitenden Architekten Giacomo della Porta und den ausführenden Bildhauer Stefano Maderno aufgrund verschiedener Gründe aus und rückt vielmehr die beiden Maler Guido Reni und Francesco Vanni ins Blickfeld, die Sfondrato für die Ausstattung seiner Basilika rekrutiert hatte (205, und siehe unten zu Kapitel 5).

Anknüpfend an Kapitel 3 widmet sich das 4. Kapitel „Cäcilie und die Künstler. Ein Figurenideal als Leitbild“ der Raffael-Rezeption in der Altaranlage und anderen Ausstattungsgegenständen der Basilika, insbesondere der vielleicht zeitgleich entstandenen Cappella del Bagno, dem Ort des Martyriums der Heiligen Cäcilie. Die dort ausgeführten Überlegungen verdichten sich in Kapitel 5 zu einem detaillierten Indizienprozess, der – anknüpfend an Nava–Cellini (1969) – Francesco Vanni als „mutmaßlichen Anreger von Statue und Altaranlage“ (244) identifiziert. Als bedeutsame Vorbilder – insbesondere für die Liegefigur – nennt Kämpf dabei den Gisant der Heiligen Katharina in Santa Maria sopra Minerva (Cappella Capranica) sowie den Gisant von Antonino Pierozzi in der Salviati-Kapelle von San Marco in Florenz. Beide galten als vera effigies und wurden von einer bestimmten Familie bzw. sozialen Gruppe stark für sich vereinnahmt; Kämpf spricht hier von der gesellschaftlichen Fruchtbarmachung eines Heiligen (290ff). Die Skulpturen wurden zu wahren Stellvertretern der Reliquien, eine Tendenz, die sich bei der Heiligen Cäcilie noch verstärken sollte. Als wichtige Quelle, besonders für Florenz, zieht Kämpf die Schriften Buoninsegnis – Hoftheologe von Cosimo I. – heran, der nicht nur die ursprüngliche Altaranlage in Florenz überliefert, sondern auch in klar antiprotestantischer Haltung die Prachtentfaltung bei Reliquienausstattungen als Apologie von katholischen Glaubensinhalten deutet. Kämpf sieht die Cäcilienskulptur als konzeptuelle Weiterentwicklung der oben genannten Gisants; sie verlässt die reine Rückenlage und emanzipiert sich von der Sarkophagbedeckung.

Eine intensive Auseinandersetzung mit der Skulptur selbst beginnt im 6. Kapitel, das den Titel „Merkmale der Statue“ trägt; diese sehr präzise und erhellende Beschreibung und Analyse hätte man sich – neben der einleitenden Beschreibung (10ff) – vielleicht am Beginn des Buches gewünscht. Ihre Position innerhalb des Textes liegt aber in der Fragestellung und Methodik des Autors begründet, dessen Ansatz interdisziplinär ist. Die besondere, geradezu malerische Qualität der Skulptur offenbart sich nicht nur in dem starken schwarz-weiß Kontrast zwischen dem Pentelikon-Marmor und der nahezu schwarzen Nische, sondern vor allem in der Spannung, die durch die Gleichzeitigkeit der Darstellung von Lebendigkeit und Tod entsteht. Obgleich offenkundig tot (aus einer der drei Halswunden rinnt Blut, was der Legende nach zum Tod der Märtyrerin durch Verbluten geführt hatte), birgt die Skulptur die erzählerischen Momente von Schlafen und Sich-abwenden. In der Zusammenschau der Kapitel 4, 5 und 6 zeigt sich eine besondere Qualität dieser Arbeit: mit spielerischer Leichtigkeit führt Kämpf unterschiedlichste Gattungen, Quellen und Disziplinen zusammen.

Welche immense Rolle für die Wirkung der Plastik ihre Rahmung innerhalb der Schauwand und – aus größerer Distanz – innerhalb des Kirchenraums in Zusammenschau mit dem Ziborium und dem Presbyterium spielt, beschreibt Kämpf in Kapitel 7. Ikonographisch finden sich zahlreiche Paradiesbezüge und Hinweise auf die Cäcilienlegende. Sfondrato gestaltete insbesondere das Presbyterium um, wobei er – im Sinne einer selektiven Antikenrezeption –ältere Ausstattungsstücke integrierte, das Vorhandene kreativ überformte und insgesamt den Kirchenraum stark klärte (320ff). Eine besondere Rolle spielte dabei die Confessio, die funktional und örtlich, aber nicht architektonisch definiert ist. Sfondrato folgte dabei Carlo Borromeo, dessen „Instructiones fabricae et Supellectilis Ecclesiasticae“ (1577) zufolge die Reliquienaufbewahrung im Kirchenbau in geweihten Gefäßen in einer unterirdischen Confessio (scurolo) zu erfolgen habe, für den Besucher durch Gitter sichtbar gemacht.

Das 8. Kapitel widmet sich der Wirkung der Cäcilienplastik und ihrer Aufstellung, wobei der Autor abermals die posttridentinischen Bestrebungen des Papsttums ins Blickfeld rückt. So wollte Sixtus V. 1586 – als expliziter Rückgriff auf die urkirchliche Tradition – die römischen Stationsgottesdienste wieder einführen. Die Verbindung der Ewigen Stadt mit Eucharistie, Märtyrerkult und Papstamt sollte vor aller Welt zum Ausdruck kommen (354). Dies bildete den Anlass für Schriften wie Pompeo Ugonios „Historia delle stationi“ (1588), Pompeo Felicis „La prima delle cinquanta quattro stationi di Roma“ (1587) und Ottavio Pancirolis „I tesori nascosti nell’alma città di Roma“ (1600); sie wurden als Reiseführer zu den Märtyrern und ihren Kirchen gelesen. Hier nun lüftet Kämpf erstmals explizit die Hintergründe seines Buchtitels, die zuvor schon vielfach angedeutet wurden: Ugonio und Panciroli etwa beschreibt er als christliche Antiquare, die den Pilgern die Bedeutung besonderer Orte offenbaren. Sie entwickeln dabei ein topisches Selbstverständnis, in dessen Sinne später auch Antonio Bosios Katakombenenzyklopädie „Roma sottoterranea“ (1632) gepriesen werden wird. Dies führte zur Schöpfung eines Idealbildes des christlichen Antiquars als Heilswerkzeug, dessen Vorgehen durch den Archäologen ergänzt wird. Die christliche Archäologie begann sich zu formieren, wobei ihre Methoden, Grenzen und Ergebnisse vom kirchlichen Kontext der nachtridentinischen Ära, und damit einer allgemeinen Katakombenbegeisterung und Rückkehr zu frühchristlichen Idealen, bestimmt wurden. Der Cäcilienaltar – so Kämpf – sei letztlich das Ergebnis einer Grabungskampagne, koordiniert durch den Kardinal, beschrieben und gedeutet durch den Antiquar; beide wurden in ihrem eigenen Selbstverständnis zum Heilswerkzeug, das den göttlichen Willen vollstreckt (357ff). Die Liegefigur der Heiligen Cäcilie, ihre Inszenierung und Rezeption, kann damit als Teil einer größeren künstlerischen Entwicklung betrachtet werden, welche frühchristliche Phänomene in die Gegenwart des Betrachters transportierte (364). Kämpf gelingt es hier die Skulptur aus ihrer Isolation wissenschaftlicher Engführung zu befreien.

In den Kapiteln 9 und 10 widmet sich der Autor den Überlegungen der posttridentinischen Kirche zum unversehrten Körper der Heiligen sowie der christlichen Kultstatue, zu welcher die Heilige Cäcilie v. a. durch Abbildungen wie Francesco Vannis Vita-Ikone stilisiert wurde. Ihre Darstellung begann sich in der Rezeption zunehmend zu verselbstständigen, obgleich sie im Original doch klar in die Kirche eingebunden war und verschiedene Bereiche miteinander verschränkte. Ihre Rolle als Bedeutungsträger der Basilika wird daran anknüpfend in Kapitel 11 untersucht: in der Skulptur fallen – im Sinne Albertis – idealerweise das liturgische und gestalterische Zentrum zusammen (424ff). In der Reflexion der Zeitgenossen wurde die marmorne Liegefigur austauschbar mit der Heiligen selbst, geriet zu ihrem Stellvertreter. Hier verbinden sich Schaufrömmigkeit und Reliquienverehrung, wobei der zeitgenössische Heiligenkult stark von der Anschaulichkeit des Sakralen bestimmt war. Bereits Eusebius hatte die Aufdeckung des Grabes Christi als Metapher für die Überwindung des Todes verwendet. Ähnliche Vorstellungen zirkulierten über die christlichen Antiquare, welche die vergessenen Cäcilien-Reliquien an die Öffentlichkeit brachten. Schon bei Eusebius sind Kunst- und Bauwerke Erweiterungen und Erläuterungen der Wunder und somit auch Zeichen der Offenbarung. Dies, so Kämpf, führe unmittelbar zum konzeptuellen Kern der Skulptur: „Durch ihre Platzierung im liturgischen und ideellen Mittelpunkt des Gebäudes, als bildliche Synthese des Kirchenraums, Kultbild und Grabplastik zugleich erhält die Figur einen derart repräsentativen Charakter, dass sie als Zentrum der intellektuellen, religiösen und gestalterischen Bemühungen Sfondratos gelten kann“ (454).

Fazit: Die vorliegende Studie lässt sich als multiperspektivisches Monumentalwerk von großer inhaltlicher Dichte beschreiben. Wer sich die Zeit zur Vertiefung in das Buch nimmt, bekommt – neben den Informationen und Überlegungen zur Liegefigur Cäciliens und ihres künstlerisch-architektonischen Kontextes – den Geist eines sehr spezifischen Zeitraums, nebst seiner Voraussetzungen und Nachwirkungen, vermittelt. Die Skulptur der Cäcilie sei als künstlerische Summe einer ganzen Epoche zu betrachten, so Kämpf (463). Das Vorgehen des Autors bleibt dabei immer nah an den historischen, literarischen und vor allem kunsthistorischen Dokumenten und Objekten, die er dem Leser lebendig und sehr gut lesbar vor Augen führt.

Kämpf, Tobias: Archäologie offenbart. Cäciliens römisches Kultbild im Blick einer Epoche (= Studies in medieval and Reformation traditions; 185), Leiden, Boston: Brill 2015
ISBN-13: 978-90-04-22768-2, XIV, 714 S., [44] Bl.

Recommended Citation:
Katharina Bedenbender: [Review of:] Kämpf, Tobias: Archäologie offenbart. Cäciliens römisches Kultbild im Blick einer Epoche (= Studies in medieval and Reformation traditions; 185), Leiden, Boston 2015. In: ArtHist.net, Feb 15, 2019 (accessed Mar 28, 2024), <https://arthist.net/reviews/20146>.

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