REV-EX 02.02.2019

František Kupka 1871–1957

Nationalgalerie Prag - Waldstein-Reitschule, 07.09.2018–20.01.2019
Grand Palais, Galeries nationales, Paris, 21.03.2018 - 30.07.2018
Ateneum Art Museum, Finnish National Gallery, Helsinki, 22.02.2019 - 19.05.2019

Rezensiert von Steffen Eigl, Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas

Ästhetik der Vielfalt

Eine breit angelegte Retrospektive des weltweit bekanntesten tschechischen Malers, Graphikers und Illustrators František Kupka (1871-1957) wurde von der Nationalgalerie Prag in der Waldstein-Reitschule vom 07.09.2018 – 20.01.2019 gezeigt. Die erste große Ausstellung über den Künstler seit drei Jahrzehnten entstand in enger Zusammenarbeit mit der französischen Réunion de musées nationaux et du Grand Palais des Champs-Élysées, Paris und dem Ateneum Art Museum der Finnish National Gallery in Helsinki.[1] Die Ausstellung wurde bereits im Frühjahr 2018 im Grand Palais gezeigt und wird in einer etwas abgeänderten Fassung im Anschluss an die Prager Station in Helsinki präsentiert. Die Kuratorinnen und Kuratoren, Brigitte Leal, Markéta Theinhardt, Pierre Brullé, Anna Pravdová und Anna Maria von Bonsdorff, zeigen bei diesen Ausstellungsstationen eine repräsentative Auswahl aus dem Gesamtwerk von Kupka. Die Zusammenstellung von ca. 300 Arbeiten stellt eine äußerst gelungene Anthologie des Kupkaschen Œuvres dar, die mit charakteristischen Werken aus jeder Schaffensphase vollends überzeugen kann. Insbesondere durch die Zusammenarbeit mit dem französischen Partner konnte eine einzigartige Sammlung von Gemälden, Arbeiten auf Papier, Druckgrafiken und reichhaltiges dokumentarisches Material zusammengetragen werden. Die Nationalgalerie Prag konnte somit Werke aus den eigenen Beständen sowie dem Centre Pompidou in Paris, dem Guggenheim Museum in New York, der Albertina in Wien und privaten Leihgebern zeigen. Bereits ein kurzer Blick in die großzügig disponierten Räumlichkeiten in Prag, der aus der Vogelperspektive des Cafés der Waldstein-Reitschule möglich ist, belegte diesen Fakt. Folgerichtig war der Rundgang, für den durch Stellwände einzelne Nischen für die Präsentation gebildet wurden, mit zahlreichen herausragenden Arbeiten des großen Pioniers der Abstraktion bestückt. Die bislang erschienenen Ausstellungskataloge in französischer und tschechischer Sprache behandeln inhaltsreich Leben und Werk des Künstlers vor den verschiedensten Hintergründen. Kupkas Schaffen wurde durch vielfältigste Einflüsse geprägt, wobei sich künstlerische und wissenschaftliche Verfahren des Erkenntnisgewinns ergänzten.[2] Ein zudem in Prag erhältlicher und attraktiv gestalteter Kurzführer mit englischen Texten orientiert sich an den Kapiteln der Ausstellung und bildet die meisten Werke ab.

Die chronologisch konzipierte Schau war thematisch sehr gutgegliedert, so dass sich der Weg des Künstlers vom Symbolismus und Neoimpressionismus bis zur Abstraktion, deren Mitbegründer Kupka war, beispielhaft verfolgen ließ. So waren einerseits symbolistische Gemälde sowie expressionistische und fauvistische Werke zu sehen. In enger Nachbarschaft konnten Arbeiten betrachtet werden, welche die Auflösung der Form in organische oder geometrische Flächen zeigen oder charakteristische Experimente, die zum Ende seiner Schaffenszeit in minimale Geometrie und strenge Orthogonalität münden. Durch diese umfangreiche Werkauswahl wurde das enorme morphologische Repertoire von Kupka und seine vielfältigen Auseinandersetzungen mit den Ismen der Avantgarde eindringlich sichtbar, in deren Zusammenhang er zu seinen eigenen und unverwechselbaren Bildfindungen gelangte. Einmal mehr zeigte sich dadurch, dass der Status des Künstlers, als eigenbrötlerischer Einzelgänger nicht zu halten ist. Kupka selbst war seit 1896 in Paris ansässig und wurde neben vielen weiteren Einflüssen vom sogenannten Kreis von Puteaux inspiriert. Dieses fruchtbare Umfeld um die Brüder Duchamp bestärkte den Künstler nicht zuletzt in seiner Hinwendung zur Abstraktion.

Der Ausstellungsparcours begann folgerichtig zunächst mit seinen symbolistischen Gemälden, die in einer verblüffenden Vielfalt den mitunter ironischen Blick des Künstlers u.a. auf Alltags- oder mythologische Sujets offenbarten. In dieser Hinsicht sei auf das im Obergeschoss gelegene Séparée verwiesen, in dem sich eine Vielzahl von Kupkas Zeichnungen, Plakatgestaltungen, Illustrationen und satirische Zeichnungen befanden. Ein dokumentarischer Teil machte zudem mit Kupkas vielfältigen Arbeiten aus dem angewandten Bereich vertraut, wie Flaggenentwürfe für das tschechische Militär oder Exlibris-Gestaltungen belegten. Allein die Fülle der hier gebotenen Arbeiten unterstrich den polymorphen Charakter seiner Kunst und stellte eine wichtige Ergänzung zu seinen bekannteren Malereien dar. Die durch die Räumlichkeit des Ausstellungsortes bedingte Anordnung von frühen Arbeiten einerseits am Beginn des Rundgangs und andererseits am Ende in einem separaten Bereich, lässt Kupkas künstlerische Ausgangsposition somit gleich zweifach aufscheinen und bildet eine Klammer um das sich darin ausbreitende malerische Hauptwerk. Die frühe Auseinandersetzung des Künstlers mit theosophischer und phantastischer Literatur und okkulten Tendenzen belegen dann auch die im gleichen Zeitraum entstandenen Werke wie „Anfang des Lebens“ oder „Schwarzes Götzenbild“(beide um 1900) und stellen gewissermaßen eine zweite symbolistische Ausrichtung dar. Eine beeindruckende Auswahl der ab 1909 mit „Gigolettes“ betitelten Arbeiten weist zudem auf die Beschäftigung mit dem Großstadtmilieu hin. Kupka eröffnet in diesen Bildern vielfache Assoziationsräume, durch groteske Überzeichnung sowie Wiederholung und Variation der Motive. Hier, wie in den Werken, die parallel oder kurz darauf entstanden, versetzt der Künstler seine Palette bereits mit einer nachdrücklichen Farbigkeit, die auf die koloristischen Kompositionen des späteren Werks vorauszugreifen scheint. Stellvertretend seien „Die gelbe Skala“ (1907), „Das Blaue Band“ (1910) sowie das allein durch sein großes Format überzeugende und geradezu überwältigende Gemälde „Flächen durch Farben, Großer Akt“ (1909-10) erwähnt. Der von kubistischer Formensprache und Chronofotografie beeinflusste Pastell-Zyklus der „Blumen pflückenden Frau“ (1909-11) ist ein erster und wichtiger Indikator für Kupkas Interesse an abstrahierenden Darstellungen. Diese Arbeiten wurden exemplarisch durch zeitnah entstandene Werke ergänzt, die unter dem passenden Titel „Straße nach Amorpha“ subsummiert wurden. Hier gelangt Kupka zuerst zu seiner für ihn so charakteristisch werdenden Morphologie der Formen. Den logischen Schlusspunkt bildete demzufolge das großformatige „Amorpha, Fuge in zwei Farben“ von 1912, welches zentral und von mehreren Seiten einsehbar platziert war.

Die Werke der nachfolgenden Ausstellungskapitel wurden berechtigterweise unter den vielfältigen Gesichtspunkten der „Sprache der Formen“ präsentiert. Geradezu unerschöpflich waren hier die verschiedenen Modi der Auseinandersetzung des Künstlers mit organischer oder geometrischer Formensprache zu bewundern. Einen Anfangs- und gleichzeitigen Höhepunkt bildete das epochale Werk „Klaviertasten, Der See“ von 1909, bei dem Kupka Gegenständlichkeit und Abstraktion ineinander fließen lässt und damit eine Ikone der Moderne schuf. Herausgegriffen seien in diesem Zusammenhang noch die Werke „aufstrebender Architekturen“ (wie in der Ausstellung überschrieben), die durch ihre übereinander gelagerten und überwiegend geometrischen Bildschichten in die Höhe streben und dabei eine unglaubliche Tiefenwirkung entfalten. Gewissermaßen als Gegenpart entstanden Arbeiten, welche Raumstrukturen organisch und auf vielfältige Weise aufbrechen und in der Betrachtung einen regelrechten Farbrausch erzeugen.

Abschließend sei noch auf zwei Werkgruppen verwiesen, welche die Ausstellung durch geschickte Präsentation fokussierte. Der sogenannte Maschinen-Zyklus der Jahre 1925-1935, kam mit einer sehr gut gewählten Auswahl hervorragend zur Geltung. Hier schuf Kupka eine Ikonografie des industriellen Lebens, die auf der Begeisterung für den Rhythmus der Maschine und des urbanen Lebensgefühls mit seiner damaligen Jazz-Metaphorik beruht. Die Holzschnittmappe von 1926 „Vier Geschichten in Weiß und Schwarz“ zeigte dagegen die ganze Schaffensbreite Kupkascher Formfindungen im kleinen Format (je 33 x 22,5 cm) in der grafischen Kunst. Eindrucksvoll wurden die einzelnen Blätter der Mappe neben- und übereinander in Form eines „allover“ präsentiert und ließen dem Auge kaum Zeit, sich zu erholen – einzigartig sind auch hier die künstlerischen Aspekte.

Die vielen Ausstellungskapitel mit ihren fließenden Übergängen erlaubten einerseits die gezielte Betrachtung, andererseits war es durch die freie Bewegung möglich, neue Kontexte und Querverweise in dem gegenseitig sich durchdringenden Werk herzustellen. Das Œuvre von Kupka fordert hierzu geradewegs auf. Blickrichtungen und Sichtachsen öffneten oder schlossen sich je nach Standpunkt, so dass immer wieder für Überraschungsmomente gesorgt war. Überhaupt war es das große Plus der Ausstellung, dass aufgrund der erheblichen Dichte hochkarätiger Arbeiten und damit verbundener hoher Schauwerte, die Präsentation auf der ganzen Linie überzeugt. Kaum wird es so schnell wieder gelingen, die gesamtheitliche Vision dieses bedeutenden Künstlers in einer derartigen und umfassenden Qualität erneut zu zeigen. Zu sehr sind die maßgeblichen Werke in verschiedenen Sammlungen weltweit verstreut. So bleibt es die große Leistung dieser beeindruckenden Schau, das Gesamtwerk von František Kupka beispielhaft präsentiert zu haben. Eine außergewöhnliche Ausstellung eines außergewöhnlichen Künstlers, der einerseits durch seine Herkunft, andererseits durch seine gewählte Heimstatt wie ein Mittler zwischen den Welten und ästhetischen Ausdrucksformen wirkt. Zwischen Ostmittel- und Westeuropa und zwischen den Polen der Morphologie seiner Formensprache, die sich geradezu prophetisch in vielerlei Beziehung auf die gesamte Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ausgewirkt hat.

[1] Der Titel der damaligen Ausstellung lautete: „František Kupka, 1871-1957, ou l’invention d’une abstraction“ und fand vom 22.11.1989-25.02.1990 im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris statt.
[2] Vgl. in diesem Zusammenhang: František Kupka, Die Schöpfung in der bildenden Kunst, hrsg. und übers. von Noemi Smolik, Ostfildern-Ruit 2001. Kupka schrieb diese Darlegungen in den Jahren 1907-1913 in französischer Sprache; der Text erschien erst 1923 in tschechischer Übersetzung.

Empfohlene Zitation:
Steffen Eigl: [Rezension zu:] František Kupka 1871–1957 (Nationalgalerie Prag - Waldstein-Reitschule, 07.09.2018–20.01.2019). In: ArtHist.net, 02.02.2019. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/19969>.

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