REV-CONF 20.10.2018

Bruce Nauman - Disappearing Acts, Basel, 1-2 Jun 18

Schaulager, Münchenstein/Basel, 01.–02.06.2018

Bericht von Meredith Stadler, Maja Wismer
Redaktion: Steffen Haug

Die vom Schaulager und der Laurenz-Stiftung in Zusammenarbeit mit eikones, dem Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes an der Universität Basel, organisierte Tagung fand anlässlich der Retrospektive „Bruce Nauman: Disappearing Acts“ in Münchenstein/Basel statt. Die mehrheitlich kunstwissenschaftlichen Beiträge boten aktuelle Perspektiven auf das Werk des US-amerikanischen Künstlers.

Am ersten Tag standen Fragen der Autorschaft und der Medialität im Fokus der Sprechenden. Eva Ehninger (Berlin) untersuchte insbesondere die Rolle des Farbfernsehens für das Werk „Untitled (Flour Arrangements)“, das Nauman 1967 in einer Fernsehsendung (KQED-TV, San Francisco) mit den beiden Künstlern William Allan und Peter Saul ausführte. Ehninger nahm eine formale sowie medien- und kunsthistorisch vergleichende Einordnung vor. Sie arbeitete Naumans Strategie heraus, den Gegensatz von “populärem” Fernsehen und “künstlerischem” Video zu unterlaufen, um einen potenziellen gesellschaftlichen Ort von Kunst zu testen. Der Musikwissenschaftler Benjamin D. Piekut (Ithaca, New York) diskutierte daraufhin frühe Werke Naumans im Verhältnis zur Musik- und Tanzszene, insbesondere zu Protagonisten wie La Monte Young, Henry Flynt oder Ann Halprin. Er stellte die Paradigmen von Improvisation und „Taskwork“, die auch Nauman anwendete, als verbreitetes ästhetisches Prinzip an der East und West Coast Ende der 1960er-Jahre heraus.

Die Differenzen zwischen Kunst- und Musikszene hob Piekut im anschließenden Roundtable hervor: Während die Aufmerksamkeit in der bildenden Kunst auf das Medium selbst gerichtet gewesen sei, hätten sich Musiker wie La Monte Young oder Pauline Oliveras für das Aufnahmegerät ausschließlich als Werkzeug für ihre Improvisationen und kollektiven Arbeiten interessiert. Tatsächlich kommt auch die kunstwissenschaftliche Rezeption Naumans immer wieder auf mediale Fragen zurück. Wie die von Ehninger ausgearbeitete Referenz auf Hans Namuths filmische Repräsentation Jackson Pollocks zeige, so Piekut, sei sich Nauman zwar des Problems der “Ur”-heberschaft bewusst. Dennoch sei er der Kritik der Autorschaft, wie sie die musikalische Improvisation in Gruppen implizierte, nicht bis zu ihrem Ende gefolgt. Wie die Beiträge darlegten, verhandelt Nauman Fragen der Autorschaft medial, wenn er etwa formale Entscheidungen dem Aufnahmegerät überlässt. An kollektiver Autorschaft ist er dagegen nicht interessiert.

Am zweiten Tag skizzierte Eric C.H. de Bruyn (Berlin) ausgehend von Naumans Tunnel- und Korridorarbeiten das diskursive Klima in den 1960er-Jahren. Dieses war vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs sowohl vom Behaviorismus als auch der damit einhergehenden Tendenz zur Kontrolle und Optimierung des Individuums geprägt, worauf unter anderem der künstlerische Ansatz der Dekonditionierung (Situationistische Internationale; Guy Debord) reagierte. De Bruyns Beitrag verortete Naumans Werk vor diesem zeit- wie kunsthistorischen Kontext und erweiterte damit den von Ehninger auf die TV-Kultur oder von Piekut auf die Musikszene eröffneten Vergleichshorizont. Als einer der wenigen Beitragenden schlug de Bruyn den Bogen zu einer jüngeren Arbeit mit „Mapping the Studio II with color shift, flip, flop & flip/flop (Fat Chance John Cage)“ von 2001; er zeigte damit die Konsistenz des Themenfelds der Kontrolle in Naumans Werk.

Ausgehend vom gegenwärtigen Interesse in Kunst, Film und Theater an der Probe-Situation stützte sich Sabeth Buchmann (Wien) in ihrem Beitrag auf Naumans neueste sowie vor allem auf die frühen Studio-Arbeiten, um die Zurschaustellung des Produktionsprozesses zu diskutieren. Sie zeigte methodische Verbindungen zu Alberto Giacometti und Samuel Beckett sowie zeithistorische Referenzen wie Yvonne Rainer auf und umriss damit einen Begriff des „Unfertigen“ als einen produktiv uneindeutigen und „vor-ästhetischen Moment“. Sie formulierte entlang des Konzepts des „Rehearsals“ die These, dass der seit dem Poststrukturalismus problematisierte Begriff der Wahrheit bei Nauman für den Moment der Interaktion zwischen Werk, Künstler und Rezipient wieder relevant würde. Diese Relevanz zeige sich, so Buchmann, insbesondere vor dem Hintergrund medialer Phänomene wie den „Fake News“ in einer „fortschreitenden Feedback-Culture“.

Beatrice von Bismarck (Leipzig) sprach über Naumans Werk im gesellschaftlichen Kontext von Sichtbarkeitsverhältnissen und Aufmerksamkeitsökonomie. Sie thematisierte ebenfalls, wie der Künstler Autorschaft und traditionelle oder modernistische Künstlerbilder problematisiert. Ihr Beitrag argumentierte zum einen formal, zum anderen mit Hinweisen auf Ausstellungen oder Editionen – als Beispiele eines sich verändernden Kunstfeldes – historisch. Waren es in den 1960er-Jahren Blickverhältnisse, behandelte Nauman mit zunehmendem Erfolg in den 1970ern die Exponiertheit des Künstlers gegenüber den Rezipienten. Die Gestaltung von Sichtbarkeitsverhältnissen und der Umgang mit dem Kunstfeld verschränkten sich, so Bismarck, zu einer mehrschichtigen Praxis des öffentlichen Zeigens und Nicht-Zeigens, in der Distanz und Nähe, Kommunikation und Kontrolle die Gegenstände der künstlerischen Testverfahren bildeten.

Robert Storr (New Haven, Connecticut) nahm als Kurator und Bekannter Naumans unter den Referierenden eine Sonderrolle ein, die er auch polemisch zu nutzen wusste. So wies er direkt zu Beginn seines Beitrags auf die Relevanz des historischen und politischen Kontexts gegenüber einer formalen Argumentation hin. Er sprach über den historischen Diskurs der 1960er- und 1970er-Jahre –– die Philosophie von John Dewey, die Politik Nixons, Bücher wie „Walden Two“ sowie die Ansätze des Behaviorismus – als Grundlage für die existenzielle Dringlichkeit, die Naumans Arbeit kennzeichne, und auch für dessen traditionelles Kunstverständnis. Im Laufe der Tagung wurde insgesamt deutlich, dass Naumans Verhältnis zur Tradition oder dem Wahrheitsbegriff ein differenziertes ist. Im zweiten Roundtable wies etwa Bismarck darauf hin, dass die Videoarbeit „Good Boy Bad Boy“ von 1985 moralische Prädikate relativiere. De Bruyn wiederum bezog die Frage nach dem Subjekt auf die Dialektik von „skilling“ und „deskilling“ in den Varianten der „Mapping the Studio“-Videoinstallation, deren Atelieraufnahmen größtenteils in Abwesenheit des Künstlers entstanden sind.

Die Tagungsbeiträge situierten Naumans Werk im Verhältnis zum Modernismus sowie der Medien- und Kunstgeschichte seit den 1950er-Jahren. Sie ergänzten die mit dem MoMA ko-organisierte Retrospektive „Bruce Nauman: Disappearing Acts“ im Schaulager, indem sie eine historische Kontextualisierung von Naumans Schaffen erlaubten. Innerhalb des Œuvres lag der Fokus dabei auf dem frühen Werk, obwohl die Ausstellung auch neue Arbeiten zeigte, die sich als weniger besprochene Gegenstände angeboten hätten. Zusammen mit dem Reader „Bruce Nauman: A Contemporary“ – mit Essays von Eric C.H. de Bruyn, Heather Diack, Eva Ehninger, Sebastian Egenhofer, Stefan Neuner/Wolfram Pichler und Gloria Sutton – und dem Ausstellungskatalog präsentierte das Schaulager insgesamt eine produktive Auseinandersetzung mit einem seit den 1960er-Jahren intensiv diskutierten Werkkomplex.

Empfohlene Zitation:
Meredith Stadler, Maja Wismer: [Tagungsbericht zu:] Bruce Nauman - Disappearing Acts, Basel, 1-2 Jun 18 (Schaulager, Münchenstein/Basel, 01.–02.06.2018). In: ArtHist.net, 20.10.2018. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/19303>.

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