REV 11.03.2002

Schade/Fliedl/Sturm (Hgg.): Kunst als Beute

Rezensiert von Verena Kuni
Redaktion: Claudia Sedlarz
Click to enlarge

Kunst und Kunstgeschichte schreiben nur selten Schlagzeilen - und wenn, dann stehen diese in der Regel im Feuilleton. Kunst als Beute gehoert hingegen zu den seltenen Phaenomenen, mit denen sich die nachrichtentechnische Schallgrenze zwischen Kultur und Politik durchbrechen laesst. Aus gutem Grund: Beutekunst ist nach wie vor eine Staatangelegenheit.

Dennoch scheint es in diesem Fall schwierig, von der politischen Bedeutung auf das oeffentliche Interesse zurueck zu schliessen: Mit Meldungen ueber spektakulaere Kunstdiebstaehle aus Museen und Ausstellungen, Fahndungserfolge und Rueckfuehrungen hoch gehandelter Gemaelde laesst sich die Aufmerksamkeit wesentlich leichter wecken als mit Kleingedrucktem ueber die zaehen Verhandlungen, die Politiker ueber im Krieg verschleppte Bibliotheksbestaende fuehren. Da muss es schon mindestens die Gutenberg-Bibel oder das legendaere Bernsteinzimmer sein.

Die mitunter seltsame anmutende Diskrepanz zwischen kultureller und politischer Bedeutungszuweisung, oeffentlichem und staatlichem Interesse, und nicht zuletzt: Spekulation und Information ist charakteristisch, um nicht zu sagen: symptomatisch fuer den Umgang der Gesellschaft mit einem Thema, dessen Tragweite eher an dem zu messen ist, was ungesagt bleibt, weil es an zahlreichen Tabus eben dieser Gesellschaft ruehrt.

Wo die politisch motivierte Unterschlagung von Informationen mit den Dynamiken kollektiver Verdraengungsprozesse zusammenkommt, ist das Faktische schwer zu fassen und wird ueberlagert vom Fiktionalen. Auch der Umgang mit dem Thema selbst scheint daher einer archaeologischen Vorgehensweise zu beduerfen, die sich nicht auf eine Suche nach den "Missing Bodys", den verschwundenen Dingen selbst und den Spuren, die moeglicherweise zu ihnen fuehren koennten, beschraenken kann. Vielmehr werden sich Recherchen - das Randstaendige, das eher auf den Nebenwegen einzuholen ist, befragend - auch den "Missing Links" zuwenden muessen, die zwischen von ihrem historischen und geographischen wie auch von ihrem soziokulturellen und politischen Kontext her zunaechst hoechst disparat bestimmten Faellen zu vermuten sind.

Dieses komplexe Terrain zu sondieren, hat sich der von Sigrid Schade (Bremen) und Gottfried Fliedl (Linz) herausgegebene Aufsatzband "Kunst als Beute. Zur symbolischen Zirkulation von Kulturobjekten" (Wien 2000) zum Ziel gesetzt. Er versammelt die Beitraege zweier Symposien, die 1996 in zwei Staedten stattgefunden hatten, deren Namen auf je eigene Weise mit der Geschichte der "Beutekunst" verbunden sind: Linz war von Hitler zum Ort fuer das geplante "Fuehrermuseum" ausersehen gewesen, fuer dessen zukuenftige Sammlung von ihm eingesetzte Kunstexperten Objekte vornehmlich aus enteignetem juedischen Privatbesitz, aber auch aus den besetzten Gebieten der europaeischen Nachbarlaender zusammentrugen. Die spezifischen Begleitumstaende der "Wiederentdeckung" dieser Beutekunstsammlung, die kriegsbedingt in einem nahe Linz gelegenen Salzstock eingelagert gewesen war, werfen bis heute Fragen auf - nicht nur nach dem Verbleib zahlreicher Werke, sondern auch nach den blinden Flecken, die den Umgang mit diesem prekaeren Kapitel der Kunstgeschichte praegen.

Bremen wiederum kommt im Konflikt um die Beutekunst eine Doppelrolle zu: Auf der einen Seite waren der Kunsthalle der Stadt durch den Abtransport von aus Sicherheitsgruenden ausgelagerten Sammlungsbestaenden in die Sowjetunion schwere Verluste entstanden, auf der anderen befinden sich in der Bremer Staatsbibliothek bis heute illegitim zusammengetragene Bestaende aus juedischem und russischen Besitz. Zugleich hatte sich die Stadt allerdings auch durch die Einrichtung einer "Koordinierungsstelle fuer die Rueckfuehrung von Kulturguetern" (mittlerweile nach Magdeburg umgezogen) und einer "Arbeitsstelle Verbleib der aus der Sowjetunion waehrend des 2. Weltkriegs verschleppten Kulturgueter" als eine der ersten Stellen in Europa um eine systematische Aufarbeitung und wissenschaftliche Dokumentation der Sachlage bemueht.

Dass eine solche systematische Aufarbeitung in der Donaumetropole jahrzehntelang unterblieben beziehungsweise von befremdlichen Legendenbildungen rund um den "Schatz von Altaussee" ueberlagert worden war, war fuer die kanadische Kuenstlerin Vera Frenkel 1992 zum Anlass fuer eigene Recherchen geworden. Von Sigrid Schade zu einer Ausstellung im Offenen Kulturhaus Linz eingeladen, die dem Koerper als Austragungsort subjektiver sowie kulturell-kollektiver Vereinnahmungs- und Verdraengungsprozesse gewidmet sein sollte, entwickelte sie die Idee zu einem ortspezifischen Projekt, dessen Ausgangspunkt die "Missing Bodies" der fuer Hitlers "Fuehrermuseum" zusammengeraubten Kunstwerke waren. Die Praesentation der in einem mehrjaehrigen Prozess zu einer multi-medialen, zwischen imaginaerer und realer Spurensuche oszillierenden Installation herangewachsenen Arbeit in Linz und Bremen motivierte die beteiligten KuratorInnen schliesslich zu den beiden Symposien, deren Dokumentation der Band "Kunst als Beute" in Buchform zugaenglich macht.

Die von den Tagungen gesetzten Schwerpunkte spiegelt auch die Gliederung des Buches wider. Der erste Teil - "Schatz, Raub, Bildersturm" - widmet sich dem historischen Phaenomen und seinen psychologischen Hintergruenden. Das kriminologische Moment, das einer Auseinandersetzung mit dem Thema Beutekunst nachgerade unvermeidlich angehoert, zieht auf diese Weise vom ersten Beitrag an unmittelbar in den Bann: Wo implizit oder explizit nach den Motiven fuer Verbrechen gefragt wird, die nicht nur im Namen der Kultur geschehen sind, sondern moeglicherweise auch jene Kunst-Geschichte mit-gemacht haben, mit der wir heute leben, gibt es nicht zuletzt auch immer wieder Anknuepfungspunkte fuer Brueckenschlaege in Richtung Gegenwart.

Die Indienstnahme der Kunst fuer Zwecke der nationalen Repraesentation etwa scheint dabei wie roter Faden durch die Fallstudien zu fuehren: Ob es sich um ein Schlaglicht auf das Frankreich der Revolutionszeit handelt, in dessen Umgang mit dem "Patrimoine National" sich der Bildersturm auf die als Monumente des Despotismus verachteten Zeugnisse des Ancien Regime und die Bestrebungen um die Neugruendung nationaler Kunstmuseen als zwei Seiten ein- und derselben Muenze erweisen (Edouard Pommier), um die "Invent-arisierung" von Judaica durch oesterreichische Museen waehrend der Zeit des Nationalsozialismus handelt (Bernhard Purin) oder um die von der britischen Regierung in der zweiten Haelfte des 20. Jahrhunderts verfolgten Politiken der Exportkontrolle, mit der immer wieder aufs Neue Versuche unternommen wurden, das Praedikat "Made in England" auf Kultur an sich auszudehnen - um im Zweifelsfall auch die Ausfuhr von Kunstwerken verhindern zu koennen, die zwar erst nach ihrer Herstellung auf die Insel gelangt waren, aber in Museen oder Herrenhaeusern lange genug fuer Glanz gesorgt hatten (Helen Rees Lehay).

Einen Bogen nicht nur ueber mehrere Jahrhunderte europaeischer Geschichte hinweg bis in die unmittelbare Gegenwart, sondern auch von der Faktizitaet historischer Praezedenzfaelle zu einer sie verbindenden "Psychomotorik" des Beutemachens und Trophaeensammelns zu schlagen gelingt Armin Hetzer mit seinem Beitrag zur "Verlagerung von Bibliotheksbestaenden als kulturhistorischem Phaenomen". Der Fokus auf das Kulturgut Buch fuehrt dabei ihn dabei zu einer kategorialen Unterscheidung: Waehrend Beutemacher - vergleichsweise pragmatisch - entweder auf Pretiosen aus sind, mit denen Vermoegen und Ansehen vermehrt werden koennen oder gezielt ganze Bestaende rauben, die Luecken im nationalen Wissensschatz schliessen sollen, scheint das Trophaeensammeln nachgerade atavistisch motiviert. Seine zuweilen irrational anmutenden Zuege - zu Tage tretend etwa dort, wo um Konvolute mittlerweile heillos veralteter Schulbuecher gestritten wird, als handele es sich um die Tafeln des Hermes Trismegistos - lassen besonders plastisch werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Phaenomen "Kunst als Beute" nicht nur auf juristischer und diplomatischer Ebene zu fuehren sind. Vor allem aber zeigt sich hier, dass Rekonstruktion und Restauration mit "Entschaedigung" und "Wiedergutmachung" gleichzusetzen sich als gefaehrlicher Trugschluss entpuppen kann. "Es kann ein legitimes Anliegen der Wissenschaft sein, ein virtuelles kulturelles Erbe als bibliographische Aufgabe zu realisieren", so Hetzer. "Die Restitutio in integrum, d.h. die Ausloeschung der Vergangenheit, und der Versuch, den status quo ante wiederherzustellen, ist hingegen sogar schaedlich fuer diejenigen, die den Verlust im wahrsten Sinne zu verschmerzen haben. Denn das impliziert die Abwehr jeglichen Zwangs zum Wachsen." Ein Resuemee, das moeglicherweise auch der aktuellen Debatte um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses interessante Argumente liefern koennte.

Nicht zuletzt legt es eine wichtige Spur zum zweiten Teil des Bandes, der sich eben solchen "Verluste[n]", bzw. den "Mythen und Phantome[n]" zu widmen verspricht, die in ihrem Gravitationsfeld entstehen. Hier geht es um den kulturellen Umgang mit Leerstellen, die durch Beutezuege geschlagen wurden, mit Verschiebungen, die durch Verdraengungsprozesse ausgeloest werden, und mit den fiktionalen und phantasmatischen Ueberschuesse, die diese produzieren. Etwa dann, wenn "Trophaeen" aus Kriegsbeutezuegen des Zweiten Weltkriegs zu "geretteten Meisterwerken" mutieren, mit denen sich das kommunistische Russland Mitte der fuenfziger Jahre als das europaeische Kunstgeschichtserbe bewahrende Kulturnation zu profilieren sucht (Konstantin Akinscha/Grigorij Koslow). Oder wenn die Zinsen, die sich auf kolonialistischen Schuldenkonten angesammelt haben, Ungeheuer schaffen: "Die Mumie" beispielsweise, die den britischen Archaeologen als leibhaftiger pharaonischer Fluch verfolgt - dessen es sich als eines auf Zelluloid gebanntes Phantasma jedoch ungleich leichter entledigen laesst als der realen Probleme, die Rueckgabeforderungen betroffener Herkunftslaender den europaeischen Museen bereiten (Katharina Sykora).

Unmittelbar in den Bereich der zeitgenoessischen Kunst fuehrt wiederum der Beitrag von Peter Friese, der nach "Austausch, Aneignung und Anverwandlung" bei Kuenstlern wie Richard Long, Mario Merz oder Joseph Beuys fragt, die sich in ihren Arbeiten explizit auf aussereuropaeische Kulturen beziehen. Wird hier ebenfalls Beute gemacht? Von einer Kunst, die diesem Vorwurf entgehen will, fordert Friese mehr als aesthetische Referenzen und symbolische Bezuege - die sich zudem allzu leicht als Projektionen entpuppen, auch dann, wenn die Bezugnahme mit kritischem Blick auf die Aneignungsmechanismen der eigenen Kultur erfolgt, wie etwa im Fall von Lothar Baumgarten. Ob jedoch ein "Bewusstsein um potentielle Korrespondenzen", wie es Friese ausgerechnet in Jean-Huberts Ausstellungsprojekt "Magiciens de la Terre" (Paris 1989) erkennen will, nicht seinerseits auf Projektionen beruht, muss aeusserst fragwuerdig bleiben.

Ueberzeugender scheint da schon der Ansatz, den Vera Frenkel in ihren Arbeiten weiterverfolgt. Ihm sind gleich mehrere Beitraege des Bandes gewidmet - allen voran der von Sigrid Schade, die im Rahmen ihrer Interpretation des Projektes "Body Missing" nicht nur die Geschichte des "Fuehrermuseums" durchleuchtet, sondern auch die spezifische Qualitaet einer kuenstlerischen Auseinandersetzung, wie sie Frenkel waehlt, herauszuarbeiten weiss. Der Voelkerkundler Volker Harms wiederum greift einen Begriff aus Frenkels eigenem Textbeitrag auf: denjenigen des "Cargo-Kultes" - urspruenglich von europaeischen Ethnologen fuer melanesische Eingeborene gepraegt, die von westlichen Kolonialisatoren, Forschern und Missionaren mitgebrachte Konsumgueter nicht verstanden und daher als Produkte ihrer Goetter und Ahnen ansahen. Frenkel naemlich wendet ihn auf die westliche Kultur zurueck, die sich selbst so gern als zivilisiert und ueber jegliche Atavismen erhaben glaubt. Zu Unrecht, wie nicht zuletzt das Beispiel "Beutekunst" und der Umgang mit errungenen wie verlorenen "Trophaeen" zeigen. "Das Andere" jedoch, das eine Kultur von anderen begehrt, wie sie es nie gehabt oder verloren zu haben glaubt, laesst sich nicht erbeuten und als Trophaee horten. Es kann nur durch eine Veraenderung der eigenen Perspektive entstehen.

In diesem Zeichen sind auch die Beitraege des Buches "Kunst als Beute" selbst angelegt. Und so verwundert es einmal weniger, dass sich die hier versammelten Annaeherungen an eine komplexe und komplexbelastete Materie ueber weite Strecken spannend wie ein Kriminalroman lesen - wie eines jener Exemplare der Gattung naemlich, die sich dadurch auszeichnen, dass sie "Suspense" mit einer kritischen Reflektion des eigenen Genres zu verknuepfen verstehen.

Schade, Sigrid; Fliedl, Gottfried; Sturm, Martin (Hrsg.): Kunst als Beute. Zur symbolischen Zirkulation von Kulturobjekten (= Museum zum Quadrat), Wien: Turia und Kant Verlag 2000
ISBN-10: 3-85132-144-8, 254 S

Empfohlene Zitation:
Verena Kuni: [Rezension zu:] Schade, Sigrid; Fliedl, Gottfried; Sturm, Martin (Hrsg.): Kunst als Beute. Zur symbolischen Zirkulation von Kulturobjekten (= Museum zum Quadrat), Wien 2000. In: ArtHist.net, 11.03.2002. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/187>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^