REV 22.11.2007

Jeroen Giltaij (Hg.): Gemaltes Licht

Rezensiert von Sam Segal
Redaktion: Rainer Donandt
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Die Ausstellung von Werken Willem Kalfs in Rotterdam und Aachen war ein Höhepunkt für Liebhaber von Stilleben des siebzehnten Jahrhunderts - gilt Kalf doch gemeinhin als der 'Rembrandt der Stillebenmalerei'. Seine Biographie mit kritischem Werkverzeichnis wurde 1974 von Lucius Grisebach veröffentlicht und zählt immer noch zu den besten Arbeiten über niederländische Stilleben. Seitdem sind selbstverständlich neue Bilder aufgetaucht und sollten manche Einsichten neu gewertet werden, insgesamt aber doch wohl weniger als man man sich heute vielfach vorstellen mag.

Friso Lammertse und Mickaël Szanto haben im vorliegenden Katalog die Biographie des Künstlers verfaßt. Darin findet man jedoch nur wenige neue Fakten. Die Autoren zeigen daß Kalf wahrscheinlich nicht katholisch war und daß sein Einfluß auf französische zeitgenössische Künstler erheblich war. Ein großer Teil der Abhandlung ist Personen gewidmet die nur indirekt mit Kalf oder seiner Frau in Verbindung standen.

Alexandra Gaba-van Dongen behandelt Gebrauchsgenstände und Pretiosen in Kalfs Gemälden. Auch die Beschreibung von Objekten in Prunkstilleben bringt wenig neue Erkenntnisse. Objekte mit ausgewechselten Teilen, sind außer Betracht geblieben.[1] Neu ist aber die Beschreibung von Gegenständen in Bauerninterieurs. Französische und holländische Objekte werden unter der Voraussetzung verglichen, daß frühe Arbeiten in Holland gemalt wurden und sich von Werken aus der Pariser Periode zwischen etwa 1640 und 1646 unterscheiden lassen. Die Annahme daß Kalf schon in Holland solche Bilder schuf, ist jedoch durchaus ungewiß.

Diese Annahme finden wir in der Abhandlung Jeroen Giltays über die bäuerlichen Interieurs. Er betrachtet dabei ein 1638 datiertes Werk gleichsam als Kronzeugen. Dieses Bild, Katalognummer 1, befindet sich aber in schlechtem Zustand und enthält ein verdächtiges Monogramm WK und eine Jahreszahl, bei der offensichtlich geschwindelt wurde. Stil und Aufbau weisen wohl eher auf ein Bild von einem der vielen Holländer hin, die sich von Kalf inspirieren ließen, wie auch schon Grisebach meinte (seine Katalognummer C11), möglicherweise Hendrick Sorgh. Auch im Falle anderer Bilder, die von Grisebach abgeschrieben worden sind, ist die neuerliche Zuschreibung an Kalf zweifelhaft. Die Nachahmungen sind meistens weniger malerisch und mehr zeichnerisch, und wurden zu Unrecht als Beispiele einer trockenen Technik in späteren Werken Kalfs angesehen. Darunter sind mehrere Bilder, die auf Kupfer gemalt wurden, so wie ein Bild im Museum de Fundatie in Heino (Niederlande; Grisebach Nummer B5 als Nachfolger). Und es hat auch fähige französische Nachahmer gegeben. Ein Beispiel ist wohl das kürzlich vom Rotterdamer Museum angekaufte Bild, das 1645 datiert ist, mit einem markanten sich bückenden Jungen und mit vielen Details die andere Werke Kalfs entbehren, so wie dem übertrieben gefältelten Rock einer Frau (Katalognummer 13). Übrigens wird die Zuschreibung von bäuerlichen Interieurs erschwert durch den Umstand, daß weniger als 25 von diesen Werken signiert sind, manchmal falsch, gegenüber über 50 unsignierten, die als authentisch aufgefaßt wurden, neben vielen Kopien.

Unter 'Bauernstilleben' werden nicht nur die bäuerlichen Interieurs sondern auch die weniger allgemeinen Exterieurs (Hofräume) verstanden. Man darf von Stilleben sprechen, weil die Figuren in einem stillebenartigen Raum nur eine beschränkte Rolle spielen. Was man hier vermißt, ist eine allgemeine Charakterisierung des Aufbaus eines Interieurs: ein Teil links oder rechts im Licht, der andere Teil im Schatten, die Handlung im Licht oder in der Mitte der Komposition und im Vordergrund ein Stilleben, meistens mit Gemüsen oder Kochgeschirr. Der Vordergrund wirkt gleichzeitig als Repoussoir, das die Tiefenstaffelung betont. Auch fehlt eine deutliche Beschreibung der freien und transparanten, fließenden Naß-in-Naß-Handschrift mit sich mischenden Farbtönen und lokalen Lasierungen. Die Beschreibungen einiger Gemüse hätte genauer sein können, zum Beispiel in Katalognummer 4, einem Hofraum. Wir sehen länglichen Radieschen (Raphanus sativus oblongus), wie sie öfters in Küchenstilleben des siebzehnten Jahrhunderts begegnen. Der holländische Katalog nennt sie 'Suikerwortels', die deutsche Ausgabe 'eine Art Zuckerrübe die heute nicht mehr angebaut wird'. Ein Suikerwortel aber ist eine süße Varietät der Karotte (Daucus carota) von welchen die weißen Varianten gerade nicht besonders zuckerhältig sind, und eine Zuckerrübe ist ein Mangold (Beta vulgaris). Der Stuhl in Katalognummer 11 ist ein Schalensessel (holländisch 'kuipstoel'). Im Text von Katalognummer 12 sind drei Fassungen verwechselt, von denen zwei, eine datiert 1644, zweifelhaft sind.

Bei vielen Werken im Katalog ist die Geschichte und Literatur unvollständig und bei Nummer 8 wird nicht erwähnt, daß es signiert ist. Die Diskussion über Gegenstücke ist überflüssig. Kalf hat einfach gleich große Bildträger benutzt, in diesem Fall Kupferplatten. Von Interesse ist Giltays Vermutung, daß nicht Pot aus Haarlem sondern Potheuck aus Leiden Kalfs Lehrer gewesen sei.

Jeroen Giltay und Fred G. Meijer schreiben gemeinsam über die Prunkstilleben der Pariser Periode (ca. 1640 - 1646). Ein Teil der Katalogbeschreibungen sind von Giltay, ein Teil von Meijer. Bemerkenswert sind die Folgerungen Meijers über drei Fassungen eines großen Stillebens: aus dem Musée des Beaux Arts in Rouen, aus einer Privatsammlung und aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln (Katalognummern 17-19). Das Bild in Rouen, das schmal ist und großer Teile der Komposition entbehrt, hält er für die ursprüngliche Arbeit. Offensichtlich hat Meijer diese Behauptung meiner Auffassung gegenüberstellen wollen, daß das Kölnische Exemplar, seit Jahrhunderten als ursprüglich aufgefasst und von Goethe bewundert, eine Kopie des 18. Jahrhunderts nach dem Bild aus Privatbesitz sei.[2] Dessen Eigenhändigkeit wiederum wird im Katalog deutlich in Zweifel gezogen, indem es Kalf oder seinem Umkreis zugeschrieben und als weniger überzeugend als das Bild aus Rouen vorgestellt wird. Dabei ist die Rouener Version ohne Zweifel eine Kopie, auch nach Grisebach, und nicht einmal eine sehr gelungene. Eine Reihe von Kunsthistorikern und Restauratoren teilen meine Meinung über das Bild aus Privatbesitz, darunter Claus Grimm, Peter van den Brink, der Direktor des Aachener Museums, Ekkehard Mai, der Hauptkonservator des Kölner Museums, Hélène Kat, eine ehemalige Restauratorin des Rijksmuseums in Amsterdam und Katja Brunnenkant, die den technischen Aspekten des Kölner und des privaten Bildes eine Diplomarbeit gewidmet hat.[3] Schon Grisebach hatte über das Kölner Bild geschrieben daß, "die Malweise [...] härter und weniger frisch wirkt als in den meisten anderen Stilleben dieser Jahre." (S. 107). Das Bild aus Privatbesitz kannte er nicht. Beide Versionen wurden in Köln und in Madrid nebeneinander ausgestellt. Das Privatbild zeigt, anders als die zwei Kopien, gelb und rot vergoldete Kannen. Es war lange Zeit im Besitz einer französischen adligen Familie, was vorher nicht publik gemacht werden durfte. Das bedeutendste Prunkstück der Pariser Periode ist übrigens ein großes Stilleben aus dem Musée de Tessé in Le Mans. Zwei andere Versionen werden von Giltay als Originale aufgefaßt, während es sich meines Erachtens um Kopien handelt.

Die intimen Prunkstilleben der Amsterdamer Periode sind die Bilder, die am meisten gerühmt wurden. Meijer hat dazu die Einführung geschrieben; die Katalognummern sind von ihm und von Sylvia Böhmer verfaßt. Es sind fast alles bekannte Gemälde, zu denen die Katalogeinträge wenig neue Einsichten enthalten. Meijer widmet sich ausführlich den möglichen Einflüssen auf Kalf und behandelt in einem eigenen Artikel seine holländischen Nachfolger. Er sieht Kalfs Muschelstilleben als frühe Arbeiten der Amsterdamer Periode, beeinflußt von dem Franzosen Jacques Linard. Sie sind in breiteren Strichen gemalt als die meisten Prunkstilleben. Françoise Julie geht dem Einfluß von Kalf auf französische Künstler nach.

Der Katalog schließt mit Addenda und Corrigenda zu Grisebachs Oeuvrekatalog ab. Dabei ist vieles, worüber man sich streiten kann, und auch sind die Daten durchaus unvollständig. Der Überblick ist gleichwohl nützlich für Forscher, die sich auf dieses schwierige Gebiet vorwagen wollen.

Der Katalog bleibt eine deutliche Stellungnahme zu manchen der Probleme schuldig, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgetan haben. Grisebach hat eigenhändige Repliken von Kalf anerkannt, beschrieb aber auch viele Kopien von Nachfolgern. Ein Beispiel von vier sehr verwandten Gemälden finden wir in dem großen Stillebenkatalog von Münster und Baden-Baden 1979. Auch Meijer und Giltay sind von der Existenz von Repliken überzeugt. Claus Grimm hingegen meint, daß Kalf sich nie förmlich wiederholt hat. Es ist schade, daß man bei dieser Ausstellung nicht auch Forscher hinzugezogen hat, die sich schon lange intensiv mit Kalf beschäftigt haben. Claus Grimm und ich haben hunderte von Detailfotos, Diapositiven und Nahaufnahmen von Kalfs Werken, wie auch von zu unrecht ihm zugeschriebenen Werken, und haben viel Material gesammelt, das den Autoren unbekannt scheint.

Davon abgesehen muß aber betont werden, daß der Katalog sehr ansprechend gemacht ist, viel Sehvergnügen schenkt und einen fesselnden Überblick zu eine Reihe von Spitzenbildern des Künstlers bietet. Neben der deutschen ist auch eine niederländische Ausgabe erschienen.

Anmerkungen:

[1] Sam Segal, A Prosperous Past. The Sumptuous Still Life in the Netherlands, Haag 1989, S. 195-196; ders., Willem Kalf. Original y copia, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid 1998, S. 24 (in Spanisch).

[2] Segal 1989, S. 185; ders. 1989, S. 34-43, Katalog Nr. 1 und 2.

[3] Claus Grimm, Stilleben. Die niederländischen un deutschen Meister, Stuttgart / Zürich 1988, S. 10-12; Ekkehard Mai, Willem Kalf 1619-1693. Original und Wiederholung. Ein Prunkstilleben des 17. Jahrhunderts, Wallraf-Richartz-Museum, Köln 1990; ders., "Zuschreibungsfragen. Neue Erkenntnisse zum Werk von Kalf, Victors, Hoogstraten"in:Kölner Museums-Bulletin 2/1998, S. 3-11; Katja Brunnenkant, Das Prunkstilleben im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, signiert "W. Kalf. 1643". Maltechnische Untersuchung des Bildes und Vergleich mit Werken aus der Pariser Periode Willem Kalfs, Diplomarbeit Köln 1997, 201 S. ; dies., "Falscher Glanz? Technologische Untersuchung des "W.Kalf.1643" signierten Prunkstilleben im Wallraf-Richartz-Mueum in Köln und Vergleich mit Werken aus der Pariser Periode Willem Kalfs (ca. 1619-1693),in:Kunsttechnologie und Konservierung 13 (1999), Heft 2, S. 245-284.

Giltaij, Jeroen (Hrsg.): Gemaltes Licht. Die Stilleben von Willem Kalf 1619 - 1693 ; Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam 25. November 2006 bis 18. Februar 2007 ["Willem Kalf (1619 - 1639)"]; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 8. März bis 3. Juni 2007, München [u.a.]: Deutscher Kunstverlag 2007
ISBN-13: 978-3-422-06673-1, 169 S., EUR 29.90, ca. sfr 43.70

Empfohlene Zitation:
Sam Segal: [Rezension zu:] Giltaij, Jeroen (Hrsg.): Gemaltes Licht. Die Stilleben von Willem Kalf 1619 - 1693 ; Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam 25. November 2006 bis 18. Februar 2007 ["Willem Kalf (1619 - 1639)"]; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 8. März bis 3. Juni 2007, München [u.a.] 2007. In: ArtHist.net, 22.11.2007. Letzter Zugriff 27.04.2024. <https://arthist.net/reviews/174>.

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