REV 20.12.2011

Steffen Bogen; Felix Thürlemann: Rom

Rezensiert von Andreas Zeising (Siegen), Technische Universität Dortmund
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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Ob es in einer Zeit, da Digitalisate ein immer selbstverständlicherer Teil auch kunstwissenschaftlichen Arbeitens sind, noch Sinn macht, ein Kompendium historischer Rom-Karten in Buchform vorzulegen, mag man sicht angesichts der Publikation von Steffen Bogen und Felix Thürlemann zunächst fragen. Erweist sich doch das Medium Buch zunächst einmal als eher ungeeignet, das historische Kartenmaterial, das Gegenstand der Untersuchung ist, in hinreichend repräsentativer Form zu reproduzieren. Unter diesem Manko leiden freilich auch andere Veröffentlichungen zum Thema, etwa Toby Lesters lesenswerte Studie über die Waldseemüller-Karte („Der vierte Kontinent. Wie eine Karte die Welt veränderte“, Berlin 2010), welche freilich immerhin vom Besitzer des Originals, der Washingtoner Library of Congress, der Netzgemeinde via Wikipedia als hochauflösender Scan zur Verfügung gestellt wird. Der Leser des Buches von Bogen und Thürlemann wird auf solchen Luxus in den meisten Fällen (noch) verzichten müssen, denn selbst der berühmte Rom-Plan Giambattista Nollis von 1748 - er misst im Original immerhin fast vier Quadratmeter - ist in digitalisierter Form nur in eher umständlicher Weise zu benutzen (http://nolli.uoregon.edu/map/index.html). Hinzu kommt leider, dass Bogen und Thürlemann sich aus Platzgründen damit bescheiden mussten, die Fülle der vorgestellten kartographischen Objekte anhand vergleichsweise weniger Abbildungen zu dokumentieren: Eine obligatorische Gesamtansicht zu jedem Plan, die naturgemäß oft erheblicher Skalierung bedurfte, wird somit vielfach nur durch eine einzige, wenn auch großformatige Detailabbildung ergänzt. Von visueller Opulenz mag man da nicht unbedingt sprechen, auch wenn die Bildauswahl des Buches insgesamt als sehr sorgfältig und durchdacht bezeichnet werden muss.

Doch wer beim Thema „Rom. Eine Stadt in Karten“ ein Coffee Table Book erwartet, wird ohnehin enttäuscht sein. Denn die Stärken der Publikation der in Konstanz lehrenden Kunstwissenschaftler liegen vor allem in der wissenschaftlichen Stringenz, mit der das Thema bearbeitet wird. Es ist die dichte Auswahl historischer Karten - ein Katalog im Anhang nennt derer insgesamt 34 - im Verbund mit einer konzisen historischen Analyse jedes Einzelobjekts, die den Wert der Darstellung ausmacht. Die fünf Kapitel ergeben insgesamt einen dichten historischen Abriss, dessen Gegenstand durchaus nicht die Geschichte der Stadt Rom ist, wie der Klappentext etwas irreführend verheißt. Vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Geschichte kartographischer Konzepte, deren Vielfalt an dem vergleichsweise statischen Gegenstand der „ewigen Stadt“ besonders anschaulich und vergleichbar wird. Dabei gelingt den Autoren der Spagat, über dem bildwissenschaftlichen Zugriff - Bogen ist Projektleiter im interdisziplinären Konstanzer Forschungsprokjekt „Visuelle Navigation“ - die spezifische Ästhetik und den kunsthistorischen Stellenwert des Einzelobjekts nicht zu vernachlässigen.

Dass die Geschichte der Kartographie als eine Geschichte der Perspektivität des Blicks verstanden werden muss, kann als eine Leitthese des Buches von Bogen und Thürlemann gelten. Eine weitere ist, dass sich erst seit der Moderne, dem Zeitalter Baedeckers, das Anliegen der Kartographie darin erfüllt, Orientierung in einem unbekannten stadträumlichen Gebilde zu verschaffen. Bis dahin, so die Autoren, waren dem Kartenraum vielmehr kulturelle und symbolische Subtexte, politische Legitimationen und propagandistische Absichten einbeschrieben, sei es nun in Form ablassbringender Pilgerpfade, der Symbolik des Caput Mundi, der entschwundenen Größe der Antike oder den Manifestationen päpstlicher Baupolitik. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks und dann vollends seit dem 18. Jahrhundert, als Karten im Medium des Kupferstichs weite Verbreitung fanden, ist überdies als Adressat ein anonymer Nutzer anzunehmen. Bis dahin, so Bogen und Thürlemann, konstruierte die Kartographie keinen abstrakten Bewegungsraum, sondern war den Ansprüchen der jeweiligen Auftraggeber verpflichtet und richtete sich an Benutzer mit ganz spezifischen Interessen und Kenntnissen. Die dem kartographischen Einzelwerk „eingeschriebene Rolle des Rezipienten zu erfassen und nachzuvollziehen“ ist denn auch ein zentrales Anliegen des Buches.

Was das heißt, zeigt auf verblüffende Weise bereits das mittelalterliche Itinerarium Einsidlense, welches allen landläufigen Vorstellungen von Kartographie völlig zuwiderläuft, die von einer Entsprechung von Kartenraum und Realraum ausgehen. Wird hier doch nicht nur auf maßstabsgetreue Repräsentation, sondern auf jegliche Form graphischer Darstellung überhaupt verzichtet. Stattdessen listet der unbekannte Rompilger des 9. Jahrhunderts auf den Doppelseiten seines aufgeschlagenen Itinerars die links und rechts des Weges liegenden Sehenswürdigkeiten auf, wobei die von ihm selbst zurückgelegte Wegstrecke durch die Mittelfalz bezeichnet wird. Als Wegmarken der Orientierung dienen dabei die in Rom bekanntlich zahlreich vorhandenen Triumphbögen, deren Durchschreiten der Verfasser dadurch kenntlich machte, dass die Namensbezeichnung des betreffenden Bogens über die Falz hinweg auf beiden Buchseiten notiert erscheint. Im Medium eines rein schriftlichen Inventars erscheint hier zum ersten Mal eine Art Routenplaner, auch wenn offen bleiben muss, ob das Werk überhaupt für einen konkreten Gebrauch bestimmt war.

Während die zu Beginn des 3. Jahrhunderts entstandene Forma Urbis Romae bereits eine erstaunliche kartographische Leistung darstellte, verlor sich der Zusammenhang zwischen urbanem Realraum und Kartenraum in der nachantiken Zeit völlig. Die bis zum Ende des Mittelalters entstandenen Karten sind stattdessen bildliche Kompilationen des kulturellen Wissens, das in literarischen Erzählungen und Beschreibungen über Rom niedergelegt war. Die oftmals geradezu phantastische Anmutung hatte sich damals von der tatsächlichen Topografie der Tiberstadt vollends gelöst, folgte vielmehr dekorativen, symbolischen oder hagiographischen Vorgaben, wie Bogen und Thürlemann an vielen Beispielen aufzeigen. Erst mit dem Beginn der Frühen Neuzeit, als mit dem Erstarken der Renaissancepäpste zugleich der kulturelle Wiederaufstieg der Stadt begann, erwachte ein neues Interesse an topografisch korrekter Darstellung. Bestand auch darüber, was der Plan der Stadt eigentlich leisten soll, noch durchaus keine klare Vorstellung, so setzte doch etwa Francesco Rossellis vor 1490 entstandener, nur in einer Gemäldekopie überlieferter Kupferstichplan mit einem neuartigen Modus der Darstellung Maßstäbe: Dem Plan Rossellis folgend wurden viele der neuzeitlichen Karten nun in der Vogelschau angelegt und somit, wie Bogen und Thürlemann herausstreichen, „auch der Blick eines Subjekts in sie eingeschrieben“. Es ist die Illusion eines imaginären schwebenden Akteurs, in dessen personalisiertem Blick das Kontinuum der Eindrücke zu einem einzigen, bei aller Künstlichkeit der Darstellung „natürlich“ wirkenden Blick zusammengefasst erscheint. Während diese personalisierte Sichtweise noch lange ihre Gültigkeit behielt, erfuhr das Konzept der Karte mit der Wende zum 16. Jahrhundert einen grundlegenden Paradigmenwechsel, indem die bildliche Darstellung nun mit Verfahren exakter topographischer Vermessung verknüpft wurde. Den Boom, den die Rom-Kartographie in der Folge erlebte, illustrieren Bogen und Thürlemann unter anderem am Beispiel der staunenswerten Rom-Pläne Bufalinis (1551), Pinards (1555) und Tempestas (1593), aber auch an denjenigen Ligorios (1561) und Duperacs (1574), welche die neue Methode erstmals nutzten, um auch ein imaginäres Bild des antiken Rom in der kartographischen Rekonstruktion erstehen zu lassen. Bogen und Thürlemann verstehen es dabei nicht nur, die technischen und wissenschaftlichen Innovationen zu würdigen, die diesem Medienumbruch zugrunde lagen; darüber hinaus erläutern sie an jedem Einzelbeispiel auch Auftraggeberschaft, Vertriebspraxis und Wirkungsgeschichte und würdigen nicht zuletzt den künstlerischen Stellenwert dieser kartographischen Großunternehmungen, in die nicht selten jahrelange Arbeit investiert wurde.

Einen letzten großen Umbruch der Rom-Kartografie konstatieren Bogen und Thürlemann für das 18. Jahrhundert. Noch einmal gewinnt im Werk Giovanni Battista Piranesis das Medium Kartografie an der Schwelle zur Moderne eine geradezu phantastische Anmutung, bevor sich ein rationalistischer Zeitgeist durchsetzt und der Rom-Plan vom repräsentativen Schauobjekt zu einem Gegenstand praktischer Benutzung avanciert. Deutlichstes Indiz dieses Wandels ist das schon im gigantischen Nolli-Plan erprobte Konzept, anstelle der Veranschaulichung des „Bildes“ der Stadt mit ihren Monumenten, wie ihn die Vogelschau gibt, den abstrakten Grundriss zum Gegenstand der kartographischen Darstellung zu machen. Dem touristischen Blick ist die Karte bald nur noch ein Werkzeug, das ganz in der Benutzung aufgeht, wie der 1866 publizierte Mittelitalien-Band des Baedeker exemplarisch zeigt, dessen faltbarer Rom-Plan für zum Gebrauch vor Ort konzipiert ist. Damit, so Bogen und Thürlemann, erscheint das Stadtgebilde in seiner Maßstäblichkeit kommensurabel gemacht zu anderen Städten, hießen sie nun Paris, Madrid oder London.

Im letzten Kapitel ihres Buches, das „Kontrolle mittels Karten“ überschrieben ist, unternehmen Bogen und Thürlemann schließlich den nicht ganz unproblematischen Versuch, den Bogen vom 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart zu schlagen. Zusammengeführt erscheinen hier so heterogene Dinge wie der erste römische Bebauungsplan des Jahres 1873, die Übersichtsplane der römischen Verkehrbetriebe aus den 1930er Jahren und die Werbeplakate der unter Mussolini geplanten Weltausstellung E 42, um schließlich - unter Überbrückung einer ansehnlichen zeitlichen Zäsur - bei Street Map und Google Earth zu enden. Mag man auch der abschließenden These, dass im Zeitalter des Web 2.0 eine Form kollektiv erarbeiteter „Kartografie für Jedermann“ den auktorial gelenkten Blick vorangegangener Jahrhunderte ersetze, nicht widersprechen, so hätte man sich an dieser Stelle doch vielleicht ein kritisches Resümee gewünscht. Zu fragen wäre ja, ob das allgegenwärtige Datensammeln mittels Geotagging und GPS-Tracking nicht womöglich Anlass zu skeptischen Erwartungen gibt.

Steffen Bogen; Felix Thürlemann: Rom. Eine Stadt in Karten von der Antike bis heute, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009
ISBN-13: 978-3-89678-661-6, 232 S.

Empfohlene Zitation:
Andreas Zeising (Siegen): [Rezension zu:] Steffen Bogen; Felix Thürlemann: Rom. Eine Stadt in Karten von der Antike bis heute, Darmstadt 2009. In: ArtHist.net, 20.12.2011. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/1698>.

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