REV 30.07.2007

Kristine Schönert: Weltskepsis und Bildkrise

Rezensiert von Christian Hecht, Weimar
Redaktion: Livia Cárdenas
Click to enlarge

Die französische Malerei des 17. Jahrhunderts erfreut sich auch in der deutschen Forschung in letzter Zeit wieder größerer Beachtung, während sie lange Zeit eher ein Schattendasein führte. Wer hat sich schon für Eustache Le Sueur interessiert? Dieses Desinteresse hing nicht nur mit dem „hohen“ Stil zusammen, der die Hauptwerke des „Grand Siècle“ kennzeichnet, sondern auch mit den dargestellten Inhalten. Nicht zuletzt wirkten die religiösen Themen nicht gerade anziehend. Das galt auch für den heute im Louvre befindlichen Bruno-Zyklus von Eustache Le Sueur, gemalt in den Jahren 1645 bis 1648 für die Pariser Kartause. Diesem bedeutenden Zyklus, von dem heute noch einundzwanzig der ehemals zweiundzwanzig Gemälde erhalten sind, hat Kristine Schönert in ihrer Münchner Dissertation untersucht.

Das Leben des hl. Bruno, der als radikaler Asket im 11. Jahrhundert den Kartäuserorden gründete, stellt sich nicht gerade als heitere und gut durchforschte Spielwiese für junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker dar. Ganz vergessen ist der Heilige allerdings auch nicht, denn seine Vita wird u.a. im bekanntesten aller Jesuitendramen behandelt, im „Cenodoxus“ des Jakob Bidermann, uraufgeführt 1602 in Augsburg. Dieses Drama sei hier genannt, weil es belegt, wie offen interpretierbar das Leben Brunos ist. Nicht nur – wie Kristine Schönert vermutet – die Jansenisten, sondern auch die Jesuiten, ihre Lieblingsfeinde, konnten dem Heiligen etwas abgewinnen. Angesichts der asketischen Grundzüge bietet sich allerdings eher eine leistungs- und weniger eine gnadenbezogene Deutung an. Wenn also die Verfasserin den Brunozyklus in Zusammenhang mit dem durch seine ausgeprägte Gnadentheologie charakterisierten Jansenismus bringt, stellt sich ihr ein Problem. Als Lösungsmöglichkeit bietet sich ihr nur an, sowohl die außerordentliche Strenge der Kartäuser als auch die betonte Schlichtheit vieler der Gemälde Le Sueurs mit der vergleichsweise asketischen Haltung des Jansenismus in Beziehung zu setzen. Der zentrale Begriff dafür ist die simplicité. Gerade die deutlich reicheren Darstellungen mit liturgischen und zeremoniellen Inhalten fügen sich in dieses Konzept allerdings nicht völlig ein, zumal Le Sueur manchmal in dieser Hinsicht mehr tut, als eigentlich erlaubt gewesen wäre, etwa wenn er bei einem Requiem goldene statt schwarze Paramente zeigt. Auch ist natürlich aus jansenistischer Sicht die Gestalt eines Heiligen, der sich aus Sorge um sein Seelenheil in die Wildnis zurückzieht, durchaus problematisch. Nicht zuletzt bleibt die Frage offen, wieso die Pariser Kartäuser für den Jansenismus agitiert haben sollen, noch dazu in ihrem Kreuzgang, der der Öffentlichkeit nicht leicht zugänglich gewesen sein dürfte. Die raffinierte Art und Weise zeige sich aber gerade in der indirekten Vorgehensweise. Den Zeitgenossen dürfte jedenfalls keine jansenistische Tendenz aufgefallen sein, sonst hätte etwa François Chauveau (bzw. Chavueau, 1613–1679) den Zyklus sicher nicht mit Erfolg stechen können, und auch andere Kartausen, im 18. Jahrhundert etwa die Kölner, hätten sich wohl kaum Kopien nach dem Pariser Vorbild bestellt.

Zu Beginn gibt die Verfasserin einen Überblick über die Forschungsgeschichte, um anschließend ihre eigene Problemstelle zu umschreiben. Völlig zu recht betont sie den nicht leicht zu fassenden ambivalenten Charakter des Jansenismus, der ja keine Konfession, sondern nur eine protestantisierende Geistesströmung gewesen ist, die aber nicht den Rahmen des Katholischen sprengen wollte.

In den folgenden Passagen gelingt es der Verfasserin, erstmals und zweifelsfrei die Textgrundlage für Le Sueurs Zyklus zu identifizieren. Die Wiederauffindung der Quellenvorlage gehört zu den besonders gewichtigen und glücklichen Ergebnissen der vorliegenden Arbeit. Es handelt sich um eine seltene Fassung der Bruno-Vita, die allerdings einige im 17. Jahrhundert längst als unhistorisch erkannte erzählerische Elemente enthält . Dankenswerterweise wird diese Vita zusammen mit zwei weiteren im Anhang wiedergegeben. Dieser Text war schon für den Vorgängerzyklus verwendet worden. Wahrscheinlich wollten die Oberen der Kartäuser in ihrem Kreuzgang also einfach dieselben Szenen dargestellt wissen, die sie schon immer an den entsprechenden Stellen gekannt hatten. Und wenn diese immer schon dort gewesen waren, können sie ja nicht falsch gewesen sein. Wieder einmal hatte also das Traditionsargument mehr Gewicht als die „veritas historica“. Ebenso zeigt sich, wie wenig zentral die Bilderfrage war, noch dazu wenn es sich nicht einmal um verehrte Bilder handelte. Gerade weil Bilder im 17. Jahrhundert keineswegs im Zentrum theologischer Auseinandersetzungen standen, war man relativ frei in ihrer Gestaltung.

In einem weiteren Abschnitt wird das Bildprogramm im einzelnen untersucht. Die Bildbeschreibungen der Verfasserin sind insgesamt sehr gelungen, weisen jedoch hier und da kleinere realienkundliche Fehler auf, etwa wenn ein Pluviale zu einem „auffällig besticken prächtigen Talar“ wird (S. 98). Kristine Schönert nimmt den Zyklus als solchen sehr ernst und kann jedem Bild die richtige Bezeichnung zuweisen. Mehrfach werden ältere Fehler korrigiert. Keine kleine Leistung! Überhaupt darf ihre, durch eigenes Aktenstudium gestützte Rekonstruktion des schon längst zerstörten Kartäuserkreuzgangs, in dem sich der Bilderzyklus einst befand, als vorbildlich angesehen werden. In diesen Abschnitten wird die vorliegende Arbeit nicht mehr einholbar sein.

In weiteren Passagen versucht die Verfasserin, ihre These von der direkten Abhängigkeit Le Sueurs von der jansenistischen Theologie zu belegen. Hier zeigt sich, wie schwer es ist, in einer fächerübergreifenden Studie, Kunstgeschichte und Theologie zu verbinden. Die gedankliche Durchdringung dieser Texte ist allerdings im Rahmen einer kunsthistorischen Dissertation kaum zu leisten, weil der Jansenismus ein dickes Bündel zentralster theologischer Probleme ist, die im Kern noch aus der Spätantike stammen und die gerade erst in der Reformation neue Aktualität gewonnen hatten. In Frankreich standen sie zudem noch vor dem Hintergrund der ständigen Spannungen mit der römischen Kurie, hinzu kommt der geradezu pathologische Abscheu vieler Jansenisten vor den Jesuiten. Wahrscheinlich bieten immer noch die – allerdings erst nach dem Bildzyklus veröffentlichten – Verurteilungen jansenistischer Thesen durch Alexander VII., Alexander VIII. und vor allem Clemens XI. den besten Zugang, um den gesamten Komplex zu verstehen, auch wenn die jeweiligen Sätze aus größeren Zusammenhängen stammen. Der Jansenismus ist in erster Linie eine rigoristische Gnadenlehre, in der die Natur des Menschen als total verderbt und die Gnade als freies göttliches Geschenk betont wird, während auf der anderen Seite den eigenen Werken des Menschen keine heilsrelevante Bedeutung beigemessen wird. Aus dieser Sicht sind sowohl Ordensleben als auch Askese schwerlich positiv zu würdigen – auch wenn ein Zentrum des Jansenismus das Kloster von Port-Royal gewesen ist, wo man jedoch ein Ideal der Weltflucht pflegte, das gerade nicht den traditionellen monastischen Prinzipien der Kartäuser entsprach. Eine nicht unwichtige Rolle weist die Verfasserin auf diesen Seiten dem im Grunde biblisch fundierten Gedanken des „verborgenen Gottes“ zu. Diese Vorstellung möchte sie mehr oder weniger als jansenistisches Eigengut werten, sie wurde aber auch im Bereich anderer Orden, etwa bei den Karmeliten und natürlich auch den Jesuiten, gepflegt, erwähnt seien beispielhaft die Schriften des hl. Johannes vom Kreuz.

Die Verfasserin erreicht besonders am Ende ihrer Arbeit beachtliche theoretische Höhen, auf die ihr sicher nicht jeder Leser folgen wird, zumal der Text an diesen Stellen nicht immer leicht zu lesen ist, wie ein Beispiel illustrieren soll: „Diese prinzipielle stilistische Ambivalenz, Indiz der epistemischen Behinderung des Menschen wie Träger des göttlichen ordre-désordre, wird in dem theoretischen simplicité -Konzept von Port-Royal faßbar und anstelle einer elaborierten Ästhetik in Ansätzen umgesetzt“ (S. 401). Die hier angesprochene simplicité wird von ihr zweifellos zu recht als Kernbegriff der jansenistischen Ästhetik herausgestellt. Gleichzeitig ist diese simplicité aber auch ein Merkmal des monastischen Lebens der Kartäuser. Bezieht man ferner vergleichbare Bilderzyklen etwa aus Klöstern der Karmeliten oder der Kapuziner mit in die Betrachtung ein, würde sich wohl der direkte Bezug zum Jansenismus etwas relativieren. Gerade diese Einordnung in die Tradition der gemalten Heiligenviten hätte wohl noch etwas intensiviert werden können. Vielleicht wäre es dann auch möglich gewesen, die Bezüge zu Raffael oder zu Domenichino noch deutlicher herauszuarbeiten, als es schon geschehen ist.

Generell darf man zwar sagen, wie wichtig und richtig es ist, die konkrete Gestaltung, den Inhalt des Bildzyklus und die geistesgeschichtlichen Hintergründe als Einheit zu sehen, dennoch hat man besonders gegen Ende des Buches ab und zu den Eindruck, die Bilder selbst würden ein wenig unter dem großen Theorieapparat verschwinden. Sie können – darf man das sagen? – durchaus für sich selber sprechen, denn sie sind wirklich beachtliche und eindrucksvolle Kunstwerke. Man darf also sicher zu einigen Thesen der Verfasserin auch eine andere Meinung haben, dennoch wird man ihrer Leistung größten Respekt zollen.

Schönert, Kristine: Weltskepsis und Bildkrise. Eustache Le Sueurs Vie de Saint Bruno im Licht des französischen Jansenismus (= Studien zur christlichen Kunst), Regensburg: Schnell & Steiner 2006
ISBN-10: 3-7954-1833-X, 528 S, EUR 86.00, sfr 142.00

Empfohlene Zitation:
Christian Hecht: [Rezension zu:] Schönert, Kristine: Weltskepsis und Bildkrise. Eustache Le Sueurs Vie de Saint Bruno im Licht des französischen Jansenismus (= Studien zur christlichen Kunst), Regensburg 2006. In: ArtHist.net, 30.07.2007. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/167>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^