REV 18.07.2007

Adorf/Gebhard Fink/Schade (Hgg.): Is it now? Gegenwart in den Künsten

Rezensiert von Edith Futscher, Universität für angewandte Kunst Wien
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Ein interdisziplinäres Team des Institutes Cultural Studies in Art, Media and Design der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich hat kürzlich einen Tagungsband zur Frage nach der Zeitgenossenschaft von Künsten und Rezeptionsweisen, zu Aktualität, Gegenwart und Gegenwärtigkeit, Präsenz und Präsentischem veröffentlicht. Aktuell nicht nur im ansprechenden streifigen Design, ist der Band institutionenkritisch auch der Neustrukturierung der HGKZ selbst geschuldet, einer Verbindung von Theorie und Praxis, Kunst und Design. Dies impliziert, dass hier verschiedenste Textsorten von WissenschaftlerInnen, KuratorInnen und KünstlerInnen vieler Bereiche versammelt wurden.

Ob wir uns auf der so genannten Höhe der Zeit befinden und was dies denn bedeutete in Zeiten des Zitierens und Wiederholens, wurde gefragt. Als Leitmotiv führt Alexander Kluges Filmtitel "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (1985) und damit der verschlingende und auffordernde Gestus eines nicht fassbaren Jetzt durch den Band. Überlagerungen, Durchkreuzungen von Zeitebenen, nach Wahrnehmungsfähigkeit verschiedener Sinne zu unterscheidende Zeitrepräsentanzen sind Gegenstand detailreicher Beobachtungen, so etwa in der Analyse der musikalischen Strukturen im "Angriff" von Steffen Schmidt. Zeit wird dabei als Phänomen der Inkonsistenz thematisiert, künstlerische Strategien der Zerfaserung und Neu-Bündelung nunmehr diskontinuierlich gedachter Zeit stehen im Vordergrund gleich wie Figuren des Umschlagens von zeitlichen in räumliche, zeitlichen in identitäre und politische Kategorien – vom Verschlussmoment der Kamera als Grenze von Gegenwart über den Schnitt bis hin zu Figuren wie Provisorium oder Abschied bei Alexander Kluge.

Während Zeitgenossenschaft und zeitgemäßes Agieren als modernistischer Imperativ gelten kann, problematisieren die AutorInnen des Bandes (Un)Verfügbarkeit und Unverfugtheit von Zeit und Zeitwahrnehmung angesichts heutiger Übertragungstechnologien, angesichts 'übersehbar' gewordener globaler Ungleichzeitigkeiten (die auch das Phantasma 'Weltkunst' nähren), angesichts der wiedererstarkten Debatten um ein Hier und Jetzt von Sensationen, um Ästhetiken von Erleben und Ereignis. Es wird mit einer reichen Palette an theoretischen Instrumentarien diskutiert, was es hieße, 'in' der Zeit zu sein: was aber hieße es, jenseits eines Konservativismus, jenseits der Konjunktur von Narrationen um Zeitensprünge, 'außerhalb' der Zeit zu sein?

Ausgehend von der Beobachtung, dass Gegenwart ein "Quasi-Nichts" (Kluge) sei, nichts als eine Nahtstelle (21), der ein Zuviel an Macht zugesprochen werde, demontiert Sigrid Schade partiell den Begriff Zeitgenossenschaft, erhebt er doch einen hegemonialen Anspruch auf Singularität und ist somit Träger eines maskulinen Subjektkonzeptes. Schade plädiert für eine Geographie der blinden Flecken im Anwesend-Machen, in der Selbst-Vergegenwärtigung, für ein In-den-Blick-rücken von Unabgegoltenem. Das Jetzt mag sich in einem jähen Aufblitzen des Vergangenen im Schock Raum greifen, Begriffliches, ja die Beobachtung selbst bleiben sekundär, nachträglich. Die Rede um Anwesenheit thematisiert Abwesenheit, Unterbrechung – 'Jetzt' und Repräsentation untergraben einander, weshalb mit Lyotard von Strategien der Inszenierung von Präsenz, die als Risse innerhalb eines Kontinuums wahrnehmbar werden, wie etwa in Barnett Newmans Arbeit am Sublimen, gesprochen wird. Das Unabgegoltene im Begriff des Sublimen sei dabei nicht länger seine religiös-auratische Dimension aber deren geschlechterspezifisches Heilsversprechen, das beispielsweise eine Arbeit wie "Now" von Lynda Benglis (1973) zu konterkarieren vermag.

Wiewohl die Frage nach Aktualität für eine Kuratorin wie Sabine Schaschl demgegenüber dingfestere Implikationen haben wird, antwortet auch sie aus großer Distanz zu dem, was vielleicht zeitgemäß weil marktgerecht heissen mag. An Grundlagen ihrer kuratorischen Praxis nennt sie die Berücksichtigung der regionalen, sozio-politischen Bedingungen, im Falle des Kunsthauses Baselland dessen periphere Position, die sie als reflexives Potenzial wertet. Mit einer Ausstellung wie "Cooling Out – Zur Paradoxie des Feminismus" kann so auf Unabgegoltenes reagiert werden, beispielsweise von feministischen Forderungen, die sich in blasse neoliberale Rhetorik verwandelten, und danach geforscht werden, in welchen Formulierungen das Unbehagen an der patriarchalen Gesellschaft heute künstlerisch artikuliert wird.

Philosophische und kulturhistorisch fassbare Möglichkeiten, die Flüchtigkeit von Gegenwart rhetorisch in eine Dauer zu verwandeln, skizziert Wolfgang Bock neben der Ausdifferenzierung von Kategorien, die zwischen zeitlichen und räumlichen Bestimmungen schwanken: Allgegenwart, Dauer, Finalität. Die Verdächtigung von Gegenwart als tröstendem Verweismittel und die Abwertung des Jetzt im Zuge einer idealistischen Vision auf einen Konnex von Vergangenheit und Zukünftigem bei Nietzsche wird der politisch bedeutsamen Aktualisierung bei Benjamin, wo Gegenwart bekanntlich als Ort der Konstruktion von Geschichte gesetzt wird, gegenübergestellt. Unabgegoltenes vermag eine Korrespondenz zwischen den Epochen herzustellen, wodurch ein ideelles Kontinuum zugunsten von Überlappungen, Brüchen, bedeutsamer Leere, in die das Ferne eben einzutreten vermag, aufgebrochen wird.

Es ist dies eine Aufwertung des zunächst vielleicht unerkannten Moments, von der auch Vera Frenkels Reflexion in Bezug auf ihren künstlerischen Werdegang spricht. Ihre Vorliebe für Satire und Parodie, die sich neben ihrer Auseinandersetzung mit der emphatischen Malerei der Abstrakten Expressionisten entwickelte, begreift sie nachträglich, von einer Position der Kunstpraxis als kritischem Instrument im sozialen Raum aus, als ein Moment des Widerstands, als Konstituente für (ihre) Zeitgenossinnenschaft.

Sigrid Adorf rahmt ihre beispielhafte Analyse der Vidoearbeit "Now" (1973) von Lynda Benglis mit einer prägnanten Kritik an der Renaissance von Präsentischem im Diskurs um Performance, wo Fragen nach der kulturellen Konstruktion von Erleben erneut hintangestellt werden. Benglis thematisierte das Verhältnis von Bild und Körper in Form eines instabilen Szenario, Präsenz wird etwa durch das Ineinandergreifen von Aufnahme und Wiedergabe, durch die wiederholt artikulierte Frage "Is ist now?" in Frage gestellt. Sie arbeitet mit zweierlei Realitätsebenen, der Überlagerung ihrer Gesichter, mit einem bildlichen Echo, das dem sprachlichen Echo vorauszueilen scheint. Es ist eine scheinbare, asynchrone Kommunikation mit sich selbst, eine Inszenierung, die gerade Vergangenes, Jetzt und zukünftige Reaktion in sich verwirrt, ein Überholmanöver der Vergangenheit. Diese Auffaltung von Selbst-Bezügen denkt Adorf als "videografische Einsicht" (106) in Prozesse der Subjektkonstitution und setzt diese kritisch von einer Euphorie um technisch machbare Verlebendigungststrategien, wie sie etwa in Maurizio Lazzaratos "Videophilosophie" deutlich wird, ab.

Der Beitrag von Sabine Gebhardt Fink ist einer Dislokation, einer Verschiebung im sozialen Raum gewidmet. Im "Musée Précaire Albinet" (2004) präsentierte Thomas Hirschhorn Meisterwerke der Moderne in einem Pariser Vorort und verlieh ihnen so flüchtige Präsenz. Die partizipatorische Geste ermöglichte neue Reaktionsweisen auf die Werke, sie wurden einer Situation von Unvorhersehbarkeit ausgesetzt. Entauratisierung im Sinne eines Offenlegens der repressiven Autorität der Institution Museum stehe dabei in einem Spannungsverhältnis zu Momenten des Vergegenwärtigens, zu – mit Michael Fried gesprochen – (Anti-)Theatralizität. Ein gegen-kulturelles Projekt wie das "Musée Précaire" laufe in seinem Gestus der Kritik auch Gefahr, Affekt und Situationsbezogenheit zu überhöhen – die Situation Kunst bleibe ein Moment des Aufschubs.

Momente der Überhöhung kritisiert auch Sabeth Buchmann an avantgardistischen Lebens- und Kreativitätskonzepten, wenn sie in ihrem knappen, beachtlichen Statement für Verlebendigungsstrategien, die ihre eigene Involviertheit in das biopolitische Projekt der Herstellung von Leben gemäß den Regeln der herrschenden Ökonomie zu reflektieren vermögen, plädiert.

Demgegenüber steht die Frage Christina Thurners, wie die physische Präsenz im zeitgenössischen Bühnentanz als eine Kommunikation zwischen Körpern in Zeiten der Virtualisierung noch tragfähig für gesellschaftlich und politisch relevante Fragen sein kann. Anhand zweier Beispiele wird dies in Hinblick auf die Auseinandersetzung um identitäre politische Grenzen beantwortet: Meg Stuart und die Kompagnie Damaged Goods stellten in "Visitors Only" (2003) Figuren ohne Gedächtnis, von andersartigem Wahrnehmungsvermögen mittels entkonventionalisierter Bewegungsformen vor, die Kontrollmechanismen außer Kraft zu setzen vermochten; Simone Aughterlonys Solo-Performance "Public Property" (2004) war mit der Frage nach den zumindest im Aufführungszusammenhang multiplizierten Ichs beschäftigt: Es wurde im Akt des Aufführens auf dem Akt des Verschwindens insistiert, was eine Befragung der Situation Autorschaft bedingt, die durch die Anwesenheit der Performerin, wie immer gebrochen, eben nicht verschwindet. 'Verrücktheit' und Dissoziation bzw. Multiplikation der Ich-Perspektiven in tänzerischer Übersetzung erscheinen dabei als nach wie vor gültige Instrumentarien, sich der Herrschaft des Selbst, den Selbsttechnologien zu widersetzen.

Von Öffnen und Verdichten spricht auch Ute Vorkoeper in der visionären Nachbesprechung der von ihr co-kuratierten Ausstellung "Vom Verschwinden. Weltverluste und Weltfluchten" (2006), wo gespenstische Schatten (historischer) Ereignisse, Reste und Wiedergänger ins Zentrum gestellt wurden und damit Verdrängtes, das Vorkoeper im Zusammenhang von Anwesenheit und Dauer als einem vermeintlich obsolet gewordenen Anspruch bespricht. In der Gleichzeitigkeit, im Dauern von Dasein und Entzug bestimmt sie bildende Kunst. Es gelte, nach Artikulationsformen Ausschau zu halten, die auf Basis der Unverfugtheit, der Nicht-Übereinstimmung von Zeit und Raum, irritierende, erschreckende, vielleicht verletzende Präsenzen als Aufgaben ins Bild rücken.

Der unprätentiöse, weil dezidiert uneinheitlich konzipierte Band gibt somit eine Fülle an Gedanken zur Problematik um die Rede von Zeitgenossenschaft. Zweierlei ganz verschiedene Momente seien dieser Fülle als Nachspann noch hinterhergeschickt: Zum einen mag vielleicht erstaunen, dass als ein Modus von Gegenwärtigkeit die radikale Geste als dezidiert unzeitgemäß gesetzte Artikulation oder Handlung, wie immer avantgardistisch verfangen, kaum einen Raum einzunehmen vermochte. Zum anderen erstaunt, dass das Phänomen der Doppelprojektion, des Doppelscreenings, das zeitgenössische AusstellungsbesucherInnen doch vielfach vor die Herausforderung stellt, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit in einer Rezeptionszeit zu akkordieren, keine Besprechung fand. Von hier aus wäre noch eine wahrnehmungstheoretische Perspektive auf ein Jetzt zu gewinnen gewesen, die unser Wissen darum weitertragen könnte, dass die Scheidung von gestern, heute und morgen eine im Spracherwerb des Kindes relativ späte kulturelle Leistung darstellt.

Adorf, Sigrid; Gebhardt Fink, Sabine; Schade, Sigrid;: Is it now? Gegenwart in den Künsten, GVA - Gemeinsame Verlagsauslieferung Göttingen 2006
ISBN-13: 978-3-906437-19-4, 208 p.

Empfohlene Zitation:
Edith Futscher: [Rezension zu:] Adorf, Sigrid; Gebhardt Fink, Sabine; Schade, Sigrid;: Is it now? Gegenwart in den Künsten, 2006. In: ArtHist.net, 18.07.2007. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/166>.

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