REV 16.07.2007

Dorothee Schmidt-Breitung: Der mittelalterliche Bildzyklus in der Sakristei

Rezensiert von Knüvener Peter
Redaktion: Livia Cárdenas

Die Beeskower Marienkirche gehört zu den spätgotischen Kirchenbauten Deutschlands, denen es verwehrt geblieben ist, in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen zu werden. Teilweise ist dies in der Zerstörung des Zweiten Weltkrieges begründet, der Dachwerk und Gewölbe des Gotteshauses zum Opfer fielen. Der Reisende, der sich in die Kleinstadt nahe der Oder verirrt, ist jedoch berührt von der Monumentalität des Kirchenbaus und seiner Steilheit, die den Vergleich mit Kirchenbauten wie St. Martin in Landshut herausfordert. In den Jahren nach der politischen Wende wurde diese Kirche, wie die monumentalen Kirchenbauten in den Nachbarstädten Frankfurt/Oder und Königsberg/Neumark (heute Chojna, Polen) wiederaufgebaut.

Im Zuge dieser Bau- und Restaurierungsmaßnahmen wurden der 1934 freigelegte Wandmalereizyklus der Sakristei restauriert und gewissermaßen wieder entdeckt und nun durch eine kleine Publikation der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Es sind ausgezeichnet erhaltene und kaum durch Übermalungen verfälschte Malereien des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Dargestellt sind auf drei Wänden des rechteckigen Raumes die Kirchenväter Hieronymus, Gregor und Augustinus. Ambrosius dürfte sich auf der vierten Wand befunden haben. Die Kirchenväter sitzen vor ihren Pulten und widmen sich der Schreibarbeit. Allein Hieronymus wendet sich dem Löwen zu, um den Dorn aus der Tatze zu entfernen. Die Kompositionen sind eindrucksvoll klar: Die Gelehrten thronen vor einem einfarbigen orangeroten, jedoch unbestimmten Hintergrund, der für das Medium Wandmalerei ungewohnt erscheint und eher an Tafelmalerei denken lässt – man fühlt sich an die Tafeln des Wittingauer Meisters im Prager Agneskloster erinnert.

Die Publikation gliedert sich in zwei etwa gleichgroße Teile, nämlich einer Objektbeschreibung mit kunsthistorischer Analyse, für die Uta Hengelhaupt verantwortlich zeichnet, sowie einer präzisen Präsentation der im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen gewonnenen kunsttechnologischen Ergebnisse samt kurzer Restaurierungsgeschichte aus der Feder von Dorothee Schmidt-Breitung. Uta Hengelhaupt weist zu Recht auf die böhmischen Voraussetzungen der Malerei hin und votiert für eine Datierung ins ausgehende 14. Jahrhundert. Die kunstgeschichtliche Einordnung geht mit einer ausschweifenden Skizzierung der künstlerischen „Großwetterlage“ einher (vom italienischen Trecento über die Malerei am Prager Hof bis zu den Retabeln in Schotten und Netze), doch für die konkrete vergleichende Analyse wird ausschließlich auf Prager Buchmalereien – etwa aus der Morgan Bibel (Miniatur des schreibenden Lukas) und der Wenzelsbibel (Bild eines Löwen in der Bestattung des Gottesmannes) – verwiesen, was allein schon aufgrund der unterschiedlichen Dimensionen und der andersartigen Aufgabenstellung problematisch erscheint. Nicht ganz glaubhaft ist die Vermutung, Schreibsessel und Lesepult in der Miniatur des Evangelisten Lukas aus der Morgan Bibel „könnten die unmittelbare Vorlage zur Beeskower Hieronymusdarstellung gegeben haben“ (S. 13).
Sollte man nicht zunächst eher vergleichbare Medien zum Vergleich heranziehen? Hier böten sich die – jedoch nur durch Aquarelle überlieferten – thronenden Gestalten des Luxemburger-Stammbaumes aus dem Palas der Burg Karlstein an. Mittlerweile wies Jan Raue auf die motivisch teilweise sehr eng verwandten Wandmalereien in der Dominikanerinnenkirche St. Anna in der Prager Altstatt hin. Doch fehlt es auch nicht an näher gelegenen Beispielen. Problematisch erweist sich das Bestreben, „einen kulturellen Austausch von wahrhaft europäischen Dimensionen“ erkennen zu wollen, an der die Beeskower Bürgerschaft als vermeintlicher Auftraggeber der Wandmalereien teilnahm. Auch erscheint es – zumindest in Ermangelung entsprechender Quellen – fragwürdig, „ein Reflex kunstpolitischer Orientierung, mit der die Beeskower Gemeinde sichtbar auf die politischen Veränderungen ihres politischen Umfeldes reagierte“ (S. 16), erblicken zu wollen.
Hier wurde einerseits nicht berücksichtigt, dass das Patronatsrecht über die Beeskower Kirche beim Zisterzienserkloster Neuzelle lag, dessen mögliche Rolle zu bedenken wäre. Andererseits wird nicht ausreichend beachtet, dass die Niederlausitz (zu der Beeskow gehörte) und die benachbarte Mark Brandenburg, die beide seit Kaiser Karl IV. mit Böhmen verbunden waren, zu den Regionen gehörten, in denen es zahlreiche Malereien und Skulpturen gibt, die von der böhmischen Kunst abhängig sind. Im benachbarten Frankfurt führte ein Wandmaler, der mit der Prager Malkultur gut vertraut gewesen sein dürfte, das monumentale Gemälde einer apokalyptischen Madonna aus. Zu nennen wäre das seit dem Krieg verschollene Hochaltarretabel der Müncheberger Marienkirche, dessen Malereien in der Nachfolge des Wittingauer Meisters standen und für das man wohl eine Frankfurter Werkstatt annehmen könnte. Für die thronenden Beeskower Kirchenväter könnte man auch auf das Heiligen-Apostelkollegium auf den Flügelaußenseiten des Hochaltarretabels der Gardelegener Marienkirche (um 1380) verweisen.

Insgesamt fügen sich die Beeskower Malereien gut in die lokale Kunst des späten 14. Jahrhundert ein und belegen einmal mehr den eindrucksvollen Kulturtransfer vom Zentrum Prag in die nördlichen Provinzen des böhmischen Herrschaftsgebietes sowie dessen Rezeption daselbst. Trotz des verführerischen Gedankens an eine konkret greifbare Internationalität ist es insgesamt von Bedeutung, den regionalen Kontext nicht zu vernachlässigen. Bezugspunkt für die kleine Stadt Beeskow war sicher das nahe Frankfurt, das für das mittlere Odergebiet in der Zeit um 1400 den Rang eines regionalen Kunstzentrums innegehabt haben wird.

Durch die Detailforschungen der letzten Jahre konnte das Bild einer vorgeschobenen „böhmischen Kunstprovinz“, das sich bereits seit den Forschungen Robert Nissens und Kurt Dingelstedts abzeichnete, weiter ausdifferenziert werden. Ein weiteres positives Beispiel in diese Richtung stellt die vorliegende Publikation dar, die zudem den Vorzug hat, dass sie aus einer Zusammenarbeit von Restauratorin und Kunsthistorikerin entstand.

Anmerkungen
[1] Vortrag gehalten auf einem am 15. Juni 2007 in Beeskow stattgefundenen Kolloquium zu den Wandmalereien.
[2] Nissen, Robert: Die Plastik in Brandenburg a.H. von ca. 1350 bis ca. 1450, in: Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1929, 61-99, Dingelstedt, Kurt: Stilströmungen der mittelalterlichen Plastik im späten 14. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des böhmischen Einflusses, in: Sachsen-Anhalt 8, 1932, S. 373-424

Schmidt-Breitung, Dorothee: Der mittelalterliche Bildzyklus in der Sakristei der Beeskower Marienkirche, Berlin: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte 2007
ISBN-13: 978-3-86732-020-7, 31 S, EUR 5.00

Empfohlene Zitation:
Knüvener Peter: [Rezension zu:] Schmidt-Breitung, Dorothee: Der mittelalterliche Bildzyklus in der Sakristei der Beeskower Marienkirche, Berlin 2007. In: ArtHist.net, 16.07.2007. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/165>.

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