REV 11.10.2017

Eichhorn, Kristin; Lorenzen, Johannes S. (Hrsg.): Der Sturm und Die Aktion

Rezensiert von Franziska Lampe, Universität Heidelberg/Kunsthistorisches Institut in Florenz
Redaktion: Hans Georg Hiller von Gaertringen
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Herwarth Walden und Franz Pfemfert sind beide Anfang dreißig, als sie 1910 bzw. 1911 unabhängig voneinander die richtungweisenden Zeitschriften ‚Der Sturm’ und ‚Die Aktion’ gründen, welche in der Folge einerseits in Konkurrenz zueinander stehen, andererseits voneinander profitieren. Sie bieten damit einer ganzen (Künstler)-Generation neue Plattformen zur Artikulation einer neuen Auffassung von Kunst und Gesellschaft. ‚Der Sturm’ und ‚Die Aktion’, zu denen bald auch Galerien, Kunsthandel, Verlage und Aktionsabende zählen, sind als Förderer expressionistischer Literatur und Lyrik, Malerei, Grafik und Theater sowie des Kubismus, Futurismus und auch Dadaismus selbst Objekte ihrer Materie geworden. Unter einer Vielzahl untereinander konkurrierender Blätter, Hefte und Zeitungen im frühen 20. Jahrhundert ragen ‚Der Sturm’ und ‚Die Aktion’ in ihrer Bedeutung zweifellos heraus und sind bis heute prägend für die Rezeption jener künstlerischen Bestrebungen, wobei Herwarth Walden und seine Unternehmungen entschieden vielschichtiger erforscht sind.

„’Der Sturm’ und ‚Die Aktion’“ ist der Titel des bereits fünften Heftes der wissenschaftlichen Fachzeitschrift ‚Expressionismus’, die von Kristin Eichhorn und Johannes S. Lorenzen im Taschenbuchformat seit 2015 herausgegeben wird. Jedes Heft widmet sich kursorisch einem Schwerpunkt aus dem großen Themenbereich des Expressionismus und lässt dabei verschiedene Stimmen zu Wort kommen. Neben den klassischen Veröffentlichungsformen, die meist aus Ausstellungskatalogen, Konferenzbänden und wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten bestehen, kann diese Zeitschrift eine anregende Konstante für die Fachwelt werden.

So unterschiedlich Pfemfert und Walden als Persönlichkeiten waren und so verschieden sie ihre Zeitschriften als (kultur-)politisches Forum sahen, gibt es doch zahlreiche Gemeinsamkeiten. Die Herausgeber arbeiteten beide in Berlin, waren ähnlich publizistisch sozialisiert, ihre Zeitschriften gingen Anfang der 1910er-Jahre in die Produktion und fanden beide unter dem zunehmenden Druck politischer Repression 1932 ein jähes Ende. Sie entstanden zu einer ganz spezifischen Zeit mit einem großen Maß an Enthusiasmus und Optimismus, und sie sind zu einer ganz spezifischen Zeit mit großer Enttäuschung eingestellt worden. An der über 20 Jahre dauernden Existenz der Zeitschriften ließe sich nicht zuletzt das wechselhafte Zeitgeschehen und die Mediengeschichte dieser Epoche ablesen.

Mit der Konzentration auf die beiden wohl bedeutendsten Periodika des Expressionismus spricht das Heft damit eine zentrale Quelle der Moderne-Forschung an. Der Band gliedert sich in drei Abschnitte: Die beiden ersten setzen sich jeweils dezidiert mit der ‚Aktion’ und dem ‚Sturm’ auseinander, der letzte nähert sich dann den beiden Zeitschriften in vergleichender Perspektive. Die Auswahl der AutorInnen des Heftes spiegelt auch die historische Vielfalt der Inhalte von ‚Sturm’ und ‚Aktion’ wieder. Den thematischen Schwerpunkten entsprechend schließen sich Aufsätze von KunsthistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen zu einem insgesamt gelungenen Kompendium zusammen.

Indem sich der erste Teil der gesellschaftskritischen Bedeutung und den politischen Aktivitäten von Pfemfert und der ‚Aktion’ widmet, wird sogleich ein weiter Horizont eröffnet, vor dem sich die ästhetischen und theoretischen Fragen abbilden, die in den Zeitschriften diskutiert werden. So analysiert Lia Imenes Ishida zunächst, unter welchen politischen und intellektuellen Umständen ‚Die Aktion’ entstanden ist und zeichnet differenziert nach, in welcher Tradition und Verbindung Pfemfert die Aufgaben von Politik, Literatur und Kunst entwickelt und verstanden sah. Als wichtiges Leitorgan für avantgardistische Positionen kam der Zeitschrift natürlich auch eine nicht zu vernachlässigende Rolle in Bezug auf die politischen Entwicklungen in der Weimarer Republik zu. So versteht Marcel Bois ‚Die Aktion’ als verbindendes Organ zwischen Arbeiterbewegung und Künstlertum und arbeitet in seinem aufschlussreichen Aufsatz Pfemferts Engagement für den Kommunismus und gegen den Stalinismus auf.

Der zweite, dem ‚Sturm’ gewidmete Teil schließt an diese Überlegungen an. Lutz Hengst argumentiert, inwiefern Herwarth Walden mit seiner Zeitschrift eine eher „antipolitische Haltung“ kultivieren wollte (S. 47), was ihm wohl mehr Freiheiten in Bezug auf sein unternehmerisches Engagement als Kunsthändler bescherte. Im Vordergrund stand, einer Vielzahl von künstlerischen internationalen Positionen gegenüber offen zu bleiben und sich nicht an die jeweilige Kulturpolitik anzupassen. Waldens politische Strategie sei vor allem daran orientiert, sich ‚anti-spießbürgerlich’ und ‚traditionalistisch’ zu geben (S. 48). Mit dem Beitrag von Johanna Kaus zum Frauenbild in der Zeitschrift ‚Der Sturm’ wird einem wichtigen Forschungsaspekt Raum gegeben, der in den letzten Jahren vermehrt ins Zentrum gerückt ist. Indem sie drei für dieses Thema wichtige Publikationen (Maaike Van Rjin, Maurice Godé und Barbara D. Wright) miteinander in Bezug setzt, werden Geschlechterstereotype in Hinblick auf die Genderproblematik in der frühen Moderne hinterfragt. Die differenzierten Beobachtungen belegen einmal mehr, wie wichtig und schwierig es zugleich ist, sich der teils konträren aber nebeneinander laufenden Positionen im ‚Sturm’ bewusst zu sein (S. 58). Zudem haben Kaus' Überlegungen gezeigt, dass der Forschungsschwerpunkt hier auf den frühen Sturm-Jahren liegt und es demzufolge ein Defizit für die 1920er-Jahre gibt. Eine richtige Feststellung, die für die gesamte ‚Sturm’-Forschung gelten dürfte, was aber auch daran liegen mag, dass die Bedeutung der Zeitung und die kuratorischen Aktivitäten von Walden in dieser Zeit bereits abnahmen. Daran anknüpfend stellt Jutta Götzmann die Künstlerin Magda Langenstraß-Uhlig vor, deren Biografie und Werk im Kontext der Aktivitäten im Sturm und am Bauhaus aufschlussreich sind.

In den komparativen Ansätzen des dritten Teils wird deutlich, wie sehr die Herausgeber Walden und Pfemfert an einem internationalen Netzwerk der Künstler interessiert waren und mit ihren Zeitschriften eine Plattform für einen Austausch jenseits der Grenzen geboten haben. Es wird aber ebenso klar dargestellt, bis in welche Ebenen politische Auseinandersetzungen reichten und in welche Abhängigkeiten die Zeitschriften gerieten. So ist Laura Kollwelters Beitrag zur Repräsentation belgischer bildender und schreibender Künstler im ‚Sturm’ und in der ‚Aktion’ nicht nur spannend zu verfolgen, sondern gibt dem Leser darüber hinaus eine Perspektive auf die internationalen Beziehungen der Herausgeber Walden und Pfemfert in der gut 22 Jahre dauernden Geschichte der Zeitschriften. Steffen Eigl stellt mit dem tschechischen Künstler Josef Capek das Werk eines Kubisten vor, der sowohl im ‚Sturm’ als auch in der ‚Aktion’ publizierte. Wie wichtig die internationale Verbreitung unterschiedlicher Kunstpositionen und der damit verbundene Austausch war, wird nicht zuletzt auch an diesem Beispiel deutlich. Doch handelt es sich letztlich um ein Beispiel von vielen, wenn man sich etwa die Rolle von Theodor Däubler für die italienische Avantgardekunst [1] oder die vielfältigen Verbindungen polnischer Künstler zum ‚Sturm’ und der ‚Aktion’ [2] ansieht. Peter Sprengels Beitrag schließt das Heft mit einer detaillierten Analyse zum literarischen Werk Peter Hilles, dessen Publikationen posthum in vielen Folgen in beiden Zeitschriften erschienen. Für die Künstlergeneration des Expressionismus wurde er zu einem wichtigen Literaten. Sprengels Ausführungen sind ein interessanter Beleg dafür und dürften als pars pro toto gelten, wie unterschiedlich dieselben Künstler in ‚Sturm’ und ‚Aktion’ repräsentiert und inszeniert worden sind.

In der Einleitung dieser Ausgabe von „Expressionismus“ wird der Anspruch geäußert, beide Zeitschriften einander gegenüberzustellen und damit einen Anstoß zur Erarbeitung einer bislang dürftig gefüllten Forschungslücke zu geben. Es ist zwar richtig, dass der Schwerpunkt in den letzten Jahren vermehrt auf der Erforschung des ‚Sturm’ lag, aber auch hier wurde früh und explizit auf die Verbindungen zur ‚Aktion’ eingegangen [3]. Der Vergleich zweier Dinge geschieht bekanntermaßen meist über ein drittes Element. Im hier vorliegenden Falle hätte man eine ganze Reihe sowohl von Unterschieden als auch Gemeinsamkeiten als tertium comparationis nehmen und damit vergleichbare Aspekte der beiden Zeitschriften deutlicher herausarbeiten können. Dies betrifft etwa Fragen nach der Präsentation von Kunstwerken, welche medialen Strategien und Werbemaßnahmen verfolgt wurden (beide ließen z.B. Postkarten ihrer Künstler anfertigen) oder wie sich Walden und Pfemfert selbst als Unternehmer inszenierten. Aus kunsthistorischer Sicht wäre zudem eine tiefergehende Auseinandersetzung mit materiellen Aspekten der Zeitschriften wünschenswert gewesen. Fragen zur Verwendung von Originalgrafiken (die Holzschnitte wurden meist direkt vom Druckstock abgezogen) oder von fototechnischen Verfahren würden die bild- und mediengeschichtliche Dimension dieser Zeitschriften weitreichender erschließen. Nichtsdestotrotz zeigt das Heft „Expressionismus“ mit seiner Auswahl an Texten bereits sehr deutlich und vielschichtig, wie weitreichend dieser Themenkomplex ist und wie fruchtbar die vorliegenden Ergebnisse für weitere Forschungen sein können.

[1] Marina Bressan: Theodor Däubler, Vermittler zwischen Italien und Deutschland für ‚Der Sturm’ und ‚Die Aktion’, in: Der Aufbruch in die Moderne, hrsg. von Irene Chytraeus-Auerbach und Elke Uhl, Berlin 2013, S. 115–135
[2] Agnieszka Salamon-Radecka, Andreas Hüneke, Susanna Koller (Hrsg.): Bunt, Die Aktion, Der Sturm. Polnische und deutsche Expressionisten, Ausst. Kat., Muzeum Poczatkow Panstwa Polskiego, Gnesen 2011
[3] Beispielsweise Johannes Waßmer: »Damals gab es zwei Zeitschriften der radikalen künstlerischen Richtung«. Herwarth Waldens Der Sturm, Franz Pfemferts Die Aktion und ihr Werdegang, in: Andrea von Hülsen-Esch, Gerhard Finckh (Hg.): Der Sturm. Zentrum der Avantgarde. Ausstellungskatalog, Band II: Aufsätze, Wuppertal: Von der Heydt Museum 2012, S. 185–198

Eichhorn, Kristin; Lorenzen, Johannes S. (Hrsg.): Der Sturm und Die Aktion, Berlin: Neofelis 2017
ISBN-10: 3-9580812-8-2, 123 S., EUR 14.00, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Franziska Lampe: [Rezension zu:] Eichhorn, Kristin; Lorenzen, Johannes S. (Hrsg.): Der Sturm und Die Aktion, Berlin 2017. In: ArtHist.net, 11.10.2017. Letzter Zugriff 22.12.2024. <https://arthist.net/reviews/16449>.

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