REV-CONF 03.10.2017

(Art-) History goes digital.

München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, 21.07.2017

Bericht von Angela Dreßen
Redaktion: Livia Cárdenas

Die Tagung „(Art-) history goes digital. Reichweite und Grenzen digitaler Methoden in der historischen Forschung“ wurde von dem Münchner Netzwerk dhmuc organisiert und moderiert von Eckhart Arnold, Leiter des Referats für IT und Digital Humanities der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Anders als der Titel vermuten ließ, stammten die Beiträge aus fast allen Bereichen der Geisteswissenschaften. Allgemeine Fragen der digitalen Kunstgeschichte wurden in der abschließenden Paneldiskussion thematisiert – allerdings ebenfalls von den Nachbardisziplinen. Jedoch kann sich ein Blick von außen durchaus als fruchtbarer Denkanstoß für das eigene Fach erweisen.

Der erste Themenblock zu „Datenanalysen“ wurde von dem Informatiker François Bry (LMU München) mit „Worum es bei ‚Digital Humanities‘ eigentlich geht – Ein Denkanstoß“ eingeleitet. Aus seiner Sicht macht die Kombination von Datenanalyse und Bürgerwissenschaft die Digital Humanities (nachfolgend DH) aus. Die Arbeitsmittel bestehen aus Analyse- und Visualisierungsmethoden sowie den Kernfragen, die ein Projekt initiieren. Der Begriff der Bürgerwissenschaft wurde allerdings nicht näher thematisiert und blieb damit affirmativ. Brys Forderung der Integration der DH in das Studium ist zu folgen, wenn auch erst ab dem Master-Level und in enger Kooperation zwischen Geisteswissenschaften und Informatik.

Der Vortrag des Historikers David Schmiedel (Magdeburg) über das Projekt „Analysing Beliefs Religion and Hallowing Attributions in Modern Society“ (ABRHAMS) stellte einen religionssoziologischen Ansatz vor, der nach gemeinsamen Überzeugungen unter jungen Juden, Christen und Muslimen sucht. Der Beitrag zeigte eindrücklich die Schwierigkeiten der Datengewinnung als Basis jeder computistischen Analyse. Gebraucht wird eine kritische Menge an Daten aus möglichst heterogenen Quellen. Hierbei ist die Sprachbarriere das größte Problem.

Stefanie Schneider und Hubertus Kohle (terminlich verhindert) (LMU München) boten einen Beitrag zum Thema „Modelle zur Bestimmung von Ähnlichkeitsbeziehungen in der Kunstgeschichte“. Die Zusammenarbeit von Kunstgeschichte und Statistik bietet fruchtbare Analysemöglichkeiten. Hier ging es um das durch Social Tagging angereicherte Artigo Projekt, deren tags mithilfe einer Big Data Analyse ausgewertet werden. In Artigo werden Kunstwerke von Laien und Kunsthistorikern mit möglichst vielen Schlagworten (tags) versehen. Diese tags werden verarbeitet zur mathematischen Demonstration von Ähnlichkeiten zwischen Werken in Bezug auf Zitat und Emulation. Die Artigo Datenbank wurde auf lange Sicht mit dem Ziel der mathematischen Erhebung eingerichtet. Allerdings stellt sich die Frage der Qualität der Daten, die alle aus einer homogenen Quelle stammen, doch durch heterogene Nutzergruppen erbracht wurden, eben Laien und Kunsthistorikern. Den Anteil dieser Gruppen zu bestimmen, würde die Aussagekraft der Daten einordnen helfen. Aussagen können in jedem Fall getroffen werden. Doch bestimmt die Datenqualität Fragestellung und Ergebnis. Diese Differenzierung scheint bislang in das Projekt nicht einbezogen zu sein.

In dem Themenkomplex „Bildanalyse“ referierte Harald Klinke (LMU München) zu „Big Data in der Kunstgeschichte“. Er bot einen methodischen Diskurs zu Big Data in der Kunstgeschichte und ihre Erzeugung, doch ging es auch um die Frage der Daseinsberechtigung der digitalen Kunstgeschichte. Zur ersten Frage schlug er die Definition „volume – variety – velocity“ vor, die einen Erkenntnisgewinn durch Daten und deren Kontextualisierung ermöglichen. Als Beispiel diente hier wiederum Artigo, obschon es die bekannten Probleme der homogenen Quelle und nicht definierten Datenqualität hat. Klinke machte klar, dass Big Data derzeit eine der großen Herausforderungen für die Kunstgeschichte sei, die an die Grenzen des Kunstbegriffs stoßen würde, durch die Einbindung von Computer Learning, Deep Learning, Big Data und Close Data, deren Methode aber auch eine Quellenkritik erfordere. Zum zweiten Punkt, der Legitimität digitaler Kunstgeschichte, verwies er auf digitale wie auf digitalisierte Bilder sowie die digitale Gegenwartskunst, die alleine schon eine digitale Kunstgeschichte voraussetze.

Sabine Lang (Heidelberg) sprach über „Ordnungsbetrachtung im digitalen Kontext“. Hierbei geht es um eine Zusammenarbeit zwischen der Kunstgeschichte und der Computer Vision, die neue Bildanalysen anstrebt. Mithilfe von Diego Velázquez‘ „Las Meninas“ wurde aufgezeigt, wie Figurengruppen in Cluster eingeteilt werden können, um ihnen dann eine Klassifikation zuzuweisen. Die beiden Bereiche, das einzelne Bild und Bildersammlungen, wurden unterschiedlich tief beleuchtet. Bei der Bildanalyse von Velázquez fühlte man sich an die traditionelle Bildanalyse erinnert, die mittels Kompositionsschemata und Bedeutungsgruppen ein Bild deutet. Der neue digitale analytische Aspekt kam hier zu kurz wie auch das übergeordnete Projekt, welches nur angedeutet wurde.

Anschließend widmete sich eine Forschergruppe aus Passau (Simon Doing, Maria Christoforaki, Bernhard Bermeitinger, Siegfried Handschuh) dem Neoclassica Framework: „Visual artefacts through the Black Box: Analysing Deep Learning classification of Neoclassical furniture images“. Im Wesentlichen vergleichbar mit dem vorhergehenden Projekt und dem Ansatz von Analyse und Klassifizierung der materiellen Kultur ist das Passauer Projekt in seinen Methoden und Zielen jedoch weiter vorangeschritten. Hier werden Daten in der public domain (z.B. Daten des Metropolitan Museums in New York) durch scraping gesammelt und anschließend durch mining extrahiert und mit einem qualifizierten tagging versehen. Die Bilder werden auf die Ontologie des Neoclassica Frameworks gemappt, wobei Redundanzen gewünscht sind. Das Ziel ist eine Entstehung von Klassen durch einen data-driven approach bottom up, mit dem künftig visuelle Übereinstimmungen festgestellt werden können.

Einen Einstieg in den Block „Geo-Daten und Visualisierung“ bot Andreas Dix aus der Historischen Geographie (Bamberg) zum Thema „Historisches Informationssystem zu den Staatenwelten Mitteleuropas in der Frühen Neuzeit“, ein Überblick zu seinem Projekt FNZ GIS, in dem historische Karten zu Staaten, Staatengruppen und Regionen durch GIS Technologie aufbereitet werden und dadurch Einblicke und interaktive Abfragen in differenziertere geographische Karten ermöglicht. Dieses Projekt knüpft an das HGIS Germany an, versucht aber durch weitere geographische Differenzierung und interaktive Zeitdifferenzkarten mehr Einblicke und Abfragen zu ermöglichen. Allseits wurde dieses Projekt als für viele Fachrichtungen nützlich angesehen.

Das musikwissenschaftliche Projekt aus Salzburg basiert auf einer Kooperation von Musikwissenschaft und Geoinformatik (Andrea Lindmayr-Brandl und Caroline Atzl): „VDM Maps: Frühe deutsche Musikdrucke in Raum und Zeit“. Hier wird eine Datenbank erstellt, deren bibliographische Einträge Grundlage der folgenden computergestützten Abfrage sind und somit eine einheitliche Datenbasis hat. Darüber hinaus sollte durch eine Kooperation mit der Geoinformatik eine Verbreitung der Drucke in Zeit und Raum dargestellt werden. Die Daten werden daher auf dem Datenbankserver mit im Hintergrund liegenden Karten des GIS Servers verbunden.

Albert Weber (Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung) sprach über „Quantitative Analysen zum dokumentarischen und narrativen Quellenbestand zur Herrschaft des Vlad Dracula (1431-1476)“. Auch hier geht es um eine selbsterstellte Datenbank, bestückt aus unterschiedlichen historischen Quellen. Die Datenbank stellt eindrücklich einen Stoffkomplex dar. Das Manko dieser datengestützten Forschung ist aber, den eigenen Forschungsansatz in den Vordergrund zu stellen für ein letztlich begrenztes Gebiet.

Der vierte Themenblock widmete sich der „Netzwerkanalyse“. Paul Thurner (LMU München, Politikwissenschaften) präsentierte das Gemeinschaftsprojekt „Network Interdependencies and the Evolution of Arms Trade 1953-2013“. Dieses Projekt zum weltweiten Waffenhandel stellt exemplarisch dar, wie Netzwerkanalysen funktionieren und welche Hilfe in der Visualisierung und Deutung die Methode mit sich bringt. Benutzt wurden die klassischen node attributes sowie Temporal Exponential Random Graph Models (TERGMs).

Der Beitrag zu „Dynastie im Raum. Die Grabstätten der Habsburger“ stellte exemplarisch die Verankerung der DH in der Lehre dar. Zur Verdeutlichung diente eine gemeinschaftlich von dem Seminarleiter und Studenten durchgeführte Präsentation (Mark Sven Hengerer, Isabella Hödl-Notter, Julian Schulz – Historisches Seminar der LMU München). Die technische Umsetzung des Projektes erfolgte mit Leaflet, einer JavaScript-Bibliothek zur Erstellung dynamischer Karten. Großer Wert wurde bei dem Vortrag auf die Umsetzung des Projektes in der Lehre gelegt und betont, dass die DH einige der wenigen Möglichkeiten zur Teamarbeit in den Geisteswissenschaften bieten würden. Schwierigkeiten zeigen sich in einer kaum möglichen individuellen Benotung und der zu knappen Zeit eines Semesters für den Abschluss eines solchen Projektes, da die Datenaufnahme den gleichen Zeitraum einnimmt wie die Datenbereinigung.

Abschließend sprach Emanuele Sbardella (Berlin) über den „Atlas der Numismatischen Landschaften im Nationalsozialismus (#AtNuL_NS)“. Der Atlas soll eine topographische und raumsoziologische Aufnahme und Darstellung ermöglichen. Dieses Projekt kann für die Provenienzforschung von großem Nutzen sein, vor allem hinsichtlich der geographischen Verteilung ehemaligen jüdischen Besitzes. Die Bedeutung des Themas wurde deutlich, von der digitalen Umsetzung war allerdings wenig sichtbar.

Die abschließende Paneldiskussion zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen formaler Methoden in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ wurde von Sozial- und Politikwissenschaftlern und Medientheoretikern geführt (Paul Thurner, Politikwissenschaft, München. Ramón Reichert, Medientheoretiker, Wien. Nicole J. Saam, Sozialwissenschaftlerin, Erlangen-Nürnberg). Die Möglichkeit der Übertragung von Methoden der Sozial- und Medienwissenschaft auf die Kunstgeschichte wurde hier nicht so sehr in Frage gestellt, sondern eher als Voraussetzung diskutiert und so unterstrichen vor allem Reichert und Thurner deren Applizierung als allgemeingültig. Provokant, doch damit zum Nachdenken anregend war der Beitrag von Saam. Zu ihren Thesen gehörte die Feststellung, dass nur die Applizierung aller DH Methoden ein Fach in den richtigen DH Ansatz rücken würde. Digitalisierung allein sei keine Formalisierung und eine Anwendung von mathematischen Analysen könne auch nur mathematische Ergebnisse hervorbringen. Im Falle der Big Data insistierte sie darauf, dass die Verarbeitung von großen Datenmengen allein keine Big Data Analyse darstelle, sondern dass es um Komplexität und Heterogenität von Daten und Datenquellen gehe. Insofern gibt es bislang kein Big Data Projekt in der Kunstgeschichte. Die Diskutanten waren sich einig, dass die Methodenlehre derzeit in allen Fächern wieder eine große Rolle spiele und zur Einrichtung von Lehrstühlen für Methodik geführt hätte. In den DH seien sie fundamental, wobei dieser Ansatz diskussionswürdig war, da Methode und Fragestellung zwar Hand in Hand gehen, doch die Fragestellung nicht in den Hintergrund rücken sollte.

Ein Titel wie „Humanities go digital“ wäre für die Tagung sicher passender gewesen. Sie zeigte eindrücklich den Nachholbedarf der Kunstgeschichte. Nichtsdestotrotz wurde die Tagung als Veranstaltung gewürdigt, die Geisteswissenschaftlern einen fundierten Austausch zu digitalen Fragen ermöglichte. Die eingangs von Bry formulierte These, DH könne nur sinnvollerweise in Zusammenarbeit mit Informatikern umgesetzt werden, wurde an vielen praktischen Beispielen demonstriert. DH als geisteswissenschaftliche Disziplin, die wohl als interdisziplinärste Disziplin in den Geisteswissenschaften gelten kann, was gerade einer ihrer großen Vorteile ist, könnte bei dieser Art von Tagung zwar deutlich werden, wurde jedoch nicht angesprochen, wenngleich fast alle geisteswissenschaftlichen Bereiche vertreten waren. Doch ist eine projektbezogene Zusammenarbeit über die Kooperation mit Informatikern und Informationstechnologen hinaus leider noch allzu selten.

Empfohlene Zitation:
Angela Dreßen: [Tagungsbericht zu:] (Art-) History goes digital. (München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, 21.07.2017). In: ArtHist.net, 03.10.2017. Letzter Zugriff 17.11.2024. <https://arthist.net/reviews/16374>.

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