REV 14.06.2007

Uta Barbara Ullrich: Der Kaiser im "giardino dell'Impero"

Rezensiert von Dietrich Erben
Redaktion: Carolin Behrmann

Das Buch von Uta Barbara Ullrich widmet sich einem Thema, das man früher unter dem Titel „Das Nachleben von Kaiser Karl V. in der Kunst Italiens“ gefeiert hätte. So lauteten einmal einschlägige Titel „Das Nachleben von Hans Sachs“ (1904) oder das „Nachleben der Antike“ (1911). Begriff und Idee des „Nachlebens“ haben zwar immer noch Konjunktur, freilich steht man ihnen auch skeptisch gegenüber. Anstatt von einem geschichtsmächtigen Ruhm auszugehen, der auf der Behauptung der historischen Größe einer Person und seines Werks oder der normativen Geltung einer Epoche beruht, richten sich nun die Fragen auf die vielfältigen Bedingungen für die spätere Berufung auf eine historische Gestalt oder Epoche. Aus der Sicht der Rezeptionsgeschichte gilt die Aufmerksamkeit den Vermittlungswegen von historischen Themen ebenso wie deren Benutzungskontexten innerhalb spezifischer zeitgeschichtlicher Situationen und gesellschaftlicher Milieus. Die methodische Konsequenz und Originalität der vorliegenden, in Bonn begonnenen und an der Berliner Humboldt Universität abgeschlossenen Dissertation bestehen darin, dass die Verfasserin Rezeptionsgeschichte und politische Ikonographie verbindet. Ausgehend von den res gestae Karls V. mit ihren historischen Problemlagen entwirft das Buch ein überaus detailliertes Bild von deren Visualisierung im Rahmen von Ausstattungsprogrammen, die seit der späteren Regierung Karls V. und über dessen Tod im Jahr 1558 hinaus entstanden sind. In einer beeindruckenden Syntheseleistung, die das kunsthistorische Material in ungewohnter Ausführlichkeit in die historischen Zusammenhänge integriert, entfaltet das Buch ein Panorama der politischen Ikonographie Italiens in der zweiten Hälfte des Cinquecento.

Wenn Karl V. nicht nur durch die eigene Kunstpatronage, sondern auch durch zahllose italienische Auftraggeber eine einzigartige Verbildlichung erfahren hat, so verdankt sich dies der Tatsache, dass die Politik des Kaisers die Geschichte der italienischen Staatenwelt seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in singulärer Weise bestimmte. Unter dem Einfluss seines Großkanzlers Mercurio di Gattinara gewann Italien im politischen Handeln Karls V. vor der Reichspolitik Priorität. Umgekehrt schuf das nach dem Frieden von Cambrai (1529) errichtete System spanischer Vorherrschaft in Italien Strukturen, die für fast zwei Jahrhunderte die Geschichte der Apenninenhalbinsel prägten. Dies betraf nicht nur die großen Staaten der italienischen Pentokratie, sondern auch die mittleren Territorien und sogar einzelne Städte. Und dies galt keineswegs nur für eine territorial begründete Friedensordnung, sondern auch für andere Felder wie die Türkenfrage sowie auch für den in die Politik integrierten Lebensbereich der Religion, insbesondere die Auseinandersetzung mit den Protestanten und die Frage des Konzils in der Kontroverse mit dem Papsttum.

Die für das Thema relevante bildliche Hinterlassenschaft ist immens und in ihrer chronologischen und regionalen Streuung sowie in ihrer gattungsmäßigen und ikonographischen Breite heterogen. Es gehört zu den Stärken des Buches, dass Barbara Ullrich auf der einen Seite eine Materialauswahl vornimmt, um zu einer angemessenen argumentativen Vertiefung zu kommen, auf der anderen Seite aber in zahlreichen Ausblicken auch einen Eindruck von der Fülle der Bildüberlieferung vermittelt. In ihrer Auswahl trifft die Autorin mehrere Vorentscheidungen: Sie konzentriert sich auf die Wiedergabe zeitgeschichtlicher Szenen und kommt auf Darstellungen, die Karl V. in mythologischer Verhüllung als Jupiter, Apoll oder Herkules zeigen, nur am Rande zu sprechen. In chronologischer Hinsicht handelt es sich bei den ins Zentrum der Untersuchung gerückten Programmen meist um postume, nach etwa 1560 entstandene Bildzyklen. Im Hinblick auf die Entstehungsmilieus der Bildprogramme werden die unabhängigen Staaten Mittel- und Oberitaliens – Rom, Florenz und Venedig – untersucht, während das spanische Vizekönigtum im Süden der Halbinsel und der direkt beherrschte Bereich der Lombardei ausgespart bleiben. Letzteres mag man bedauern, doch ist die Ausgrenzung von Neapel und Mailand aus pragmatischen Gründen völlig nachvollziehbar. Gleichzeitig eröffnet sich mit der Perspektive auf Rom, Florenz und das Veneto der Blick auf eine höchst vielfältige politische Landschaft, die in je unterschiedlicher Weise mit der spanischen Suprematie konfrontiert war. Dies gilt für die päpstliche Wahlmonarchie ebenso wie für das toskanische Herzogtum und den republikanisch geführten venezianischen Flächenstaat. Ihnen ist jeweils ein Hauptkapitel des Buches gewidmet. Es begründet die innere Konsistenz der Studie, wenn Ullrich bei ihrer Deutung der Bildprogramme die argumentative Leitlinie verfolgt, die auf Karl V. bezogene Huldigungsikonographie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen politischen Strukturbedingungen der drei genannten Regime zu lesen.

Sowohl in Rom als auch Florenz war die Kaiserkrönung in Bologna 1530 die zentrale historische Referenz. Es konnte im Grunde nicht ausbleiben, dass man in Rom während der Pontifikate von Clemens VII. Medici und Paul III. Farnese auf dieses Ereignis für die Behauptung der päpstlichen Suprematie rekurrierte. Gleichzeitig folgt es den Mechanismen familial begründeter Herrschaftsexpansion, dass dieses Thema zusammen mit weiteren Ereignissen der Italienaufenthalte Karls V. und von dessen militärischen Kampagnen gegen Osmanen und Protestanten auch in den Residenzen von Mitgliedern der Papstfamilien zur Darstellung gelangte. Unter Paul III. wurden unterschiedliche Szenen sowohl in der Sala Regia des Vatikan und im Palazzo della Cancelleria wie auch in den Familienresidenzen in Rom und Caprarola in weit aufgespannte Historienzyklen eingebunden. Im Zusammenhang mit dem römischen Auftragsmilieu – in diesem Abschnitt machen sich bisweilen Probleme bei der Regie des Buches bemerkbar – wird von Ullrich erstmalig der aus sechzehn Szenen bestehende, in die Jahre nach 1577 datierte Karlszyklus im Palazzo Caffarelli in einem monographischen Kapitel gewürdigt. Mit einem reichen Aufgebot an antiken Bildformeln und Ideen huldigt die Bildfolge dem von der imperialen Tradition Roms her verstandenen Kaisertum und mit ihm dem Prestige des römischen Adels. Als Auftraggeber des Zyklus lässt sich Ascanio Caffarelli namhaft machen, der dem spanischen Hof persönlich verbunden war, und dies für sich als signum nobilitatis vereinnahmte.
Ähnlich wie die Farnese verdankten auch die Medici in Florenz ihre Fürstenherrschaft dem päpstlichen Rückhalt aus Rom und dem militärischen Flankenschutz des Kaisers. Anhand der auf Karl bezogenen Programmanteile innerhalb der Ausstattungsikonographie des Palazzo Vecchio, der nach der Etablierung des Ducato unter Cosimo I. de’Medici zur Fürstenresidenz umfunktioniert wurde, lässt sich zeigen, wie für diese auf durchaus prekären Grundlagen beruhende Herrschaft bildlich ein Programm politischer Selbstbehauptung formuliert wurde.

In Venedig dokumentiert sich die Ikonographie Karls V. nur sporadisch und verspätet, während sie in den Terrafermastädten Verona und Vicenza in freskierten Ausstattungen von Privatpalästen eine überraschende Konjunktur erlebt. Abseits der berühmten Stationen im Itinerar des Protagonisten wird hier nicht primär dessen Reise nach Bologna aufgerufen, zur Darstellung gelangen vor allem die späteren Italienzüge, die den Kaiser nach 1530 auch mehrfach durch das Veneto führten. Wenn Mitglieder des örtlichen Patriziats in der Terraferma an diese Episoden der Kaiservita bildlich erinnerten, so waren damit oftmals persönliche oder familiäre Reminiszenzen verbunden. Die Akzentuierung der Ausstattungsprogramme auf Karl V. war aber vor allem an die venezianische Herrschaftszentrale adressiert, ließ sich doch durch die Berufung auf den Kaiser auch an die ehemalige Unabhängigkeit des Veneto innerhalb des Reichsverbandes erinnern.

Man legt das Buch von Barbara Ullrich nach der Lektüre um viele Kenntnisse und Einsichten reicher aus der Hand. Bemerkbar macht sich aber auch ein Moment der Ernüchterung angesichts einer eigentümlichen Gleichförmigkeit der Bildwelten, deren Ikonographie die Autorin erstmals erschlossen hat. Es ist nicht zu übersehen, dass die inhaltliche Topik der Bildprogramme gerade bei den in der Studie aufgerufenen Kronzeugen mit einer beträchtlichen künstlerischen Redundanz verbunden ist. Vieles spricht dafür, dass die Auftragskunst Karls V., die von Ullrich etwas despektierlich als „habsburgische Propagandamaschinerie“ tituliert wird, von einer originäreren Prägung ist. Souveräne künstlerische Stellungnahmen zu Karl V., wie sie Tizian im Auftrag des Kaisers geschaffen hat, sind in der visuellen Rezeption von dessen Politik ferngerückt. Es sei dahin gestellt, ob man diesen Befund für eine Kunst des „Nachlebens“ verallgemeinern möchte.

Ullrich, Uta Barbara: Der Kaiser im "giardino dell'Impero". Zur Rezeption Karls V. in italienischen Bildprogrammen des 16. Jahrhunderts (= Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2006
ISBN-10: 3-7861-2529-5, 318 S., EUR 68.00, sfr 115.00

Empfohlene Zitation:
Dietrich Erben: [Rezension zu:] Ullrich, Uta Barbara: Der Kaiser im "giardino dell'Impero". Zur Rezeption Karls V. in italienischen Bildprogrammen des 16. Jahrhunderts (= Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte), Berlin 2006. In: ArtHist.net, 14.06.2007. Letzter Zugriff 27.04.2024. <https://arthist.net/reviews/162>.

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