REV 02.05.2007

Birte Pusback: Stadt als Heimat

Rezensiert von Sigrid Brandt, Universität Salzburg
Redaktion: Livia Cárdenas

„War [die Denkmalpflege] ein Teil aktiver NS-Kulturpolitik? Führte sie nur fort, was sie methodisch und konzeptionell schon in den 20er Jahren vorbereitet hatte […]?“(S. 13) Das ist die zentrale Frage, mit der sich Birte Pusback in ihrer Publikation auseinandersetzt. Die Forschung zur Denkmalpflege der 1930er Jahre steckt noch immer in den Anfängen. So konnte sich Birte Pusback mit ihrer Untersuchung, die aus ihrer Dissertation am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg hervorging, nur auf drei größere Studien stützen. Christoph Hellbrügge verortete 1991 die deutsche Denkmalpflege „im Fahrwasser des Nationalsozialismus“; Paul Clemen, Franz Graf Wolff von Metternich, Robert Hiecke sind in seiner Arbeit mit begeisterten politischen Bekenntnisreden von 1933 zitiert. [1] Mit seinem Anspruch, eine „in erster Linie fachliche Arbeit zur Denkmalpflege“ schreiben zu wollen und „nur in zweiter Hinsicht eine Untersuchung zum Nationalsozialismus“ vorzulegen, versuchte Thomas Scheck, dieser einseitigen Sichtweise zu entkommen.[2] Er stellte die „bedingte Allianz der Denkmalpflege mit der Macht“ heraus (S. 130), im Rahmen derer sich der Denkmalpflege vorher ungekannte Möglichkeiten darboten. Zugleich verwies er auf „hervorragend gelungene Instandsetzungen von einzelnen Bauwerken“. (S. 122) Wiederum einen anderen Weg ging Susanne Fleischner. [3] Sie untersuchte die „schöpferische Denkmalpflege“ im Kontext völkischer Geisteshaltungen und nationalsozialistischer Kulturideologie und zeigte eine „gemeinsame Wurzel von Denkmalpflege, Heimatschutz, völkischem Gedankengut und Nationalsozialismus“ im „konservativen Denken der 10er und 20er Jahre“ auf. (S. 23)
Birte Pusbacks Studie besteht aus drei großen Abschnitten. Im ersten Teil ihrer Arbeit gibt die Autorin einen umfänglich recherchierten Überblick über die Ausgangssituation für die denkmalpflegerischen Vorhaben des NS-Zeit: den baulichen Zustand der Altstädte, die damals bereits vorgenommenen Altstadtuntersuchungen, Sanierungskonzepte, rechtliche Grundlagen. Im zweiten Teil untersucht sie vergleichend ausgewählte Altstadtwiederherstellungen in der NS-Zeit, im dritten Teil widmet sie sich ausführlich dem Beispiel der „Wiederherstellung“ der Danziger Rechtstadt.
Das Kapitel „Das gewandelte Denkmalverständnis“ (S. 45-52) ist aus Sicht der Rezensentin von besonderem Interesse, da es eine gewisse Symptomatik für die gesamte Studie aufweist. Pusback thematisiert darin die Veränderungen, die in den dreißiger Jahren zu einem neuartigen Selbstverständnis der Denkmalpflege führten. Paul Clemen (1866-1947) nimmt mit seiner These vom „Symbolwert des Denkmals“ in der theoretischen Auseinandersetzung dieser Zeit eine bekanntermaßen zentrale Rolle ein. Seine Abkehr vom rein konservierenden Prinzip, eine grundsätzliche Akzeptanz von Eingriffen, die die Bausubstanz verändern, und die (aus heutiger Sicht kaum mehr einleuchtende) Unterscheidung von „toten“ und „lebendigen“ Denkmalen zählen zu seinen wichtigsten Überlegungen. Pusback nimmt zwar die nationale Färbung von Clemens Überlegungen wahr, weicht aber der direkten Auseinandersetzung mit diesem Problem aus. Das Denkmal sei, so Pusback, bei Clemen nicht mehr historisches Dokument, „sondern ein Symbol für etwas anderes, was auch immer dies sein sollte – ‚deutsche Größe’.“ (S. 50) Clemens nationalsozialistische Töne übersieht Pusback dabei völlig. Sein Bezug auf das „hoffnungsstark in die Ferne weisende Wort des Führers“ [4], das Aufbruchssignal des Jahres 1933, thematisiert sie ebensowenig wie Clemens unselig geheimnisumwitterte, von Magie und Mythos beschwerte, in ihrem Pathos streckenweise schwer erträgliche Sprache. Dass Clemen an der Denkmalrezeption in der vorgestellten Weise Interesse hat, ist eine recht euphorische Lesart: bei Clemen müsse „ein Rezipient […] erst die Bedeutung konzipieren“, nimmt Pusback an. (S. 51) Das Gegenteil ist der Fall: Clemen glaubte an eine Kontinuität der Deutungen, an ewige Gehalte, an eine „unübersehbare Reihe von Bildwerken, […], die ihre Deutung von selbst darbieten.“ [5] Der bei Alois Riegl vorbildlich formulierte Gedanke, dass erst die Gegenwart Werke der Vergangenheit zu Denkmalen mache, wird bei Clemen in sein Gegenteil verkehrt: Monumentale Bauwerke verkörpern seiner Meinung nach „für die ganze Bevölkerung verständlich das lebendige aus der großen Vergangenheit und ihrem Reservoir geheimer Mächte gespeiste Gewissen […], sind Träger des Gefühls, der Ehrfurcht, der Bodenverbundenheit auch im kleinsten Kreis und im kleinsten Maßstab.“ (S. 5) Clemen mag aus heutiger Sicht nicht so brisant erscheinen wie der „Fall“ Dagobert Frey. [6] Dennoch hätte Pusback auf die Ambivalenz seiner Denkmaltheorie eingehen müssen. Clemen wird hier in unangemessener Weise entpolitisiert, womit Pusback gleichsam das andere Extrem zu Christoph Hellbrügges eingangs erwähnter Sichtweise liefert.
Klarer und gründlicher geht Birte Pusback indes mit den Begriffen „Heimat“, „Heimatliebe“, „Verschandelung“, „Entschandelung“, der Krankheitsmetapher im Sprachgebrauch der Denkmalpfleger, auch der geforderten „Gesundung“ des „Fremdkörpers“ um. Auf die Verwendung des Begriffs „Ganzheit“ verweist sie anhand Wilhelm Pinders Rede auf dem Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz 1933 – „Wir aber wollen ganzheitlich werden! Das ist ein wesentlicher Sinn des Nationalsozialismus.“ [7] Diskutiert im eigentlichen Sinne wird der Terminus jedoch nicht und bleibt daher konturlos. [8] Wenngleich auch beinahe sämtliche Begriffe bekanntermaßen keine nationalsozialistischen Erfindungen waren, so erfordert dennoch das zeitgenössische Vokabular erhöhte Aufmerksamkeit seitens der heutigen Forschung. Pusback aber hat für Sprache und Wortwahl denkmalpflegerischer Publikationen aus ihrer Untersuchungszeit eine einfache, nicht weiter erhellte Erklärung: Sie „waren dem Zeitgeist geschuldet.“ (S. 106)
Die minutiöse Beschreibung der denkmalpflegerischen Maßnahmen sowie die vier Städtebeispiele (Frankfurt am Main: Das Zonenmodell; Hamburg: Die Traditionsinsel; Nürnberg: Die „Entschandelung“ der gesamten Altstadt; Stralsund: Die vorbildliche Straße) im zweiten Teil wiegen den Mangel an begrifflicher Auseinandersetzung nicht auf.
Im Falle Danzigs (Teil 3) beschreibt Pusback nach einer kurzen Zusammenfassung der Stadtgeschichte auch die „Vorgeschichte der Wiederherstellung“, also die baulichen Veränderungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bei Neubauten im historischen Umfeld waren die alten Grundstücksabmessungen nicht mehr beibehalten worden, der Maßstab der schmalen Bürgerhäuser wurde aufgegeben, die Häuser bekamen neuartige Dachformen. (S. 203) Besonders markant war der Streit um das Warenhaus „Walter & Fleck“, dessen Neubau mehrere Grundstücke überspannen sollte. Die Frage, ob eine horizontal gelagerte Architektur oder eine Giebelstruktur das Erscheinungsbild des Neubaus prägen sollte, erregte die Gemüter und zeigt exemplarisch die Auseinandersetzung zwischen neuem und konservativem Bauen am Ende der 1920er Jahre. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurden denkmalpflegerische Belange vorangetrieben und finanziell besser unterstützt als je zuvor. Die Bürgerhäuser der gesamten Danziger Rechtstadt waren bis 1938 aufgenommen, die Kirchen in ihrem Inneren beschrieben und fotografiert worden. Otto Kloeppel entwarf 1935 das Konzept zur „Wiederherstellung“, das „aufs Ganze gehen und das alte Stadtbild als Einheit […] erhalten“ wollte. (S. 224) Praktisch bedeutete dies die Vereinfachung und den Rückbau der im 19. Jahrhundert veränderten Giebelhäuser und der Neubauten.
Die Umsetzung von Kloeppels Konzept geschah unter medialer Vermittlung des Bildes vom „deutschen Danzig“. Den Streit um die Deutungshoheit des Danziger Erbes, der nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Polen und Deutschen ausgetragen wurde, beschreibt Pusback eindrücklich. Auch die Position Kloeppels, der sich der nationalsozialistischen Rassenlehre verpflichtet fühlte, erfährt in Ansätzen eine Differenzierung. Den Ostforschern – in Schlesien waren es Dagobert Frey und Günther Grundmann – lag vor allem daran, die Kunst Polens als „deutsch“ zu beschreiben und mit kunsthistorischen Methoden nationalsozialistische Expansionspolitik zu sanktionieren. [9] Die Polen ihrerseits versuchten, die Kunst des Landes als originär polnisch darzustellen. Wie erbittert der Kampf erst in einer nationalpolitisch so umfochtenen Stadt wie Danzig war, läßt sich kaum erahnen: Birte Pusback berichtet, dass just nach Erscheinen eines polnischen Bildbandes über Danzig die Inventarisierungsbestrebungen beschleunigt wurden, um den Bestand Danziger Kunst- und Bauwerke als „deutsch“ zu reklamieren. (S. 265)
In Pusbacks Resümee wird der Denkmalpflege in der untersuchten Zeit als wesentliches ästhetisches Merkmal eine „eigentümliche Mixtur aus Rekonstruktion, Retro und gemäßigter Moderne“ bescheinigt. (S. 273) Methodisch sei sie schwer zu bestimmen, da es an klar definierten theoretischen Grundsätzen mangele. Ob die Denkmalpfleger Opfer eines Missbrauchs gewesen seien oder bewusst sich der herrschenden Partei und ihrer Propaganda bedient hätten, sei weder mit „Ja“ noch mit „Nein“ zu beantworten. Eine solche positivistische Beliebigkeit, wie sie aus Pusbacks Urteil spricht, erschreckt, wären doch aus einer Auseinandersetzung mit den Begriffen „Schönheit“, „Harmonie“, „Ganzheit“ und dem neuerlichen Historismus der dreißiger Jahre, mit einem kulturkritischen Ansatz, tiefergehende Einsichten möglich gewesen. Man legt das Buch, obgleich es eine reiche Menge bisher unbekannten Materials bietet, mit einigem Unbehagen aus der Hand.

Anmerkungen:
[1] Christoph Friedrich Hellbrügge, Konservieren, nicht restaurieren. Bedeutungswandel und Anwendungspraxis eines Prinzips der Denkmalpflege im 20. Jahrhundert in Deutschland, Bonn 1991. „Die Denkmalpflege im Fahrwasser des Nationalsozialismus“ ist der Titel des vierten Kapitels (S. 193-212) des Buches.
[2] Thomas Scheck, Denkmalpflege und Diktatur im Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 9.
[3] Susanne Fleischner, Schöpferische Denkmalpflege. Kulturideologie des Nationalsozialismus und Positionen der Denkmalpflege, Münster 1999.
[4] Paul Clemen, „Die Deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis“, in: Zeitschrift des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz, Jg. 26, H. 2, Berlin 1933, S. VIII.
[5] Clemen 1933 (wie Anm. 4), S. 4.
[6] Beate Störtkuhl, „Paradigmen und Methoden der kunstgeschichtlichen ‘Ostforschung’ – der ‘Fall’ Dagobert Frey”, in: Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, hg. v. Robert Born, Alena Janatková, Adam S. Labuda, Berlin 2004, S. 155-172.
[7] Wilhelm Pinder, „Die Rettung der deutschen Altstadt“, in: Denkmalpflege und Heimatschutz im Wiederaufbau der Nation. Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz Kassel 1933, Tagungsbericht 1934, S. 132.
[8] Die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Anne Harrington hat sich in ihrer großen Arbeit von 1996 mit dem Begriff der Ganzheit ausführlich beschäftigt und auch „Ganzheit“ im Nationalsozialismus untersucht: Anne Harrington, Die Suche nach Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren. Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung, Reinbek bei Hamburg 2002.
[9] Vgl. Störtkuhl 2004 (wie Anm. 6).

Pusback, Birte: Stadt als Heimat. Die Danziger Denkmalpflege zwischen 1933 und 1939, Köln [u.a.]: Böhlau Verlag 2006
ISBN-13: 978-3-412-08006-8, 341 S, ca. EUR 44.90

Empfohlene Zitation:
Sigrid Brandt: [Rezension zu:] Pusback, Birte: Stadt als Heimat. Die Danziger Denkmalpflege zwischen 1933 und 1939, Köln [u.a.] 2006. In: ArtHist.net, 02.05.2007. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/160>.

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