Die Rezzonico besaßen Geduld. Über 60 Jahre warteten sie nach ihrer Aufnahme in den venezianischen Adel, bis sie ein Objekt erwarben, das die drei wichtigsten Kriterien beim Immobilienkauf erfüllte: Lage, Lage, Lage. Am Canal Grande entstand ein imposanter Familienpalast, der ab 1758 das päpstliche Wappen trug, da ein Mitglied der Familie den Thron Petri bestieg. Die Rezzonico hatten es geschafft: in zwei unterschiedlichen Systemen, Venedig und Rom, war ihnen, flankiert durch ihre Kunstpatronage, der soziale Aufstieg gelungen.
Den Weg dorthin und ein Stück darüber hinaus zeichnet Almut Goldhahn akribisch in einer Langzeitstudie nach, die sozial- und kunsthistorische Fragen verknüpft. Längst sind Francis Haskell‘s „Patrons and Painters“ von 1963 zum Klassiker avanciert, die in den letzten Jahren durch kunstsoziologische Studien (z.B. Arne Karsten) erweitert werden konnten, wurden einzelne Paläste monographisch erschlossen und ikonographische Vorlieben adliger Auftraggeber untersucht. Doch noch immer wissen wir zu wenig selbst über die renommiertesten Adelsfamilien und ihre Kunstpatronage.
Ein Grund hierfür liegt darin, dass kaum Familienarchive existieren. Die höchst findige Almut Goldhahn musste daher für ihre Forschungen unter anderem Notariatsakten und Briefkonvolute in Venedig und Rom auswerten. Es ist höchst beachtlich, was sie auf dem Umweg über diese Nebengleise erfahren und zu einem detaillierten Bild zusammengesetzt hat. Ihr Interesse gilt primär der Rekonstruktion der Familiengeschichte der Rezzonico und ist vor allem der Netzwerkforschung verpflichtet. Die Fülle der Erkenntnisse, die Almut Goldhahn in diesem Bereich vorlegt, kann allenfalls grob skizziert werden.
Der Aufstieg der Familie begann mit Aurelio Rezzonico, der 1632 in Venedig Fuß fasste und in den Odescalchi Geschäftspartner fand, die 1676 mit Innozenz XI. einen Papst stellten. Über den Quecksilberhandel wurden die Rezzonico kaiserliche Kreditgeber, betätigten sich im Bankgeschäft und waren 1681 am Finanztransfer zur Verteidigung Wiens gegen die Türken beteiligt, woraus sie ikonographischen Nutzen ziehen sollte. 1698 erhielten die 1665 zu Liberi Baroni del Sacro Romano Impero ernannten Rezzonico das Privileg, die kaiserliche Krone im Wappen zu tragen – auch hiervon machten sie exzessiven Gebrauch.
Es mag erstaunen, dass die ehrgeizige Familie nicht die erste Gelegenheit nutzte, den venezianischen Adelstitel zu erwerben; möglicherweise scheuten sie die Folgekosten der Ämterpflicht. Erst Quintiliano Rezzonico reichte 1687, nach Beratungen mit seinem Freund, dem Papstnepoten Livio Odescalchi, das Gesuch ein.
Das Verhältnis von altem und neuem Adel ist wiederholt Gegenstand historischer Forschung gewesen, die lange vorzugsweise die Kluft zwischen den Parteien betonte. Gerade das Beispiel der Rezzonico zeigt die Notwendigkeit der Differenzierung nach Einzelfällen. So konnte die Familie über mehrere Generationen äußerst respektable Heiraten mit den Töchtern des alten Adels arrangieren, mit denen sie strategisch ihre Netzwerke erweiterten, deren viele Fäden Almut Goldhahn entwirrt. Giovanni Battista Rezzonico heiratete 1691 in die Familie Barbarigo ein, die ebenso zu den papalisti gehörte wie die Giustiniani, mit denen die nächste Generation sich verband. Da die Aufstiegschancen für Neuadlige in Venedig dennoch begrenzt waren, investierte die Familie in einen zweiten Karriereweg in Rom. Die Verfasserin verfolgt ihren Aufstieg an der Kurie, insbesondere den Werdegang Carlo Rezzonicos. Am 6. Juli 1758 hieß es für die Familie: „Wir sind Papst“. Als Clemens XIII. schleuste Carlo Rezzonico seine Neffen umgehend in wichtige Lebenszeitämter oder brachte sie in Vertrauenspositionen, von denen der nächste Papst sie zuverlässig nach oben wegloben würde; der Nepotismus erlebte eine späte Hochblüte.
Almut Goldhahn hat zahlreiche Archivalien aufgespürt, die uns direkten Einblick in die Entscheidungsfindungsprozesse mehrerer Generationen der Rezzonico gewähren. Aus den Quellen rekonstruiert sie die Taktik, mit der über 150 Jahre in soziales und kulturelles Kapital investiert wurde. Die Rechnung geht in der Gesamtschau fast zu gut auf. An einigen Stellen blitzt die Gefahr auf, Entwicklungen zu einseitig auf scharf kalkulierende Karriere- und Netzwerkplanung zurückzuführen. Den Akteuren, auch wenn sie längst verstorben sind, wäre es zu wünschen, dass ihren Plänen wenigstens hin und wieder das Leben in die Quere kommt und für Würze sorgt – wie im Fall jenes Abbondio Rezzonico, von dem wir Dank der Archivfunde Almut Goldhahns wissen, dass er sich wegen vermeintlicher (?) Spielschulden mit dem Papstnepoten überwarf. Diese Erklärung für den konsequent eingetretenen Karriereknick kann man als Hypothese nicht vorschlagen, sondern nur „finden“. Die Unwägbarkeiten eines menschlichen Lebens können nun einmal schwer einkalkuliert werden, und Almut Goldhahn ist umsichtig genug, sie als Möglichkeit nie ganz auszuschließen.
Zudem bringt sie ein gutes Gespür dafür mit, wo kurze, konzise und erfreulich unprätentiöse Einführungen zum Verständnis komplexer Sachverhalte hilfreich sind, denn ohne Grundkenntnisse z.B. der nicht wenigen Besonderheiten Venedigs oder des Stellenwerts der Ämter an der Kurie wären die Überlegungen der Rezzonico nicht immer nachvollziehbar. Mit Geschick gelingt es Almut Goldhahn, den historischen Forschungsstrang der Netzwerkforschung mit dem kunsthistorischen der Kunstpatronage zu verflechten, so dass sich Kapitel zur Familiengeschichte mit solchen über die visuellen Strategien der verschiedenen Rezzonico-Generationen zwanglos abwechseln.
Es passt ins Muster neuadliger Kunstpatronage, dass die Rezzonico beim Aufbau ihrer Sammlung Gemälde der gefragtesten Künstler der Zeit, wie Langetti und Loth, erwarben. Mit ihrem Bestand an Odescalchi-Porträts hingegen spielten sie ihre Beziehung zu Rom in den Vordergrund, was in Venedig nicht weniger eine Gratwanderung war, als die Betonung der Verbindungen zum Kaiserhaus sowie imperialer Züge, wie sie die Rezzonico-Villa bei Bassano prägen.
Kernstück jeder venezianischen Repräsentation war jedoch der Familienpalast in der Lagunenstadt selbst. 1750 kaufte Giovanni Battista Rezzonico den unvollendeten Palazzo Bon. Wie die ebenfalls neuadligen Familien Zenobio und Labia leisteten sich die Rezzonico einen Ballsaal. Selbst hier inszenierte die Familie die Reichsbindung, ungeachtet der angespannten Beziehungen Venedigs zu Maria Theresia. In der Anlehnung der Quadratura des Ballsaals an das Vorbild des Palazzo Dolfin möchte Almut Goldhahn eine Anspielung auf die Konkurrenz der beiden Familien um ein Kardinalsamt sehen. Die unter anderem als ein Argument beigezogenen fiktiven Balkone erfreuten sich allerdings wachsender Beliebtheit. Hier wird zu eingeschränkt aus der Perspektive der Forschungsfrage argumentiert, hätten Entwicklung und Typologie barocker Deckenmalerei berücksichtigt werden müssen. Gemessen an der Bedeutung des Palastes als Medium der Selbstdarstellung fällt das gesamte Kapitel leider etwas kurz aus. Zur Abrundung des Gesamtbildes hätte gerne auch Bekanntes wiederholt werden dürfen.
Die Wahl Carlo Rezzonicos zum Papst führte nicht nur zur Aufstellung eines der von Mengs gemalten Porträts Clemens‘ XIII. im Thronsaal des Palastes. Es galt nunmehr, auch in die Kunstpatronage in Rom zu investieren. Vorhandenes zu vollenden, wie im Fall des Trevi-Brunnens, oder umzubauen schien angesichts der Finanzmisere der römischen Kurie ein praktikabler Weg. Piranesis Entwürfe für die Lateransbasilika sind ein Thema für sich, das Almut Goldhahn wieder ein wenig schnell verhandelt, jedoch nicht ohne neue Quellenfunde, wie die archivalisch belegte Verstimmung und Argumentation des Präfekten der Bauhütte von St. Peter, der die Kosten für den Umbau auferlegt werden sollte.
Auf dem Aventin kam Piranesi dann doch zum Einsatz. Die Malteserkirche schien mit der Ernennung Giovanni Battista Rezzonicos zum Großprior in Rom weitaus attraktiver zu sein als jene Kapelle in der venezianischen Nationalkirche San Marco, über die Ludovico Rezzonico das Patronatsrecht erhalten hatte und in deren Ausbau zur Familienkapelle eher halbherzig investiert wurde. Selbstbewusst überschrieben die Rezzonico Kirche, Platz und Priorat mit ihren Wappenelementen und suggerierten durch die Kombination mit Ordens- und militärischen Insignien eine gemeinsame Vergangenheit der Familie und des Ordens. Die detaillierte Analyse dieses Projektes führt die historische und die kunsthistorische Analyse besonders überzeugend zusammen und entfaltet das Panorama von Memoria-Stiftung bis zur Visualisierung sozialer Verbindungen.
Noch ruhmreicheren Zeiten sahen die Rezzonico entgegengehen, als der Papst einen Neffen mit der besten Partie Roms, Ippolita Boncampagni Ludovisi, verheiraten konnte, die ein prestigeträchtiges Familiennetzwerk mitbrachte. Doch alle vier Neffen des Papstes blieben kinderlos und konnten nur noch Vorsorge für das visuelle Nachleben der Familie treffen. Keinen Geringeren als Canova betrauten die Neffen mit dem Grabmal Clemens XIII. in St. Peter sowie mit einem neuen Altarbild für die Familienkapelle.
Man kann in der Studie von Almut Goldhahn den wissenschaftlichen Bruttoerlös eher im historischen Forschungsteil sehen. Man kann einen durchgehenden und genuin kunsthistorischen Ansatz vermissen. Man muss es aber nicht. Und kann stattdessen feststellen, dass die gewählte Perspektive die Kunst, die im Auftrag des Familienunternehmens Rezzonico entstand, noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt als ‚klassische‘ Zugänge. Almut Goldhahns Studie trägt wesentlich zu unserem Verständnis von Kunst und Kunstpatronage bei und zeigt eindrucksvoll, dass das Fehlen von Familienarchiven eine Herausforderung ist, die man durchaus meistern kann – in diesem Fall mit Bravour.
Goldhahn, Almut: Von der Kunst des sozialen Aufstiegs. Statusaffirmation und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico, Köln: Böhlau Verlag 2017
ISBN-13: 978-3-412-50352-9, 416 S./ 99 Abb., 80 EUR
Recommended Citation:
Andrea Gottdang: [Review of:] Goldhahn, Almut: Von der Kunst des sozialen Aufstiegs. Statusaffirmation und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico, Köln 2017. In: ArtHist.net, Jun 7, 2017 (accessed Oct 15, 2024), <https://arthist.net/reviews/15745>.
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