REV 25.03.2007

Jerzay Ilkosz (Hg.): Die Jahrhunderthalle und das Ausstellungsgelände in Breslau

Rezensiert von Maximilian Eiden
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die Breslauer Jahrhunderthalle wurde 1913 von Max Berg als bestimmendes Zentrum des zur „Jahrhundertfeier der Freiheitskriege” geschaffenen großzügigen städtischen Ausstellungsgeländes am Scheitniger Park errichtet. Sie gilt seit ihrer Entstehung als ein Meisterwerk des Neuen Bauens und wurde schnell zu einem Wahrzeichen Breslaus. Die damals größte Kuppel der Welt (64 m Spannweite und 42 m lichte Höhe), von 32 Bogenbindern gestützt, war nicht nur ein ingenieurtechnischer Triumph. Auch die Kühnheit und Eleganz ihrer Form und der Materialpurismus des unverkleideten Eisenbetons machten sie einzigartig. Die vollständige Verglasung der Kuppelstufen ließ das Innere leicht und transparent wirken.

Das Schrifttum zur Architektur des 20. Jahrhunderts hebt die epochale Bedeutung des Baus einhellig hervor; es erschienen auch einige kenntnisreiche Studien in Fachzeitschriften. Doch neunzig Jahre lang gab es weder eine grundlegende kunsthistorische Monographie über die Jahrhunderthalle selbst noch eine Einordnung dieses als singulär wahrgenommenen Baus in das kreative Umfeld, aus dem er erwuchs und das er noch zu weiteren Leistungen beflügelte, und in den konkreten Stadtraum, für den er entstand. Nun aber liegt ein Buch, das eben dies leistet, auf deutsch vor, ein Jahr nach seinem Erscheinen in polnischer und in englischer Sprache (beide bei VIA NOVA, Wrocław).

Diese bemerkenswerte Studie kommt aus dem polnischen Wrocław (Breslau), wo die Jahrhunderthalle als „Hala Ludowa“ (Volkshalle) heute noch steht. Das Ausstellungsgelände hatte den Fall der „Festung Breslau“ nicht nur überstanden, sondern wurde, als Schauplatz der Propaganda-Schau „Die Wiedergewonnenen Gebiete drei Jahre nach dem Krieg“ sogar zu einem Symbol des sozialistischen Wiederaufbaus. Heute harrt das auf verschiedene Eigentümer aufgeteilte, renovierungsbedürftige Gelände einer angemessenen Wiederbelebung; die Jahrhunderthalle ist aber immer noch der größte Veranstaltungsort der Stadt. Längst ist ihr Wert erkannt, bemüht sich die Stadt um Aufnahme der Halle auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO.

Federführend dabei ist der Verfasser des vorliegenden Bandes, der Kunsthistoriker Dr. Jerzy Ilkosz. Der Direktor des städtischen Architekturmuseums (www.ma.wroc.pl) präsentiert damit die Summe jahrzehntelanger Forschungen. Das Buch basiert auf Ilkosz' Dissertation, ist aber in der vorliegenden Gestalt der Begleitband einer themengleichen Ausstellung des Museums vom Sommer und Herbst 2005 – eine musterhafte Vermittlung herausragender Forschungsergebnisse an die Allgemeinheit. Das Architekturmuseum setzte damit auch einen weiteren Glanzpunkt in einer Reihe von Ausstellungen, die die „wunderbare Breslauer Moderne“ (so der Titel einer wichtigen Konferenz von 1991)[1] in Polen und in Deutschland wieder ins Bewusstsein gerufen haben:

Die erste war 1997/98 den maßgeblich von Max Berg geprägten, geradezu himmelstürmenden Hochhausprojekten für die Oderstadt gewidmet, die zweite präsentierte 2000/2001 das Breslauer Schaffen und kreative Umfeld von Bergs älterem Kollegen und Freund Hans Poelzig, der als langjähriger Direktor der Breslauer Kunstakademie und zentrale Figur des Schlesischen Künstlerbundes und der regionalen Denkmalschutzbewegung sowie als Mitgestalter der Jubiläumsschau von 1913 diese Breslauer Moderne mindestens so sehr prägte wie der zweifellos radikalere Berg selbst.[2] Beide Ausstellungen entstanden in enger Zusammenarbeit mit deutschen Forschungseinrichtungen (TU Braunschweig, Bundesinstitut für die Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa) und wurden in beiden Ländern gezeigt, die Kataloge erschienen auf polnisch und deutsch. Sie machen deutlich, wie selbstverständlich Polen und Deutsche heute das „gemeinsame Kulturerbe“ in den seit 1945 polnischen Gebieten in gemeinsamer Anstrengung erschließen, vermitteln und pflegen; das Breslauer Architekturmuseum zeigt, dass die polnische Seite dabei durchaus federführend sein kann.

Für seine Forschungen zur Jahrhunderthalle standen Jerzy Ilkosz nicht nur die (durch bautechnisch fundierte Untersuchungen unterstützte) ständige Autopsie der Halle und des Ausstellungsgeländes zur Verfügung, sondern auch die für die Scheitniger Bauten umfangreichen Materialien des Breslauer Bauarchivs (einer Unterabteilung des Architekturmuseums) und das in der Universitätsbibliothek gesammelte lokale Schrifttum. Dazu kommt aber ein beeindruckendes, akribisch zusammengetragenes Spektrum zeitgenössischer Literatur zur Jahrhunderthalle und vor allem die Nachlässe von Max Berg und Hans Poelzig in Erkner, München, Berlin und Dresden, wobei Ilkosz einer der ersten sein dürfte, die die Bedeutung der Bestände des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner erkannt und die dortigen Schätze gehoben hat.

Ilkosz' Werk ist umfassend, klar gegliedert und lesbar. Nach einem Überblick über den Forschungsstand werden Poelzigs und Bergs Wirken in Breslau skizziert und der zeitliche und der territoriale Rahmen – die städtischen Flächen am Scheitniger Park – aufgespannt. Bei der Darstellung der Genese des Ausstellungsgeländes und seiner Gestaltung liegt der Schwerpunkt auf der grandiosen Jahrhundertausstellung von 1913. Ein kürzeres Kapitel, beschreibt die Entwicklung des Ausstellungsgeländes in der Zwischenkriegszeit mit einem Schwerpunkt auf geplanten und realisierten Baumaßnamen. Eher ein Exkurs skizziert abschließend, was nach dem Zweiten Weltkrieg mit Jahrhunderthalle („Volkshalle“) und Ausstellungsgelände geschah.

Ilkosz Darstellung ist aus ihrem faszinierenden Gegenstand, aus der Anschauung des Bauwerks und des umgebenden Architekturensembles entwickelt. Die Jahrhunderthalle wird in eine deutende Rekonstruktion einer Gesamtanlage einbezogen, die überrascht und beeindruckt, weil erst diese umfassende Kontextualisierung die Funktion und Wirkung der Kuppelhalle erklärt. In die Betrachtungen miteinbezogen werden etwa Poelzigs Vier-Kuppel-Pavillon von 1913, seine halbkreisförmige Pergola und der Japangarten von Mankichi Arai, Bergs Messehof aus den zwanziger Jahren, und die städtebauliche Ergänzung zur Werkbundausstellung von 1929: die Musterbauten Scharouns, Radings, Lauterbachs und anderer Architekten. Architekturgeschichtlich berechtigt ist bei Ilkosz' Darstellung des Ausstellungsgeländes die Eingrenzung auf die Jahre 1910-1930; Historiker werden sich womöglich mehr Informationen über die propagandistische Aufladung dieses für Massenveranstaltungen idealen Areals zwischen 1933 und 1948 oder die Geschichte der Breslauer Messe (1917-1942) wünschen.

Die Schlüsselrolle von Bergs größtem realisierten Projekt und seiner Zeit als Breslauer Stadtbaurat für sein eigenes Schaffen wird eingehend und mit zum Teil überraschenden Schlussfolgerungen bewertet. Ein außergewöhnliches Raumkunstwerk wird in die Zusammenhänge der Epoche, der zeitgenössischen Strömungen der Architektur in Deutschland und der Welt eingeordnet und in die Perspektive der späteren Entwicklung gestellt. Gut sichtbar wird in Ilkosz' Darstellung aber auch der besondere historische Moment, der die Scheitniger Anlage möglich machte: das Zusammenwirken von visionären Planern in Verbund mit einem ganzen Netzwerk hochrangiger Künstler. Ihr Wille zu harmonischer Zusammenarbeit war für die Umsetzung der Pläne ebenso entscheidend wie die Leistungsbereitschaft der von ungebrochenem Fortschrittsoptimismus erfüllten Stadtgemeinde.

Das Buch verarbeitet eine Fülle von oft neu erschlossenen Quellen; das außerordentlich reiche Material ist aber gedanklich so gut durchdrungen und strukturiert, dass die Lektüre nicht ermüdet. Die Übersetzung von Beate Störtkuhl, selbst Expertin für die Breslauer Moderne, ist vorzüglich, die Gestaltung durch den Oldenbourg-Verlag setzt auf klarsten Textsatz und ansonsten ganz auf die Wirkung der Bilder. Sie sind dankenswerterweise nicht wie so oft – vermeintlich dezent – in Textblöcken versteckt, sondern möglichst großformatig, bis an die Seitenränder wiedergegeben: Skizzen, Originalpläne, Schaubilder, historische Aufnahmen (oft ausgesprochene Trouvaillen), zeitgenössische Graphiken und Gemälde, aber auch hervorragenden Aufnahmen des heutigen Zustands von Halle und Ausstellungsgelände von dem Breslauer Photographen Stanisław Klimek. Neben Anmerkungen und Bibliographie enthält der Band, auch das ist zu loben, einen Objektkatalog, ein Personenregister und eine Konkordanz der Straßen- und topographischen Namen. Kurzum: Hier liegt ein in jeder Hinsicht geglücktes, hervorragend gestaltetes Standardwerk vor. Alle an den Anfängen der modernen Architektur interessierten werden es mit Gewinn lesen.

Anmerkungen:

[1] Lose, Stanisław (Hrsg.): Ten wspaniały wrocławski modernizm. That wonderful Wrocław modern movement. Materiały z konferencji Komisji Architektury i Urbanistyki wrocławskiego oddziału Polskiej Akademii Nauk, Wrocław 1991. Wrocław (Via) 1991.

[2] Hochhäuser für Breslau 1919-1932: Ausstellung des Bauarchivs der Stadt Breslau (Archiwum Budowlane Miasta Wroclawia) in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Baugeschichte der Technischen Universität Braunschweig hrsg. von Jerzy Ilkosz und Beate Störtkuhl. Delmenhorst (Aschenbeck und Holstein) 1998; Hans Poelzig in Breslau, Architektur und Kunst 1900-1916. [Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung "Hans Poelzig in Breslau, Architektur und Kunst 1900-1916" im Architekturmuseum Breslau, Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen, Landesmuseum für Vorgeschichte in Dresden und im Schlesischen Museum (Annenkapelle) in Görlitz]. Hrsg. von Jerzy Ilkosz und Beate Störtkuhl. Delmenhorst (Aschenbeck und Holstein) 2000.

Ilkosz, Jerzy (Hrsg.): Die Jahrhunderthalle und das Ausstellungsgelände in Breslau - das Werk Max Bergs. [Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 17. Juni bis 27. November 2005 im Breslauer Architekturmuseum ... gezeigt wurde] (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa), München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2006
ISBN-10: 3-486-57986-X, 338 S.

Empfohlene Zitation:
Maximilian Eiden: [Rezension zu:] Ilkosz, Jerzy (Hrsg.): Die Jahrhunderthalle und das Ausstellungsgelände in Breslau - das Werk Max Bergs. [Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 17. Juni bis 27. November 2005 im Breslauer Architekturmuseum ... gezeigt wurde] (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa), München 2006. In: ArtHist.net, 25.03.2007. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/154>.

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