Spätestens mit Ausstellungstiteln wie „Life after Death“ hatte der jüngste internationale Hype um neue Malerei aus Deutschland eine eigene Komik entwickelt.[1] Die meisten Künstler der Ausstellung waren knapp über 30; die gezeigten Werke stammten alle aus der so genannten „Neuen Leipziger Schule“. Man hätte diese Komik vielleicht als selbstironisches Augenzwinkern verstehen können, wäre sie nicht so offensichtlich unfreiwillig aus einem ziemlich angestrengten Willen zur Begeisterung hervorgegangen.
Wie man weiß, war sie nämlich tot, die Malerei. Bis sie irgendwann kurz vor dem Millennium, und ausgerechnet in Deutschland, zu neuem Leben erwacht ist. Das comeback einer alten Kunst wurde seitdem ausgiebig gefeiert – meistens mit einer verblüffenden Abstinenz gegenüber jeder Auseinandersetzung mit den konkreten Bildern. Der vermeintliche Tod der Malerei war dabei die willkommene Folie für eine Feierstimmung, die eher selten angetrieben schien von wirklicher Neugier auf jene vitalen Momente, dank derer das neue Leben der Malerei sich unterscheiden würde vom Dasein der Untoten. Stattdessen war wieder viel die Rede von „german angst“ und solidem Handwerk. Inzwischen scheint die Euphorie ihren Zenit überschritten zu haben.
Dies ist der Hintergrund für „New German Painting. Remix“, herausgegeben von Christoph Tannert, Geschäftsführer des „Künstlerhaus Bethanien“ in Berlin. Auch dieses Buch setzt an bei dem jüngsten Hype um deutsche Malerei. Es entzieht sich aber einerseits weitgehend der blinden Beweihräucherung und geht zugleich in Opposition zu einer ebenfalls verbreiteten Skepsis daran, daß Malerei heute überhaupt irgendeine Relevanz zukommen könne. Darin hebt das Buch sich wohltuend ab, sowohl von einer Kritik, die noch immer tapfer festhält am Ende der Malerei, als auch von einer sprunghaft gestiegenen Zahl von Publikationen, die hastig versuchen, schnell noch teilzuhaben an etwas, was schon sehr bald vorbei und damit wieder einmal tot sein könnte. Es ist ein längerfristiges Interesse an der Malerei, das hier verfolgt wird und völlig zurecht wird beharrlich danach gefragt, was – über die Mechanismen und Strategien des Kunstmarkts hinaus – kulturell signifikant und künstlerisch spannend sei an einem sehr heterogenen Spektrum von Arbeitsweisen und Positionen.
Aus diesem Interesse speist sich denn auch die Doppelgestalt des Buches. Zum einen versteht es sich als „Nachschlagewerk für Liebhaber und Adoranten“ (6). Ganz so bescheiden sind die Ansprüche dann aber doch nicht. So legt Tannert in seinem einleitenden Essay einige historische Sichtachsen an, die in ihrer Verschränkung eine mögliche, systematische Position gegenwärtiger Malerei markieren. Einem vermeintlichen Mangel an historischer Reflexion zum Beispiel wird ein neues, durchaus reflektiertes, aber freieres Verhältnis zur Tradition der eigenen Kunst, zu Themen aus der Geschichte und zur „Frage nach dem Nationalen“ (12) entgegengehalten. Als exemplarisch hierfür werden etwa Jonathan Meese, Moritz Götze und Jens Bisky angeführt. Hinsichtlich der deutschen Malerei-Szene heute gerät dabei auch die Zeit der beiden deutschen Staaten erneut in den Blick. Speziell am Beispiel Leipzigs unternimmt Tannert hier einen der bislang seltenen Versuche, aktuelle künstlerische Praxis zu einer ganz konkreten, inzwischen historischen gesellschaftlichen Konstellation und jenen Konflikten in Beziehung zu setzen, in die die Kunst damals eingespannt war. (16 u. 33 ff.) Damit ist endlich ein Horizont eröffnet, der sich nicht mit biederen Verweisen auf die Maltradition einer ehrwürdigen Akademie inmitten der DDR als Schutzraum vor Beuys und den anti-malerischen Tendenzen der Postmoderne begnügt.
Das zentrale Argument ist jedoch ein anderes. Tannert sieht es als eine spezifische Leistung von Malerei, auf der Ebene visueller Kultur in Ökonomien der Zeit einzugreifen. Nicht retardierend oder als bloßer Ausdruck von Verlustängsten, sondern im Sinne eines emanzipatorischen Vorgangs. Malerinnen und Maler legen „Stau-Stufen des Verfließens in Spurenlosigkeit“ an, unterbrechen das „Bildverschwinden“ (5), wehren sich „gegen die ideenabsaugende Übermacht der Massenmedien“ (22). Sie verfolgen ein Prinzip „out of time“ (44 ff.) heißt es resümierend, womit so etwas wie systematische Regelbrüche und die Behauptung eigener Zeitformen – mindestens für Prozesse der Wahrnehmung und Kommunikation – gemeint sind. Zu diesem Akzent auf Malerei als subversiver, Zeit organisierender Praxis übernimmt ein zweiter Essay gleichsam den komplementären Part. „Deutsche Farbe. Amerikanische Augen. Eine globale Gegenwart“ ist der Titel, und hier beschreibt Graham Bader, Lecturer und Mellon Postdoctoral Fellow an der Columbia University, einige Grundzüge speziell der amerikanischen Rezeption deutscher Malerei. Es geht also um einen Blick von der anderen Seite des transatlantischen Kunstbetriebs zwischen Europa und den USA. Haben bekanntlich gerade amerikanische Sammler deutsche Malerei der letzten Jahre zu einem erfolgreichen Label gemacht, so entfaltet Bader ein etwas differenzierteres Spektrum. Eine langlebige Bewunderung für eher diffuse, spezifisch deutsche Qualitäten von Kunst steht hier neben einer ganz aktuellen amerikanischen „Ostalgie“ angesichts von „never-ending global warfare and the totalized world market“ (57-58). Angedeutet wird auch, daß das breite Interesse für junge Malerei aus Deutschland wahrscheinlich kaum denkbar wäre, ohne Ausstellungen wie die Retrospektive Gerhard Richters 2002 im Museum of Modern Art (61-62).
Gerade weil das Buch mehr ist als ein neues Nachschlagewerk deutscher Malwunder, bietet es Angriffsflächen für Kritik. Dies gilt erst recht für Leser, die das grundsätzliche Interesse der Autoren an zeitgenössischer Malerei teilen. So ist die leidenschaftliche Polemik, die gerade in Tannerts Essay passagenweise die dominierende Tonlage ist, durchaus sympathisch. Der Text ist keine kunsthistorische Studie, sondern die emphatische Stellungnahme eines Kurators und Vermittlers. Die Arbeiten einiger der herangezogenen Protagonisten vermögen allerdings kaum zu tragen, was ihnen hier zugeschrieben wird. Da hilft auch die Auswahl der 31 katalogähnlich aufgeführten Positionen im zweiten Teil des Buches nur gelegentlich weiter, zumal sich die jeweiligen Kurztexte bisweilen wie ein „remix“ gängiger Kunst-Phrasen lesen.
Ein größeres Problem rührt allerdings aus der thematischen Fokussierung des Buches selbst und kann somit eher im Sinne eines Ausblicks als einer Kritik angemerkt werden. Die strikte Konzentration auf Malerei aus Deutschland hat gleich auf mehreren Ebenen einen hohen Preis. Zum einen – und vielleicht ist es müßig, das zu erwähnen – werden die Qualitäten etlicher der vorgestellten Ansätze und Arbeitsweisen erst in jeweils konkreten Bezügen prägnant. Es geht nicht um ein „Der malt ja wie…“ als Ordnungskriterium. Man sieht nur einfach mehr von dem, was zum Beispiel Daniel Richter macht, wenn man nebenbei auf dessen implizite Auseinandersetzung mit dem Schotten Peter Doig aufmerksam geworden ist.
Auch die Rezeption junger Malerei aus Deutschland hatte international einige Tonlagen mehr als das bloße „top oder flop“ euphorisierter Sammler verso diskursbeflissene Kritiker. Interessant war in dieser Hinsicht zum Beispiel das englische Presseecho auf Saatchis nicht enden wollenden „Triumph of Painting“ seit 2005 in London. Die Ausstellungsreihe wuchs auf bislang sechs Staffeln, und Werke der so genannten „Y.G.A.“ (Young German Artists) waren reichlich vertreten unter den Neuerwerbungen des renommierten Großsammlers.[2] Sicher, so mancher Verriss war vor allem patriotischer Reflex einer Kränkung darüber, daß einer überaus erfolgreichen Generation junger britischer Künstler nun drohte, von malenden „Krauts“ verdrängt zu werden. Interessanter waren jene Kritiken, die sehr differenziert ausfielen. Ein Gespür für Konsequenz und Qualitäten im Umgang mit dem Medium brachen sich hier an ehrlicher Enttäuschung und aufrichtiger Langeweile angesichts so manches inzwischen hoch gehandelten Gemäldes aus Deutschland.[3]
Es ist vermutlich kein Zufall, daß diese Zwischentöne insbesondere in England zu hören waren. Malerei, und gerade auch figurative Malerei, hat hier wie vielleicht in kaum einem anderen westeuropäischen Land nicht nur all die angesagten Tode irgendwie überlebt, sondern ist ein eigenständiger, vitaler Strang im kulturellen Gewebe zwischen aktueller Kunst mit ihren heterogenen Medien und Themen, künstlerischer Tradition und wissenschaftlicher Forschung. Wenn etwa David Hockney im Dialog mit dem Physiker Charles Falco und dem Kunsthistoriker Martin Kemp, eine umfassende Studie zum Gebrauch optischer Instrumente durch Maler seit den Frühen Niederländern vorlegt, dann ist dies sicher ein besonderer Fall.[4] Aber er ist signifikant für die ungebrochene Produktivität einer alten bildnerischen Praxis als Erkenntnisform.
Angesichts dieses etwas erweiterten Rahmens verschieben sich die Konstellationen: Zum einen sind die jüngsten Erfolge deutscher Maler – Frauen sind hier die Ausnahme – alles andere als eine wunderbare Auferstehung der Malerei. Sie sind ein zugegeben auffälliges Phänomen auf der gegenwärtigen Oberfläche des internationalen Kunstbetriebs. Sie markieren aber allenfalls einige Regionen in einem weitaus größeren Terrain zeitgenössischer Malerei. Genau dort aber entwickeln die einzelnen Positionen ihre Stärken – oder auch nicht.
Zum anderen wagen sich Versuche wie „New German Painting. Remix“ in ein Gebiet vor, das wahrscheinlich noch längerfristig – und auch im englischsprachigen Raum – ein vermintes Gelände ist. Gerade von Seiten einer theoretisch anspruchsvollen Kunstkritik ist Malerei, mindestens aber figurative Malerei, eine erklärte „no go area“ – es sei denn letztere hat sich gut abgesichert durch explizite Anlehnung an andere Medien, durch Techniken der Brechung und Rituale der Selbstreflexion. Dies rührt unter anderem aus der Wirkungsgeschichte einer Kritik der Malerei, für die Clement Greenberg und Benjamin Buchloh lediglich als herausragende Protagonisten genannt seien.[5] Figürlich zu malen, ist demnach schlechthin verdächtig: der reaktionären Verherrlichung eines handwerkelnden Genies, des Warenfetischismus und der Komplizenschaft mit autoritären Formen politischer Macht. Mit einem äußerst fragwürdigen systematischen Anspruch haben die Ausläufer dieser Kritik inzwischen als durchgreifende Diskursivierung der Kunst eine eigene strukturelle Macht entfaltet, die paradoxer Weise selbst weitgehend integraler Bestandteil des Marktes geworden ist.
Es gab etliche Annäherungsversuche in den letzten Jahren, dieses Misstrauen, die Missverständnisse und die Sprachlosigkeit, die sich auf diesem Sektor etabliert haben, zu überwinden. Diskussionsforen und Einzelbeiträge haben dabei zunächst vor allem die Tiefe des Grabens erahnen lassen.[6] Produktive Ansätze boten vor allem Ausstellungen; zum Beispiel so unterschiedliche wie „Painting at the Edge of the World“ (2001) oder „The Undiscovered Country“ (2004).[7] Vor diesem Hintergrund entwickelt der zweite Teil von „New German Painting“ mit seiner Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern denn auch eine Dynamik und öffnet Perspektiven, die sich in keiner nationalen Fokussierung mehr bündeln lassen. Das aber ist auf jeden Fall ein Gewinn. Wenn es in der Kunst etwas gibt, was getrost ein Ende haben kann, dann die Feierlichkeiten um eine heimische Malerei als Parallelaktion zu „Wir sind Papst“.
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[1] Der volle Titel der Ausstellung lautet: Life after Death; New Leipzig Paintings from the Rubell Family Collection. Vom Frühjahr 2005 bis voraussichtlich Juni 2007 war bzw. ist die Ausstellung in mehreren amerikanischen Museen u.a. in Santa Fe, Salt Lake City, Seattle und Washington D.C. zu sehen. Vgl. den gleichnamigen Ausstellungskatalog von Mark Coetzee und Laura Steward Heon, Maiami/North Adams 2005.
[2] The Triumph of Painting, Saatchi Gallery, County Hall London, voraussichtlich 6 Teile, Jan. 2005-April 2007.
[3] Exemplarisch für die Reaktionen vor allem auf Teil 2 waren etwa Waldemar Januszczak: The Germans are coming. In: Sunday Times, 10.7.2005; Richard Dorment: Violence, perversity and sadistic genius. Charles Saatchi’s latest exhibition of modern painters reveals some dazzling work by new German artists. In: Telegraph, 6.7.2005; Charles Darwent: The man who painted himself into a corner. In: Independent Sunday, 10.7.2005.
[4] David Hockney: Secret Knowledge. Rediscovering the lost techniques of the Old Masters. London 2001. Seitdem wurde die sog. „Hockney-These“ kontrovers diskutiert z.B. auf einer Tagung 2003 in Gent.
[5] Vgl. etwa Clement Greenberg: Kunst und Kitsch (1939). In: Die Essenz der Moderne (Auswahl an Essays dt.), hrsg. von Heinz Lüdeking, Leipzig 1997, S.29-55; Benjamin Buchloh: Figures of Authority, Ciphers of Regression. Notes on the Return of Representation in European Painting (1981). In: Brian Wallis (Hrsg.): Art after modernism: rethinking representation […]. New York 1995, S. 107-134.
[6] Erinnert sei etwa an die Diskussionsrunden The mourning after und Thick and thin. In: Artforum international, März 2003, S. 206 ff. und April 2003, S.174 ff.; Lane Releya: Theory and Painting. In: Flash Art, Nov./Dez. 2004, S. 63-65; Morgan Falconer: The Undead. Painting revived. In: Art monthly, 270, Okt. 2003, S. 1-4.
[7] Es gäbe weit mehr Ausstellungen, die an dieser Stelle zu erwähnen wären. Die beiden genannten markieren allenfalls in einem facettenreichen Spektrum Pole eines umfassenden, theoretisch fundierten Positionierungsversuchs gegenüber einer an konkreten Vorgehensweisen entwickelten Problemgeschichte zeitgenössischer Malerei. Vgl. die Kataloge Douglas Fougle (Hrsg.): Painting at the edge of the world. Minneapolis 2001; Russel Ferguson: The Undiscovered Country. Los Angeles 2004.
Tannert, Christoph; Asthoff, Jens; McInnes, Robert; Schneider, Nikolaus G. (Hrsg.): New German painting. Remix, München [u.a.]: Prestel Verlag 2006
ISBN-10: 3-7913-3666-5, 255 S, EUR 49.90, sfr 85.50
Empfohlene Zitation:
Robert Felfe: [Rezension zu:] Tannert, Christoph; Asthoff, Jens; McInnes, Robert; Schneider, Nikolaus G. (Hrsg.): New German painting. Remix, München [u.a.] 2006. In: ArtHist.net, 14.02.2007. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/149>.
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