REV Jun 23, 2011

Gudrun Valerius: Académie Royale de Peinture et de Sculpture 1648 - 1793

Reviewed by Gerrit Walczak, Berlin
Editor: Philipp Zitzlsperger
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Institutionsgeschichte ist nicht jedermanns Sache, doch um die 1648 gegründete Pariser Académie Royale de Peinture et de Sculpture lässt sich kein Bogen schlagen: Die Kunstgeschichte kennt keine andere Einrichtung, von der die Bedingungen künstlerischer Formation, Produktion und Rezeption in vergleichbar hohem Maß bestimmt werden konnten. Die wesentlichen Teile ihres Quellenbestandes aus Sitzungsprotokollen, Statuten, Dekreten, Vorlesungen und amtlichen Schriftwechseln sind seit langem publiziert. An neueren, oft brillanten Untersuchungen der Akademie im engeren Rahmen bestimmter Zeitabschnitte, Sachzusammenhänge und Problemkonstellationen herrscht kein Mangel. Eine umfassende, die Geschichte wie die Struktur der Einrichtung insgesamt analysierende Studie indessen fehlt bis heute. Die vorliegende Veröffentlichung von Gudrun Valerius füllt diese Lücke nicht, stellt aber den bislang ausführlichsten institutionsgeschichtlichen Beitrag zur Académie Royale dar, der den gesamten Zeitraum von der Gründung bis zur Aufhebung im Jahr 1793 abdeckt. Das erklärte Ziel der Autorin ist „eine Abhandlung, die sich als universelles Nachschlagewerk, ja als Handbuch nützlich machen möchte“ (13). Was unter dieser widersprüchlich benannten Textform zu verstehen ist, erschließt sich am besten durch den Blick auf die dreigeteilte Form der Darstellung: Dem chronologischen Narrativ der Geschichte der Akademie (15-91) folgt der in dreizehn alphabetisch arrangierten Stichworten gegliederte, ihrer Organisation und ihren Funktionen gewidmete Hauptteil (93-259), dem als Anhang die Liste ihrer Mitglieder beigefügt ist (261-366).

Die Geschichte der Akademie ist gut lesbar und wird anhand der amtlichen Quellen einschließlich der Historiographien der Académie Royale selbst erzählt; das Ergebnis ist eine mit einer Fülle interessanter Details aufwartende Ereignisgeschichte anhand der offiziellen Dokumente. Anders als im Hauptteil wurde auf die Angabe einschlägiger Studien verzichtet, und tatsächlich scheint sich die Dankesschuld an die Forschung für diesen Abschnitt in engen Grenzen zu halten. Der Preis dafür ist, dass von den entscheidenden Weichenstellungen und strukturellen Konflikten oft nur die anekdotische Spitze des jeweiligen Eisbergs erkennbar wird. Dies ist kein durch die geteilte Darstellung verursachtes Problem, denn die langfristig auf die Akademie einwirkenden Kräfte und sich wiederholenden Konfliktkonstellationen finden auch im ausdrücklich den Strukturen gewidmeten Hauptteil keine Berücksichtigung. So ist z.B. die erste finanzielle Zuwendung des Hofes im Jahr 1655 dankbar vermerkt (24), doch wird nicht deutlich, dass diese Zahlung die Unterstellung unter die „Direction des bâtiments du roi“ bedeutete, die höfische Kunstadministration, aus deren Etat diese und alle künftigen Mittel kamen: Fortan stand die im Kern zunftähnliche Selbstverwaltung der Akademiker im Widerspruch zu den in den Statuten von 1663, 1751 und 1777 immer weiter ausgebauten Weisungsbefugnissen der übergeordneten Behörde. Weil dieser Grundkonflikt unerkannt bleibt, scheint z.B. nur eine Kuriosität, dass 1747 das Amt des Ersten Hofmalers seit zehn Jahren vakant war und in der Akademie „niemand Anspruch erhob“, es zu besetzten (60). Die Wiederholung des strukturbedingten Aufeinanderpralls, wie er zehn Jahre vorher François Lemoyne als „Premier peintre“ am Widerstand der Akademie scheitern ließ und in den Selbstmord trieb, wird nicht erfasst, sein Suizid übergangen: Die Personalunion des nominell vom König ernannten Ersten Hofmalers mit dem von den Akademikern gewählten Direktor bedeutete, dass von der Akademie die scheindemokratische Legitimierung eines ihr oktroyierten Befehlsempfängers erwartet wurde, durch den der Leiter der höfischen Kunstadministration direkt in ihre Belange hineinregieren würde.

Als mit La Font de Saint-Yenne ab 1747 die veröffentlichte Meinung auf den Plan tritt und sich erstmals ein Urteil nicht nur über einzelne Kunstwerke anmaßt, sondern über die in ihren Grundfesten erschütterte Institution selbst, „kann sogar von einer echten Krise gesprochen werden“ (62). Für die Verfasserin ist diese Krise wie jede andere schnell beigelegt, für die Akademie nicht. Sie hat ab diesem Moment mit politisch motivierten Attacken zu leben, ist 1749, als sie beleidigt den Salon ausfallen lässt, erstmals mit der Forderung nach ihrer Abschaffung konfrontiert und entwickelt bis zur Revolution ein inniges Verhältnis zu den Zensurbehörden. Davon, wie solche Konflikte dauerhaft in die Akademie hineinwirkten und die Akademiker polarisierten, erfährt der Leser nichts. Die Jury z.B., von der die Exponate des Salons auf ihre Eignung geprüft wurden, begegnet nur bei ihrer Einführung neutral als eine „Maßnahme“ (62). Dass um diese Bevormundung noch Jahrzehnte später gestritten wurde, bleibt unerwähnt, doch die vom Historienmaler Restout in den 1770er Jahren geführte Kampagne gegen diese Jury hätte einen Schlüssel dargestellt, die von innen ausgehende Zerstörung der Akademie in den ersten Revolutionsjahren (79-91) besser zu verstehen.[1] Restout gehörte 1790 neben David und Miger zu den führenden Reformern in der Akademie (83) und wurde zum Gründungspräsidenten eben jener revolutionären Künstlervereinigung (85) gewählt, die 1793 dem Nationalkonvent die Schließung der Akademie abtrotzte. Weil die Akademie 1793 nur noch ein auf den Zeichenunterricht reduzierter Torso war, verliert letztlich auch ihre Abschaffung viel von der Dramatik, mit der die Verfasserin ihre Akademiegeschichte enden lässt: Das von ihr in zwei Artikeln zitierte Dekret über die Schließung aller Akademien (91) befahl im sechsten die provisorische Fortführung ihres Lehrbetriebs. Als École nationale des Beaux-Arts (ENSBA) existiert dieser Teil der einstigen königlichen Akademie bis heute, was eine Veröffentlichung, die sich als Handbuch versteht, zumindest im Abschnitt „Unterricht“ des Hauptteils (235-254) erwähnen dürfte. Eben als Teil einer Geschichte der ENSBA erschien 1987 von Jeanne Laurent die letzte vorangehende Darstellung, die der Historie der Académie Royale gewidmet wurde; sie ist ärmer an Details, aber analytisch weit überlegen, und wäre doch der Höflichkeit halber wenigstens anzugeben gewesen.[2]

Dass der den Strukturen und Funktionen der Académie Royale gewidmete Hauptteil eine andere Form der Darstellung verlangt als die der historischen Erzählung, liegt auf der Hand; die Ordnung in alphabetisch geordnete Abschnitte nach Stichworten ist vielleicht nicht die eleganteste Lösung, erleichtert aber den ersten Zugriff und entspricht dem Charakter eines Nachschlagewerks. Verhandelt werden die Académie de France als römische Filiale, die von der Forschung so gerne übergangene Académie de Saint-Luc als Rivalin (von der Verfasserin ausführlicher präsentiert in einem Aufsatz [3]), die Formen der Aufnahme, die „Conférences“ als kunsttheoretische Verlautbarungen, die Ämterhierachie der Akademie, ihre Finanzen, ihre Schülerschaft, ihre Wettbewerbe und ihre Protektoren. Zur ersten Übersicht sind diese Abschnitte gut geeignet, aber sie stützen sich nur auf die amtlichen Dokumente der Akademie selbst und gehen nie darüber hinaus: Unter „Unterricht“ z.B., einem der ausführlicheren Abschnitte (235-253), wird das „vollständige Ausbildungsprogramm“ (235) nach den Statuten von 1663 wiedergegeben: Das liest sich sehr eindrucksvoll, aber wo ein angehender Maler das Malen lernte, das erfährt man nicht. Vom System der Lehrateliers, das als ein Erfolgsmodell noch an den Akademien des 19. Jahrhunderts so eifrig kopiert wurde, ist nirgends ein Wort zu lesen.

Überhaupt gehen wie im historischen auch im systematischen Teil der Veröffentlichung immer wieder die wichtigsten Punkte in der Masse des Materials unter. So bleibt z.B. der fundamentale Unterschied zwischen Historienmalern und Bildhauern, die als zur Lehre zugelassene „Officiers“ bis an die Spitze der Akademie aufsteigen konnten, und der Überzahl der dafür nicht qualifizierten „talents particuliers“ unklar („Corps“, 146). Dass diese Einteilung, die über die Aufstiegschancen in der Akademie bestimmte, schon im Moment der Aufnahme eines Künstlers festgelegt wurde und für manchen Eklat (erinnert sei nur an Greuze) sorgte, wird übergangen („Aufnahme“, 115-122). Hier liegt der Grund für das Desinteresse, das die Mehrheit der „Académiciens“, die Masse der Portrait-, Genre-, Landschafts- und Stillebenmaler, der Kupferstecher und Medailleure für die Akademie insgesamt und speziell für die Teilnahme an den Sitzungen zeigte. Unter dem Stichwort „Versammlungen“ (255-259) findet sich kein Hinweis auf die dadurch bedingten, selten auch nur die Hälfte der Akademiker zusammenbringenden Teilnehmerzahlen, wie sie den Sitzungsprotokollen zu entnehmen sind. Was die Mitgliedschaft auch für jene attraktiv machte, die so wenig Interesse für ihre Selbstverwaltung und Lehre aufbrachten, war das 1648 verliehene Privileg der Ausnahme vom Zunftzwang für die Malerei und Bildhauerei, der bis zur Reform Turgots 1776 in Kraft blieb. Obwohl 1663 eigens der Status des „Agréé“ eingeführt wurde, um auch Aspiranten auf die Mitgliedschaft dem Zunftzwang zu entziehen, wird die Académie Royale nicht in diesen berufsrechtlichen Kontext situiert: Der lange Fortbestand der Zunftpflicht wird selbst im Abschnitt zur Malerzunft und ihrer 1776 ebenfalls durch Turgots Reform beseitigten Académie de Saint-Luc (103-114) übergangen. Die 1777 wegen des erneut drohenden Zusammenschlusses von Künstlern aus der unterdrückten Académie de Saint-Luc im Colisée ergangene Bekräftigung der Zunftfreiheit ist im historischen Teil (77) zwar erwähnt, bleibt in Anlass, Voraussetzungen und Folgen jedoch unverstanden.

Desaströs für eine den Strukturen gewidmete Darstellung ist, dass die höfische Kunstadministration, die zwischen 1655 und ihrer Abschaffung 1792 die Geschicke der Akademie in so hohem Maß bestimmte, lediglich en passant anlässlich der „Protecteurs“ (203-205) einmal erwähnt wird. Der jeweilige Leiter der „Direction des bâtiments du roi“ war nicht erst als Schutzherr ehrenhalber, sondern von Amts wegen der Akademie vorgesetzt, die seiner Behörde unterstand und aus ihrem Etat finanziert wurde. Warum spielten die Generaldirektoren der Kunstadministration von Colbert bis d’Angiviller im historischen Teil wohl eine so große Rolle? Während die Autorin dort aus gutem Grund immer wieder auf die Veranstaltung von Ausstellungen zu sprechen kommt (41f., 50-55, 61f., 77f., 86), verwundert schließlich der Verzicht auf einen eigenen Abschnitt zur Organisation der Salons, mit denen die Akademie in eine prekäre Wechselbeziehung zur Öffentlichkeit trat.

Die Liste der insgesamt 520 Mitglieder wird zuletzt als alphabetische Aufzählung präsentiert. Separat berücksichtigt sind die gut 60 „Amateurs“, jene Männer von Rang, Sammler und Kunstliteraten, die für den intellektuellen Input und die politische Vernetzung der Akademie sorgten (355-366). Unbeachtet bleibt die größere Zahl der „Agréés“ der Akademie, die im Widerspruch zu den Bestimmungen in diesem Status verharrten: Es sind immerhin 105 Künstler, die seit 1737 in den Salons ausstellen durften und ihrer Anwartschaft bis zur Aufhebung der Zunftpflicht für Malerei und Bildhauerei 1776 das Recht zur selbständigen Berufsausübung verdankten. Auf die Möglichkeit einer Auswertung, die eine Reihe interessanter Fragen zur Fluktuation der Mitgliederzahl, zum jeweiligen Anteil der in angesehenen oder weniger angesehenen Gattungen arbeitenden Mitglieder und zur Zahl der Künstlerinnen und Ausländer sei zumindest hingewiesen.

Letztlich werden alle Probleme dieser Veröffentlichung schon in den anderthalb Seiten des Vorworts erkennbar. So möchte die Abhandlung zwar „alle Fragen“ (13) zur Académie Royale beantworten, doch stellt sie keine einzige und erst recht nicht jene in ihrer Skepsis so essentielle, die der Parlamentspräsident Molé 1652 formulierte: „Quoi, une Académie de peintres?“ Vielmehr setzt die Verfasserin voraus, dass die Einrichtung einen Selbstzweck darstellte, und so kann sie die divergierenden Interessen nicht erkennen, aus denen heraus diese Akademie gegründet, betrieben, verändert, umkämpft und schließlich zerstört wurde. Die Forschungsliteratur enthält für die Autorin lediglich „wertvolle Fakten“ (ebd.), als wären diese nicht in erster Linie analysiert und interpretiert worden. Auch die veröffentlichten Quellen der Akademie werden als „Fakten“ gehandelt, die nur „systematisch gruppiert“ (ebd.) werden sollen. Der dahinter stehende Begriff historischer Wahrheit enthebt die Verfasserin jeder Quellenkritik und erklärt einen Gutteil der skizzierten Mängel; es ist dieses ein Reflexionsniveau, das auch die unterlassene Heranziehung anderer als der amtlichen Quellen als Korrektiv verständlich macht. Gleiches gilt für die Forschung, und so ist nur konsequent, dass der Autorin im Zweifel z.B. wichtiger ist, was Henri Testelin als Sekretär und Historiograph der Akademie über die Frühzeit bis 1664 berichtet, als diese offiziöse Heldengeschichte an ihrer 2004 unternommenen Revision durch Antoine Schnapper zu messen, die unbeachtet bleibt.[4] Marie-Pauline Martin hat in ihrer Rezension andere Beispiele unberücksichtigter Forschungen erwähnt und darin den ärgerlichen Haupteinwand gegen diese Abhandlung gesehen.[5] Tatsächlich aber steht zu vermuten, dass die Verfasserin auch diese Studien als bloße Materialsammlungen missverstanden hätte. Material bietet und erschließt die Abhandlung tatsächlich in Fülle, und darin liegt ihr Nutzen; dass dieser Gebrauchswert ganz erheblichen Einschränkungen unterliegt, ist angesichts der Bedeutung des Gegenstands nur mit Bedauern zu konstatieren.

Anmerkungen:
[1] John Goodman: Jansenism, Parlementaire Politics, and Dissidence in the World of Eighteenth-Century Paris. The Case of the Restout Familiy, in: Oxford Art Journal 18 (1995), H. 1, S. 74-95, hier S. 83-85.
[2] Jeanne Laurent: À Propos de l’École des Beaux-Arts, Paris 1987, S. 1-62.
[3] Gudrun Valerius: Die Académie de Saint-Luc als Rivalin der Académie Royale, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 73 (2010), H. 1, S. 115-126.
[4] Antoine Schnapper: Le Métier de peintre au Grand Siècle, Paris 2004, bes. S. 19-113.
[5] Marie-Pauline Martin: [Rezension zu:] Gudrun Valerius, Académie Royale de Peinture et de Sculpture 1648-1793. Geschichte, Organisation, Mitglieder, Norderstedt 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/05/19390.html

Valerius, Gudrun: Académie Royale de Peinture et de Sculpture 1648 - 1793. Geschichte. Organisation. Mitglieder, Books on Demand 2010
ISBN-13: 978-3-8423-2717-7, 384 p., EUR 59,90

Recommended Citation:
Gerrit Walczak: [Review of:] Valerius, Gudrun: Académie Royale de Peinture et de Sculpture 1648 - 1793. Geschichte. Organisation. Mitglieder, 2010. In: ArtHist.net, Jun 23, 2011 (accessed Apr 20, 2024), <https://arthist.net/reviews/1450>.

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