REV 08.02.2006

Sven Hauschke: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt

Rezensiert von Christian Hecht, Weimar
Redaktion: Livia Cárdenas
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Um es gleich zu sagen: Die vorliegende Arbeit ist ein Standardwerk erster Güte. Während hochambitionierte Graduierte fächerübergreifend den künstlerisch-kulturellen Wandel zwischen Oben und Unten, Links und Rechts oder diesem und jenem erforschen, während hochbezahlte Professoren über dem soundsovielten Bachelorprüfungsänderungszusatzregelungsparagraphen brüten, während also dieses alles geschieht, hat Sven Hauschke – und zwar als Dissertation – ein veritables Corpuswerk zu den Grabdenkmälern der Nürnberger Vischer-Werkstatt geschrieben.

Ein Werk über die Grabdenkmäler der Vischer-Werkstatt gab es bisher nicht, sieht man von dem 1925 im Insel-Verlag veröffentlichten Buch Simon Mellers ab: „Peter Vischer der Ältere und seine Werkstatt“. Diese keineswegs schlechte, unideologische Publikation behandelt auf knapp 250 Seiten jedoch nur einige ausgewählte Arbeiten, vor allem das Nürnberger Sebaldusgrab. Gleichzeitig dokumentiert Mellers Buch jedoch auch, vor welchem Hintergrund heute die Beschäftigung mit der Vischer-Werkstatt geschieht. Der Text erschien nämlich in der Reihe „Deutsche Meister“. Erst in den letzten Jahren löst sich langsam die Angststarre, mit der man die Kunst der „Dürer-Zeit“ zu betrachten pflegte. Hauschkes von irgendwelchen falschen Zungenschlägen völlig freie Arbeit dürfte nicht wenig dazu beitragen, diese Entwicklung in die richtige Richtung weitergehen zu lassen.

Das Werk ist in der traditionsreichen Reihe „Denkmäler deutscher Kunst. Bronzegeräte des Mittelalters“ erschienen. Diese Reihe, die von Rainer Kahsnitz herausgegeben wird, ist beim Deutschen Verein für Kunstwissenschaft beheimatet. Man kann allen Verantwortlichen zu diesem schönen Buch, das der Herausgeber zu recht als „Markstein“ bezeichnet, nur ausdrücklich gratulieren. Ebenso darf man auch die Leistung des Michael-Imhof-Verlags hervorheben, der mit einer solchen sehr gut ausgestatteten und qualitätvollen Publikation seine Stellung als wichtiger Kunstverlag weiter gefestigt hat.

Am Beginn (14-31) bringt Hauschke alle bekannten Angaben zu Herrmann d.Ä., Peter d.Ä., Hermann d.J., Peter d.J., Hans und Paulus. Bereits auf diesen Seiten wird erkennbar, wie quellengestützt und genau der Verfasser vorgeht. Es folgt ein sehr detailreiches Kapitel zur Stellung der Werkstatt im deutschen Sprachraum (31-41). Hauschke widmet sich auf diesen Seiten vor allem der künstlerischen Tradition, in der die Nürnberger stehen. Nicht zuletzt aber konstatiert er deren quasi monopolartige Stellung für die Herstellung von Grabplatten. Die Stellung Nürnbergs als Innovationszentrum wird am Beispiel der Vischer-Werkstatt exemplarisch deutlich.

Das folgende Kapitel behandelt die Organisation der Werkstatt (42-64), die ein reiner Familienbetrieb war und an deren Spitze in den neunzig Jahren ihres Bestehens nur drei Vischers standen. Die Fähigkeit Hauschkes, kurz und treffend zu formulieren, wird etwa bei seinen wichtigen Angaben zu den Signaturen der Werkstatt deutlich. Von exemplarischer Bedeutung ist das durch Dokumente unterfütterte Unterkapitel „Vom Entwurf zur Ausführung“. Hauschke liefert hier genaue Definitionen der Begriffe „Visierung“, „Modell“, „Guß“ und „Nacharbeit“. Hinzu kommen Abschnitte zu den Kosten sowie zu Lieferung und Aufstellung. Auch in dieser Beziehung sind seine Ausführungen von beispielhafter Bedeutung für die Kunstproduktion des späten Mittelalters und der beginnenden frühen Neuzeit. Besonders reizvoll sind die Seiten, auf denen sich Hauschke mit stilistischen Fragen auseinandersetzt, denn die sichere Materialbasis erlaubte ihm eine sehr genaue Argumentation. Nicht zuletzt arbeitet er die wichtigen Beziehungen zu Albrecht Dürer heraus. Es folgt ein Kapitel zur Typologie und Ikonographie der Grabdenkmäler, in dem sich Hauschke besonders mit den oft kaum beachteten Inschriften beschäftigt. Natürlich berücksichtigt er intensiv den Memorialzusammenhang, in dem die Grabplatten und Epitaphien stehen. Alles ist dabei bestens dokumentiert, wie die zahlreichen Verweise auf Archivalien belegen.

Im Zentrum der Arbeit steht der eindrucksvolle Katalog von 107 Objekten (107-341), vor den Hauschke noch zahlreiche Schemata von Stoffmustern gestellt hat, die er direkt von den Grabplatten abgenommen hat. Hier zeigt sich sein realienkundliches und ornamentgeschichtliches Interesse. Der Katalog ist nach gravierten und reliefierten Grabdenkmälern sowie nach Grabanlagen eingeteilt, jeweils chronologisch geordnet. Es entsteht so insgesamt ein eindrucksvolles Bild der Entwicklung der Werkstatt.

Die einzelnen Katalognummern sind nach einem einheitlichen Schema gearbeitet: Name des Verstorbenen, Standort, Gießer, Maße, Angaben zur Gießtechnik, Inschrift mit Übersetzung (!), eventuell Wappen, anschließend Beschreibung und Interpretation, am Ende Quellen und Literatur. Ein besonderes Prunkstück ist etwa die Katalognummer 49 (229-234), in der die Krakauer Grabplatte des Filippo Buonaccorsi, gen. Callimachus behandelt wird. Alle Aspekte dieses bedeutenden Werkes, das nach einem Modell Veit Stoß entstanden ist, werden ausführlich behandelt – ein Lehrstück in Sachen „Kulturtransfer“.

Nach dem Katalogteil folgt noch ein größerer Dokumentenanhang, ein ausgezeichneter Abbildungsteil, der hier – zusätzlich zu den Textabbildungen und den Farbtafeln – in der Reihenfolge der Katalognummern eingeschoben ist. Am Ende stehen Literaturverzeichnis und Register.

Hervorzuheben ist die Ausrichtung des Werkes, das ganz allein und für sich „fächerübergeifend“ ist, da es nämlich alle für das Thema wichtigen Fragen behandelt: Material und Technik, Stil, Ikonographie, Theologie sowie natürlich Epigraphik und Heraldik usw.; von den realienkundlichen Problemen der Gewänder und Rüstungen ganz zu schweigen. Die Forderung nach „fächerübergreifender und vernetzter Arbeit“ rennt in der Kunstgeschichte eben offene Türen ein.

Nicht unerwähnt bleiben kann die angenehme Sprache Hauschkes, der es sich nicht nehmen ließ, die bewährte Rechtschreibung zu verwenden und der ohne hohlen Wissenschaftsjargon auskommt. Dafür liest man mit großem Vergnügen die gelungenen Beschreibungen und die klaren Interpretationen. Der Rezensent hat es schon bis jetzt nicht verhehlt, er will es aber am Ende nochmals ganz deutlich schreiben: ein ausgezeichnetes, ganz hervorragendes Buch.

Hauschke, Sven: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt. (1453 - 1544), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006
ISBN-13: 978-3-86568-015-0, 592 S.

Empfohlene Zitation:
Christian Hecht: [Rezension zu:] Hauschke, Sven: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt. (1453 - 1544), Petersberg 2006. In: ArtHist.net, 08.02.2006. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/145>.

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