REV 21.12.2006

Konstanze Beelitz/Niclas Förster (Hgg.): Breslau/Wrocław

Rezensiert von Ute Pannen
Redaktion: Claudia Sedlarz

Von einem undogmatischen Umgang mit Architektur berichten Konstanze Beelitz und Niclas Förster in ihrem Architekturreiseführer Breslau/Wroclaw und überraschen mit architektonischen Schätzen.

Hans Poelzig, Erich Mendelsohn und Hans Scharoun waren in den 1920er Jahren an der zweiten Stadtentwicklung der florierenden Handelsstadt Breslau beteiligt. Die zunehmende Industrialisierung und Landflucht machten die Stadt zu einer der am dichtesten bevölkerten des Deutschen Reiches. Die Modernisierung des mittelalterlichen Stadtbildes zu einer modernen Großstadt hatte der Stadtbaurat Max Berg bereits 1910 entwickelt. Seine Idee der Gliederung in Wohnstadt, Industrie-, Geschäfts- und Handelsstadt nimmt im Wesentlichen die 1940 in der Charta von Athen vereinbarten Eckpunkte für das neue Bauen in einer modernen Gesellschaft vorweg. Als 1920 die Hochhausdebatte in Breslau aufkam, setzte Berg sich für die Errichtung von Hochhäusern an städtebaulich exponierten Stellen ein. So entstanden neben dem Kaufhaus Rudolf Petersdorff von Erich Mendelsohn und dem Warenhaus Wertheim von Herrmann Dernburg, die durch ihre klare Dominanz der Horizontalen bestechen, auch hybride Formen, die einen fließenden Übergang zwischen den Stilen bezeugen. Zu diesen zählt Hans Poelzigs Geschäftshaus in der Junkerstraße. Charakteristisch für dieses Eckgebäude sind neben den horizontalen Fensterbändern, die kannelierten Kapitelle der Pfeiler, die das moderne Erscheinungsbild aufweichen. Ein solch fließender Übergang zwischen den Stilen manifestiert sich auch in der Markthalle Breslaus. Dieser von außen neugotisch anmutende Bau kontrastiert eine Stahlbetonhalle in parabolischer Bogenkonstruktion im Inneren. Das wohl bekannteste Werk des neuen Bauens in Breslau dürfte die 1913 von Max Berg errichtete Jahrhunderthalle sein. Ihre Stahlbetonkonstruktion gehört zu den ersten Europas und fasziniert durch ihre klare Gestalt. Die fünf Fensterbänder bilden ihr einziges Dekor und werden überdacht von einer Kuppel mit der enormen Spannweite von 67 Metern.

An die schiffsförmigen Bauten von Josef Paul Kleihues oder an Hans Scharouns Tankerarchitektur erinnert Max Tauberts Vereinsheim von 1929, das dem Leser gleich auf der Titelseite entgegensteuert.

,Breslau/Wroclaw. Die Architektur der Moderne' ist der erste Architekturführer zur Moderne in Breslau. Die Autoren Konstanze Beelitz und Niclas Förster wecken mit diesem Reisebegleiter zu 60 Schätzen der Moderne große Lust, eine Reise in die schlesische Stadt zu unternehmen. Diesen Reisedrang und Forschergeist provozieren nicht zuletzt die aussagekräftigen Architekturfotografien von Niclas Förster, die mit großer Sensibilität für Details die markanten Züge der Bauten herausarbeiten. Die Entscheidung die Objekte vornehmlich in reduzierter Winterlandschaft zu dokumentieren, wirft die Architektur noch einmal mehr auf sich selbst zurück und akzentuiert die klare Ästhetik des neuen Bauens.

Formal überzeugt der Band durch sein handliches A5-Format und die klare Struktur von einer Doppelseite pro Objekt, die konsequent mit zwei Abbildungen eröffnet wird, denen eine Kurzbeschreibung von Baubeginn bis zum heutigen Zustand des Bauwerks folgt. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis, das neben den Namen von Gebäuden und Bauherrn auch das Entstehungsjahr angibt, liefert bereits einen Überblick über die topografische Struktur des Buches, die es auch zu einem nützlichen Wegweiser zu den Bauten macht. So werden im ersten Kapitel 20 Bauten des Stadtzentrums vorgestellt und ein Innenstadtplan vorausgeschickt. Ebenso wird dem Architekturinteressierten in weiteren fünf Kapiteln ein Plan der übrigen Stadtteile mit an die Hand gegeben. Die Numerierung der Objekte im Inhaltsverzeichnis kann in Konkurrenz zu den Seitenzahlen Verwirrung stiften.

Die Texte der beiden Autoren informieren kurz und sachlich über die bauliche Situation im Entstehungsjahr und kontextualisieren sie historisch sowie geographisch. Sie beschreiben die herausragenden Eigenheiten der Architektur und den heutigen Zustand der Gebäude. Es handelt sich um einen informativen Kurzführer, den man gerne in die Hand nimmt, auf Reisen ebenso wie am Schreibtisch.

Die Förderung des Buches unter anderen durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der bilinguale Titel Breslau/Wroclaw zeigen, dass die Autoren Interesse an einer gemeinsamen Rezeption dieser Kulturgüter haben. Umso erfreulicher ist es, dass der Band in beiden Sprachen erscheint, im deutschen Wasmuth- sowie im polnischen Via Nova-Verlag. Das ist ein Beitrag zum Zusammenwachsen Europas im gemeinsamen Entdecken seines historischen Erbes.

Beelitz, Konstanze; Förster, Niclas (Hrsg.): Breslau/Wrocław. Die Architektur der Moderne, Tübingen [u.a.]: Ernst Wasmuth Verlag 2006
ISBN-10: 3-8030-0660-0, 176 S., EUR 12.80, sfr 23.30

Empfohlene Zitation:
Ute Pannen: [Rezension zu:] Beelitz, Konstanze; Förster, Niclas (Hrsg.): Breslau/Wrocław. Die Architektur der Moderne, Tübingen [u.a.] 2006. In: ArtHist.net, 21.12.2006. Letzter Zugriff 24.04.2024. <https://arthist.net/reviews/142>.

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