REV 09.06.2011

Maaz: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltk

Rezensiert von Stefan Dürre, Dresden
Redaktion: Hans Georg Hiller von Gaertringen
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Das opulente zweibändige Werk wird, dies sei vorausgeschickt, seinem im Titel formulierten umfassenden Anspruch gerecht.
Gewiss gibt es zahlreiche hervorragende Forschungen zu einzelnen Aspekten des Themas, Regionen oder bestimmten Bildhauern, wie jene von Peter Bloch, Jutta Simson, Bärbel Stephan oder auch Bernhard Maaz selbst, um nur einige wichtige Autoren zu nennen. Eine gesamtdeutsche Überblicksdarstellung der Skulptur im 19. Jahrhundert jedoch fehlte bisher. Maaz begründet dies damit, dass „das Thema der Forschung zu komplex oder zu kompliziert erscheint“. Tatsächlich steht auch hier die Skulptur im Schatten der Malerei, denn zu letzterer liegen für den gleichen Zeitraum etliche Publikationen vor.
Über eine Gesamtdarstellung des Gegenstandes hinaus strebt der Autor eine eingehende Beschreibung der Funktionen und Anwendungsbereiche der Skulptur „zwischen Denkmal und Medaille“ an.
Dementsprechend ist das Buch zunächst in drei große Kapitel gegliedert, beginnend mit einem als Einführung zu verstehenden Kapitel mit dem Titel „Urteile und Verluste – Besonderheiten und Wahrnehmung der Skulptur des 19. Jahrhunderts“, gefolgt von einer mit „Aufgaben und Funktionen der Skulptur“ benannten, umfangreichen und stark untergliederten Abhandlung über inhaltliche und stilistische Fragen sowie einer sich anschließenden Erörterung von Grenzbereichen zu anderen Gattungen: „Die Skulptur im Kontext der bildenden Künste“. Die Vielgestaltigkeit des Themas, in dessen Bewältigung der Autor selbst ein großes Wagnis erkennt, ließe sicher auch andere Gliederungen zu, doch fand Maaz besonders über die Perspektive der Bildhauer, die er immer wieder zu vermitteln versucht, zu dieser Einteilung. Ein sehr umfänglicher wissenschaftlicher Apparat schließt das Werk ab.

Zwar geht Bernhard Maaz bei seiner Gesamtschau der Skulptur im Deutschland des 19. Jahrhunderts häufig von Berlin aus, dem Ort, an dem er fast 25 Jahre lang bei den Staatlichen Museen beschäftigt war, und kommt nicht selten auf den Bestand der Alten Nationalgalerie zurück. Doch war Berlin im 19. Jahrhundert tatsächlich Zentrum der Bildhauerei, und allein schon die Nationalgalerie samt ihrer Zweigstelle Friedrichswerdersche Kirche verfügt über einen dafür repräsentativen Werkfundus. Mit der zeitlichen Eingrenzung „zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg“ als ereignisgeschichtlicher Klammer zitiert Maaz eine übliche Markierung von Anfang und Ende des so genannten „langen 19. Jahrhunderts“. Bereits im Klappentext nennt er weitere Pole dieser Epoche „zwischen Goethe und Wilhelm II.“ sowie zwischen „Aufklärung und Nietzscheschem Skeptizismus“. Damit wird die Bildhauerei in den politischen und geistesgeschichtlichen Kontext einer von Um- und Aufbrüchen bestimmten Zeit eingeordnet. Damit einher ging letztlich auch ein Wandel von Sinn und Funktion der Skulptur.
Einmal mehr weist sich der Autor als intimer Kenner des Sujets aus. Gegenstand seiner Betrachtung und im zweiten sowie dritten Kapitel auch Gliederungspunkte sind Denkmal-, Porträt-, Bau-, Sakral-, Sepukral-, Garten-, Brunnen- und Tierplastik, aber auch Medaillen und kunsthandwerkliche Gegenstände. Maaz beschränkt sich innerhalb dieser Abhandlungen nicht nur auf die bis heute bekannten Meister wie Johann Gottfried Schadow, Christian Daniel Rauch, Christian Friedrich Tieck, Ludwig Schwanthaler, Reinhold Begas oder Adolf von Hildebrand, sondern rückt auch das Werk heute weitgehend vergessener Künstler wie Carl Steinhäuser oder Julius Trockel ins Licht.
Auch das oft vernachlässigte Feld der architekturbezogenen Plastik wird behandelt. So fehlt eigentlich nichts und niemand, um das überaus weite Betätigungsfeld der Bildhauer im 19. Jahrhundert aufzuzeigen und zu verdeutlichen, welch hohen Stellenwert die Skulptur damals innerhalb der bildenden Kunst, ja in der Gestaltung fast aller Lebensbereiche des Menschen innehatte. Besonders in der Denkmalplastik wird die Hauptaufgabe damaliger Bildnerei deutlich: die Darstellung des Menschen und seine jeweilige Bedeutung innerhalb der Gesellschaft. Es stellt einen großen Vorzug des Buches dar, dass Maaz den Blick dabei nicht auf das materiell Überlieferte beschränkt, denn gerade dieses Gebiet kann man im 19. Jahrhundert nur verstehen, wenn man sich klar macht, dass ein Großteil der Werke später eingeschmolzen oder anderweitig vernichtet wurde.
Das Buch birgt darüber hinaus eine reiche Zahl an überwiegend qualitätvollen, in Band 1 sogar oft ganzseitigen und zum Teil historischen Schwarz-Weiß-Abbildungen, deren Menge in ausgewogenem Verhältnis zum Text erscheint. Dies verleiht dem Werk über seinen wissenschaftlichen Wert hinaus den Charakter eines mit Genuss erfahrbaren Bildpanoramas.
In den eingangs zitierten, das Buch gliedernden drei großen Kapiteln wechselt Maaz souverän zwischen formalen, ikonographischen, historischen oder rein philosophischen Schwerpunkten. Etliche dieser Betrachtungen wären zu erwarten, scheinen unerlässlich, andere wiederum sind deutlich individuell geprägt, durch den persönlichen Umgang des Autors mit seinem Forschungsgegenstand. So legt Maaz etwa von Anfang an Wert darauf, dem Leser die Sichtweise und die speziellen Probleme des Bildhauers nahe zu bringen. Der Autor führt den Leser in die Werkstätten der Skulpteure, lässt ihn gleichsam teilhaben am Entstehungsprozess eines Werkes.
Eine Fülle an Informationen und Anregungen zur weiteren Forschung enthält der umfangreiche Apparat in Band 2. Dort publiziert Maaz zunächst eine Auswahl von Bildhauerbriefen, sodann eine „Entwicklungsgeschichte und ein Lexikon zum Bildguss“ sowie eine ausführliches Glossar zur „Terminologie für die Skulptur des 19. Jahrhunderts“. Maaz beweist hier ein besonderes Interesse am technischen Herstellungsprozess, das – gerade weil es für heutige Kunsthistoriker nicht selbstverständlich ist – besonders erhellende Erkenntnisse hervorbringt: „Um eine Skulptur recht und umfassend zu deuten, bedarf es der Einsicht in ihre technischen Aspekte, in die Bedingtheiten von Material, Transport, Bearbeitung, ja sogar in die konservatorischen Eigenheiten, die diese oder jene Alterung und damit das heutige Erscheinungsbild erzeugt haben“ (S. 665). Damit verpflichtet er sich den Worten Gottfried Schadows, den er als Künstler an den Beginn seines Forschungsgegenstands stellt: „Liebe und Achtung müsste es doch dem Künstler bei seinen Landsleuten verschaffen, wenn sie wüssten die vielfachen und mühseligen Schwierigkeiten, die sowohl den Geist als seinen Körper zu bekämpfen haben, ehe eine große Arbeit vollendet ist“ (Julius Friedlaender, Hrsg.: Gottfried Schadow. Aufsätze und Briefe nebst einem Verzeichnis seiner Werke. Zur hundertjährigen Feier seiner Geburt 20. Mai 1764. Stuttgart 1890, 2. Auflage, S. 57).
Nur an wenigen Stellen des Buches mag sich der Leser eventuell ein Weitergehen des Autors wünschen. Wenn etwa der Blick auf die Medaillenkunst gelenkt und zu Recht darauf verwiesen wird, dass es für den Bildhauer im kleinen Format die gleichen Probleme zu bewältigen gilt wie im großen Relief, wäre ein Exkurs in die Münzbildnerei wünschenswert. Auch ein Ausblick auf anschließende oder bereits parallel laufende Tendenzen an der Wende zum 20. Jahrhundert wie die Skulptur des Jugendstils oder des Expressionismus, fehlt. Bedauerlich sind schließlich kleinere Formfehler, die jedoch nicht primär dem Autor anzulasten sind. So fallen bereits im Vorwort, wo die erste Begegnung der meisten Leser mit dem Buch stattfindet, gleich acht grobe Druckfehler ins Auge.
Abgesehen von diesen Marginalien ist hier jedoch ein Werk entstanden, das an Umfang, Tiefgründigkeit und Qualität der Präsentation sowie dem Vermögen, zu weiterer Forschung anzuregen, sich innerhalb der Literatur zur Skulptur und Plastik im 19. Jahrhundert mit Sicherheit einen vorderen Platz erobern wird.

Maaz, Bernhard: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010
ISBN-13: 978-3-422-07006-6, 2 Bd. (769 S.), 178.00 EUR

Empfohlene Zitation:
Stefan Dürre: [Rezension zu:] Maaz, Bernhard: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, Berlin 2010. In: ArtHist.net, 09.06.2011. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/1408>.

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