REV 20.01.2009

Jan F. Richter: Claus Berg. Retabelproduktion des ausgehenden Mittelalters

Rezensiert von Knüvener Peter
Redaktion: Livia Cárdenas
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In dem vorliegenden Werk findet mit Claus Berg nicht nur einer der bedeutendsten Künstler des Spätmittelalters in Norddeutschland eine monografische Bearbeitung. Der künstlerische Kontext wird in umfassender Weise thematisiert und damit wird eine eingehende Sichtung von Retabeln und Skulptur des Osteseeraums angestrebt. Es geht darum, die im norddeutschen Küstenland äußerst umfangreich vorhandenen mittelalterlichen Werke meist namenloser Meister zu ordnen und einzelnen Künstlerpersönlichkeiten zuzuweisen. Dies ist, das sei vorweggenommen, das besondere Verdienst dieser Arbeit, die wie wenige Studien der letzten Jahre zum Thema norddeutscher Kunst des Spätmittelalters kaum bekanntes Material erschließt und geradezu einen inventarisatorischen Anspruch verfolgt.

Claus Berg gehört zu den norddeutschen Schnitzern des Spätmittelalters, die in großem Maße von der Kunst berühmter süddeutscher Bildhauer wie Veit Stoß geprägt wurden und die die in Süddeutschland entwickelten Formen in den Norden brachten, wo sie weite Verbreitung fanden. Ob Berg selbst in Süddeutschland gelernt hat, ist quellenmäßig nicht belegt und nach wie vor eine intensiv diskutierte Frage. Zweifellos ist er jedoch nicht einfach ein Nachahmer der süddeutschen „Heroen“, sondern schuf eine eigene, expressive und unverwechselbare Formensprache, die ihm – wohl mehr als anderen norddeutschen Schnitzern seiner Zeit – Bekanntheit und Beachtung eintrugen und einen Platz in der Kunstgeschichtsschreibung sicherte.

Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile, denen ein knapper Forschungsbericht sowie kurze Kapitel zu den historischen Daten zu Claus Berg und dem zeitgenössischen Kontext vorgeschaltet sind. Ausgangspunkt ist das erste Schlüsselwerk Bergs, das Hochaltarretabel für die königliche Grablege im dänischen Odense, das als Basis für die Zuschreibung zahlreicher Altarwerke und Skulpturen zunächst in Dänemark, dann in Deutschland, dient. In einem nächsten Schritt werden assoziierte Schnitzer in Dänemark untersucht, dann die bisher meist stiefmütterlich behandelten Tafelmalereien der dänischen Altarwerke. Im abschließenden, sehr umfangreichen Teil des Bandes wird der stilistische Kontext Bergs beleuchtet, und zwar einmal die in Frage kommenden süddeutschen Voraussetzungen, alsdann die vorausgehenden und zeitgenössischen und ebenfalls süddeutsch beeinflussten Künstler im Ostseeraum. Nach einem Fazit, einer Zeittafel, Farbtafeln zentraler Werke sowie einer Reihe von Übersichtskarten folgt ein Katalog zu den im Band besprochenen Werken, hier nicht nur Claus Bergs, sondern auch der behandelten anonymen Meister. Abgeschlossen wird das Buch durch eine Zusammenstellung der relevanten Quellentexte, einem Literaturverzeichnis sowie einem ausführlichen Register.

Sorgfältig wird das bekannte Werk Claus Bergs ausgebreitet und auf der Basis der zentralen bisherigen Arbeiten – besonders von Viggo Thorlacius-Ussing, Max Hasse und Karin Kanter – diskutiert. [1] Die Produktion seiner Werkstatt war groß – das ist erstaunlich und wird dazu beitragen, Berg in einem neuen Licht zu sehen, hat man ihn doch besonders in Deutschland oft auf seine Hauptwerke (Odense und Güstrow) reduziert.

Mit Unsicherheiten behaftet ist nach wie vor die Herkunft Bergs aus Lübeck. Es erscheint merkwürdig, dass aus der Zeit vor seiner Übersiedlung nach Dänemark praktisch keine Werke in Lübeck erhalten geblieben sein sollen – die einzige Skulptur ist (Zuschreibung von Max Hasse 1965 [2]) eine Madonna aus dem Heilig-Geist-Hospital, und auch die Zuschreibung dieser Skulptur an Berg scheint nicht bis ins letzte überzeugend.

Doch allein an der Gewichtung der einzelnen Kapitel wird deutlich, dass es Richter um weit mehr geht, als eine Monographie zum Künstler Claus Berg vorzulegen. In dem Buch wird – gemäß dem Untertitel – vielmehr der Versuch unternommen, große Teile der nordostdeutschen und der baltischen Schnitzkunst aus der Zeit von ca. 1510-1530 zu bewerten und neu zu ordnen. Ausgangspunkt ist dabei immer wieder die Stadt Lübeck, die für Richter – wie in der Forschung vormals meist auch – DAS Kunstzentrum des Ostseeraums gewesen ist. [3] In dieser Stadt waren große Werkstätten tätig, die das gesamte Baltikum mit Retabeln versorgt haben.

Eine zentrale Bedeutung hatte die von Richter erstmals umfangreich behandelte Werkstatt des Hochaltarretabels der Prenzlauer Marienkirche (dat. 1512) inne, der ein umfangreiches Oeuvre zugeschrieben wird. Der Schnitzer dieses Retabels war etwas älter als Berg und einer der ersten, der süddeutsches Formengut (hier Riemenschneider) in den Norden brachte, jedoch gleichfalls niederländische Einflüsse verarbeitete. Diesem Meister werden Werke wie die Retabel aus Rehna (Mecklenburg) Köping (Schweden), Osnøy (Norwegen, jetzt Oslo, Universitätssammlung) zugewiesen. Ein ähnlicher Fall ist der zur selben Zeit in Lübeck tätige rätselhafte „Meister der Rosenkranzaltäre“- benannt nach einer Lübecker Gruppe von Retabeln - der Forscher früherer Zeit immer wieder beschäftigt hat. [4] Richter unternimmt auch hier Neuzuweisungen bzw. er schreibt dem vorgenannten Prenzlauer Meister Werke ab – z. B. die Marienkrönung aus der Lübecker Jakobikirche im St. Annenmuseum (S. 260) [5] – , die nun dem Meister der Rosenkranzaltäre zugeordnet werden. Dies – so auch im zitierten Fall – vermag nicht immer zu überzeugen. Das „Zuschreibungskarussell“ geht hier in eine neue Runde. Fraglich ist auch, wie man Werke wie besagte Marienkrönungsgruppe und das Retabel im westfälischen Breckerfeld oder sogar das Rostocker Rochusretabel demselben Schnitzer (eben dem Meister der Rosenkranzaltäre) geben kann.

Nicht unkritisch sind auch die Teile der Studie zu sehen, in denen die Nachfolgewerke der Güstrower Domapostel besprochen werden. Sowohl die Händescheidungen der angenommenen Schüler Bergs (etwa die Schnitzer des Wittstocker oder Lanckener Retabels), als auch die Überlegungen zu deren Lokalisierung (in Güstrow, Wittstock und Parchim) sind nicht immer nachvollziehbar und erscheinen zu hypothetisch. Die Werkstatt des „Gesellen Claus Bergs in Parchim“ wird z.B. nur aufgrund zweier im Umkreis der Stadt erhaltener Werke lokalisiert. Die Möglichkeit einer solchen Parchimer Werkstatt besteht freilich, jedoch wäre eine etwas vorsichtigere Formulierung bisweilen am Platze. Als wichtige und überzeugende Neuzuschreibung an einen Bergschüler – übrigens an ebendiesen „Parchimer Gesellen“ - ist der monumentale Christophorus in Warnemünde bei Rostock zu nennen (S. 141f.).

Für die Forschung noch entscheidender sind jedoch die Bestrebungen, wenig oder sogar gänzlich unbekanntes Material in einen Kontext zu bringen. Als Beispiel sei hier der von Richter als „Uelzener Meister“ eingeführte Künstler genannt – ein deutlich sichtbar von Riemenschneider beeinflusster Schnitzer, der qualitätvolle Retabel in Ostniedersachsen (z. B. Rätzlingen, Riestedt [6] – jetzt in der niedersächsischen Landesgalerie Hannover) und auch in der benachbarten Altmark hinterließ (Wistedt, dat. 1515). Es werden auf diese Weise weitere Werkgruppen – besonders auch aus Mecklenburg – in die Forschung eingebracht. Das Material ist erstaunlich zahlreich, so daß es schwierig ist, den Überblick zu bewahren. Richter gebührt für das hier Geleistete ein großes Lob – es gibt viele Ansätze für die weitere Forschung: Die Vielfalt der vorgestellten Werke ist groß, sie zeigen, wie reizvoll es ist, die doch bisweilen schon recht ausgetretenen Pfade der Forschung zur Lübecker Skulptur zu verlassen. Und doch ergeben sich aus der Lektüre auch hier Fragen – schon allein im Hinblick auf die Abgrenzung des Untersuchungsbereichs: So liegen Mecklenburg und das nordöstliche Niedersachsen im Fokus des Autors, die sich südlich anschließende Mark Brandenburg schon weit weniger, Hinterpommern mit so wichtigen Zentren wie Stettin und Kolberg jedoch nicht: Der Untersuchungsraum scheint ahistorisch durch die Oder begrenzt zu sein, zwischen Anklam und Danzig klafft eine Lücke. Die polnische Forschung der Nachkriegszeit fand konsequenterweise auch praktisch keinen Widerhall in der Arbeit, obwohl sich polnische Kunsthistoriker seit mehreren Jahrzehnten mit ähnlichen Fragen wie Richter beschäftigt haben. [7] So sind die im Stettiner Nationalmuseum und andernorts in Pommern vorhandenen Werke sehr aufschlussreich im Hinblick auf den süddeutschen Einfluss im Ostseeraum kurz vor der Reformation. Einige der fraglichen Retabel stehen den Werken Claus Bergs sogar verblüffend nahe – ohne dass man sie als zweitrangige Rezeptionen abtun könnte (etwa die Skulpturen des Retabels aus der Stettiner Gertraudenkirche oder aus Groß Wubiser/Nowe Ojezierze in der Neumark, jetzt in der Stettiner Jakobikirche).

Es bleiben also einige Wünsche offen, was die Leistung Richters jedoch nicht schmälert. Das Pensum, das in der Arbeit abgedeckt wurde, war enorm – vielleicht etwas zu umfangreich. Das Buch bietet zahlreiche Anregungen zu weitergehenden Forschungen – weit mehr als andere Studien der letzten Zeit. Es ist zu wünschen, dass der Malerei und Skulptur in Nordostdeutschland auch in Zukunft die Beachtung zukommt, die sie verdient.

Anmerkungen
[1] Viggo Thorlacius-Ussing, Billedskæreren Claus Berg. En fremstilling af hans liv og virksomhed med særlig henblik på nyere fund og undersøgeler, Kopenhagen 1922, Max Hasse, Lübecker Maler und Bildschnitzer um 1500. Zweiter Teil, in: Niederdeutsche Beiträge für Kunstgeschichte Bd. IV (1965), S. 137-56 und Karin Kanter, Studien zu Claus Berg als Bildschnitzer, Diss. Tübingen 2000 (Microfiche).
[2] Hasse (wie Anm. 1, S. 148ff.).
[3] Siehe z. B. die zahlreichen Publikationen von Max Hasse.
[4] Z. B. Max Hasse, Der Meister der Rosenkranzaltäre, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. I (1961), S. 201-17.
[5] Max Hasse, Lübeck, St. Annenmuseum. Die sakralen Werke, 2. erweiterte Auflage 1970, S. 172.
[6] Zu den aus dem Kreis Uelzen stammenden Werken siehe Paul Schäffer, Schnitzaltäre des späten Mittelalters im Kreis Uelzen, Uelzen 1984.
[7] Siehe z.B., Zofia Krzymuska-Fafius, Plastyka Gotycka na Pomorzu Zachodnim. Katalog zbiorów. Muzeum Pomorza Zachodniego (Gotische Plastik in Westpommern, Sammlungskatalog), Stettin 1962 sowie dies. Poźnogotycka rzeżba Szczecina. Tendencje i powiązania (Spätgotische Skulptur in Stettin. Tendenzen und Verbindungen), in: Biuletyn Historii Sztuki 3/1992, S. 13-30.

Richter, Jan Friedrich: Claus Berg. Retabelproduktion des ausgehenden Mittelalters im Ostseeraum, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2007
ISBN-13: 978-3-87157-218-0, 320 p., EUR 89.00

Empfohlene Zitation:
Knüvener Peter: [Rezension zu:] Richter, Jan Friedrich: Claus Berg. Retabelproduktion des ausgehenden Mittelalters im Ostseeraum, 2007. In: ArtHist.net, 20.01.2009. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/14>.

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