Birgit Hopfener ist mit der 2011 an der Freien Universität Berlin eingereichten und 2013 bei transcript publizierten Dissertation „Installationskunst in China. Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen“ ein grundlegender Beitrag zur transkulturellen Kunstgeschichte gelungen. Ausgehend von der Installationskunst in China vom Ende der Kulturrevolution bis heute legt sie mit dem vorliegenden Band den Fokus auf eine Genealogie der Bewegtbild-Installation, die sich, so Hopfener, durch „besonders hohe performative Qualität“ auszeichne, „die dieser durch die Betonung der Dimension Zeit (...) zugeschrieben wird.“ (S. 12)
In drei ausführlichen Teilen untersucht Hopfener die Verhandlung von kultureller Differenz in dem von ihr gewählten Feld aus kultur- und kunsttheoretischer Perspektive, unter besonderer Berücksichtigung der entideologisierenden Wirkungsmacht der Installationskunst in China in den 1980er Jahren sowie des traditionell performativ angelegten chinesischen Kunstverständnisses. Im Zentrum stehen die Untersuchung des jeweiligen sozio-politischen Kontextes von Installationskunst in China und deren Abgrenzung ab den 1980er Jahren von sogenannten „humanistischen“ Kunstströmungen mit einem idealistischen Subjektbegriff bei einer gleichzeitigen Beeinflussung durch poststrukturalistisch geprägte Diskurse, die von einem dezentrierten „Selbst“ ausgehen.
„Installationskunst in China“ ist in der transkulturellen Kunstgeschichtsschreibung zu positionieren und schließt eine Lücke in der Forschung zur zeitgenössischen Kunst aus China. Vor der Folie des globalisierten Kunstfeldes untersucht Hopfener die Austauschprozesse und Verwobenheiten der Installationskunst und ihrer in China wie international wirkenden Akteure. Hopfener macht hierbei die These stark, dass die Installationskunst zwar international formale Ähnlichkeiten aufweise, jedoch jeweils vor ihren lokalen Entstehungsbedingungen und transkulturellen Aushandlungen gelesen werden müsse.
Das Medium Bewegtbild-Installation ist in diesem Zusammenhang besonders interessant und seine Untersuchung Erkenntnis bringend, da sich an seiner hohen Performativität der eurozentrisch geprägte Subjekt-Objekt-Dualismus bricht und somit die Qualität der Verhandlung von zeitgenössischer Kunst in stetigen Translationsprozessen immer wieder aufs Neue manifestiert. Sowohl Bedeutung als auch das Betrachtersubjekt selbst generieren sich hier kontinuierlich neu. Indem Hopfener die europäische Tradition der Repräsentationsästhetik der zeitgenössischen Installationskunst in China vor dem Hintergrund deren traditioneller, performativer Betrachtererfahrung gegenüberstellt, entwickelt sie eine Neukonzeptionalisierung des Diskurses zur Installationskunst, auch über den chinesischen Kontext hinaus.
Im ersten Teil des vorliegenden Bandes setzt und illustriert Hopfener die These, dass sich die Installation als Transformationsmedium insbesondere zur Verhandlung kultureller Differenz eigne. Dies führt sie zurück auf deren „spezifische Ästhetik der Entgrenzung“ (S. 12) und performative Qualitäten, die per se mögliche Essenzialisierungen unterlaufen. Für ihre Argumentation und das Verständnis von einer transkulturell agierenden Installationskunst aktiviert Hopfener das Denkmodell vom „Dritten Raum“, das auf den postkolonialen Theoretiker Homi Bhabhas zurückgeht. Sie transponiert Bhabhas Konzept des „Dazwischen“, das kulturelle Originalität und „Reinheit“ und damit in sich abgeschlossene Kulturen ablehnt und sich vielmehr in stetigen Übersetzungsprozessen immer wieder neu konstituiert, auf die Installationskunst, die ebenso die Festlegung von Bedeutung durch ein verfügendes Subjekt in einer als abgeschlossen betrachteten Kultur ablehnt.
In ihren Darlegungen macht Hopfener Körperlichkeit und die Dimension Zeit als grundlegende Betrachtererfahrungen in der Installation stark und arbeitet hier Unterschiede zu Bhabhas Ansatz heraus. Die transkulturelle (Bewegtbild-)Installation charakterisiert sich ihr nach neben performativen Qualitäten ebenso durch Relationalität und eine hohe Dynamik des Bedeutungsprozesses, den sie der Leserschaft in den folgenden Kapiteln anhand von zahlreichen Fallbeispielen vor Augen führt.
Der zweite Teil der Arbeit ist der Geschichte der Installationskunst in China anhand von Werken aus der Zeit zwischen 1989 und den 2000er Jahren, darunter von mittlerweile international renommierten Vertretern der Konzeptkunst wie Zhang Peili, Song Dong und Lin Tianmiao, gewidmet. Hopfener zeichnet hier die Auseinandersetzung der chinesischen Installationskunst mit dem traditionellen „Humanismus“ und deren Abgrenzung von diesem nach. Sie macht hierfür Michel Foucaults Ansatz nutzbar, der von nicht-linearen kulturellen Entwicklungen ausgeht, und entwirft mit ihm argumentierend die chinesische Konzeptkunst jener Zeit anhand von Beispielen aus Video- und Medienkunst sowie Installation und Performance als Gegengeschichte zur offiziellen chinesischen Kunstgeschichte.
Deutlich wird in den Ausführungen das dezentrierte Verständnis von Subjektivität in der chinesischen Kunst (und jenseits von westlichen Kontexten auch darüber hinaus), welches das Subjekt-Objekt-Verhältnis dynamisiert und stetig neue Bedeutungsmöglichkeiten generiert. Wie spannungsreich sich dies in der Kunst manifestieren kann, zeigen Arbeiten, die Tabus brechen und das Feld der privaten und öffentlichen Sphäre(n) konzeptionalisieren. Dazu gibt Hopfener so umfassende wie erhellende Einblicke in kontrovers diskutierte Phänomene wie den Einsatz von Leichen und Referenzen auf diese sowie Beispiele der „Apartment Art“ (Gao Minglu) in der chinesischen Kunst der 1990er Jahre, die in öffentlichen Räumen, aber auch im „Underground“ von privaten Räumen wie Künstler- und Sammlerwohnungen präsentiert wurde und sich häufig durch ihre Ephemerität auszeichnete.
In den Arbeiten der Künstlerin Lin Tianmiao werden so das Künstler-Ich und seine Gegenüber in immer neue Konstellationen mit dem Werk gebracht. Lin setzt in Installationen wie Bound Unbound (1995-1997) Materialien aus dem häuslichen Kontext ein, indem sie große Mengen von Alltagsgegenständen mit weißem Garn umwickelt und diese vor einer Leinwand aus dicht hängenden Fäden auslegt. Die Dinge sind zwar weiterhin als solche erkennbar, durch die Garnhülle jedoch ihres bisherigen Kontextes enthoben. Stattdessen erhalten sie vor der Projektion, die das Zerschneiden von Garn zeigt, eine neue Identität und werden Teil einer veränderten ästhetischen Aussage, die sich neben dem formalen Neuaufschlag auch aus der Praxis des kollektiven Wickelns der Künstlerin mit Freunden und Verwandten generiert. Das Werk entsteht nicht mehr durch Kopf und Hand des Künstler-Subjektes, sondern ist Ergebnis von dessen Auseinandersetzung mit seinen/ihren sozialen Beziehungen (S. 195-197).
Tendenzen und Werkbeispiele wie diese zeigen geradezu paradigmatisch, dass sich das in der euro-amerikanischen Tradition gepflegte Verständnis von Subjekt und Objekt sowie die Trennung von Leben und Kunst im chinesischen Kunstverständnis –wie auch in anderen außereuropäischen Kontexten– grundsätzlich anders verhalten; der Subjekt-Objekt-Dualismus wird hier vielmehr durchbrochen bzw. hat bisweilen nie Relevanz erlangt.
Der dritte Teil der Arbeit nimmt die Bewegtbild-Installation, und hier insbesondere Video basierte Arbeiten, in den Blick, die seit Mitte der 1990er Jahre zu einem der beliebtesten Medien der chinesischen Konzeptkunst avanciert sind. Konzise hergeleitet stellt Hopfener Analogien zwischen der antiken chinesischen Wahrnehmung von Kunst, die sich durch relationale und performative Qualitäten von Subjekt und Objekt auszeichnete, und der auf Berührung und Verlebendigung beruhenden Wahrnehmung von Installationskunst im China der 1990er Jahre her. In einer historisch wie anthropologisch belegten Argumentation arbeitet sie das erfahrungsbasierte Verhältnis zur Welt durch Subjekt und Objekt in beiden Phänomenen heraus und untermauert damit die Opposition zum westlichen Subjekt-Objekt-Dualismus, der auch die euro-amerikanische Kunstgeschichtsschreibung bis heute in weiten Teilen weiterhin prägt.
Die zentrale Leistung der Dissertation „Installationskunst in China. Transkulturelle Reflexionsräue einer Genealogie des Performativen“ besteht darin, mit verbreiteten Essenzialisierungen von Ost-West- und China-Europa/USA-Dichotomien in der Kunstgeschichtsschreibung aufzuräumen und die zeitgenössische Installationskunst in China weder als „chinesisch“ in einem nationalistischen Sinne noch als fernöstliche Adaption eines westlichen Konzeptes festzuschreiben. Hopfener arbeitet vielmehr Unterschiede in der bildenden Kunst und deren Rezeption in China und im Westen heraus, indem sie das westliche, als Repräsentation verstandene dem chinesischen Kunstverständnis gegenüberstellt, welches Kunst als einen Ort versteht, an dem die Beziehung des Menschen zur Welt und zu anderen Individuen immer wieder aufs Neue in performativen Prozessen verhandelt wird.
Sie macht unter Berücksichtigung lokaler historischer Zusammenhänge, wie insbesondere das dritte Kapitel der Dissertation zeigt, neue Zugänge zur zeitgenössischen (Bewegtbild-) Installation in China auf und liefert damit einen zentralen Beitrag zur gegenwärtigen transkulturellen Kunstgeschichtsschreibung, die statt nationaler Zuschreibungen und Abgrenzungen Gegenwartskunst vor der Folie der weltweiten Zirkulation von Bildern, von Austausch- und Verwebungsprozessen liest, welche die Kunstproduktion und -–rezeption in Europa und den USA sowie in außereuropäischen Kontexten seit dem Ende des Kalten Krieges grundlegend prägen. Dem vorliegenden Band gelingt dabei über den Entwurf einer „Gegengeschichte“ im Foucaultschen Sinne hinaus eine differenzierte Erweiterung des Feldes der transkulturellen Kunstgeschichte, die perspektivisch Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung bieten kann.
Hopfener, Birgit: Installationskunst in China. Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen (= Image; 45), Bielefeld: transcript Verlag 2013
ISBN-13: 978-3-8376-2201-0, 328 S., 36,80 EUR
Empfohlene Zitation:
Kirsten Einfeldt: [Rezension zu:] Hopfener, Birgit: Installationskunst in China. Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen (= Image; 45), Bielefeld 2013. In: ArtHist.net, 05.10.2016. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/13877>.
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