REV-CONF 13.05.2011

"Baut auf die Vergangenheit!"

Stadtmodell Hamburg, Wexstraße 7, 11.04.2011

Bericht von Joerg Schilling
Redaktion: Rainer Donandt

Podiumsdiskussion: "Baut auf die Vergangenheit! Wie Hamburg sein kulturelles Erbe neu entdeckt." Veranstaltet von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU)

Es scheint so, als würden die Flutwellen des Unwetters, das "Stuttgart 21" entfachte, langsam auch an die Waterkant schwappen. So könnte die rege Bürgerbeteiligung aus Anlass einer Podiusmdiskussion und Buchpräsentation verstanden werden, zu welcher die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) der Freien und Hansestadt Hamburg aus Anlass der Veröffentlichung des neuen Pocket-Architekturführers "Hamburg: Architektur der sich wandelnden Stadt – Stadtentwicklung und Denkmalschutz"[1] am 11. April 2011 einlud.
Der Führer umfasst, als Dritter seiner Art[2], auf 270 Seiten im Hosentaschenformat, gegliedert nach den Hamburger Bezirken, 75 Projekte – "Baudenkmäler, die in den letzten Jahren baulich verändert wurden oder verändert werden".[3] Nicht in jedem Fall handelt es sich dabei um unter Denkmalschutz stehende Gebäude, was vermutlich der kritischen Auswahl der fachkundigen Jury[4] zu verdanken ist. Doch selten offenbaren die komprimierten, dabei sehr informativen Beschreibungen der einzelnen Beispiele deutliche Urteile wie: "Der Denkmalwert ging verloren."[5] Nur vereinzelt wird darauf hingewiesen, dass schon mal eine Baumaßnahme einen "Sturm der Entrüstung"[6] auslöste. Ausgenommen von Kritik sind die städtischen Projekte. Schönfärberisch erscheint der Einführungstext zum Bezirk Mitte, wo "speziell in St. Pauli" an modernisierten Altbauten ein "Wandel der Zeiten" abgelesen wird – ohne ein Wort über die soziale Problematik dieser Veränderungen zu verlieren.(S. 35)

Die kulturellen Aspekte des Wandels diskutiert der Kunsthistoriker und ZEIT-Redakteur Hanno Rauterberg in dem einleitenden Essay: "Baut auf die Vergangenheit! Wie Hamburg sein kulturelles Erbe neu entdeckt."(S. 19-31) Rauterberg zitiert Alfred Lichtwarks Bonmot von der "Freien und Abrissstadt" der Kaufleute, in der sich selbst die Vergangenheit rechnen muss. Gleichzeitig entwirft er das Bild einer architektonisch mittelmäßigen Stadt, wo durch bürgerliches Maßhalten "wenig Herausragendes"(S. 21) entstehen konnte. In dieser "vergleichsweise flachen Denkmallandschaft" hätte es der Denkmalschutz nicht leicht, das Besondere im Umbesonderen zu definieren. Die Zahl von nur 1.600 unter Schutz gestellten Gebäuden unterstützt Rauterbergs These(S. 22). Entsprechend ging die schleichende Dezimierung des Altbaubestands an den amtlich registrierten Denkmälern vorbei. Doch die Ausdünnung des historischen Stadtbildes trifft zunehmend auf Widerstand. Als Beispiel für den sich artikulierenden Protest führt Rauterberg das Hamburger "Gängeviertel" an, vergisst aber zu erwähnen, dass der erfolgreiche Kampf gegen den Abriss dieses hauptsächlich vom Ende des 19. Jahrhunderts stammenden – und unter strengen Denkmalschutzkriterien nicht schützenswerten – Areals weniger den besetzenden Künstlern, als vielmehr der publizistischen Kampagne des unmittelbar benachbarten Springer-Verlages zu verdanken ist. Wo sich so die Fronten verkehren, scheint sich zu bestätigen, "dass Denkmalschutz etwas ist, dass viele angeht."(S. 24) Doch wie lässt sich das Engagement für das Allgemeingut – als solches ist ein Denkmal zu betrachten – mit den materiellen Verwertungsinteressen vereinbaren? Auch die Gegenwartsansprüche an Komfort, Funktionalität, Sicherheit und Energiebilanz müssen einbezogen werden. Einen Mittelweg sieht Rauterberg – "und immer ist Denkmalschutz auch eine Kunst des Kompromisses"(S. 25) – mit den 75 Projekten eingeschlagen. An ihnen kann er einen Bewusstseinswandel festmachen und ist gleichzeitig erstaunt "über die komplexen Erhaltungsdiskussionen, die sich um jedes alte Gebäude ranken".(S. 26)

Wäre da nicht das eingangs entworfene Bild der traditionslosen Kaufmannsstadt, könnte der Leser in diese Freude einstimmen. Auch Rauterberg sieht die Gefahr, dass mit der sich wandelnden Stadt der eigentliche Wert des Denkmals, eine Bewusstseinsschärfung für Gestaltung und Charakter des Gemeinwesens, zu Gunsten ökonomischer Verwertungsoptionen, gerahmt durch Event- und Imagekultur, verloren geht. Geschichte als Wert an sich wird durch ihren "Anmutszauber" ersetzt.(S. 29) Insofern ist es bemerkenswert, dass nicht die Elbphilharmonie (Projekt 20) das Titelbild des Architekturführers schmückt, sondern die durch Alexis de Chateauneuf errichtete, sich im Umbau befindende, völlig entkernte Alte Post (Projekt 23) dafür gewählt wurde. Doch so blau wie der Hamburger Himmel durch die leeren Fensteröffnungen ihrer Fassaden scheint, so idealistisch schließt der Autor in seinem Plädoyer für eine Neuentdeckung der Bedeutung des Denkmalschutzes. "Der Denkmalpflege wächst die Rolle zu, in einer Zeit, in der alles verfügbar zu sein erscheint, auf Unverfügbarkeit zu beharren."(S. 29). Aber woran müßte festgehalten werden in einer mittelmäßig-traditionslosen Denkmallandschaft? Der sittliche Appell, den Rauterberg dem Gemeinwesen in seinem Bewusstseinsprozess anheim gibt, ist dafür kein Instrument. Aufrichtigkeit, Anstand und Respekt sollten eine Auseinandersetzung über Werte und Erinnerungen bestimmen, sind aber auch an den ausgesuchten 75 Projekten nicht immer ablesbar.

Vielleicht müßten die Fragen an den Denkmalschutz selber und anders gestellt werden. Hierzu sollte die Diskussionsveranstaltung Gelegenheit geben. Für einen kritischeren Blick auf die Hamburger Verhältnisse wäre es womöglich anregender gewesen, hätten die ursprünglich eingeladenen, auswärtigen Diskutanten teilgenommen.[7] Mit Rauterbergs Thesen von der Stadt, in der sich selbst die Vergangenheit rechnen muss, konfrontiert, kam ein Meinungsstreit erst auf, als Frank-Pieter Hesse, Leiter des Hamburger Denkmalschutzamtes, bekannte, nicht mitmachen zu wollen bei der Lüge einer auf entkerntem Inneren bauenden Fassadenkultur für historische Adressen. Hanno Rauterberg, der zuvor den Verlust an Denkmalschutz mit "Verlust an bürgerlichem Zusammenhalt" gleichgesetzt hatte, pflichtete dem bei. Dagegen konfrontierte Oberbaudirektor Jörn Walter die Institution Denkmalschutz mit ihren oft kontra-produktiven Instrumentarien. Gutachten würden die Unterschutzstellung formal verneinen, wo die Öffentlichkeit entsprechende Bauten als "alte Stadt" wahrnimmt. Hier kam nun die "vergleichsweise flache Denkmallandschaft" als Problem zum Tragen und auch Hanno Rauterberg bekannte, dass die Stadtbildqualität nicht unbedingt durch den Denkmalschutz gedeckt wird. Doch wie ist es um die "herausragenden" Beispiele für Bauen im Bestand bestellt? Einig war man sich in der Beurteilung der ursprünglich 1932 von Martin Elsässer errichteten Villa Reemtsma, die mit den 1954 von Godber Nissen ergänzten Bauten eine Umnutzung vom Verwaltungssitz zum exklusiven Wohnquartier erfuhr. Dass der Um- und Rückbau der Villa in die Anmutung der "guten" Moderne die dunkle Zeit- und Bauschicht von 1939 – zugegebenermaßen mit den Holzpaneelen, Schnitzereien und Schmiedeeisengittern kein schönes, aber ein laut Denkmalschutzgutachten im Gesamtkomplex unter Schutz stehendes Teil-Denkmal[8] – weitgehend entfernte, blieb in den Statements wie auch im Führer unerwähnt. Von Unverfügbarkeit war hier nie die Rede.

Wie ist es nun an einem solchen Punkt um das kollektive Gedächtnis und den "bürgerlichen Zusammenhalt" bestellt? Was sollte ein Denkmalschutz hier bewirken? Tatsächlich klammerte die Diskussion diese Fragen aus. Es bewahrte sich einerseits das Bild machtloser Denkmalpflege, deren Kriterien andererseits kontra-produktiv angesichts der allgemeinen Empfindung agieren. Verdeutlicht wurde letzteres durch eine Anregung aus dem Publikum. Prof. Hermann Hipp – lange Zeit selber Denkmalschützer in Hamburg – warf ein, dass wieder mehr über das Schöne geredet werden sollte. Er möchte, dass die Denkmalpflege die Schönheit als Möglichkeit und Notwendigkeit menschlicher Wahrnehmung ernst nimmt. Nun lag es weniger in seiner Absicht, die Diskussion um das Denkmalschutz-Gutachten von Dieter Hoffmann-Axthelm[9] neu zu beleben, doch einen Bedarf nach öffentlicher Beteiligung an diesen Fragen bewies der anschließende Applaus. Es ist zu vermuten, dass die anmutszaubernde Praxis des Bauens im Bestand und ihr bald inflationärer Fassadenhistorismus gegenüber anderen, im öffentlichen Eindruck erhaltenswerteren Gebäuden von geringerem Denkmalrang auf den Prüfstein käme. Es ist zu wünschen, dass der Pocket-Architekturführer eine Diskussion über das Allgemeingut der Denkmäler – auch das der vermeintlich hässlichen – und die Neuentdeckung der Bedeutung eines Denkmalschutzes anregt. Ein paar mehr Winde und Wellen aus der schwäbischen Metropole und "Stadt ohne Eigenschaften"[10] würden der Stadt ohne Tradition gut tun.

Anmerkungen:

[1] Hamburg: Architektur der sich wandelnden Stadt – Stadtentwicklung und Denkmalschutz, Freie und Hansestadt Hamburg, in Kooperation mit der Behörde für Kultur, Sport und Medien, Berlin 2010.
[2] Hamburg: Bauen für die wachsende Stadt. Ein Architekturführer, hg. v. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg, Berlin 2006; Hamburg: Parks und Plätze einer lebenswerten Stadt, hg. v. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg, Berlin 2008.
[3] Vorwort (Ex-) Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Anja Hajduk, in: wie [1], S. 15.
[4] Jury: Dr. Dieter Bartetzko, Gabriele Bohnsack-Häfner, Prof. Dr. Gert Kähler, Michael Rink, Hon. Prof. Anna Katharina Zülch.
[5] Projekt 02, Johannis Kontor, in: wie [1], S. 39.
[6] Projekt 15, Hauptkirche St. Michaelis und Michaelisquartier, ebd., S. 71.
[7] Prof. Michael Mönninger (Hochschule f. Bildende Künste, Braunschweig), Dr. Dieter Bartetzko (FAZ). Sie wurden ersetzt durch Prof. Jörn Düwel (HCU, Hamburg) und Dr. Hanno Rauterberg (ZEIT). Außerdem nahmen teil: Prof. Anna Zülch (HAWK, Hildesheim), Frank-Pieter Hesse (Leiter Denkmalschutzamt Hamburg) und Jörn Walter (Oberbaudirektor Hamburg); Moderation Stefan Mischer.
[8] Projekt 37, wie [1], S. 124-127. 1930-32 durch Martin Elsaesser für Philipp F. Reemtsma errichtet, wurde die Villa 1939 von ihm selbst umgebaut, 1954 mit Bauten von Godber Nissen zum Verwaltungssitz erweitert und 2004 von Helmut Riemann zu Wohngebäuden umgebaut. Vgl. Haus K. in O. 1930-32. Eine Villa von Martin Elsaesser für Philipp F. Reemtsma, hg. v. Hermann Hipp, Roland Jaeger und Johannes Weckerle, Berlin 2005; Ulrich Höhns: Moderne im Park. Der Architekt Helmut Riemann und die Häuser im Reemtsma Park in Hamburg, München/ Hamburg 2009.
[9] Dieter Hoffmann-Axthelm: Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden? Gutachten für die Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, März 2000. www.antje-vollmer.de/cms/default/dok/4/4358.kann-die-denkmalpflege_entstaatlicht_werden?
[10] Frank Werner: Stuttgarter Architektur bis 1945, in: Stuttgarter Kunst im 20. Jahrhundert. Malerei. Plastik. Architektur, hg. v. Helmut Heißenbüttel, Stuttgart 1979, S. 173.

Empfohlene Zitation:
Joerg Schilling: [Tagungsbericht zu:] "Baut auf die Vergangenheit!" (Stadtmodell Hamburg, Wexstraße 7, 11.04.2011). In: ArtHist.net, 13.05.2011. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/1382>.

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