REV 26.10.2006

Maria Deiters: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg

Rezensiert von Dirk Schumann
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Eingangs dieses Buches steht der Brand von Magdeburg im Jahre 1631 wie ein Menetekel. Doch was hat der Brand dieser einstigen Metropole mit der Kunst um 1400 zu tun? In gewisser Hinsicht ist er konstitutiv für die gesamte Arbeit, denn erst der bei diesem Brand entstandene Verlust des umfangreichen Ratsarchivs und aller Nachrichten über die in der Stadt ansässigen Künstler und Kunstwerkstätten sowie vieler ihrer Werke führt folgerichtig zur einzigen Möglichkeit, diesen auf die Spur zu kommen: der detaillierten Beschäftigung mit den wenigen erhaltenen Objekten, der Annäherung an ein verlorenes Zentrum aus der „Peripherie“ heraus.

Die auf den ersten Blick nicht ganz homogen erscheinende Arbeit nähert sich auf komplexe Weise einem durchaus komplizierten Thema, zu dem es bisher kaum wesentliche Vorarbeiten gab. Das verwundert umso mehr, als es sich bei den untersuchten Skulpturen und Malereien aus der Zeit um und kurz nach 1400 um hochrangige Werke von geradezu nobler Eleganz handelt, Werke aus jener Zeit also, die gemeinhin auch als Zeit des „Weichen Stils“ bezeichnet wurde. Verdankt dieser Stil seine Konstitution als „Hofkunst“ dem Luxemburger Karl IV., war er doch zugleich eine Verbindung aus wittelsbachischem Erbe, den Einflüssen höfischer Kunst zwischen Paris und Wien sowie der Transzendenz italienischer Malerei des Trecento, womit es sich in dieser oft als „böhmisch“ bezeichneten Kunst um eine durchaus europäische Entwicklung handelte.

Es ist also ein leichter Hauch der weiten Welt, der schließlich mit den bereits vorhandenen Traditionen wie der virtuosen Kunst des so genannten Severimeisters eine produktive Synthese einging und in der Folge seine Verbreitung über Magdeburg hinaus - nicht zuletzt auch bis in die Mark Brandenburg - fand. Die vorliegende Studie untersucht einzelne Kunstwerke und ihre Auftraggeber. Unter der Überschrift „Adlige Stiftungen“ gerät auch jener einst so bedeutende Zweig der Askanier in den Fokus, der mit der Würde der sächsischen Kurfürsten versehen in Wittenberg seine Residenz aufbaute. Die Familie schuf dort nicht nur eine bedeutende Reliquiensammlung, sondern trat als potenter Auftraggeber für hochrangige Kunstwerke auf. Auch die Grafen von Barby und die edlen Herren von Querfurt verdanken ihre Erinnerung vor allem einer Vergegenständlichung durch die Stiftung von Kunstwerken und wie in adligen Kreisen dieser Zeit geradezu unverzichtbar, der Errichtung herrschaftlicher Grabmale, die in ihrer Qualität und ihrer programmatischen Ikonographie erstaunlich sind.

Auch unter dem Stichwort „Geistliche Stiftungen“ bleibt es nicht bei der Beschreibung von stilistischen Phänomen, sondern Maria Deiters begibt sich nach ausführlichen ikonographischen Überlegungen auf die Suche nach Funktionszusammenhängen wie beispielsweise bei der Pieta im Magdeburger Dom. Diese sind anscheinend geradezu konstitutiv für den Charakter dieser Kunst, wie die überraschenden Übereinstimmungen der Malereien in der Magdeburger Redekinkapelle und der um 1400 entstanden Malereien auf dem wohl ehemals aus Havelberg stammenden, heute in Rossow befindlichen Retabel des frühen 14. Jahrhunderts nahe legen.

Inhaltlichter Schwerpunkt des letzten Teils der Arbeit ist schließlich die Beschäftigung mit dem ehemaligen Hochaltarretabel aus der Jüterboger Nikolaikirche und einiger nahe verwandter Werke. Als „papistisch Werk mit vielen abergläubischen und Christlichen viel weniger anständigen Sachen angefüllt“ (103), wurde es um 1700 abgebaut und verdankt die Erhaltung der gemalten Seitentafeln nur ihrer Nutzung als Chorschranke. Dendrochronologischen Untersuchungen zufolge ist es bald nach 1433 entstanden. Auf der Grundlage der Restaurierungsergebnisse erfolgt nicht nur eine feinsinnige Reflektion über stilistische Zusammenhänge und eine Verortung der Auftraggeber im Umkreis des Magdeburger Stiftsklerus, sondern es werden ikonographische Indizien für die bewusste Konstruktion einer Erinnerung an eine einstige Vorrangstellungen zusammengetragen, die jedoch der Realität der schwindenden Macht und der sinkenden Bedeutung des Magdeburger Erzstiftes längst diametral entgegenlief.

In diesem Sinne verspricht der bewusst zurückhaltend formulierte Untertitel „Studien zur Rekonstruktion eines verlorenen Zentrums“ nicht zuviel, ist der Gewinn dieses Buches neben der sensiblen Charakterisierung der künstlerischen Phänomene und ihrer Verortung in einem Magdeburger Werkstattzusammenhang schließlich auch die detaillierte Rekonstruktion ikonographischer Momente und deren Verknüpfung mit den Intentionen der Auftraggeber.

Deiters, Maria: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg. Studien zur Rekonstruktion eines verlorenen Zentrums (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2006
ISBN-10: 3-87157-208-X, 189 S., ca. EUR 76.00, ca. CHF 127.00

Empfohlene Zitation:
Dirk Schumann: [Rezension zu:] Deiters, Maria: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg. Studien zur Rekonstruktion eines verlorenen Zentrums (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst), Berlin 2006. In: ArtHist.net, 26.10.2006. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/137>.

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