Glaube, Politik und die Künste. Frühneuzeitliche Transfers zwischen katholischen und protestantischen Kulturen
Kurz vor dem Reformationsjubiläum 2017 rücken Auseinandersetzungen zur Konfessionalisierung vermehrt in den Blickpunkt interdisziplinär angelegter Symposien. Anders als in der vom Forum Kunst der Neuzeit des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft e.V. geplanten Tagung zur „Kunst der ,langen‘ Konfessionalisierung (1517-2017)“ im September 2016, fokussierte die von Christina Strunck (Universität Erlangen) unter Mitwirkung von Julia Bender-Helfenstein (Universität Marburg) konzipierte Tagung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel überwiegend auf das 16. und 17. Jahrhundert und nahm die an Bildwerken und Bauten ablesbaren Austauschbeziehungen zwischen den Konfessionskulturen sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas in den Blick. Die konsequent internationale Ausrichtung der Tagung führte nicht nur an die Höfe Charles’ II. in England, Wilhelms III. von Oranien in den Niederlanden, den Hof der Medici in Florenz, Königin Christinas im päpstlichen Rom oder zu Ludwig XIV. in Frankreich, sondern berücksichtigte auch den spanischen Kontext und die jesuitische Rhetorik in Brasilien, wo selbst fernab protestantischer Konkurrenz die konfessionelle Konfrontation eine wichtige Rolle spielte.
Die Verlagerung des Schwerpunktes auf die künstlerische Umsetzung und Inszenierung konfessioneller Identität geistesgeschichtlicher Zwischenräume wurde in der Aufteilung der Sektionen deutlich: Interkonfessionelle Transfers in Sakralräumen und religiöser Kunst (Sektion 1), Herrscher und Konfessionalisierung (Sektion 2), Transfer zwischen sakraler und profaner Malerei (Sektion 3) sowie Märtyrerkult und Historiographie (Sektion 4).
Stavros Vlachos (Universität Bremen) untersuchte das Spannungsfeld zwischen dem von Luther auch für die religiöse Kunstproduktion geforderten Postulat der ,Einfältigkeit‘ und dem künstlerischen Bestreben, den Betrachter, gemäß der rhetorischen Ausrichtung von Bildern, zu bewegen und zu überzeugen und beobachtete eine Kontinuität zwischen katholischer und protestantischer Wirkungsästhetik.
Vom kulturellen Transfer zwischen den Konfessionen berichteten am Beispiel von Pontormos Bildkompositionen, ihren Anlehnungen an die Holzschnitte Dürers und deren zeitgenössischer Rezeption sowohl Chrystine L. Keener (Lander University, South Carolina), die einen klerikalen Auftraggeber in den Blick nahm, als auch Jessica Maratsos (Columbia University, New York), die mit Cosimo de’ Medici einen höfischen Mäzen vorstellte.
Jane Eade (National Portrait Gallery, London) wiederum präsentierte kaum beachtete, teilweise lebensgroße Portraittriptychen, die wohlhabende protestantische Familien in England aus dem akademischen oder kaufmännischen Milieu für private und kirchliche Anbringungsorte in Auftrag gaben. Als visuelle Objekte genealogischer, heraldischer und historischer Präsenz sind sie privater und öffentlicher, profaner und sakraler Verwendung zuzuordnen. Sie greifen auf katholische Bildtraditionen zurück und erheben die eigenen Ahnen zu Schutzpatronen der Hoffnung auf eine lange Familienkontinuität und Auferstehung nach dem Tode.
Herbert Karner (ÖAdW, Wien) widmete sich der kurzen Blüte des protestantischen Kirchenbaus in Österreich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, als sich der protestantische Herren- und Ritterstand im Kirchenbau engagierte. Hierbei zeigte sich die Konvention weit durchsetzungsfähiger als die Konfession, orientierten sich doch die meisten der hier exemplarisch angeführten Sakralarchitekturen an dem aus Rom kommenden, katholisch-jesuitisch geprägten Schema des Saalraumes mit Abseiten, und dies, obgleich den Nebenräumen im protestantischen Ritus keine Funktion zukam. Zugleich erwies sich das Fehlen einer eigenen protestantischen Bautypologie als Vorteil für das Fortleben dieser Sakralbauten, eigneten sich diese doch vollumfänglich für die spätere Übernahme als nunmehr katholische Kirchenräume. Als eindrucksvolles Beispiel einer derartigen Umwidmung führte Karner die ehemalige Dreifaltigkeitskirche in Prag an, deren räumliche Ausrichtung die Karmeliter als neue Hausherrn mit Blick auf das historische Geschehen am Weißen Berg veränderten und ihr das sprechende Patrozinium ,Santa Maria de Viktoria‘ verliehen. Karner leitete u.a. hieraus seine, auch zeitgenössisch belegbare, Begrifflichkeit des Sakralbaus als konfessionelles „Tropaion“ ab.
Wegweisend für die Forschung zu konfessionellen Divergenzen und politisch motivierten Inszenierungen im religiösen Kontext erwiesen sich die beiden komplementären Vorträge von Christina Strunck (Universität Erlangen) und Veronika Biermann (Universität Leipzig). Betrachtet man die historischen Geschehnisse auf den britischen Inseln des späteren 17. Jahrhunderts, den wütend ausgetragenen Anti-Katholizismus und das dogmatische Bilderverbot der anglikanischen Kirche, so scheint die um 1680 mit überaus prächtiger, wandfester Malerei von Antonio Verrio ausgestattete Kapelle in Windsor Castle den Vorwurf der Idolatrie geradezu heraufzubeschwören. Dem entgegnete präventiv der von Strunck vorgestellte, kunsttheoretische Ansatz des späteren Bischofs von Canterbury, Thomas Tenison, der dem Verdacht der Bilderverehrung „the Shechinah of God“ entgegensetzte, „the visible glory, the symbol of his especial Preference“. Dadurch legitimiert, konnte das raumübergreifende Ausstattungskonzept der Kapelle und der angrenzenden St. George’s Hall König Charles II. entsprechend der dem Souverän verliehenen Gnade als wirkmächtigen Stellvertreter Gottes auf Erden proklamieren, wobei Strunck etliche formale Anleihen aus dem katholischen Bereich aufzeigen konnte.
Mit Christina von Schweden, deren königliches Gottesgnadentum auch nach ihrem Thronverzicht bestehen blieb, widmete sich Biermann einer Repräsentantin, der die Formen des inszenatorischen Dekorums beider christlicher Konfessionen geläufig waren. Aufschlussreich analysierte Biermann die über zwanzig Jahre andauernden Planspiele um eine angemessene Verteilung von Thron und Altar in der Palastkapelle des Palazzo Riario in Rom. Das Supremat des Altars über den Thron im Katholischen setzte der Präsentation königlicher Herrschaft im kirchlichen Kontext enge Grenzen. Königin Christina konnte unter diesen Voraussetzungen keine ihrem Verständnis der Sakralität einer gesalbten Königin entsprechende Distinktionsform entwickeln und eröffnete deshalb 1671, offenkundig als Kompensationsmodell, das erste öffentliche Opernhaus, das ,Teatro Tor di Nona‘.
Die dynastische Nobilitierung der Oranier durch die Kunstpatronage einflussreicher Frauen erläuterte Julia Bender-Helfenstein (Universität Marburg). Sie konnte die kompositorische Anlehnung am Vorbild von Andrea Pozzo bei der Umsetzung der konfessionsadäquaten Abendmahlsthematik als deutliches Zeichen einer schwindenden künstlerischen Abgrenzungstendenz werten.
Wie ein niederländischer Statthalter, nach eigenem Verständnis weniger ständischer Funktionsvertreter als vielmehr Souverän, mit dem Assoziationsrahmen der numinosen Sphäre zu spielen verstand, zeigte Olaf Mörke (Universität Kiel) in seinen Ausführungen über die protestantische Herrschaft und Repräsentation unter Wilhelm III. von Oranien. Obgleich hochbrisant in einer Republik, gelang ihm eine quasimonarchische Inszenierung als gesellschaftlicher Friedensstifter zwischen den verschiedenen protestantischen Konfessionen im Sinne einer vor- und überkonfessionellen Irenik.
Inwiefern konfessionelle Leitlinien die ästhetische Wahrnehmung beeinflussten, eruierte Jorge Fernández-Santos Ortiz-Iribas (San Jorge University, Zaragoza) in seinen Ausführungen zur Interpretation des Escorial als neuer Tempel Salomons. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Anne-Françoise Morel (KU Leuven) am Beispiel englischer Reiseliteratur des 17. und 18. Jh., die den unbedachten Kunstrezipienten auf seiner Kavalierstour sorgsam auf dem schmalen Pfad zwischen der bewunderungswürdigen Magnifizenz zahlreicher römischer Bauten und der nur wenig abseits davon lauernden Gefahr der Idolatrie und des Aberglaubens zu lenken versuchte.
Ingo Herklotz (Universität Marburg) und Elisabeth Priedl (Akademie der bildenden Künste, Wien) befassten sich mit der katholischen bzw. protestantischen Sicht des Märtyrertums. Herklotz wies in seinen Überlegungen zur Instrumentalisierung der Katakombenheiligen nach, wie es innerhalb der katholischen Glaubenspropaganda zu einer Konfessionalisierung der frühchristlichen Archäologie kam. Dem Phänomen der protestantischen Heiligenverehrung widmete sich Priedl anhand der kulturhistorisch tiefgreifenden Analyse einer bisher wenig bekannten Quelle, den ab 1554 erschienenen Martyrologien von Ludwig Rabus. Unter dem Aspekt der ,Politik des weiblichen Martyriums‘ präzisierte Priedl den Blick Luthers auf die heiligen Jungfrauen, die er weniger für ihre Enthaltsamkeit als vielmehr für ihren Mut und ihre vorbildgebende Standfestigkeit im Glauben bewunderte, mit der sie „mit einem Lachen im Gesicht“ in ihr Martyrium schritten.
Wolfenbüttel als einstiger Wirkungsort Gotthold Ephraim Lessings bildete den idealen Rahmen, um ergänzend zum Blick auf die christlichen Konfessionen auch das Verhältnis der jüdischen Religion zur Bildlichkeit anzusprechen. In seinem Abendvortrag über Lessings Toleranz und die Anfänge der jüdischen Malerei in Deutschland stellte Karl Möseneder (Universität Erlangen) den heute in Vergessenheit geratenen, einst aber hochdotierten jüdischen Maler Daniel Moritz Oppenheim vor. Ausgehend von der durch Gabriel Riesser propagierten jüdischen Emanzipation beruhte Oppenheims immenser Erfolg auf seiner Fähigkeit, jene positiv konnotierte, heroisch-patriotische Gesinnung bei gleichzeitig bewusst gelebter jüdischer Identität ins Medium einer opulent-prächtigen Historienmalerei des frühen 19. Jahrhunderts umzusetzen.
Die Tagung zeigte, dass kunsthistorische Forschung nicht nur durch neue Fragestellungen und Methoden vorangetrieben wird, sondern dass entscheidende Impulse zu gewinnen sind, wenn der Rahmen der betrachteten Artefakte und Gattungen deutlich erweitert wird. Es gilt nicht nur, die im Forschungsgebiet der Konfessionalisierung inzwischen zum festen Kanon gehörenden Künstler und Objekte einer immer differenzierteren Betrachtung zu unterziehen. Vielmehr eröffnen sich neue Perspektiven, wenn an bisher wenig beachteten Fallbeispielen der vielschichtige, oft genug auch widersprüchliche Prozess und die Dynamiken der Konfessionalisierung selbst in das Zentrum gestellt werden.
Empfohlene Zitation:
Angelika Dreyer: [Tagungsbericht zu:] Glaube, Politik und die Künste (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 09.–11.03.2016). In: ArtHist.net, 16.07.2016. Letzter Zugriff 17.11.2024. <https://arthist.net/reviews/13506>.
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