REV 29.09.2006

Hudson-Wiedenmann/Schmeichel-Falkenberg (Hgg.): Grenzen überschreiten

Rezensiert von Burcu Dogramaci, Institut für Kunstgeschichte, LMU München
Redaktion: Rainer Donandt

Erst fünf Jahre nach der 2000 abgehaltenen Tagung „Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen im Exil“ wurden die Vorträge in publizierter Form vorgelegt - eine Zeitspanne, in der wichtige Überblickswerke zu Malerinnen und Architektinnen des 20. Jahrhunderts erschienen sind. [1] Dennoch kommt der Tagungsband nicht zu spät, im Gegenteil. Erstmals wird in umfassender Form nach den Schicksalen exilierter Frauen aus Kunst und Kunstgeschichte gefragt. Viele der dargelegten Sachverhalte und erwähnten Personen waren bis zum Zeitpunkt der Tagung auf der Moritzburg noch gar nicht in den Blickpunkt gerückt.

Die beiden Herausgeberinnen, Ursula Hudson-Wiedenmann und Beate Schmeichel-Falkenberg (eine überaus verdiente Grand-Dame der Exilforschung), stellen gleich in ihrem Vorwort die These auf, dass die Verfolgungen durch die Nationalsozialisten für Künstlerinnen gravierendere Folgen hatte als für ihre männlichen Kollegen. Nun sollte betont werden, dass viele emigrierte Maler, Bildhauer und Architekten durch die erzwungene Ausreise aus dem nationalsozialistischen Deutschland einen empfindlichen Karriereknick hinnehmen mussten. Beispielhaft dafür sind die Erlebnisse der Künstler Ludwig Meidner und Jussuf Abbo in England sowie die Existenzkämpfe des in Kalifornien exilierten Architekten Ernst Hochfeld. Dagegen stehen die singulären Erfolgsgeschichten von Walter Gropius oder Mies van der Rohe, die in ihrer neuen Heimat USA zu einer neuen erfolgreichen Schaffensphase fanden und Protagonisten auch der amerikanischen Architekturgeschichte geworden sind. [2]

Die weniger erfolgreichen Exilgeschichten sind von der Forschung größtenteils noch nicht ins rechte Licht gerückt worden, viele Personen harren ihrer Wiederentdeckung. [3] Darunter finden sich überproportional viele Frauen - eine Tatsache, die durch die Lektüre der Tagungsakten erst recht bewußt gemacht wird. Insofern ist der von den Herausgeberinnen gewählte Titel „Grenzen überschreiten“ in mehrfacher Hinsicht treffend gewählt. Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen mussten nach ihrer Ausreise aus Deutschland Landesgrenzen überschreiten, aber auch über sich hinauswachsen, um die Herausforderungen zu bewältigen. Gleichzeitig überschreiten auch Leserinnen und Leser bei der Lektüre (Er)Kenntnisgrenzen. Zu den Entdeckungen von Tagung und Publikation gehört beispielsweise die Designerin Elisabeth Friedlaender, die 1928 eine eigene Schrifttype entwarf und in ihrer neuen Heimat England äußerst erfolgreich für Penguin Books arbeitete. Pauline Paucker würdigt die Künstlerin als assimilationsfähige und kontaktfähige Kreative, die auch auf ihren mehrfachen Exilstationen beruflich weiterarbeiten konnte. Spannend ist der Lebensweg Grete Heymann-Loebenstein-Marks, die bis in die frühen dreißiger Jahre die keramischen Hael-Werkstätten nahe Berlin betrieb. Nur wenigen dürfte bekannt sein, dass diese später von der Töpferin Hedwig Bollhagen gekauft und zu neuen Erfolgen geführt wurden. Wie Ursula Hudson-Wiedenmann in ihrem informativen Beitrag schreibt, emigrierte Loebenstein-Marks nach Großbritannien, wo sie unter größten finanziellen Schwierigkeiten eine Firmenneugründung unternahm. Die geschlechtsspezifischen Arbeitsrollen in den englischen Werkstätten erschwerten jedoch ihre Tätigkeit, denn Loebenstein-Marks war gleichzeitig Unternehmerin und kreative Keramikerin. Letztlich musste sie ihren Betrieb kriegsbedingt schließen. Schon diese beiden Beispiele belegen, dass die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit von Künstlerinnen sehr wichtig für das Überleben im Exil war. Ebenso waren die spezifischen gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen im Zielland nicht unerheblich.

Das Problem vieler Tagungsbände ist auch hier auffällig. Eine systematische Auseinandersetzung mit einer übergreifenden Fragestellung können die Beiträge kaum leisten. Meist bleibt es bei einer Aufreihung monografisch angelegter Untersuchungen, bisweilen werden durch biographische Forschungen große Thesen formuliert. In ihrem Aufsatz widmet sich Maike Bruhns exilierten Hamburger Künstlerinnen, darunter Clara Blumenfeld, Hilde Hamann und Lore Feldberg-Eber. Aus deren Misserfolgen folgert Bruhns, dass Künstlerinnen es grundsätzlich schwer hatten, ihre Karrieren in Großbritannien fortzusetzen. Diese These ist nicht abwegig, war doch der britische Kunstmarkt noch in den dreißiger Jahren konservativ. [4] Dennoch wäre es wichtig, die Kunstszene des Landes genauer anzuschauen, Kritiken und Rezensionen, aus denen eine ablehnende Haltung gegenüber deutschen Künstlern - und spezifisch Künstlerinnen - hervorgeht, ausfindig zu machen und zu analysieren. Damit wäre die biographische Perspektive zusätzlich durch Quellen fundiert. Zudem widerlegt das Beispiel der britischen Erfolgsgeschichte (!) der Graphikerin Elisabeth Friedlaender, die im selben Band publiziert ist, die generalisierende, länderbezogene Pauschalisierung vom Bestehen und Scheitern exilierter Künstlerinnen. Gleichzeitig offenbaren sich die Probleme der Exilforschung, die einen multiplen Blick anwenden muss. Das Zielland mit seinen eigenen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, der Zeitpunkt der Emigration, aber auch die künstlerische Gattung dürften eine wesentliche Rolle für eine gelungene Assimilierung gespielt haben. Andererseits ist der subjektive Kontext äußerst wichtig, das Alter der Emigranten, ihre Wandlungsfähigkeit, psychische und physische Stabilität, die Reputation vor der Exilierung, die soziale Vernetzung - und das Geschlecht. Die eingangs formulierte These einer größeren Benachteiligung von Frauen wird nur in einigen Beiträgen wirklich tangiert. Hervorzuheben ist der Aufsatz von Karen Michels, die bereits zur Emigration von Kunsthistorikern in die USA eine für die Fach- und Exilgeschichte einschlägige Publikation vorlegte. Michels widmet sich in ihrem Aufsatz den Kunsthistorikerinnen im Exil, darunter auch Gertrud Bing, Mitarbeiterin der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in Hamburg. Bing emigrierte mit der Bibliothek nach London, wurde jedoch erst nach 23jähriger Tätigkeit im Jahr 1955 zur Direktorin bestimmt. In den USA hatten es Kunsthistorikerinnen besonders schwer, an den großen Universitäten zu reüssieren und in Konkurrenzen zu ihren männlichen amerikanischen Kollegen zu bestehen. Michels macht Vorbehalte gegenüber Frauen und verkrustete akademische Strukturen verantwortlich. In der interessanten Einführung von Rosa von der Schulenburg wird im Umkehrschluss darauf verwiesen, dass künstlerische Medien wie die Fotografie, die erst im 19. Jahrhundert entstanden war, größere Chancen für Frauen im Exil boten. Vor allem der expandierende Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt und die weltweit operierenden Bildagenturen erhöhten den Bedarf an Fotografen und Fotografinnen. Die Kameras der dreißiger Jahre waren bereits so klein und leicht, dass sie ins Exil mitgenommen werden konnten. Die Bedingungen für Fotografinnen wie Gisèle Freund, Ilse Bing und Elli Marcus, ihren Beruf auch nach der Emigration weiterzuführen, waren günstig.

Insgesamt bietet der Sammelband eine wertvolle Grundlage für weiterführende Forschungen zur Exilgeschichte und speziell zur Untersuchung der Exilierung von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen. Dabei führt die Lektüre des Sammelbandes zu einer weiteren Erkenntnis: Noch immer scheint die Beschäftigung mit Künstlerinnen und Geisteswissenschaftlerinnen ein weibliches Terrain zu sein. Unter den zwölf Beiträgen findet sich nur ein männlicher Autor. Das ist schade, droht doch die Gefahr einer Isolierung. Eine geschlechterübergreifende Auseinandersetzung mit Themen der Genderforschung könnte zu facettenreichen Ergebnissen und breiterer Akzeptanz innerhalb der kunsthistorischen Forschung führen. Ziel der Erforschung und Rekonstruktion weiblichen Kunstschaffens sollte letztlich nicht die Separierung, sondern die Einordnung in eine allgemeingültige Geschichte der Kunst sein.

Anmerkungen:

[1] Ingrid von der Dollen: Malerinnen im 20. Jahrhundert - Bildkunst der „verschollenen Generation“, München 2000; Ute Maasberg und Regina Prinz: Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre, Hamburg 2004; Kerstin Dorhöfer: Pionierinnen in der Architektur. Eine Baugeschichte der Moderne, Tübingen/Berlin 2004.

[2] Beispielhaft ist Stephanie Barrons Exilgeschichte, die den Fokus auf arrivierte Künstler und Architekten lenkt, die mit ihren Arbeiten die amerikanische Kulturgeschichte entscheidend prägten. Vgl. Stephanie Barron: Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler 1933-1945, Ausst.-Kat. Neue Nationalgalerie Berlin, München/New York 1997.

[3] Eine Ausnahme bildeten u. a. Bernd Nicolai (Hrsg.): Architektur und Exil. Kulturtransfer und architektonische Emigration 1930 bis 1950, Trier 2003; Regina Göckede: Adolf Rading (1888-1957). Exodus des Neuen Bauens und Überschreitungen des Exils, Berlin 2005.

[4] Vgl. Kunst im Exil in Großbritannien 1933-1945. hrsg. v. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin, Berlin 1986.

Hudson-Wiedenmann, Ursula; Schmeichel-Falkenberg, Beate (Hrsg.): Grenzen überschreiten. Frauen, Kunst und Exil, Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann 2005
ISBN-10: 3-8260-3147-4, 238 S

Empfohlene Zitation:
Burcu Dogramaci: [Rezension zu:] Hudson-Wiedenmann, Ursula; Schmeichel-Falkenberg, Beate (Hrsg.): Grenzen überschreiten. Frauen, Kunst und Exil, Würzburg 2005. In: ArtHist.net, 29.09.2006. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/132>.

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