REV-CONF 04.04.2016

Medieval Tombs and their Spatial Context. Strategies of Commemoration

Tübingen, 18.–20.02.2016

Bericht von Lorenz Enderlein, Schönteichen
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die von Francine Giese (Zürich) und Markus Thome (Tübingen) in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Graduiertenkolleg "Religöses Wissen im vormodernen Europa" organisierte Tagung zu den räumlichen Kontexten mittelalterlicher Sepulturen und den performativen Aspekten von Totenmemoria hatte sich das Ziel gesetzt, signifikante Fragestellungen der Sepulkralforschung aus den letzten Jahrzehnten im Vergleich mit islamischen Bestattungstraditionen, Grabbauten und Memorialensembles weiterzuentwickeln. Die interkulturelle Synopse eröffnete den Organisatoren ein breites Spektrum transdisziplinärer Diskursflächen, ging es doch grundsätzlich um die sozialen Funktionen des Sichtbarmachens von Erinnerung, die Integration des Totengedenkens in gesellschaftliche, zeremonielle und rituelle Abläufe, von der Wahl des Grabplatzes über die Organisation von Gedächtnis bis hin zur Neubestimmung von Räumen durch Memoria und Monument.
Die Gliederung des Materials in drei Sektionen, die den Fokus zunächst auf die Verortung des Monuments (I. Location of the sepulchral monument), die durch das Grabmal entstehenden Bedeutungshorizonte (II. Shaping concepts: construction of meaning) und die mit ihm verbundenen identitätsstiftenden Strategien (III. Political strategies) richten sollten, machte schnell deutlich, dass die hier separierten Probleme letztlich jede Grabmalssetzung, folgerichtig auch alle Vorträge und die anschließenden Diskussionen bestimmten.

Einer der Leitfragen, der nach den rituellen Vorgängen am Grab, Bewegungsformen im engeren Sinn also, galt allerdings nur ein kleiner Teil der Referate. So interpretierte Jens Brückner (Tübingen) die Kanonikersepultur im Kreuzgang des Augsburger Doms im Kontext der Osterliturgie, in der sich dessen Raumsemantik veränderte, wenn er im Türöffnungsritus zum Ort allgemeiner Heilserwartung avancierte und allgemeines und persönliches Totengedenken verschmolzen. Auch die Analyse des Stiftungsdokuments für Kirche und Grablege des Mailänder Münzmeisters Benedetto Bozzo aus dem frühen 11. Jahrhundert von Xenia Stolzenburg (Marburg) demonstrierte die Verschränkung von Grablege und zeitgenössischen Passionsritualen, die den Totenkult räumlich mit den Koordinaten christlicher Auferstehungshoffnungen verband. Barbara Franzé (Lausanne) wies im Bodenmosaik der Abtei von Saint-Bertin in Saint-Omer aus dem frühen 12. Jahrhundert ein komplexes kosmologisches System nach, das sie mit dem Totenkult um den hier begrabenen Sohn des Grafen von Flandern, mit Erinnerungen an zeitgenössische Kirchweihriten und dem Krönungszeremoniell verband. Antje Fehrmann (Berlin) gewann aus ihrem Material zu den englischen Königsgräbern des 13. und 14. Jahrhunderts Grundzüge einer allgemeinen Handlungssystematik, um Beteiligte und Vorgänge um die königlichen Memorien, die Diskurse um Ortswahl, formale Konzeption, Rituale, Stiftungen, Wahrnehmung und Signifikate der Monumente prozessual zu definieren.

In einer der beiden ‚keynote lectures‘ führte Tanja Michalsky (Rom) ein aktuelles kartographisches Projekt zur Wahrnehmung der Neapolitaner Grabmonumente in der frühen Neuzeit vor und dehnte so die Fragen der Tagung auf das Nachleben der Monumente und die mit ihnen verbundene historische Identität einer Stadt und der herrschenden Familien aus. Die Strategien verbaler Erschließung von urbanem Raum in den Neapelführern des 16.-18. Jahrhunderts sind an die zeitgleiche kartografische Erfassung der Stadt geknüpft. Die Beschreibung der Grabmäler in den Kirchen der einzelnen Seggi folgt dabei einem komplexen Muster sozialer wie ästhetischer Hierarchien, markierte zeitliche, räumliche wie soziale Koordinaten für die Strukturierung des neapolitanischen Stadtraums.

Ansonsten standen grundsätzlich Themen der Lokalisierung von Memoria und ihres raumstiftenden Vermögens im Fokus, Fragestellungen, die in der Sepulkralforschung keineswegs neu sind, hier aber im Dialog unterschiedlicher Fächerkulturen, islamischer Kunstgeschichte und europäischer Mediävistik, wieder aufgeworfen wurden.
Einen Überblick zur Entwicklung der Königinnengräber des 13. und 14. Jahrhunderts in der französischen Abteikirche von Saint-Denis gab Susanna Blaser (Zürich) - ein Thema, das in den letzten Jahrzehnten mit Blick auf die Akteure am Hof und ihre Intentionen, vor allem auf die Rolle der Königsgattinnen selbst bei der Bestimmung ihrer Begräbnisse oder der Durchsetzung typologischer bzw. formaler Entscheidungen immer wieder diskutiert worden ist (Erlande Brandenbourg, Nolan). Schon Ludwig IX. hatte sich bei der Einbeziehung weiblicher Toter in die Neuordnung der königlichen Grablege Mitte des 13. Jahrhunderts wesentlich von genealogischen Überlegungen leiten lassen, die schließlich noch die Häufung von Monumenten für die letzten Kapetingerinnen des 14. Jahrhunderts in den Seitenkapellen der Kirche bestimmten, wobei die Rolle der Beteiligten auch in der Diskussion umstritten blieb. Eva Leistenschneider (Ulm) blieb thematisch in Saint-Denis und analysierte den gestiegenen Aufwand für die Gräber der Höflinge unter Karl V. vor dem Hintergrund der Aristotelesrezeption im zeitgenössischen Staatsverständnis. Das Grabmalsensemble wird aus dieser Perspektive zur Projektionsfläche für die Vorstellung von königlicher Entourage und belegt den engen Konnex zwischen den Raumvorstellungen des Zeremoniells und dem Zusammenspiel der Gräber.

Den Analogien zwischen sozialen Ordnungen und räumlicher Organisation der Memorien waren auch die Fragestellungen zu städtischen Kontexten verpflichtet. In den spätmittelalterlichen Metropolen Nürnberg, Köln und Ulm organisierte sich das familiäre Totengedenken der großen Patriziergeschlechter, wie Anna Pawlik (Köln) darlegte, über die Agglomeration von Totenschilden, Grabplatten, Glasfenster- und Bildstiftungen im Sakralraum, die zur Entwicklung miteinander konkurrierender, sich mitunter überlagernder sowohl horizontal wie vertikal definierter "Gedächtnisflächen" im Kirchenraum führte. Ähnliche Flächenbildungen ließen sich in den von Claudia Jentzsch (Berlin) untersuchten Grablegen der Florentiner Familien in Santo Spirito beobachten. Dort wurde die restriktive Grabmalspolitik der Kommune, etwa die Reduktion der Memorialzeichen auf die egalisierende Form der Chiusini, die Deckel der Familiengrüfte, über die gezielte Besetzung von Kapellenräumen und eine individuell differenzierte liturgische Memoria unterlaufen. Kristina Seizinger (Tübingen) stellte die Grabmäler des 16. Jahrhunderts in der Leonberger Stadtkirche vor. Ungeklärt blieben hier die Zusammenhänge mit den vorreformatorischen Familiengrablegen und Altarstiftungen, Motive für spätere Ortswechsel innerhalb des Kirchenraums und die kompensatorischen Aufgaben bildlichen Gedenkens mit dem Wegfall liturgischer Memoria nach der Reformation.

Den Bischofsgrablegen des 15. und 16. Jahrhunderts in den Kathedralen von Merseburg, Mainz und Halberstadt galten die Bemerkungen von Stefan Bürger (Würzburg), Markus Thome und Jörg Richter (Hannover). Alle drei Fälle dokumentieren das ausgeprägte historische Selbstverständnis der Domkapitel dieser Zeit. In allen dreien wurden jedoch, bei gleicher Aufgabe, höchst unterschiedliche Konzepte liturgischen Gedenkens realisiert, die Frage nach der Rolle der beteiligten Akteure stellte sich noch einmal unter verändertem Vorzeichen. So haben die Halberstädter Kapitulare, wie Jörg Richter ausführte, zwar die Anniversarien ihrer Bischöfe gefeiert, dabei aber auf monumentale Gräber im Kirchenraum verzichtet. Als materielle Fixpunkte fungierten wichtige Geschenke einzelner Oberhirten an das Kapitel, die zu den Anniversarien ausgestellt wurden. Markus Thome zeigte am Beispiel der Mainzer Bischofsgrablege des 15. und 16. Jahrhunderts, wie eine zunächst dynastisch konzipierte Grablege der Erzbischöfe Adolf und Johann von Nassau in unmittelbarer Nähe zur Heilig-Grab-Anlage vor Vierung von den Amtsnachfolgern bzw. dem Domkapitel durch subtile räumliche Neuakzentuierungen zum Bild der ‚Ecclesia Moguntina‘ und ihrer Geschichte umgedeutet wurde. Dafür nahm man etwa die Trennung von bildlicher und liturgischer Memoria, Grabstein und Grabplatz in Kauf. Unter Bischof Thilo von Trotha schließlich wurde der Umbau des Merseburger Doms im späten 15. Jahrhundert, wie Stefan Bürger referierte, mitsamt einer rekonstruierten Bischofsgenealogie an den Chorschranken und unter Einbeziehung des historischen Grabmals Rudolfs von Schwaben aus dem späten 11. Jahrhundert als historischer Erinnerungsraum eingerichtet, auf den sich Thilos eigene Grablege im Nordquerhaus der Kirche bezog, deren architektonische Angleichung an das bischöfliche Schloss die Verflechtung religiöser und landesherrlicher Interessen ausstellte.

Der über die Jahrhunderte widersprüchlichen Begräbnispraxis in Zisterzienserkirchen und allmählichen Herausbildung von Grabmalsclustern widmeten sich die Vorträge von Markus Hörsch (Leipzig) zu Heilsbronn und Christina Vossler-Wolf (Tübingen) zu Bebenhausen. An die Heilsbronner Basilika lagerten sich mit der Lockerung der strengen Ordensvorgaben und der allmählichen Installation der Hohenzollerngrablege seit dem 13. Jahrhundert im Spätmittelalter regelrechte Memorialarchitekturen an, deren Besetzung durch die Grabmäler des regionalen Adels die soziale Ordnung der Landesherrschaft reflektierte. Für Bebenhausen ergaben sich Einblicke in die Veränderungen der Begräbnispraxis mit der Übergabe des Klosters von den Prämonstratensern an die Zisterzienser und den Zugang zu den Gräbern seitens der Laien.

In der islamischen Kunstgeschichte scheint der Fragehorizont, so zumindest das Resümee aus den Tagungsbeiträgen, ein deutlich anderer. Die Verortung von Memoria stellte sich weniger als Frage nach rituellen Abläufen im sakralen Innenraum, denn als die nach der Besetzung landschaftlicher oder urbaner Zusammenhänge. Vielleicht auch deshalb blieb der erhoffte Dialog zwischen europäischer und islamischer Mediävistik eigentlich aus.
Eine Reihe isolierter, heute anonymer Mausoleen des 10.-13. Jahrhunderts auf den Bergen des mittelasiatischen und transkaukasischen Raums, die Richard Mc Clary (Edinburgh) vorstellte, ließ Fragen nach der Bindung an Wege- oder Siedlungsstrukturen mangels Quellen oder verwertbarer Zeugnisse ebenso wenig zu, wie nach konkreten rituellen Abläufen im Inneren der Bauten. Die Wechselwirkungen zwischen Stadterweiterungen und der Errichtung von Sufi-Mausoleen mit angeschlossenen Medresen- und Moscheestiftungen stellten Patricia Blessing (Istanbul) für das anatolische Konya (13. Jh.) und Sara Mondini (Venedig) für die Bahmaniresidenz des Dekansultanats von Gulbarga (14./15. Jh.) dar. So markierten die Sufikomplexe außerhalb des Mauerrings von Konya die urbane Expansion im späteren 13. Jahrhundert. Sie verdeutlichen darüber hinaus die Verquickung caritativer und memorativer Funktionen bzw. die Rolle der Sufi-Mission bei der Islamisierung Anatoliens. An dieser Stelle wäre zumindest ein Austausch mit der europäischen Kunstgeschichte möglich gewesen, belegt doch die Standortwahl zeitgenössischer Bettelordensklöster in suburbanen Kontexten vergleichbare Institutionalisierungsformen städtischen Wachstums im mediterranen Raum des 13. Jahrhunderts, die in den muslimischen wie den christlichen Gesellschaften an Mission und Erinnerungskultur geknüpft waren. Ähnliche Postulate lassen sich für die Residenzen der Dekansultanate Zentralindiens gewinnen, wie die räumliche Verteilung von Mausoleen in der Bahmaniresidenz von Gulbarga und der repräsentativen bzw. raumstrukturierenden Eigenschaften ihrer Memorialarchitekturen belegten.

Ein weiterer Teil der Beiträge dokumentierte explizit das "entanglement", also den Dialog zwischen islamischer und christlicher Memorialarchitektur im Mittelmeerraum. Der Abendvortrag von Doris Behrens Abouseif (London) analysierte mit dem Mausoleumskomplex des Mamlukensultans Qalawun in Kairo und den angeschlossenen Moscheen-, Medresen- und Hospitalstiftungen ein Architekturensemble, für dessen Formensprache, auch im Detail, seit Creswell Vorbilder der normannischen Architektur angeführt werden. Formale und strukturelle Eigenheiten sprechen für einen programmatischen Wunsch der Sultane, das politische wie kulturelle Erbe der Kreuzfahrerstaaten zu übernehmen, Bestrebungen, die schließlich in der der Eroberung von Akkon 1291 und 1295 in der Versetzung des Portals der dortigen Andreaskirche durch Sultan Khetbuga in die Kairoer an-Nasir-Medrese gipfelten. Umstritten bleiben - das zeigte nicht zuletzt auch die Diskussion, die Transferwege, die formalen und semantischen Qualitäten der Architekturrezeption oder -kopie, die Beteiligung auswärtiger Bauleute, oder die Konnotationen der Verwendung etwa des opus sectile als einer im Mittelmeerraum verbreiteten Dekorationspraxis. Die Nähe zwischen christlicher und muslimischer Kunst des 15. Jahrhunderts in der Levante demonstrierten Sami Giosas (London) Beobachtungen zu Dekorationsformen am Kairoer Sultan-Quatbay-Mausoleum aus dem späten 15. Jahrhundert, in denen Kreuzmotive aus der christlichen Ornamentik variiert werden, ein Phänomen, das der Autor im Kontext der engen Beziehungen mamlukischer Herrscher zu den christlichen Staaten der Levante deutete.
Den "Kontaktzonen" zwischen den Kulturen galt auch Francine Gieses Beitrag zu den kulturellen Austauschprozessen zwischen muslimischer und christlicher Kultur im Spanien des 13. bis 15. Jahrhunderts. In der Capilla Royal in Cordoba, der königlichen Grablege im Komplex der ehemaligen Moschee, bündeln sich Motive des Kulturtransfers in einem Spektrum zwischen Appropriation und ästhetischen Exotismen und machten die Komplexität der Transferprozesse im Bereich der Totenkults deutlich.

Der breit gesteckte methodische Rahmen der Tagung war ganz offensichtlich dem Bemühen geschuldet, einen vergleichenden Blick auf Phänomene der Memoria in der christlichen und islamischen Welt des Mittelalters überhaupt möglich zu machen und dabei in Kauf zu nehmen, auch vielfach schon bekanntes Material neu zu sichten. Aufgezeigt wurde vor allem das künftige Potenzial einer präziseren Akteurs- und Handlungssystematik, innerhalb derer sich Abläufe und Gestalt von Sepulturen verorten lassen.

Empfohlene Zitation:
Lorenz Enderlein: [Tagungsbericht zu:] Medieval Tombs and their Spatial Context. Strategies of Commemoration (Tübingen, 18.–20.02.2016). In: ArtHist.net, 04.04.2016. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/12612>.

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