REV-CONF Apr 11, 2011

Tombe dogali

Venedig (Centro Tedesco di Studi Veneziani; Palazzo Barbarigo della Terrazza), Sep 30–Oct 1, 2010

Report by Anett Ladegast, Humboldt Universität zu Berlin
Editor: Rainer Donandt

Tagung: Tombe dogali: La commemorazione dei principi della Repubblica veneziana Veranstalter: Benjamin Paul, Rutgers University, New Brunswick Datum, Ort: 30. September bis 1. Oktober 2010, Venedig

Am 30.09./1.10. 2010 fand in Venedig eine Tagung statt, die sich die ambitionierte Aufgabe stellte, die bisherige Forschung zu den Grabmälern der Dogen epochen- und fachübergreifend zusammenzuführen und durch den vergleichenden Ausblick auf die Erinnerungskultur anderer italienischer Kommunen neue Deutungsperspektiven zu öffnen. Mit dem Deutschen Studienzentrum (Centro Tedesco di Studi Veneziani) im Palazzo Barbarigo della Terrazza, dessen Erbauerfamilie mit Marco (reg. 1485-1486) und Agostino Barbarigo (reg. 1486-1501), gleich zwei Dogen vorweisen kann, fand die Tagung in denkbar passendem Rahmen statt; auch der Veranstaltungsort des zweiten Konferenztages, die auf San Giorgio Maggiore situierte Fondazione Giorgio Cini, stand dem atmosphärisch in nichts nach. Die inspirierende Wirkung der physischen Nähe zu den Monumenten wurde auch von Sabine Meine betont, die als Direktorin des Deutschen Studienzentrums die Tagung mit ihrem Grußwort eröffnete.

Die Dogen, die einerseits das Geschick eines einflussreichen italienischen Staates lenkten, als „primi inter pares“ aber anderseits von einer eifersüchtigen Aristokratie in ihren Machtbefugnissen aufs strengste kontrolliert wurden, sind zentraler Teil des „Mythos Venedigs“. Im Zuge einer intensivierten Erforschung der Kultur- und Kunstgeschichte Venedigs während der letzten 20 Jahre erschien eine Reihe wichtiger Fallstudien und Überblicksarbeiten, die das Feld der dogalen Memorialkultur schlaglichthaft beleuchten [1]. Eine umfassende diachrone Untersuchung von Spezifika, Wandel und Entwicklung der Dogengrabmäler im Kontext der europäischen Memoriaforschung, steht jedoch noch aus – bzw. stand, denn auch hier beschritt die Tagung Neuland. Im ersten Vortrag stellte Judith Ostermann (Berlin) ihr Projekt zur Erfassung aller nachweisbaren Dogengrabmäler vor. Ihr Katalog mit den Steckbriefen der Dogengrabmäler wird in den Konferenzakten veröffentlicht.

Die immense Bedeutung, welche den Grabmälern als Medien einer aktiv gestalteten Erinnerungspolitik zukam, zeigten zwei Vorträge zu ganz unterschiedlichen Grablegen aus der einflussreichen Dogenfamilie der Dandolo. Henrike Haug (Berlin) erinnerte an das Selbstverständnis der Serenissima als Seefahrernation und ihren territorialen Machtanspruch „oltre mare“, der auch durch Grabmäler als materielle Besitzmarkierungen visualisiert werden konnte. So verzichtete man, als der Doge Enrico Dandolo (reg. 1192–1205) während des 4. Kreuzzuges in Konstantinopel starb, auf die sonst übliche Rückführung der Gebeine und wählte eine Bestattung in der Hagia Sofia, wo das Fragment einer Bodenplatte erhalten blieb. Rudolf Dellerman (München) stellte mit dem Grabmal des Andrea Dandolo (reg. 1343-1354) eines der Schlüsselmonumente der venezianischen Grabmalskultur vor: Es zeigt zum ersten Mal die Darstellung des Verstorbenen als Liegefigur. Vor allem aber war Dandolo der letzte Doge, dem eine Bestattung in San Marco zugestanden wurde.

Victoria Avery (Cambridge) sensibilisierte die Teilnehmer für die an den Monumenten verwendeten Materialien: Bronze als mit imperialen Konnotationen aufgeladener Bedeutungsträger spielte im Gegensatz zu französischen oder zentralitalienischen Traditionen in der von Marmor dominierten venezianischen Grabmalsskulptur nur eine überraschend marginale Rolle. Da Bronze durchaus einen festen Platz in der öffentlichen Denkmalskultur Venedigs hatte – man denke nur an die byzantinischen Bronzepferde von San Marco oder Verrocchios Reiterstandbild des Colleoni – wurde dieser Befund rege diskutiert. Tiziana Franco (Verona) lenkte den Blick auf die - heute in der Regel verlorene - malerische Ausgestaltung der Grabmäler. In ihrem gleichzeitig ebenso eindringlichen wie anregenden Vortrag widmete sich Debra Pincus den Grabmalsinschriften, die nicht nur neutrale Träger von Informationen, sondern bereits durch ihre Faktur mit Bedeutung aufgeladen sind. Pincus stellte aktuelle Funde von Inschriftenfragmenten vor, die den Wechsel von gotischen Minuskelschriften zur Capitalis all’antica in der Mitte des 15. Jahrhunderts dokumentieren, und neue Erkenntnisse zur Verbreitung der römischen Capitalis in der Lagunenstadt bieten, die parallel zum Siegeszug humanistischer Bildungsideale erfolgte. Exemplarische Untersuchungen von Dogengrablegen machten Spielräume, aber auch Grenzen der venezianischen Memorialkultur sichtbar: Florian Horsthemke (Berlin) untersuchte die Grabmäler der Familie Mocenigo an der Innenfassade von Santi Giovanni e Paolo, wo die Monumente dreier Dogen zu einem einzigen gigantischen Monument zum Ruhme der Familie verschmolzen wurden. In diesem Zusammenhang ist auch der Vortrag von David Drogin (New York) zu sehen, der den generationsübergreifenden Dialog der Dogen in ihren Grabmälern verfolgte, und herausstellte, dass die Monumente niemals als Solitäre zu begreifen seien, sondern stets auf eine präexistente Grabmalstradition reagieren. Dass dies auch die Abkehr von Konventionen bedeuten konnte, zeigte die von Janna Israel (Washington D.C.) untersuchte Bodenplatte für Cristoforo Moro (reg. 1462–1471) in San Giobbe. Da deren scheinbare Bescheidenheit aber nicht allein durch Qualität und Größe, sondern auch durch die Platzierung im liturgischen Zentrum der Kirche konterkariert wird, ist dies, wie die Referentin betonte, keineswegs als Akt der Humilitas zu deuten.

Durchsetzen sollte sich dieses Modell „Vorsprung durch Zurückhaltung“ jedoch nicht: Das späte 15. Jahrhundert wurde von einer Reihe ehrgeiziger Grabmalsprojekte geprägt, für die erstrangige Künstler wie Tullio Lombardo verpflichtet wurden. Umso erfreulicher ist es, dass die Werke der Lombardi-Werkstatt nun in hochwertigen Fotos durch das an der Fondazione Giorgio Cini angesiedelte Forschungsprojekt „Opere di Tullio Lombardo“ online zugänglich sind (www.cini.it).

Das Grabmal des Dogen Niccolò Tron (reg. 1471–1473) in der Frari-Kirche galt bisher als programmatisches Idealbild für das Selbstverständnis der Dogen: So, wie sich über dem Standbild des Verstorbenen die Venedig repräsentierenden Tugenden erheben, sollte sich auch der Doge in den Dienst und damit den Schatten der Republik stellen. Benjamin Pauls (New Brunswick) Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte dieses Monumentes ließ es nun allerdings in gänzlich neuem Licht erscheinen: Indem er dessen Auftraggeber, den Sohn des Dogen Filippo Tron, in den Fokus nahm, offenbart sich das republikanische Grabmalsprogramm als eine nachträgliche Rehabilitationsmaßnahme des massiv in die Kritik geratenen Vaters und stellte eine wichtige Investition in die weitere Karriere des Sohnes dar. Dennis Romano (Syracuse) bezeichnete die Dogengrabmäler denn auch konsequenterweise als „family concerns“. Finanzierung und Ausführung der Monumente lagen in der Verantwortung der Dogenfamilien, die ein vitales Interesse hatten, das Andenken „ihres“ Dogen positiv zu inszenieren. Mit Familie, Republik und Person arbeitete Romano eine Triade von Parteien heraus, die im Ringen um das angemessene Andenken des verstorbenen Dogen konkurrierten. Vor diesem Hintergrund ist es zu bedauern, dass die Rolle der Dogaressa in der venezianischen Grabmalstradtion nur am Rande der Tagung Beachtung fand.

Am Beispiel von Grabmalsver- und Neusetzungen im Zuge des Neubaus von San Giorgio Maggiore untersuchte Tracy Cooper (Philadelphia) die Mechanismen von Aktualisierung und Nutzbarmachung von Geschichte anhand des Erinnerungsensembles einer ganzen Kirche. Als ein besonders sprechendes Beispiel stellte Giulia Ceriani Sebregondi (Verona) das Grabmal des Leonardo Donà (reg. 1606–1612) in eben dieser Kirche vor.

Martin Gaier (Basel) lenkte in seinem Vortrag zum dogalen Begräbniszeremoniell den Blick auf den – wohl auch wegen der geringen Anzahl überlieferter Artefakte – kaum erforschten Effigiesgebrauch, der sich im Venedig des 16. Jahrhunderts durchsetzte und im Zusammenhang mit dem ausgedehnten Begräbniszeremoniell zu sehen ist, das mit dem Ius spolii, also der rituellen Beraubung des Dogen endete. Die Verwendung einer Effigies ermöglichte den für die republikanische Identität zentralen Ritus und garantierte gleichzeitig die Würde des Leichnams. Ein solcher Kompromiss zur Zufriedenheit aller war in Anbetracht der komplexen Interessen, die mit den Dogengrabmälern verbunden waren, nicht immer zu erreichen.

Eine Strategie, die eigenen Grabmalsvorstellungen durchzusetzen, führt das von Ruth Schilling (Berlin) vorgestellte Grabmal des Marino Grimani (reg. 1595-1605) in San Giuseppe di Castello vor, das dieser bereits zu Lebzeiten errichten ließ. Teil des figurenreichen Monuments, das auf das Vorbild römischer Triumphbögen rekurriert, sind zwei res-gestae-Reliefs, die die Krönung des Dogen und die Verleihung der Goldenen Rose an die Dogaressa Morosina Morosini durch Papst Clemens VIII. (1592-1605) als Beleg der Anerkennung Venedigs durch das Papsttum zeigen. Auch Arne Karsten (Wuppertal) richtete den Blick nach Rom und verglich das Grabmalsverständnis dieser beiden Wahlmonarchien: Während die Päpste die Prachtentfaltung ihrer Grabmäler wiederholt gegenüber explizit grabmalsfeindlichen religiösen Vorgaben verteidigen mussten, blieben die Dogengrabmäler, die als Zeichen venezianischer Größe angesehen wurden, von derartigen Vorwürfen frei. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die tridentinischen Reformbemühungen, welche die römische Grabmalspraxis ab dem späten 16. Jahrhundert nachhaltig veränderten, in Venedig wenig Beachtung fanden.

Im Gegenteil: Das Grabmal für die Dogen Bertuccio (1656-1658) und Silvestro Valier (reg. 1696) sowie dessen Frau Elisabetta Querini in Santi Giovanni e Paolo sollte in Bezug auf Größe und Figurenreichtum alle seine Vorgänger in den Schatten stellen, wie Monica de Vincenti (Venedig) ausführlich darlegte. Massimo Favilla und Ruggero Rugolo (Venedig) beschlossen die Tagung mit ihrem bild- wie wortgewaltigen Vortrag, in dem sie die Vielfalt der Dogengrabmäler des 18. Jahrhunderts vorstellten. Während weiterhin prächtige Monumente entstanden, erhielt mehr als die Hälfte der Dogen dieser Zeit gar kein eigenes Grabdenkmal. Den Schlusspunkt der rund tausendjährigen Geschichte der Dogen und ihrer Grabmalskultur bildete denn auch die schlichte Bodenplatte für Ludovico Manin (reg. 1789-1797, gest. 1802) in Santa Maria di Nazareth, mit dessen Abdankung die venezianische Republik ein abruptes Ende fand. Intensive und lebhafte Diskussionen prägten den gesamten Verlauf der Tagung. Mit der epochenübergreifenden Einordnung der Dogengrabmäler konnte nun ein zentrales „missing link“ in das Gesamtbild der seit Jahren blühenden europäischen Memoriaforschung eingefügt werden. Mehr noch: Sie ermunterte nachdrücklich zur weiteren Erforschung der venezianischen Grabmalstradition im europäischen Kontext. Es bleibt die Vorfreude auf den Tagungsband, mit dem ein Standardwerk zum Verständnis der Memorialstrategien der Serenissima erwartet werden kann.

Anmerkung:
[1] Hierzu gehören Debra Pincus: The Tombs of the Doges of Venice. Cambridge 2000; Ursula Mehler: Auferstanden in Stein: venezianische Grabmäler des späten Quattrocento. Köln [u.a.] 2001; Martin Gaier: Facciate sacre a scopo profano: Venezia e la politica dei monumenti dal Quattrocento al Settecento. Venedig 2002; Jan Simane: Grabmonmumente der Dogen – Venezianische Sepulkralkultur im Cinquecento. Sigmaringen 1993. Hinzu kommen Publikationen des Bauforschers Wolgang Wolters, der die Venedigforschung entscheiden prägte, und zahlreiche Studien zu einzelnen Monumenten. In diesem Zusammenhang ist Andrea da Mostos noch heute aktuelles Standardwerk zur Geschichte der Dogen Venedigs zu nennen, das die Monumente, zu denen er reiches Quellenmaterial zusammentrug, aber eher in den Dienst einer historischen Betrachtung stellte: Andrea da Mosto: I dogi di Venezia: con particolare riguardo alle loro tombe. Venedig 1939.

Konferenzübersicht:
http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-arthist&month=1009&week=c&msg=N%2bpeLzjh7iF17zvA36pOkw&user=&pw=

Recommended Citation:
Anett Ladegast: [Conference Report of:] Tombe dogali (Venedig (Centro Tedesco di Studi Veneziani; Palazzo Barbarigo della Terrazza), Sep 30–Oct 1, 2010). In: ArtHist.net, Apr 11, 2011 (accessed Apr 25, 2024), <https://arthist.net/reviews/1186>.

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