REV 30.11.2005

Stefan Majetschak (Hg.): Bild-Zeichen

Rezensiert von Carolin Behrmann
Jan von Brevern, FU Berlin
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Wie andere Sammelbände zum Thema „Bildwissenschaft“ bemüht sich auch dieser Tagungsband darum, Möglichkeiten einer systematischen Wissenschaft vom Bild aufzuzeigen [1]. Genau ein Dutzend Beiträge setzt sich im weitesten Sinne mit der Frage auseinander, ob es einen „konsensusfähigen Begriff des Bildes“ (Einleitung, S. 8) geben kann und ob eine „Bildwissenschaft“ ein Kategoriesystem nach Vorbild der Allgemeinen Sprachwissenschaft benötigt. Um die Besonderheit dieses Bandes hervorzuheben, wäre der Untertitel „Kontroversen um eine Wissenschaft vom Bild“ vielleicht treffender gewesen, denn es wird deutlich, dass auch hier die Debatte noch außer Sichtweite einer gemeinsamen Zielgeraden geführt wird.

In Anbetracht der Vielfalt von Bildern heute werde das Fach Kunstgeschichte, so erscheint es dem Herausgeber des vorliegenden Bandes, dem Phänomen Bild nicht mehr gerecht. Um diese Aufgabe zu bewältigen, könne die traditionelle akademische Disziplin, „die sich auf eine historische Betrachtung von Kunstbildern der Hochkultur spezialisiert hat“, wissenschaftlich nicht mithalten. Deswegen benötige man eine „Allgemeine Bildwissenschaft“, welche die Bilder nicht nur historisch, sondern auch psychologisch, soziologisch und „in jeder erdenkliche(n) Hinsicht“ untersucht (S. 7). Diese Aussage erstaunt zunächst. Unter dem gemeinsamen Dach „Kunstgeschichte“ versammeln sich nun schon seit über einem Jahrhundert nicht nur historische, sondern auch semiotische, soziologische, psychologische, politische, kulturtheoretische und viele Ansätze mehr, die sich Bildern aus den verschiedensten Bereichen, sei es High oder Low, Kunst, Technik, Wissenschaft oder Alltag widmen [2]. Wie kommt es also zu dieser Einschätzung? Welche Ebenen der Auseinandersetzung mit dem Bild hat die Kunstgeschichte vernachlässigt und welchen Gebieten soll sie sich in Zukunft stärker widmen? Mögliche Antworten können an dieser Stelle nun die in diesem Band zusammengestellten Beiträge liefern, von denen eine Auswahl vorgestellt werden soll.

Drei Abschnitte gliedern den Band. Zunächst wird die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Bild und Zeichen gestellt. Der Philosoph Günter Abel geht davon aus, dass Bilder in erster Linie Zeichen sind [3]. Sinn und Bedeutung der Bilder stellen sich nur kraft ihrer Eigenschaft als Zeichen her, die wiederum – nach dem Begründer der Semiotik Charles S. Peirce – in einem prozessualen Zusammenhang gesehen werden müssen. Zeichenhaftigkeit und sinnliche Wahrnehmung sind zwei Grundkonstanten des Bildes, denn „Bilder sind Zeichen, die zuvörderst sinnlich empfunden werden“ (S. 17). Zwei Perspektiven dominieren Abel zufolge die philosophische Debatte um das Bild: die phänomenologische und psychologische sowie die semiotische und sprachphilosophische. Im Hinblick auf die erbitterten Grabenkämpfe, die zuweilen zwischen diesen Positionen geführt werden, schlägt Abel eine vereinheitlichte Theorie der Zeichen und Phänomene vor. Zu dieser gehört – wie Abel in einer Fußnote ergänzt - als letztes Glied neben der Zeichenphilosophie und der Phänomenologie auch die Kunstgeschichte, welche sich um die Fragen der Form bemüht (S. 20, Anm.10). Diese Trias könnte dazu beitragen, sowohl Zeichen und Wahrnehmung, als auch Zeichen und Phänomen in einen Zusammenhang zu stellen. Bild- und Bildlichkeitsfragen sollten Abel zufolge nach einer allgemeinen Zeichen- und Interpretationsphilosophie entfaltet werden.
Hans Belting hingegen erklärt die fundamentale Differenz von Bild und Zeichen in ihrer historischen Dimension. Die Geschichte der Kunst sei tief geprägt von der Geschichte des Bilderstreits und dem Versuch, Bild und Zeichen nicht nur voneinander zu trennen, sondern auch in Opposition zu setzen. Belting macht den jahrhundertealten Bilderstreit zu einem Streit zwischen Bild und Zeichen. Bilder seien nicht konvertierbar und bezögen sich auf das, was sie abbildeten – im Gegensatz zu Zeichen, die immer auf etwas anderes verweisen würden. Anhand der Idee einer Autoreferenz des dargestellten Körpers im Bild, der sich auf lebende Körper bezieht und somit zwischen Körper und Bild eine unmittelbare Nähe besteht, entwirft Belting seine Theorie des Bildes. Bilder entziehen sich dem alleinigen Zugriff der Semiotik, so die These, da sie von einer Ambivalenz geprägt sind und eben nicht nur Ähnlichkeit oder Abbilden bedeuten. Auch der Bildbegriff von Charles S. Peirce gründe auf dieser Vorstellung des Bildes. Anhand der Beispiele des byzantinischen Ikonoklasmus und des Abendmahlstreits der Lutherzeit thematisiert Belting die seit mindestens Anfang des ersten Jahrtausends existierende Unvereinbarkeit von Bild und Zeichen im theologischen Diskurs: „Wo ein Bild war, konnte kein Zeichen sein und umgekehrt.“ (S.35). [4]

Der zweite Abschnitt des Bandes verhandelt unter dem Titel „Ikonizität. Entstehungsprozesse bildlichen Sinns“ unterschiedliche Themen. In dem ersten Aufsatz plädiert Axel Müller für eine „andere Bildgeschichte“ (S. 77). Wie erzeugen Bilder Sinn, was ist „ikonischer Sinn“ und wie sind hieraus Thesen für die Bildwissenschaft ableitbar? – das sind die leitenden Fragen dieses Beitrags. Dies zu bestimmen erscheint dem Autor zunächst als eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe im Hinblick auf die „rasante Entwicklung bilderzeugender Maschinen“ und der „gigantischen, nicht zu überschauenden Vielfalt an Bildern“. Diese sei von einer „erheblichen Tragweite für das Selbstverständnis einer sich globalisierenden Gesellschaft“ (S.80). Doch alle noch so unterschiedlichen Bilder besäßen eine „bildspezifische Eigenart (...), die sie von anderen Dingen grundsätzlich unterscheidet“ (S.80f.). Diese liege in der Differenz zwischen der Materialität von Bildern und der den Bildern eigenen Immaterialität sowie ihrer Selbstreferentialität. Hier schließt Müller an die von Gottfried Boehm beschriebene Theorie der „ikonischen Differenz“ an (S. 83). Die dem Bild eigene „ikonische Dopplung“ sei von entscheidender bildwissenschaftlicher Bedeutung. Aufgrund dieser allen Bildern zukommenden Eigenschaft würden Bilder vergleichbar, auch über stilistische und zeitliche Grenzen hinweg. Bei aller Vergleichbarkeit existierten jedoch gravierende Unterschiede zwischen Kunst und der „Massenware“ Bild. Kunstwerke eigneten sich zur Bildreflexion deswegen besonders gut, „weil an ihnen die Grundlagen bildlicher Gestaltung (...) in Erscheinung treten.“ (S.81, Anm.10). Somit würden beispielsweise René Magrittes „La condition humaine“ (1933) und das Selbstporträt Dürers von 1500 diese innere Doppelung des Bildes vor Augen führen. Magrittes Bild – für bildwissenschaftliche Themen übrigens auffallend häufig herangezogenes Werk [5] – thematisiere die ikonische Differenz explizit im Bild; Dürer in seinem auf Christus verweisenden Selbstporträt hingegen nur implizit. Es stellt sich die Frage, zu welchen weiterreichenden Erkenntnissen eine solche Analyse der ikonischen Differenz führen kann, wenn am Ende der Gegenüberstellung und kunstgeschichtlichen Herleitung der Spezifik dieses Künstler-Selbstporträts das Ergebnis lautet: „Dürers Selbstbildnis repräsentiert nicht etwas anderes als den Maler (nämlich Christus), sondern es präsentiert uns etwas gleichzeitig (simultan) als etwas anderes. (...) sein Bild (zeigt) eigentlich nichts anderes als sich selbst.“ (S.95). Die Verflechtung verschiedener Bildkonzepte und die dadurch erzeugte Ambivalenz dieses Selbstporträts haben verschiedene Studien schon aufzuzeigen versucht, die aber bedauerlicherweise nicht angeführt werden.

Michael Wetzel lässt sich in seinem Beitrag nicht von der in Mode gekommenen Überschätzung eines pictorial, iconic oder visual turn irreführen, sondern widmet sich einzig dem Aspekt der Unterscheidung zwischen Bild und Visualität. Den Gegensatz zwischen Bild und Visuellem formulierten neben Didi-Huberman auch der Filmtheoretiker Serge Daney und Walter Benjamin. Gemeinsam sei ihnen, dass das Visuelle als etwas kritisch „Gefährliches“ angesehen wird, weil es daran hindert zu „Sehen“ und zu „Erkennen“. Das dialektische Bild hingegen fordere heraus, seine Aussage mit anderen zu verknüpfen, es habe „wie die Demokratie, etwas Spiel, etwas Unvollendetes...“ (S.150). Der Aufsatz von Wetzel deutet durch diese fruchtbare Unterscheidung zwischen Bild und Visualität an, welche unsichtbaren Dimensionen das Bild besitzt. Eine bloße Unterscheidung zwischen Bild und Zeichen reicht nicht aus, wie Wetzel auch mit Hinweis auf die „dekonstruktive Leistung“ (S. 147) des Bildhistorikers Aby Warburg für einen so erweiterten Bildbegriff deutlich macht.

Der dritte Abschnitt des Bandes ist betitelt mit „Das Bild und die Wissenschaft. Bildwissenschaft als interdisziplinäres Projekt“ und versammelt wieder sehr divergierende Positionen zum Thema „Bild“. Klaus Sachs-Hombach stellt sein Projekt einer systematischen Wissenschaft vom Bild vor und legt nahe, dass semiotische und linguistische Analysen sowie Zeichen- und Kommunikationstheorie für eine Bildwissenschaft herangezogen werden müssten (S.177). Leider werden die Ansätze nicht erwähnt, die sich mit der zeichentheoretischen Perspektive anhand verschiedener Beispiele aus der Bildgeschichte auseinandergesetzt haben [6].

Jede wissenschaftliche Neuorientierung gewinnt den Theorien und Beweisführungen der Vergangenheit neue Perspektiven ab. Wo man absichtlich vorausgesehene Pfade nicht mehr weitergeht und alte Linien überkreuzt, da treten neue Motive auf, von denen man nicht annahm, dass sie in den Ansprüchen der alten Denkrichtungen stecken. Dieses bewusste oder unbewusste Überkreuzen und Wiederaufnehmen von Denkansätzen und Modellen wird in der im vorliegenden Sammelband geführten Debatte um die Rolle der Semiotik für die Bildwissenschaft exemplarisch vorgeführt, wobei nicht immer auf das verwiesen wird, was im Ansatz schon existierte. Gelegentlich wird daher Neues ausgerufen, obwohl der eigentliche Gegenstand der immergleiche geblieben ist. Leider fehlt auch diesem Sammelband eine intensivere Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der verschiedenen Untersuchungsfelder der Kunstgeschichte, die nicht auf eine Wissenschaft der „Kunstbilder der Hochkultur“ reduziert werden darf. Trotz allem präsentiert dieser Band einen interessanten Ausschnitt der anhaltenden Kontroverse um den Bildbegriff, um die spezifischen Bildleistungen sowie um die Möglichkeiten und Gefahren semiotischer Zugriffe auf das Bild. Nach der Lektüre ist die Neugierde auf den weiteren Verlauf der Diskussion geweckt.

[1] Die Tagung „Bildwissenschaft“ Probleme und Perspektiven eines Forschungsprogramms
fand an der Kunsthochschule in der Universität Kassel vom 11.-13. Februar 2004 statt.
[2] Alle Facetten der vielschichtigen Auseinandersetzung mit Bildfragen aufzulisten würde den Raum dieser Rezension sprengen. Deswegen sei verwiesen auf den Artikel von Horst Bredekamp, Bildwissenschaft, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen. Methoden. Begriffe, Stuttgart 2003, S. 56-58.
[3] Dieser Aufsatz wurde schon publiziert in: Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch, Bd. 1,1 (März 2003), Berlin: Akademie Verlag, S. 89-102.
[4] Den Ansatz hat der Autor in einer umfangreicheren Studie jüngst ausgearbeitet, siehe Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. Beck Verlag 2005
[5] Vgl. die Rez. Behrmann/v. Brevern: Iconic turn in dieser Reihe. http://www.arthist.net/download/book/2005/051102Behrmann-Brevern.pdf
[6] Grundlegend zum Einfluss der Semiotik auf die kunst- und bildwissenschaftliche Analyse ist immer noch der Aufsatz von Mieke Bal und Norman Bryson: Semiotics and Art History, in: Art Bulletin, Vol. LXXIII, No. 2 (June 1991), S. 174-208. Diesen Autoren zufolge sind Alois Riegl und Erwin Panofsky als Geistesverwandte von Peirce und Saussure zu verstehen.

Majetschak, Stefan (Hrsg.): Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, München: Wilhelm Fink Verlag 2005
ISBN-10: 3-7705-4205-3, 243 S, EUR 34.90, ca. sfr 60.40

Empfohlene Zitation:
Carolin Behrmann, Jan von Brevern: [Rezension zu:] Majetschak, Stefan (Hrsg.): Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, München 2005. In: ArtHist.net, 30.11.2005. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/106>.

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