REV 09.11.2005

Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft

Rezensiert von Jan von Brevern, FU Berlin
Carolin Behrmann
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Klaus Sachs-Hombach hat sich eine nicht einfache Aufgabe gestellt: Er möchte alle Fächer, die sich mit Bildern beschäftigen, zu einer interdisziplinären Bildwissenschaft zusammenführen. Der vorliegende Band, der achtundzwanzig Aufsätze zur Bildthematik versammelt, kann als aktueller Stand dieser Bemühung gelten.

Dem Herausgeber geht es dabei allerdings nicht um die Gründung einer neuen Disziplin, sondern um die Bereitstellung eines gemeinsamen interdisziplinären Theorierahmens. Minimales Kriterium soll dabei sein, dass die Bildwissenschaft „ein Modell anbieten kann, das die verschiedenen Bildphänomene und die verschiedenen Bildwissenschaften in systematischer Weise verbindet“ (S. 11). Dieser gemeinsame Theorierahmen soll sowohl über die Einigung auf einen allgemeinen Bildbegriff zustande kommen, als auch Ergebnis der Forschungspraxis der einzelnen Fächer sein. Der vorliegende Sammelband möchte zur Konstitution einer allgemeinen Bildwissenschaft beitragen und gleichzeitig „als eine Art Handbuch“ dienen, „das dem Bildwissenschaftler einen Überblick über die beteiligten Bereiche vermittelt.“ (S. 12) Diesem Charakter eines Handbuches entsprechend präsentieren sich die einzelnen Beiträge in nahezu einheitlicher Form: Alle Autoren führen aus Sicht der jeweiligen Disziplin in die Bildproblematik ein, stellen eine oder mehrere Methoden zum Umgang mit Bildern vor und versuchen zudem, die Rolle ihrer Disziplin in einer allgemeinen Bildwissenschaft zu definieren.

So unterscheidet Joachim Paech (Medienwissenschaft) in seinem Beitrag zunächst die geistes- und kulturwissenschaftliche von der sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Medienwissenschaft. Die Beschäftigung mit dem Bild sieht Paech als Chance, diese beiden Zweige mit ihren ganz unterschiedlichen Fragen wieder enger zusammenzuführen. Am Beispiel des Bewegungsbildes führt der Autor sehr eindrücklich den medienwissenschaftlichen Umgang mit Bildern vor. Bilder werden hier differenziert als „Prozesse der Konkretisierung ihrer medialen Ermöglichung“ (S. 83) betrachtet; es gelingt dem Autor, auf wenigen Seiten diese medialen Ermöglichungen anhand der Kinematographie anschaulich zu machen. Dabei schließt er an aktuelle Diskussionen um den Status von Bildern an, wie sie in den letzten Jahren beispielsweise von Gottfried Boehm oder Hans Belting geführt wurden [1].

Tilman Lenssen-Erz stellt in seinem Beitrag „Archäologie und Prähistorie“ anhand der Felsbildforschung den Wandel im Umgang mit prähistorischen Bildern dar. Die anfangs stilgeschichtlichen, später Symbolik und Metaphorik betreffenden Fragestellungen sind heute dem Bestreben gewichen, zunächst einmal die Sinneinheiten der Bilder zu erfassen. Die Suche nach „Figuren“, „Szenen“ oder gar „Kompositionen“ werden vom Autor zwar als sinnvoll betrachtet, gleichzeitig aber zu Recht problematisiert, da sie „auf diffusen Begriffen der europäischen Kunstgeschichte fußen“ (S. 170) und selten genau definiert sind. Ihre Übertragung auf den prähistorischen Bereich erscheint fragwürdig, weil sie typische Phänomene wie Überlagerungen oder die grundsätzliche Rahmenlosigkeit der Bilder nicht erfassen können. Am Ende wirft der Autor einen Blick auf die Zukunft der Felsbildforschung und stellt die interessante These auf, dass „dem Begriff und Konzept von ‚Landschaft‘ eine wichtige Rolle zukommen“ könnte (S. 172). Das ist insofern gewagt, als ‚Landschaft‘ bisher als ein Konzept der frühen Neuzeit galt [2]; seine Eignung für die Vor- und Frühgeschichte wird sich also erst noch erweisen müssen.

Klaus Sachs-Hombach versteht die Philosophie innerhalb der entstehenden Bildwissenschaft gewissermaßen als Gravitationszentrum: Sie soll für die notwendige „Begriffsreflexion“ sorgen und zudem „eine Art Landkarte entwerfen, in der das Gelände der Bildthematik skizziert wird, um die verschiedenen begrifflichen Probleme und ihre Beziehung zueinander deutlich zu machen.“ (Vorwort, S. 15). Entsprechend stellen Sachs-Hombach und Eva Schürmann in ihrem Beitrag nach einem philosophiegeschichtlichen Abriss zum Bildbegriff vier mögliche Herangehensweisen vor: Einen semiotisch-perzeptuellen Ansatz, der Theorien von Goodman und Merleau-Ponty vereint; eine von Austins Sprechakttheorie inspirierte „Bildpragmatik“, die das Bild in seinem Verwendungszusammenhang untersucht; die „Bildästhetik“, welche die bildspezifische Anschauungsleistung betont; und eine „Bildkritik“, der es „um ein Verständnis der elementaren Grundlagen, die Bildverwendungen und bildhafte Wirkungen überhaupt erst ermöglichen“, geht (S. 121).

Es ist sehr zu bedauern, dass viele der Beiträge von diesem Theorieangebot der Philosophie nur unzureichend Gebrauch machen. Stattdessen ziehen sich zwei Argumentationslinien wie rote Fäden durch den Sammelband. Die erste zieht den Vergleich der Eigenschaften von Bildern mit denen von Text und Sprache. Mehr als eine Auswahl ebenso bekannter wie sich widersprechender Befunde kommt dabei allerdings selten heraus. So wird laut Frank Lesske (Politikwissenschaft) bei Texten „der Verstand stärker angesprochen“, während ein Bild „ganzheitlicher wahrgenommen“ und „eher langsam verarbeitet“ wird (S. 245). Dagegen behauptet Thomas Schierl (Werbungsforschung), dass Bilder „deutlicher schneller erfasst werden als Texte“ (S. 313). Klaus F. Röhl (Rechtswissenschaft) spricht von der „größeren Interpretationsoffenheit von Bildern“ (S. 252), wogegen Bettina Berendt feststellt: „Weil Bilder eingeschränkt sind in ihrer Möglichkeit, Unterbestimmtheit darzustellen, sind sie notwendigerweise spezifisch […], und dieses unterstützt korrekte Interpretation.“ (S. 25 f.) Einig sind sich aber viele Autoren in der Einschätzung, dass Bilder im Gegensatz zu Texten „affektiv“ wirken. Frank Lesske sieht Bilder gar als Bedrohung, weil sie eine „Ent-Rationalisierung und Emotionalisierung der politischen Debatte und damit auch der politischen Entscheidungen“ erzeugen (S. 241).

Diese negative Definition des Bildes als Bedrohung leitet über zur zweiten Argumentationslinie. Sie lautet schlicht: „Bilder täuschen.“ Als beispielhaft für diese Sicht auf Bilder kann der Beitrag von Thomas Knieper (Kommunikationswissenschaft) gelten, der sich bemüht, die verschiedenen Formen der Bildmanipulation möglichst lückenlos aufzuzählen und ihnen gleichzeitig eine Bewertung zuteil kommen zu lassen: „Als weitgehend unproblematisch gelten […] ‚Korrekturen‘ in den Bereichen Helligkeit, Kontrast, Farbton oder Farbsättigung“, während „man bei der Löschung oder Ausklammerung von ‚bildrelevanten‘ Informationen mit deutlicher Mehrheit auf Ablehnung“ stoße (S. 44 f.). Obwohl man sich fragt, wer da eigentlich seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrückt, kann man Kniepers Beitrage als Hinweis auf einen wichtigen Punkt lesen: Bei manchen Bildmedien wie der Fotografie kommt es zu einer Spannung zwischen einer angenommenen besonderen Realitätsnähe und der Tatsache, dass sie - wie alle Bilder - konventionell konstruiert sind. Ihre Konventionalität verschwindet hinter der wahrgenommenen visuellen Ähnlichkeit und macht diese Bilder daher besonders attraktiv für Manipulationen [3]. Allerdings sind solche Fälschungen, die nur bei ganz bestimmten Bildmedien erfolgreich sein können, streng von angeblichen „manipulativen“ Eigenschaften der Bilder selbst zu unterscheiden. Wer auf Letzteren besteht, vertritt eine platonisch geprägte, ikonoklastische Bildtheorie - und nur so können Bilder als Bedrohung missverstanden werden. Wie viele andere Autoren dieses Sammelbandes verzichtet Knieper allerdings auf solche Unterscheidungen. Er bezeichnet Medienbilder undifferenziert als „Abbilder“ und wird selbst Opfer der Spannung zwischen Wahrheitsversprechen und Konventionalität, wenn er schreibt, dass „Infographiken […] in aller Regel sinnvolle Faktenvermittler“ seien, weil sie versuchten, „Abläufe etwa von Unglücken oder Katastrophen durch Rekonstruktion zu erläutern.“ (S. 46)

So bewegen sich viele der in diesem Band versammelten Beiträge bildtheoretisch auf einem enttäuschenden Niveau; die spezifischen Anschauungsleistungen von Bildern, die „elementaren Grundlagen, die Bildverwendungen und bildhafte Wirkungen überhaupt erst ermöglichen“ (s.o.) kommen viel zu selten zur Sprache. Das mag auch den engen Vorgaben für die Form der Beiträge geschuldet sein, die offenbar keinen Platz für tatsächliche Bildanalysen beanspruchen konnten. So wird viel darüber geredet, wie man Bildern untersuchen müsste, aber kaum ein Bild betrachtet oder gar analysiert. Man muss dies als verpasste Chance begreifen, denn wenn den Autoren die Gelegenheit gegeben worden wäre, anhand eines konkreten Fallbeispiels den Umgang mit Bildern in ihren Disziplinen zu demonstrieren, wären die unterschiedlichen Ansätze und ihre Tauglichkeit für die Forschungspraxis vielleicht zum Vorschein gekommen.

Wie aber steht es um den angekündigten gemeinsamen Theorierahmen? Sicherlich kann man nicht erwarten, dass so unterschiedliche Disziplinen wie die hier versammelten auf einen einzigen Nenner zu bringen wären. Die Idee, einen Überblick all der Fächer zu vermitteln, die sich mit Bildern beschäftigen, ist für sich allein schon hoch interessant, und im besten Falle würde sich vielleicht fast von selbst eine Art Gesamtbild einstellen. Dass dies hier nicht gelingt, liegt zu einem nicht geringen Teil auch an der Auswahl der beteiligten Disziplinen, die nur „in irgendeiner Form zum theoretischen Verständnis der Bildthematik beitragen“ (S. 13) sollen. Entsprechend breit ist das vorgestellte Spektrum; die Fächer werden in fünf Bereiche unterteilt, die von den „Grundlagendisziplinen“ über die „historischen“, „sozialwissenschaftlichen“ und „anwendungsorientierten“ Bildwissenschaften bis zu einem Kapitel reichen, welches „Zur Praxis moderner Bildmedien“ betitelt ist. Weder die Auswahl der Fächer noch ihre Einteilung erscheint dabei immer zwingend. So ist die Mathematik als Grundlagendisziplin eingeordnet, „insofern wissenschaftliche Forschung auf jeden Fall logisches Schließen, oft auch mathematische Modelle voraussetzt“ (S. 15), was als etwas unspezifisches Kriterium erscheint. Die Kunstgeschichte wiederum wird von Sachs-Hombach nicht als historische Disziplin angesehen, „weil sie […] gar nicht auf Geschichte festgelegt ist“, sondern ein Methodenrepertoire entwickelt habe, „das auch auf aktuelle Bildphänomene angewandt werden kann.“ (S. 16). „Historische“ Wissenschaften beschäftigen sich aber nicht unbedingt mit „alten“ Gegenständen, sondern zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie ihre Gegenstände als historisch bedingte Phänomene betrachten.

Das Hauptproblem aber bleibt, dass nicht genau zwischen Fächern unterschieden wird, die Bilder nur benutzen, anderen, die auch mit Bildern arbeiten und schließlich jenen, die die Bilder und das Phänomen der Bildlichkeit selbst zum Untersuchungsgegenstand haben. Diese letzten Fächer - wie die Kunstgeschichte, Teile der Philosophie oder auch der Medienwissenschaften - wären wahrscheinlich in der Lage, den gewünschten gemeinsamen Theorierahmen zur Verfügung zu stellen. Von den dort bereits entwickelten Methoden hätten viele der hier vorgestellten Fächer profitieren und ihre eigenen Fragstellungen schärfen können. So hätte man es dem politikwissenschaftlichen Beitrag von Frank Lesske gewünscht, die Ergebnisse der vor allem von Martin Warnke entwickelten Politischen Ikonografie [4] zur Kenntnis zu nehmen. Dann hätte sich auch seine Frage, „ob sich politische Realität mit Hilfe von Bildern überhaupt sinnvoll darstellen lässt“ (S. 237), verfeinern lassen. Und wenn Jens Jäger für die Geschichtswissenschaften fordert, dass „die spezifischen Mittel und Leistungen von Bildern systematisch zu erfassen“ seien (S. 192), so kann man nur sagen: Nichts anderes tut die Kunstwissenschaft seit Jahrzehnten.

Bei aller Kritik: Die von Sachs-Hombach angestrebte Interdisziplinarität ist im Grundsatz zu begrüßen. Zu hoffen bleibt, dass die hier präsentierten Disziplinen stärker als bisher die bereits in einzelnen Fächern gewonnen Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Vor allem aber sollten endlich die Bilder selbst - auch in ihrer historischen Dimension - in den Blick genommen werden. Vorerst vermittelt der Band somit eher einen Eindruck von den Schwierigkeiten, die auf dem Weg zu einer „Bildwissenschaft“ noch zu überwinden sind. Interessant ist er aber für denjenigen, der sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, wie in ganz unterschiedlichen Bereichen mit Bildern umgegangen und über sie gesprochen wird.

Anmerkungen:

[1] Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001; Gottfried Boehm, Vom Medium zum Bild, in: Yvonne Spielmann u.a. (Hg.), Bild - Medium - Kunst, München 1999, S. 165-177.

[2] Joachim Ritter hat die ästhetische Naturbetrachtung als historisches Phänomen untersucht und ihren Beginn bei Petrarca angesetzt; vgl. Joachim Ritter, Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft, Münster 1963. Allerdings könnte man zumindest eine Szene in Platons Phaidros bereits im Sinne von „Landschaft“ deuten; vgl. Platon, Phaidros, 229a-230c.

[3] Zu „Täuschung“ und Konventionalität von Bildern vgl. Gernot Böhme, Theorie des Bildes, München 1999, bes. Kap. III.

[4] Vgl. stellvertretend: Martin Warnke, Politische Ikonographie, in: Andreas Beyer, Die Lesbarkeit der Kunst, Berlin 1992, S. 23-28, sowie den jüngst erschienen Sammelband: Martin Warnke (Hg.), Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin 2004.

Sachs-Hombach, Klaus (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 2005
ISBN-10: 3-518-29351-6, 430 S, EUR 15.00 [D], ca. sfr 29.20, ca. EUR 16.50

Empfohlene Zitation:
Jan von Brevern, Carolin Behrmann: [Rezension zu:] Sachs-Hombach, Klaus (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), Frankfurt am Main 2005. In: ArtHist.net, 09.11.2005. Letzter Zugriff 16.04.2024. <https://arthist.net/reviews/102>.

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