REV 03.11.2005

Katharina Fietze: Im Gefolge Dianas

Rezensiert von Bettina Uppenkamp, Hamburg
Redaktion: Livia Cárdenas
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Unter dem Motto „Reclaiming Female Acency“ [1] wird seit einiger Zeit in den USA ein neues Paradigma für feministische Geschichtswissenschaft und Geschlechterforschung ausgerufen. In Abgrenzung zu einem älteren Modell der historischen Frauenforschung, das angeblich auf eine weibliche Unterdrückungsgeschichte konzentriert gewesen sei, richte das „agency“-Modell sein Hauptaugenmerk auf die Optionen, die Frauen in unterschiedlichen Regionen, sozialen Klassen oder Lebensphasen zu verschiedenen Zeiten offen gestanden haben, ohne die Einschränkungen weiblicher Handlungsmöglichkeiten aus dem Blick zu verlieren. [2] Die Frage nach den Spielräumen weiblicher Aktivität, gesellschaftlicher Teilhabe von Frauen und ihren Möglichkeiten zur Gestaltung und Einflussnahme ist allerdings nicht wirklich so neu, wie unter der Maßgabe eines Paradigmenwechsels behauptet. Schaut man auf die mittlerweile langjährige Geschichte feministischer Wissenschaft und Frauenforschung wurden Frauen keineswegs vordringlich oder gar ausschließlich als unterworfene, sondern ebenso als handelnde und kreative Subjekte zum Gegenstand des Forschungsinteresses.

Auch Katharina Fietzes Untersuchung über Frauen und höfische Jagd im Mittelalter, die am Fachbereich Sportwissenschaft der Universität Hamburg als Habilitationsschrift eingereicht wurde, fühlt sich einer Tradition der Frauenforschung verpflichtet, die nach der Beteiligung von Frauen fragt. Ziel ihrer Studie ist es, wie sie in der Einleitung formuliert, „die Beteiligung von Aristokratinnen an verschiedenen Jagdformen des Mittelalter zu dokumentieren und sport- und kulturgeschichtlich zu deuten.“ (S. 2) Zwei unterschiedliche Perspektiven werden eingenommen: Zum einen eine explizit sportwissenschaftliche, in der danach gefragt wird an welchen Jagden Frauen überhaupt teilnahmen, welche Techniken sie dazu beherrschen mussten, und auch warum sie sich auf die Jagd begaben; zum anderen eine stärker allgemein kulturwissenschaftliche, welche die Bedeutung der Jagd für die gesellschaftliche Stellung der Frauen des späten Mittelalters betrachtet, sowohl im Hinblick auf die Repräsentation nach außen wie im Hinblick auf die Position der Frauen in der Jagdgesellschaft selbst. „Gefördert werden soll die wissenschaftliche Erkenntnis auf dem Gebiet der Sportgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Frauenforschung.“ (S. 2) Das Buch leistet somit einen Beitrag zur Geschichte des Sports, die das Mittelalter bisher selten und noch weitaus seltener den mittelalterlichen Frauensport zu ihrem Gegenstand gemacht hat. Es leistet darüber hinaus einen Beitrag zur Erforschung der höfischen Kultur des Mittelalters, in der die Jagd, die seit dem 12. Jahrhundert ein Adelsprivileg war, eine wichtige vor allem repräsentative Funktion hatte, das Jagen, insbesondere die Falkenjagd zu Pferde und die Hetzjagd auf Hochwild, nicht allein in einem exklusiven ständischen Vergnügen bestand, sondern auch gesellschaftliche Distinktion, territoriale Macht, Reichtum und Unabhängigkeit sowie im Wettstreit individuelle Kraft und Geschicklichkeit eindrucksvoll demonstrieren konnte. Dass Frauen bei diesen Gelegenheiten eine vor allem dekorative Rolle gehabt hätten, wird von Katharina Fietze bestritten. Nicht nur die Beizjagd – dies gilt als unumstritten – sondern auch die Parforcejagd zu Pferde sei von adeligen Damen im Mittelalter ausgeübt worden, auch wenn der Erwerb der dafür erforderlichen körperlichen Fähigkeiten im Widerspruch zu zeitgenössischen normativen Quellen steht, deren Erziehungsziel für adelige Mädchen vor allem Sittsamkeit vorsah, zu deren körpersprachlichen Zeichen ein gesenkter Blick und maßvolle Bewegung gehörten, mithin das Ideal eines ganz jagduntauglichen Habitus.

Sowohl schriftliche Quellen, wie mittelalterliche Jagdtraktate, als auch vor allen Dingen mittelalterliche Bilder werden von Fietze darauf hin befragt, was sie über die Beteiligung von Frauen an der Jagd mitzuteilen haben. Ausgewertet werden diese Bilder von der Jagd im Hinblick auf das, was die wenigen Darstellungen von jagenden Frauen über deren Jagdbeteiligung und die damit verknüpften Implikationen verraten. Zentral ist die Betrachtung von drei Büchern aus dem frühen 14. Jahrhundert. Im Einzelnen sind dies der so genannte Queen Mary’s Psalter, die Manesse-Liederhandschrift und die Taymouth Hours, ein englisches Stundenbuch. Deren Jagddarstellungen werden als historische Quellen betrachtet, die es erlauben, gerade durch ein genaues Studium der Einzelheiten Aufschlüsse über die bei der Jagd geübten Praktiken zu gewinnen. Dieses betrifft etwa die Reittechniken oder die für die Jagd benötigten Utensilien wie Waffen, Köder und dergleichen mehr. Es betrifft die Kleidung und lässt gelegentlich Schlüsse auf die soziale Funktion der Jagd zu. Weitere Vergleichbeispiele aus der Buchmalerei stammen etwa aus den Très Riches Heures des Duc de Berry, wo die Monatsblätter für den Mai und August prachtvolle Jagdgesellschaften zeigen, an denen auch Frauen teilnehmen. Berücksichtigt werden aber andere Medien wie Tapisserie und Wandmalerei. (Hinsichtlich des historischen Rahmens der Untersuchung, die sich im Wesentlichen auf das hohe und späte Mittelalter konzentriert, stellt eine piktische Bildstele, die eine berittene Hirschjägerin zeigt, um 800 datiert und in Nordostschottland entstanden, eine Ausnahme dar.) Voraussetzung für den dokumentarischen Aussagewert der Bilder ist deren „Mangel“ an symbolischem Überschuss. So scheinen die Federzeichnungen auf den unteren Rändern des Queen Mary’s Psalter, die unterschiedliche sportliche Vergnügungen und festliche Tätigkeiten zeigen, in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem religiösen Gehalt der Texte zu stehen und gerade deshalb im Hinblick auf die Darstellung der geschilderten Praktiken relativ zuverlässig. Schwieriger gestaltet sich der dokumentarische Gehalt bei den anspruchsvollen Miniaturen der Manesse-Liederhandschrift.

Der Anspruch der Untersuchung zielt nicht auf eine umfassende Beschreibung der Gestalt und auf eine Interpretation des Gehaltes der Bilder. Das eng fokussierte Erkenntnisinteresse, welches den Darstellungen Aufschlüsse über das „wie“ real ausgeübter Handlungen ablesen möchte, rechtfertigt jedoch dieses für KunsthistorikerInnen etwas unbefriedigende Vorgehen. Bedauerlich bleibt allerdings, auch unter der Maßgabe einer zugespitzten Fragestellung, dass die Autorin einen Teil ihrer Bildquellen nicht im Original gesehen hat und damit nicht nur kunsthistorisch interessante Fragen offen geblieben sind. Gegliedert ist die Untersuchung in eine umfangreiche Einleitung, in der unter anderem die Fragestellung geklärt, die Forschungslage und die zu Grunde liegenden Quellen vorgestellt werden, ein Kapitel das einleitend die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der höfischen Jagd insbesondere jene für die Frauen zusammen fasst, ein Kapitel, welches die im engeren Sinne praktischen Voraussetzungen der Jagd erläutert – dazu gehören unterschiedliche Reittechniken sowie der Umgang mit den Jagdwaffen –, ein ausführliches Kapitel, welches vor allem die mittelalterliche Jagdliteratur unter einer frauenspezifischen Perspektive vorstellt und schließlich zwei große Kapitel, von denen eines der Beizjagd und eines der Hetzjagd mit Hunden gewidmet ist. Ohne Zweifel sind diese beiden Kapitel die interessantesten. Verknüpfen sich hier doch eine genaue Beschreibung der zu Grunde gelegten Bildquellen mit zahlreichen Informationen über die jeweiligen Jagdtechniken und machen so deutlich, wie viel der jagdtechnisch informierte Betrachter den Darstellungen entnehmen kann, wie exakt im Detail, und damit auch wie ergiebig diese mittelalterlichen Illustrationen als historische Quellen sein können. So machen gerade die Darstellungen der Taymouth Hours, deren erste Besitzerin vermutlich Joan of Scotland war, also eine hochadelige Dame, für Katharina Fietze evident, dass adelige Frauen nicht nur der Jagd mit kleinen und leichten Greifvögeln auf Wasservögel und Kaninchen nachgingen, sondern dass sie ebenso in der Lage waren und auch den sozialen Spielraum hatten, auf die sportlich besonders anspruchsvolle Jagd nach Hirschen und Wildschweinen zu gehen. Insgesamt erhellt das Buch damit eine bisher kaum beachtete Facette weiblicher Lebenswirklichkeit mittelalterlicher Frauen in der höfischen Gesellschaft.
Wer allerdings das Buch in die Hand nimmt, durch den Titel verlockt, um etwas über die antike Jagdgöttin Diana, deren Darstellung oder Bedeutung in einem mittelalterlichen Kontext, zu erfahren wird enttäuscht werden.

Anmerkungen:
[1] So lautet der Titel der jüngst erschienenen, mittlerweile dritten von Norma Broude und Mary Garrard herausgegebenen Anthologie zur feministischen Kunstgeschichte im angloamerkanischen Raum: Reclaiming Female Agency. Feminist Art History after Postmodernism, hrsg. von Norma Broude und Mary D. Garrard, Berkeley/Los Angeles/London 2005.
[2] Vgl. etwa Thomas Kuehn und Anne Jacobson Schutte in: Time, Space, and Women’s Lives in Early Modern Europe, hrsg. Von Anne Jacobson Schutte, Thomas Kuehn und Silvana Seidel Menchi, Kirksville/Missouri 2001, S. viii.

Fietze, Katharina: Im Gefolge Dianas. Frauen und höfische Jagd im Mittelalter (1200-1500) (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte), Köln [u.a.]: Böhlau Verlag 2005
ISBN-10: 3-412-13204-7, X, 176, [16] S., EUR 29.90

Empfohlene Zitation:
Bettina Uppenkamp: [Rezension zu:] Fietze, Katharina: Im Gefolge Dianas. Frauen und höfische Jagd im Mittelalter (1200-1500) (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte), Köln [u.a.] 2005. In: ArtHist.net, 03.11.2005. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/101>.

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