Fotogeschichte(n) kuratieren. Fotohistoriker, Künstler und Kuratoren im Gespräch
Konzept & Organisation: Franziska Maria Scheuer, Kathrin Schönegg, Lisa Springer
Der 175. Geburtstag des Mediums gibt Anlass, den Blick zurück in und auf die vielgestaltige Geschichte der Fotografie zu wenden. Wie kaum eine andere Bildpraktik wurde die Fotografie von verschiedenen Disziplinen thematisiert: Je nach dem Kontext und der Perspektive des/der ErzählerIn begegnet man Fotografiegeschichte als Element einer Sozialgeschichte, als Technikgeschichte, als Medien- oder Kunstgeschichte. Insbesondere seit den diskursiven Änderungen, die die Fotografie (als Kunstform) in den späten 1960er Jahren erlebt hat sowie den materiellen und medialen Modifikationen der digitalen Wende muss das generalisierende Sprechen von der Fotografiegeschichte in eine Vielzahl heterogener Fotografiegeschichten aufgespalten werden.
Eine dieser Geschichten erzählt die aktuelle Ausstellung (Mis)Understanding Photography. Werke und Manifeste der fotografischen Sammlung des Museum Folkwang: Sie entwirft eine Mediumgeschichte, die die Fotografie einmal nicht aus der Sicht von HistorikerInnen, sondern aus der Perspektive der PraktikerInnen und FotokünstlerInnen adressiert. In diesem Rahmen gilt das Interesse des diesjährigen Symposiums im Programm „Museumskuratoren für Fotografie“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung der aktuellen Ausstellungspraxis von Fotografie und ihren Geschichten: Welche Geschichten werden aus welcher Perspektive erzählt? Wie hat sich der Blick auf Fotografie(-geschichte) von Sammlungen, Museen und deren Kuratoren in den letzten Jahren geändert? Welche Rolle spielen die Modifikationen, die die Etablierung der Fotografie im Kanon der Kunst sowie der Medienumbruch von analog zu digital mit sich gebracht haben? Wie bedingen sie die heutige Ausstellungspraxis und -konzeption sowie deren Umsetzung im Raum?
Unter den vielen Möglichkeiten Geschichte über und mit Fotografie zu zeigen und damit auch zu schreiben, stehen in diesem Rahmen insbesondere drei Momente zur Disposition, denen man in jüngeren Ausstellungen vermehrt begegnet und die auf verschiedene Art und Weise miteinander verknüpft sind: Während (1) einerseits Ausstellungsformate aufkommen, die das Medium Fotografie als Denkmodell thematisieren, das weniger in fotografischen Formen, sondern in Medien wie Film, Malerei, Installation oder Skulptur manifest wird, zeichnet sich andererseits (2) jüngst die Tendenz ab, Fotografie als historisches Dokument und Anwendungsmedium an die Wand zu bringen. Beide Modelle gehen (3) mit einer Vielzahl verschiedener materieller Exponatformen einher, die den klassischen fotografischen Abzug variieren. Fotografie wird heute in gedruckter oder digitaler Form etwa in Zeitschriften oder auf den Screens unserer mobilen Telefone ausgestellt. Ebenso kann man dem Fotografischen heute in Ausstellungen begegnen, die keinerlei Fotografien mehr zeigen.
(1) Fotografie als Dispositiv und Reflexionsmethode
Eine tradierte Methode der Annäherung an das Fotografische ist der Vergleich mit Gemälden, Filmen oder Skulpturen, um die Wechselwirkungen zwischen den Medien als gegenseitige Einflussnahme zu beschreiben. Jüngere Ausstellungsprojekte verfolgen diese Zusammenhänge nun weniger am (fotografischen) Bild, sondern adressieren die Fotografie als Denkmodell. Sie verstehen Fotografie als Ensemble von Diskursen, Institutionen und Anordnungen, dem spezifische medial-technische, kulturelle, soziale und ästhetische Bedingungen zugrunde liegen. Damit wird dem Medium eine, vom jeweiligen Kontext unabhängige, spezifische Eigenart zugeschrieben, die den einzelnen Abzug und die Frage des Originals im Sinne des vintage prints in den Hintergrund treten lässt. Zugleich spiegelt dieses Verständnis des Fotografischen die Mediengeschichte im historischen Wandel, etwa wenn Kategorien wie der Index, der Abdruck und die Spur seit den 1960er Jahren gleichermaßen Eingang in die Fotografietheorie und die skulpturale Praxis erhalten. Als Dispositiv strahlt die Fotografie auf andere Medien aus. Ebenso eröffnet sie Denkräume, die die vielgestaltige Rezeptionsgeschichte von Bildern veranschaulichen. Fotografiegeschichten, die das Medium als Denkmodell und Reflexionsmethode thematisieren, stellen unweigerlich klassische Präsentationsweisen in Frage. Da sie ihre Exponate aus verschiedenen medialen Sammlungen beziehen, übersteigen sie zudem tradierte sammlungshistorische Klassifikationen.
(2) Fotografie als Anwendungsmedium
Auch das historische Interesse an der Fotografie als Anwendungs- und Gebrauchsmedium schlägt sich in mehrfacher Hinsicht in der jüngsten kuratorischen Praxis nieder. Einerseits wird das Fotografische von tradierten Entstehungs- und Kontextbezügen gelöst bzw. in neue Werkzusammenhänge und -prozesse transferiert. Mediale Verbreitungsformen von Fotografie treten an die Stelle klassischer Prints oder Digitalfotos und stellen sie als „triviales“ Gebrauchsmedium zur Disposition. Ehemals „triviale“ fotografische Genres, wie die Tatortfotografie, finden Eingang in klassische Präsentationsformen und -zusammenhänge. Nach ihrer musealen ‚Institutionalisierung‘ und ‚Kanonisierung‘ wird Fotografie zudem inzwischen vermehrt auf ihre Präsentationsgeschichte(n) überprüft und aufgearbeitet. Formate, die historische Ausstellungen und Präsentationszusammenhänge rekonstruieren, neu befragen und interpretieren, machen die einstigen Displays selbst als Quellen verfügbar. Präsentationsgeschichte wird hier als Anwendungsgeschichte verstanden, die sich mit historischen, teilweise bewusst vollzogenen Um- und Neudeutungen der Fotografien innerhalb der jeweiligen Museumsinstitutionen auseinandersetzt. Die Frage nach der Fotografie als historischem Gebrauchsmedium wirft unweigerlich die Frage nach dem transparenten Umgang mit der Deutungshoheit fotokuratorischer Praxis auf.
(3) Fotografische Materialität
Beide skizzierten Modelle zeigen, dass die Vorstellung von Fotografie als reiner ‚Flachware‘ in einigen Bereichen antiquiert ist. Mit der Etablierung der Fotografie im Kontext der Kunst, wie sie sich seit den 1970er Jahren vollzieht, und mit dem Beginn des digitalen Zeitalters finden neue Formate Eingang ins Museum. Der klassisch kleinformatige Schwarzweiß-Abzug tritt vermehrt als Wandtableau und farbiges, dreidimensionales Großformat auf. Mehr denn je gehen die Arbeiten in den Raum über und werden als mediale Mischformen in malerischen, filmischen und skulpturalen Werken thematisiert oder als raumgreifende Installationen präsentiert. Hinzu kommen diejenigen Formen einer kreativen Bildproduktion, die einen veränderten Blick auf die fotografische Materialität initiieren, in dem sie die Bilddaten und das Trägermedium völlig unabhängig voneinander existieren lassen. Ein oftmals digitales Bild kann so kaum noch als autonomer Gegenstand betrachtet werden, sondern materialisiert sich situativ in Abhängigkeit von der Datenformatierung und dem genutzten Ausgabemedium – Fragen nach dem Original sind hierbei unausweichlich. Als Folge sind tradierte Graphikkabinette, die mit ihren niederen Wänden auf Kleinformate ausgelegt sind, immer weniger für die Ausstellung dieser neuen fotografischen Arbeiten geeignet, deren Dimensionen und technische Voraussetzungen diese Räume oftmals übersteigen. Vor allem für fotografische Sammlungen, Museen und deren Kuratoren stellen diese Änderungen der letzten Dekaden eine große Herausforderung dar: Neben der Archivierung und Sammlung neuer fotografischer Materialien betrifft dies auch und gerade das Ausstellen von Fotografie heute.
Programm
10:30 – 11:00 Uhr Begrüßung und Einführung
Florian Ebner
Franziska Scheuer, Kathrin Schönegg, Lisa Springer
11:00 – 11:45 Uhr Arno Gisinger
spricht über Nouvelles Histoires de Fantômes, realisiert mit George Didi-Huberman, Le Fresnoy. Studio national des arts contemporain, 14.02.-07.09.2014
Kaffeepause 15 Minuten
12:00 – 13:15 Uhr Bogomir Ecker, Raimund Kummer & Herbert Molderings
sprechen über Lens Based Sculpture. Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie, Berlin, Akademie der Künste, 24.01.–21.04.2014
Mittagspause 1 h 15 min
14:30 – 15:15 Uhr Thomas Schirmböck
spricht über Spurensuche – Polizeifotografie aus Mannheim. 1946-1971, Reiss-Engelhorn Museen Mannheim, 16.09.2007-06.04.2008
15:15 – 16:00 Uhr Miriam Halwani
spricht über Ein Museum der Fotografie? Eine Revision, Museum Ludwig Köln, 28.06.-05.10.2014
Kaffeepause 15 min
Ab 16:15 Uhr Abschlussdiskussion
Die Veranstaltung wird mit freundlicher Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ermöglicht. Sie entsteht im Rahmen des Programms „Museumskuratoren für Fotografie“, das die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, dem Fotomuseum München, der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, Essen, dem Getty Research Institute, Los Angeles, dem Jeu de Paume, Paris, und dem Victoria and Albert Museum, London, alle zwei Jahre vergibt.
Um Anmeldung per Email wird bis zum 10.06.2014 gebeten. Die Veranstaltung ist kostenlos.
Kontakt
Franziska Scheuer
Kathrin Schönegg
Lisa Springer
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Email: Kathrin.Schoenegggmx.de
Quellennachweis:
CONF: Fotografiegeschichte(n) kuratieren (Essen, 15 Jun 14). In: ArtHist.net, 02.06.2014. Letzter Zugriff 14.06.2025. <https://arthist.net/archive/7900>.