Tagung organisiert in Kooperation zwischen dem Graduiertenkolleg 2477 „Ästhetische Praxis“ und Kai van Eikels (Heisenberg Fellow der DFG).
Kann Ermächtigung etwas Besseres heißen als das Nachahmen der Starken? Gibt es kollektive Praktiken, die das politische Potenzial von Schwächen entdecken? Bietet Kunst Formen von Anerkennung, um Schwächen zur Geltung zu bringen?
Die dominierende Vorstellung einer sozialen und politischen Wirksamkeit des Ästhetischen setzt auf ein Empowerment als Amplifikation: Schwache, minoritäre, unzureichend oder gar nicht repräsentierte Positionen erhalten vermittels künstlerischer Würdigung die Chance auf Beachtung, Anerkennung und Zugang zu Öffentlichkeit. Die Kunst lädt diese gesellschaftlich schwachen Praktiken und bisweilen auch die Personen in ihre Räume des Erscheinens ein, um die Stimmen der „Anteillosen“ (Rancière) zu verstärken – in der Hoffnung, dies werde zu deren eigener Stärkung verhelfen, mit der Aufmerksamkeit ein soziales Kapital bereitstellen, Verbindungen stiften und Solidarisierungen anstoßen.
Ob die erhofften Wirkungen tatsächlich eintreten, bleibt häufig unklar, weil mit dem Ende der Kunstveranstaltung auch das Aufmerksamkeitsfenster sich wieder schließt. Politischer Aktivismus hat Kunstinstitutionen wiederholt dafür kritisiert, lediglich einen trügerischen Gestus der Ermächtigung zu erzeugen, und auch innerhalb von Kunstdiskursen gibt es seit Längerem Debatten darüber, wie sich die Kraft ästhetischer Präsentationen und gesellschaftsverändernde Kräfte zueinander verhalten.
Angesichts dieser Verlegenheit beschäftigt die Tagung sich mit Praktiken, die ohne Spekulation auf Stärke auskommen – schwachen Praktiken, die ihre Schwäche akzeptieren oder sogar affirmieren, sich auf und in das Schwache der eigenen Position einlassen, um zu erkunden, was kraftarmes Vollziehen für Taktiken des Lebens und Überlebens, des Agierens oder der agency hervorbringen kann. Ausgehend von der Hypothese, dass Macht sich von Stärke unterscheidet, wollen wir nach den Machtpotenzialen schwacher Praktiken fragen.
Das Ästhetische kommt diesbezüglich in Betracht als ein Modus der Erfahrung, der durch teilweise Suspendierung des sozialen Handlungsdrucks Prozesse der Sensibilisierung ermöglicht: Performativität darf ihre Schwächen entdecken, wo eine ihr kooperative verfeinerte Aufmerksamkeit durch zarte Signale geweckt wird, Nuancen registriert und Unterbietungen von Standards mit erhöhtem Interesse quittiert.
Zugleich werfen Ästhetiken, die beim Schwachen ansetzen, die Frage auf, wie in einer Wirklichkeit des Erscheinens – des sich selbst reflektierenden und darin Realeffekte zeitigenden Scheins – digital oder analog Zeichenhaftes mit unterschiedlichen Materialitäten koinzidiert und wie daraus jenseits physikalischer Gesetzmäßigkeiten Kräfteverhältnisse entstehen. Wie lässt sich im Zeichen von Schwäche das Verhältnis von Körper, Recht und politischen Institutionen verstehen? Was richten Sprechakte wie das Sich-Entschuldigen oder Praktiken wie Healing im Raum des Souveränen aus? Welchen Einfluss kann Schwaches in den komplexen Wirkungsgeflechten des (Immun-)Biologischen und Ökologischen haben? Welchen Wert erhält es in einer nicht mehr auf Wachstum programmierten Ökonomie? Kann das vergleichsweise offene Wort „schwach“ Perspektiven eröffnen, um verwandte Begriffe neu zu durchdenken – etwa „Verletzlichkeit“ bzw. „vulnerability“, „disability“ und „crip“, Prekarität und dem prekären Leben korrespondierende Konzepte von Care? Angestoßen durch solche Fragen soll es an der Schwelle zwischen Kunst und Lebenspraxis darum gehen, das Ästhetische als einen Weltbezug zu erforschen, in dem immer wieder neu verhandelbar wird, was Kraft heißt.
Programm:
Donnerstag, 29.1.
11.00-11.30
Begrüßung und Einführung
Panel 1: Handeln ohne souveräne Machtansprüche
11.30-12.30
Jörg Kreienbrock: Schonendes Recht (DE)
12.30-13.30
Ursula Frohne: Healing the Museum: Schwache Praktiken als Ansätze institutioneller Verantwortung (DE)
13.30-14.30
Mittagspause
Panel 2: Ästhetik und Erotik des Schwächeren
14.30-15.30
Katharina Hausladen: Mit und ohne Körper: Schwache Stimmen in der Popmusik (DE)
15.30-16.30
Maxi Wallenhorst: „EVEN WEAK LINKS“ – Dissociative Trans Poetics (EN)
16.30-17.00
Kaffeepause
Panel 3: Schwaches Performen und Ökologie
17.00-18.00
Carl Lavery: Weak Play: Landscape, Theatre, Deformance (EN)
18.00-18.30
André Hinderlich: Begegnung mit einem Schaf (DE)
Panel 4: Schwaches Performen und Ökonomie
18.30-19.30
Leigh Biddlecome: Art as Subversive, Meaning-Making Commodity: Bridging the Aesthetic and Somatic (EN)
19.30-20.30
Abendessen
20.30
Koki Tanaka (Kyoto), 'Mobility and Extinction', Filmvorführung und Gespräch mit dem Künstler (JP/EN)
Freitag, 30.1.
Panel 5: (Inter-)Agieren mit körperlichen Schwächen
9.30-10.00
Lukas Graf: “I’m still infected … and it’s all your fault”: Immunity, Hospitality and Surrogate Bodies in Gregg Bordowitz’s 'Fast Trip, Long Drop' (EN)
10.00-11.00
Hendrik Quast und Alexandra Hennig: Unverfügbare Körper: Chronische Krankheit und das Spiel mit der Störung (DE)
Panel 6: Schwächen und Stärken von Care
11.00-12.00
Susanne Foellmer: “Who Cares?” Some Basic Thoughts on Weakness (EN)
12.00-13.00
Jule Govrin: Sharing is Caring. Demokratische Sorge in Zeiten des Autoritarismus (DE)
13.00-14.00
Mittagspause
Panel 7: Vorstellungen des Sanften und ihre Wirkungen
14.00-15.00
Kai van Eikels: Pharmakon unlimited: Potenzierung, Microdosing, Nudging, Atomic Habits (DE)
15.00-16.00
Mariama Diagne: Art of Healings. Healing-Konzepte und -Praktiken in der afrodiasporischen Gegenwartskunst (DE)
16.00-16.30
Kaffeepause
Panel 8: Die ästhetische Produktivität schwachen Bewusstseins
16.30-17.30
Marietta Kesting: Passive Production: Dream, Sleep, and Media (EN)
17.30-18.00
Julia Rüegger: Schlendern, Straucheln, Rückwärtsgehen. Ein Blick auf minoritäre Schritte und Praktiken des Gehens (DE)
Die Vorträge und Diskussionen finden teils in deutscher, teils in englischer Sprache statt.
Die Veranstaltung ist öffentlich. Wir freuen uns über Voranmeldungen unter GRK2477uni-hildesheim.de
Quellennachweis:
CONF: Macht ≠ Stärke: Schwache ästhetische Praktiken (Hildesheim, 29-30 Jan 26). In: ArtHist.net, 05.12.2025. Letzter Zugriff 05.12.2025. <https://arthist.net/archive/51292>.