CONF Jan 10, 2025

Extraktivismen: Erdausbeutung und Data Mining (online/Kiel, 23-25 Jan 25)

Online / Muthesius Kunsthochschule, Kesselhaus Legienstraße 35, 24103 Kiel, Jan 23–25, 2025

Maike Schulken

Für die Präsenz-Teilnahme ist eine Anmeldung nicht erforderlich.
Eine Online-Teilnahme wird möglich sein.
Anmeldung hierfür bitte bis zum 21.1.2025 an:
forummuthesius.de.

Konzeption und Leitung:
Prof. Dr. Christiane Kruse, Muthesius Kunsthochschule, Kiel
Prof. Andreas Greiner, Muthesius Kunsthochschule, Kiel
Dr. Hauke Ohls, Rheinische Friedrich-Wilhlems-Universität Bonn
Dr. Michael Klipphahn-Karge, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Dr. Lena Geuer, Technische Universität Dresden

Veranstaltungsort:
Muthesius Kunsthochschule
Kesselhaus
Legienstraße 35
24103 Kiel

Info:
forummuthesius.de
-------------------------------------------------------

Programm:

Donnerstag, 23.1.2025
14:00 Begrüßung durch den Präsidenten der Muthesius Kunsthochschule Dr. Arne Zerbst

Ⅰ Abgebaggert – Kunstinterventionen im Tagebau

14:30 Christiane Kruse
Leben an der Abrisskante – Kunst und Kunstinterventionen im Tagebau der Lausitz

Der über 150 Jahre währende Braunkohletagebau in Deutschland
soll 2030 in NRW, 2038 in der Lausitz zu Ende gehen. Er hat in beiden Regionen unermessliche ökologische Schäden in einer Mondlandschaft hinterlassen. Die Menschen, die in der Region leben, waren bis vor kurzem der Zerstörung ihrer Dörfer, der Verwüstung ihrer Landschaft und der Vernichtung ihrer Kultur ohnmächtig ausgesetzt. Welche Einstellungen, welche Bilder kommentieren die Kulturzerstörung?
Der Vortrag lenkt den Blick auf die Tagebaukunst in der Lausitz, die eine Zweiteilung der Kunstgeschichte kennzeichnet.
Eine offizielle, von der Politik der SED geförderte Kunstbewegung sah im Tagebau die schöpferische Kraft des fortschrittlichen Menschen; eine kritische Kunst in der DDR begegnet dieser Sicht mit beißender Ironie. Nach dem Mauerfall wird das ganze Ausmaß der Natur- und Kulturzerstörung im Medienwechsel von der Malerei zur Fotografie
verdeutlicht. Heute liegt die Hoffnung der Menschen auf den
Rekultivierungsmaßnahmen, denen Umweltwissenschaftler:innen skeptisch begegnen.

Christiane Kruse, Dr., Professorin für Kunstgeschichte und visuelle Kulturen an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel

15:00 Aram Tafreshian, Mara Pieler, Katharina Huth, Elena Kolb
(Staatstheater Cottbus)
Fakten und Fiktion – Investigativer Journalismus auf der Theaterbühne.

»Das Kraftwerk – Ein Theaterabend über Kohle, Wasser und
die Ewigkeit« wurde 2023 am Staatstheater Cottbus uraufgeführt
und sorgte weit über die Stadtgrenzen hinaus für Gesprächsstoff. Das Stück von Calle Fuhr basiert auf Recherchen von CORRECTIV und thematisiert den Strukturwandel in der Lausitz. Die Journalistinnen Katharina Huth und Elena Kolb, Bühnenbildnerin und Lichtdesignerin Mara Pieler und Regisseur Aram Tafreshian stellen das Projekt und seine Entstehungsgeschichte vor und diskutieren die Zusammenarbeit
zwischen Dokumentartheater und investigativem Journalismus: Wo liegen die Grenzen, wo die Gemeinsamkeiten?
Welche Auswirkungen hatte die Inszenierung auf die Beteiligten, das Publikum und die Stadtgesellschaft?

Katharina Huth, Klimajournalistin bei CORRECTIV
Elena Kolb, Klimajournalistin bei CORRECTIV
Mara Madeleine Pieler, Bühnenbildnerin und Lichtdesignerin
Aram Tafreshian, Schauspieler und Regisseur

16:30 Pause

17:00 Helge & Saxana, der Kunstverein 1,5° aus Leipzig,
Todde Kemmerich & die Artists for Future aus Aachen
WE ARE UNSTOPPABLE – ANOTHER WORLD IS
POSSIBLE / RAUMSCHIFF HAMBACHER WALD < >
AUFBRUCH IN NEUE WELTEN

Geschichten, wie man sich von selbstgefälligen Egozentriker:innen, von Passivist:innen zu Aktivist:innen entwickelt und sich mit gesellschaftsgestalterischen Prozessen auseinandersetzt.
Aus dem Wohnzimmer in den HAMBI, DANNI bis nach LÜTZI.
Kunst / Kunstinterventionen im Widerstand vor Ort.
Kunst als Brücke in die Köpfe anders denkender Menschen.
Aktionen der Artists for Future in Aachen und im Braunkohle-
abbaugebiet.
Die Grenzen des Wachstums vs Klimapäckchen.
Ende Gelände oder DAS GRO?E GELINGEN?
Berichte von unseren künstlerischen Interventionen und
aktivistischen Einsätzen gegen extraktivistische Strukturen
(und die Frage ist der Hambacher Wald nun gerettet oder
geht der Irrsinn dort weiter?)

Helge & Saxana, Künstler:innenpaar und Kunstaktivist:innen
Todde Kemmerich, Aktionskünstler

19:00 Podium mit allen Gästen der Sektion
Wie Kunst gelingt – Kunstwirkungen in deutschen
Tagebaugebieten

Freitag, 24.1.2025
Ⅱ Pluriversal World-Making – Extraktivismus
und Widerstand

9:30 Hauke Ohls
Kunst als pluriversale Praxis im globalen Extraktivismus

Das Pluriversum ist eine Welt, in die viele unterschiedliche
Welten passen. Diese Unterschiede anzunehmen und nebeneinander
existieren zu lassen, steht im Widerspruch zum globalen Extraktivismus. Jener verlangt nach einheitlicher Bewertung, um durch Aneignung und Ausbeutung Profitmaximierung zu erreichen. Wie Kunstwerke zu einer pluriversalen Praxis werden und an der Gesamtheit des Pluriversums mitarbeiten, ist der Schwerpunkt des Vortrags. Gleichzeitig werden dadurch die Universalismen der extraktivistischen Ideologie brüchig.

Hauke Ohls, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

10:00 Berhanu Ashagrie Deribew, Anette Baldauf,
Anca Benera, Rehema Chachage
Nuclear Hearts, Minds, and Urban Landscapes:
Debating Extractivism in Addis Ababa, Dar Es Salaam, and Vienna

Im Projekt »Extractivism and the Arts« tauschen sich Vertreter:
innen der Kunstuniversitäten in Addis Abeba, Dar Es
Salaam und Wien über die Potentiale künstlerischer Praktiken
in Hinblick auf die Zurückweisung des Extraktivismus aus.
Das Projekt leistet der Tatsache folge, dass der afrikanische
Kontinent in besonderer Weise von aggressiven Aneignungen
von Rohstoffen betroffen ist, ein Großteil der Debatte um
Extraktivismus aber noch immer im europäischen und lateinamerikanischen Raum angesiedelt ist. Mit Blick auf (ost-)
afrikanische Epistemologien und kulturelle Praktiken wie
Bräuche, Rituale und Storytelling, die auf ein Verständnis von
Interdependenz und einer zyklischen Organisation von Zeit
bauen, setzen wir uns mittels künstlerischer Strategien mit
Themen wie Raub (z.B. im Museum), dem Verhältnis von
Extraktivismus und Kolonialisierung (z.B. des Geistes) und
dem Konzept von Stadtentwicklung auseinander.

Berhanu Ashagrie Deribew, Künstler, Assistenzprofessor an der Alle School of Fine Arts and Design, Addis Ababa University und Mitarbeiter an der Akademie der Bildenden Künste Wien im PhD in Practice Programm
Anette Baldauf, Dr., Professorin für Methodologie und Epistemologie und Co-Leiterin des künstlerischen Forschungsprogramms PhD in Practice an der Akademie der bildenden Künste Wien
Anca Benera, Künstlerin und Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste Wien im PhD in Practice Programm
Rehema Chachage, Künstlerin und Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste Wien im PhD in Practice Programm

10:45 Pause

11:15 Felipe Castelblanco
Vertical Fabulations: The Rivers of the Pan-Amazon Sky and the Rocks They Tumble

In connection to the film essay Rio Arriba / Upriver (14:00 min,
2021), this talk examines the complex interaction between
technoscientific and Indigenous territorial aesthetics, along
a vertical spatial axis connecting the resource-rich underground
below the rainforest with its airspace. From the establishment of U.S. weather observation systems in the 1960s to toxic aerial fumigation of Coca crops in Colombia, this lecture analyzes how cartographic practices exploit airspace while obscuring power dynamics below and above ground, forming an overlapped territory where altitude
becomes a new frontier of epistemic resistance.

Felipe Castelblanco, Dr., Künstler, Filmemacher, Forscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute Art Gender Nature (IAGN) der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW

12:00 Veronica Peselmann
Extraktivismus und Multisensualität in künstlerischen Praktiken

Künstlerische Auseinandersetzungen mit Extraktivismus basieren oft auf visuellen Repräsentationen der ausgebeuteten Regionen. Dies geht wiederholt mit Darstellungen einher, die die betroffenen Landschaften und Gemeinschaften auf die Narration des Ressourcenabbaus reduzieren. Ausgehend vom Yanomami Paper Project, das ursprünglich von der mexikanischen Künstlerin Laura Anderson Barbata initiiert wurde, fragt der Beitrag nach dem Potential multisensueller Ansätze in der Kunst, um die vielschichtigen ökologischen und kulturellen Verflechtungen die extraktivistischen Praktiken gegenüberstehen, zu erfassen.

Veronica Peselmann, Dr., Ass. Professorin für Moderne und Zeitgenössische Kunst an der University of Groningen

13:00 Mittagspause

Ⅲ Verbrennen – Klimaextreme im Anthropozän

14:30 Petra Löffler
Ölfilm. Visuelle Regime des Anthropozäns

Brennende Ölquellen und sich ausbreitende Ölteppiche produzieren
seit dem Aufkommen des Films spektakuläre Bilder, die gleichwohl auf die inhärenten Widersprüche der Petromoderne aufmerksam machen. In diesem Vortrag werden anhand von Filmmaterial drei einschlägige Schauplätze aufgesucht, an denen die Verstrickungen des fossilen Rohstoffs Erdöl mit Industrialisierung, Geopolitik und ökologischen Desastern sichtbar werden: Baku 1897, Kuwait 1990-91 und der Golf von Mexiko 2010. Entlang von Filmen wie Werner
Herzogs »Lektionen in Finsternis« (1992) und Videoarbeiten
von Susan Schuppli werden die Wechselwirkungen zwischen
Öl, Feuer und Wasser beobachtet und die visuellen Regime
des Anthropozäns kritisch in den Blick genommen.

Petra Löffler, Dr., Professorin für Theorie und Geschichte gegenwärtiger Medien, Karl von Ossietzky Universität Oldenburg

15:30 Ignacio Acosta
Indigenous perspectives on forest fires, drought and climate change: Sápmi

In the summer of 2018, Sweden was struck by heat, droughts,
and wildfires. The Norrbotten County was one of the most seriously affected areas. The impact of wildfires, commonly claimed to be caused by climate change, has become a national and international concern. However, there is another take on wildfires and other extreme weather events when understood from local and Indigenous peoples’ perspectives. We ask: What local and Sámi knowledges are available
regarding wildfires, heat, drought, and other impacts from climate change/extreme weather events? Through historical and contemporary lived experiences, this collaborative project includes a constellation of audio-visual and research materials, including interviews, documents, drone images, photographs, writings, and workshops, as a source of research, communication, and dissemination.

Ignacio Acosta, Dr., Künstler, Forscher, Umweltaktivist

16:15 Pause

16:30 Lena Geuer im Interview mit Jens Soentgen
Pyromanie: von der Moderne bis zum Anthropozän

In keinem menschlichen Zeitalter zuvor wurde soviel verbrannt
wie im Anthropozän. Der Rückgriff auf fossile Brennstoffe
wie Erdöl, Erdgas oder Kohle setzt Verbrennungsprozesse
voraus, die ohne Feuer nicht möglich wären. Was hat es also mit dem Feuer auf sich, welches laut dem Philosophen und Chemiker Jens Soentgen menschliche Kulturen und menschliches Verhalten seit jeher gestaltet und steuert? Im Interview betrachtet Soentgen das Phänomen Feuer aus einer ökologischen sowie philosophischen Perspektive und geht dabei auf die komplexe, ambivalente Beziehung
zwischen Mensch und Feuer ein.

Lena Geuer, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft an der TU Dresden
Jens Soentgen, Dr., apl. Professor für Philosophie, Leitung des Wissenschaftszentrum Umwelt an der Universität Augsburg

Ⅳ Digitaler Extraktivismus – Data Mining

19:00 Simon Denny und Moritz Schularick
Data Economics

Simon Denny setzt sich in seinem künstlerischen Werk mit
der Ikonografie geopolitischer Macht auseinander. In seiner Kunstpraxis wird ein globales Wirtschaftssystem ansichtig,
dessen Rohstoffbedarfe zusehends die planetaren Kapazitäten
überschreiten. Moritz Schularick beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit Fragen der monetären Makroökonomie und den Ursachen von Finanzkrisen und ökonomischer Ungleichheit. Denny und Schularick diskutieren in diesem Format, wie stark Politiken eines fossilen Kapitalismus heute mit smarter Technologie verzahnt sind
und welche Konsequenzen – künstlerisch und sozioökonomisch
– daraus abzuleiten sind, dass diese Politiken rückhaltlos die digitalen und terrestrischen Rohstoffbedarfe des Technologiesektors decken.

Simon Denny, Professor für zeitbezogene Medien an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg
Moritz Schularick, Dr., Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Université Sciences Po, Paris

Samstag, 25.1.2025

10:00 Carole Anais Flammang
To Browse Around and Be Mined: Eine künstlerische Perspektive auf Usertracking und digitale Spuren

Carole Anais Flammang gibt Einblicke in ihre künstlerische Praxis, die sich mit den Spuren auseinandersetzt, die durch alltägliches ›Browsing‹ und die diesbezüglichen digitalen Interaktionen entstehen. Die Arbeiten thematisieren, wie diese Spuren erfasst und genutzt werden, und ihr Werk hinterfragt, wie Menschen durch die Nutzung digitaler Dienste zu Ressourcen für Unternehmen und Teil des Trainings von KI-Systemen werden.

Carole Anais Flammang, Studentin der Medienkunst, Muthesius Kunsthochschule, Kiel

10:45 Ulrike Bergermann
Verrechnet: Digitale Extraktivismen

Daten sind nicht immateriell, darauf wurde immer wieder hin-
gewiesen: Es gibt sie nicht ohne Metalle, Seltene Erden, Plastik und riesige Mengen von Strom sowie gigantische Serverfarmen. Aber es sind immer noch Elemente, deren Materialität nicht direkt sichtbar ist, die den Datenverkehr erst möglich machen. Dieser Vortag möchte eine kurze Typologie vermeintlich immaterieller Extraktivismen skizzieren, die für den Plattformkapitalismus und KI-gestützte Programme fundamental sind: den Extraktivismus von Arbeit (Jolar und Pasquinelli), von Affekt (Köppert), von Zeit (Gramlich) und
von psychischer Gesundheit – etwa der sogenannten ›Clickworker‹
und ›Cleaners‹.

Ulrike Bergermann, Dr., Professorin für Medienwissenschaft an der HBK Braunschweig

11:45 Pause

12:00 Michael Klipphahn-Karge
Bis zur Hölle nach Daten schürfen: Allegorie und Historizität der Mine im Kunstfeld

Ausgehend von Agnieszka Polskas Videoinstallation The Demon’s Brain von 2018, die den Salzabbau im spätmittelalterlichen Polen mit dem gegenwärtigen Datenkapitalismus verzahnt, fragt dieser Vortrag nach den zahlreichen Allegorien der Mine im Kunstfeld. Dabei stehen die Historizität des Themas und jene ambivalenten Bilder im Mittelpunkt, die Künstler:innen derzeit für den globalen Kampf um technologische Vorherrschaft finden, der eng mit der Konkurrenz
um Rohstoffe für die Digitalwirtschaft verbunden ist. So soll gezeigt werden, inwiefern Geologie im übertragenen Sinne als bedingungsgebend für technologischen Fortschritt – insbesondere hinsichtlich der Entwicklung maschineller Lernsysteme – ausgewiesen werden kann.

Michael Klipphahn-Karge, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe »Kunst, Umwelt, Ökologie« am Zentralinstitut für Kunstgeschichte München

13:00 Abschluss mit Zukunftsspaziergang
Das Gro?e Gelingen

Wir tragen das dreiteilige Gemälde von Helge & Saxana durch Kiel, sprechen mit Passanten über Erdausbeutung sowie zukünftiges Handeln, um den Transformationsprozess zur Klimaneutralität voranzutreiben.

Reference:
CONF: Extraktivismen: Erdausbeutung und Data Mining (online/Kiel, 23-25 Jan 25). In: ArtHist.net, Jan 10, 2025 (accessed Jan 21, 2025), <https://arthist.net/archive/43645>.

^