[English version below]
13. Architekturtheoretisches Kolloquium der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin.
Dialoge in der Architekturtheorie.
Prof. Dr. Jasper Cepl, Bauhaus-Universität Weimar, Mitglied des Ausschusses «Architekturtheorie» des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin.
Die Titelvignette zu Bartolomeo Taegios Dialog La Villa (1559) zeigt zwei Personen im Gespräch. Darüber, auf einem Spruchband, findet sich das schöne Motto »unum nihil, duos plurimum posse«. Es steht für die Hoffnung, dass sich nur gemeinsam klären lässt, was sonst ungeklärt bliebe, dass es also der Diskurs ist, in dem Verstehen entsteht.
Im Dialog findet dieses Vertrauen — darauf, dass zwei (oder mehrere) viel können, einer aber nichts — seine literarische Form. Im Dialog ist mehr möglich. Mehr Wege zu gemeinsamer Klärung, zu Widersprüchen, aber auch zur Belehrung und Einführung. Dass sie auch in der Architekturtheorie rege Anwendung gefunden haben, wird daher nicht verwundern. Blicken wir in ihre Geschichte, dann finden wir eine Fülle an Dialogen jeglicher Färbung — und sie finden sich zu allen Zeiten. Einige sind wohlbekannt. In den Sinn kommen Filarete, oder Piranesis Parere su l’architettura (1765), aber auch Louis Sullivan mit seinen Kindergarten Chats (1901–02), oder Paul Valérys Eupalinos ou l’Architecte (1923). Aber es gibt unzählige weitere Dialoge, die teils ganz vergessen sind, es aber verdienten, einmal genauer betrachtet zu werden.
Auch das: der Dialog ist bald nicht mehr literarische Form, sondern didaktische Anleitung und Methode. Es gibt kaum ein Gebiet, wo diese Möglichkeit des (fiktiven) Dialogs nicht eingesetzt worden wäre. Er eignet sich so scheint es, ganz besonders für didaktische Zwecke, für Prüfungsvorbereitung der Adepten einer Kadetenschule im Frage- und Antwortmodus etwa. Und es findet sich auch eher überraschend für das ‚Erlernen‘ der 5 Säulenordnungen angewandt, so in den “Cours Elementaires sur les Cinq Ordres d’Architecture Mis sous la forme du Dialogue“, die, vom Autor und Architekten Routier besorgt, 1805 in Aix erscheinen und von den Säulenordnungen schnell zur Geometrie und anspruchsvolleren Themen weiterschreiten und zu den architektonischen Formen überleiten. Das geht dann etwa so: „D. Qu’est-ce qu’un profil de moulures? R. Il a été dit à l’art. 40 du I.er cours, que les profils étaient un assemblage de moulures: c’es à cet effet, le contour superficiel de deux ou plusieurs moulures liées et jointes ensemble, qui, par leur union seule, et non par leur figure, ni par le nombre de moulures, se nomme profil: telles sont les moulures d’une base ou d’une corniche entière…”. Man sieht schnell, dass der Dialog den Charakter eines offenen Gesprächs verloren hat, es ist nur noch Form, ebenso pedantisch wie die trockenste Theorie, als mögliche konforme Vorbereitung zu entsprechenden Prüfungsfragen. Der Autor eröffnet seine «Conclusion» denn auch: «Tout, peut-on avancer, a déjà été dit; rien n’est nouveau dans la classe des sciences et des arts.» Auch der Dialog ist zuweilen nur noch äussere Form und hat die Frische und Überraschung verloren.
Kurz: Dialoge, und man kann auch Interviews zu diesen zählen, sind in der Architekturtheorie allgegenwärtig. Umso mehr ist zu bedauern, dass bisher offenbar niemand versucht hat, die Gattung als Ganzes in den Blick zu nehmen, um damit auch der weiteren Einzelforschung einen neuen Rahmen zu geben. Dass es bisher nichts Zusammenfassendes gibt, ist allerdings verständlich, denn es bedarf dazu eines weiten Blicks, den niemand allein zu liefern vermag. Nur als kollaboratives Vorhaben unter Beteiligung zahlreicher Experten und Expertinnen ist diese Forschung zu leisten.
Hier kommt das Architekturtheoretische Kolloquium ins Spiel, denn ihm gelingt es schon seit Jahren, einen solchen breiten Kreis von Forschenden zusammenzubringen. Hier treffen sich regelmäßig Experten und Expertinnen mit unterschiedlichen Hintergründen, um ein Thema der Architekturtheorie gemeinsam zu betrachten — und zwar über die Zeiten hinweg, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Es gibt im Bereich der Architekturtheorie keine zweite Veranstaltung, die vergleichbar wäre und auch nur eine annähernd ähnliche Chance böte, dass hier vorgestellte Thema gemeinsam zu erörtern. Das »Architekturtheoretische Kolloquium« ist wie dafür gemacht, das Wissen zum Dialog zusammenzutragen und zu teilen.
Erwartet wird zunächst ein Überblick, also Studien zu bekannten und weniger bekannten Dialogen zur Architektur. Erwartet wird zudem ein besseres Verständnis dafür, wie Dialoge wann und zu welchem Zweck verwendet werden, und welche wiederkehrenden Muster sich in ihren Strukturen erkennen lassen — was es in Zukunft wiederum erlauben wird, das Besondere an einem Dialog besser herauszuarbeiten.
Die Veranstaltung richtet sich an Architekturtheoretiker, Architekten, Kunsthistoriker, Technik- und Wissenschaftshistoriker u.a.m. und möchte ausgewiesene Kenner der Materie und insbesondere jüngere Forscher aus verschiedenen Ländern zusammenführen.
Um viel Zeit für gemeinsame Diskussionen zu haben, sollten die Referate nicht länger als 20 Minuten dauern. Sie können deutsch, englisch, französisch und italienisch vorgetragen werden. Passive Deutschkenntnisse werden vorausgesetzt.
Bedingungen: Die Stiftung übernimmt die Kosten für die Übernachtung und z.T. die Verköstigung der Referenten. Reisespesen können nicht erstattet werden.
Wir bitten um Bewerbungen mit einem kurzen Exposé und CV bis spätestens 01. Dezember 2024 per e-mail an: anja.buschowbibliothek-oechslin.ch
[English version]
Thirteenth Colloquium on Architectural Theory
of the
Werner Oechslin Library Foundation
Dialogues in Architectural Theory
Prof. Dr. Jasper Cepl, Bauhaus-Universität Weimar, member of the Architectural Theory committee of the scientific advisory board of the Werner Oechslin Library Foundation
The title vignette of Bartolomeo Taegio's dialogue La Villa (1559) shows two people in conversation. Above them, on a banderole, is the lovely motto “unum nihil, duos plurimum posse.” It stands for the hope that only together can we clarify what would otherwise remain unclear, that is, that understanding arises through discourse.
In dialogue, this trust – that two (or more) can do a lot, but one alone can do nothing - finds its literary form. More is possible in dialogue. More paths to mutual clarification, to contradictions, but also to instruction and introduction. It is therefore not surprising that dialogues have also been widely used in architectural theory. If we look at their history, we find an abundance of dialogues of all kinds – and they can be found in all periods. Some are well known. Filarete comes to mind, or Piranesi's Parere su l'architettura (1765), but also Louis Sullivan with his Kindergarten Chats (1901-02), or Paul Valéry's Eupalinos ou l'Architecte (1923). But there are countless other dialogues, some of which have been completely forgotten yet deserve a closer look.
This too: the dialogue is now no longer a literary form, but a didactic guide and method. There is hardly a domain where this possibility of (fictional) dialogue has not been used. It seems to be particularly suitable for didactic purposes, for example for preparing recruits for examinations at a cadet school in question-and-answer format. And, rather surprisingly, it is also used for ‘learning’ the five orders of columns, for example in the “Cours Elementaires sur les Cinq Ordres d'Architecture Mis sous la forme du Dialogue,” published in Aix in 1805 by the author and architect Routier, which quickly progresses from the orders of columns to geometry and more demanding topics and continues on to architectural forms. It goes something like this: “D. Qu’est-ce qu’un profil de moulures? R. Il a été dit à l’art. 40 du I.er cours, que les profils étaient un assemblage de moulures: c’es à cet effet, le contour superficiel de deux ou plusieurs moulures liées et jointes ensemble, qui, par leur union seule, et non par leur figure, ni par le nombre de moulures, se nomme profil: telles sont les moulures d’une base ou d’une corniche entière…”. It soon becomes apparent that the dialogue has lost the character of an open conversation; it is merely form, just as pedantic as the driest theory, as a practicable conformist preparation for corresponding examination questions. The author opens his “Conclusion” then as follows: “Tout, peut-on avancer, a déjà été dit; rien n’est nouveau dans la classe des sciences et des arts.” Dialogue, too, is sometimes only an external form and has lost its freshness and surprise.
In short: dialogues – and interviews can also be counted as such – are ubiquitous in architectural theory. It is therefore all the more regrettable that no one has apparently attempted to look at the genre as a whole in order to provide a new framework for further individual research. It is understandable, however, that there is no summary to date, since this requires a comprehensive view that no single person can provide alone. This research can only be carried out as a collaborative project involving numerous experts.
This is where the Colloquium on Architectural Theory comes into play, as for years it has succeeded in bringing together such a broad circle of researchers. Experts from different backgrounds meet here regularly to examine a topic of architectural theory together – across the ages, from the beginnings to the present day. There is no other event in the field of architectural theory that is comparable and that would offer even a remotely similar opportunity to discuss this topic together. The Colloquium on Architectural Theory is practically made for bringing together and sharing knowledge regarding dialogues.
To start, we need an overview, i.e., studies on well-known and lesser-known dialogues about architecture. We also expect to gain a better understanding of how dialogues are used, when, and for what purpose, and which recurring patterns can be recognized in their structures. This, in turn, will make it possible for future research to better determine what is special about dialogues.
The event addresses architectural theoreticians, architects, art historians, historians of technology and science, and others, and seeks to bring together leading experts on the topics as well as, in particular, young researchers from various countries.
Papers should be limited to twenty-minute presentations.
Languages for paper proposals and presentations: German, English, French, Italian. At least a passive knowledge of German is expected of all participants.The Foundation assumes the hotel costs for course participants, as well as for some group meals. Travel costs cannot be reimbursed.
Please send short paper proposals and CVs by e-mail to: anja.buschowbibliothek-oechslin.ch Deadline: 1 December 2024
Reference:
CFP: 13. Architekturtheoretisches Kolloquium (Einsiedeln, 24-27 Apr 25). In: ArtHist.net, Oct 30, 2024 (accessed Dec 11, 2024), <https://arthist.net/archive/43062>.