„Die Figur in den Bildkünsten. Zwischen Zeichen und Material (1450–1750)". Ein Workshop des Instituts für angewandte Kunst- und Bildwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal.
Im Zeitalter der Digitalisierung und Reproduktion von Bildern – universelle Medien der Information – sowie einer verstärkten Präsenz virtueller Räume schwindet die Aufmerksamkeit für die spezifische Strukturierung und Materialität von Bildern. In den Bildkünsten der frühen Neuzeit konnten Elemente der Bildstruktur vermeintlich Teil des realen Raumes der Rezipient:innen werden, was die jeweiligen Bildobjekte der Wirklichkeit annäherte. Hinsichtlich ihres kommunikativen Stellenwerts zwischen Bildraum und realem Raum in verschiedenen Medien und Gattungen beleuchtet der Workshop mit der „Figur“ aus kunsthistorischer Sicht eine Leitkategorie der frühneuzeitlichen Kunst. Dabei rücken die materiell-bildnerischen und semiotisch-epistemischen Aspekte der Bildfigur in den Fokus, wobei ihre Veränderungen auch bezüglich ästhetischer Wirkungen in den Blick genommen werden.
Seinen Wurzeln in der antiken Philosophie und Rhetoriklehre nach beschreibt der Begriff „Zeichen“ (lat. signum) eine epistemische Grundstruktur der Bildfigur. Theoretisiert als rhetorische Zeichen, repräsentieren Bildfiguren und -objekte in der frühen Neuzeit Begriffe oder Sachverhalte (vgl. Warncke 1987), wobei sie ebenso Abwesendes repräsentieren können. So wurde „figura“ von Cicero als technischer Ausdruck der Rhetorik eingeführt (z.B. „His tribus figuris insidere quidam venustatis non fuco illitus, sed sanguine diffusus debet color“, De oratore, 3, 199), aber auch selber verweisend gebraucht („aliquam non dissimilem figuram“, De divinatione, 1, 23) (vgl. Auerbach 2013, S. 268).
In der simultanen Verwendung der Begriffe „figura“ und „forma“ (Gussform) kristallisierte sich weniger die äußere Gestalt des Bildobjekts, als vielmehr ein verstärktes Bewusstsein für die materielle Bedingung des plastischen Gebildes selbst heraus (Auerbach 2013, S. 263–265), nach dem der Workshop unter dem Begriff des „Materials“ fragt. Signifikant ist, dass Überlagerungen zwischen Bildobjekten zu Ambiguitäten führen und Bilder in ihrer Struktur neben einem rhetorisch-literalen Sinn auch einen pikturalen aufweisen können, der in ambivalenter Weise Bestandteil des semiotischen Systems von Bildern sein kann (Elkins 1998, S. 161, 125).
Eine Ausleuchtung der Figur in ihrem Spannungsverhältnis zwischen Zeichen und Material nimmt allgemein auf die Begriffskonstellation „Figur“ und „Figuration“ Bezug, wonach erstere durch performative Konvergenzen zwischen dem Figürlich-Konkreten und dem Dynamisch-Unbestimmten figuriert und dadurch inhaltlich unterfüttert wird (Boehm/Brandstätter/von Müller 2007, S. 8). Wechselwirkungen zwischen dem bildnerischen Material und der Figur wurden in der Literatur der vergangenen Jahre vorwiegend unter dem Primat des Grundes als einem „Ort der Ermöglichung“ verhandelt (vgl. Boehm/Burioni 2012, S. 12; Kim 2022). Zeichen wiederum sind als „Repräsentationen“ aufgefasst worden, die intentional auf einen Gegenstand gerichtet sind, den sie wiedergeben, wobei diese Beziehung zwar kausal ist, jedoch nicht auf Ähnlichkeit beruhen muss (Misselhorn 2023, S. 30, 32). Aus der Warte der Literaturwissenschaft betrifft der zeichenhafte Stellenwert des bildnerischen Materials epistemische Evidenzen: „Wissen verlangt nach 'Evidenz', die Generation von Wissen geht mit der Figuration von Evidenz einher“ und ist „jedem Wissen eine Kunst der Darstellung implizit […] und umgekehrt jeder Kunst ein Wissen.“ (Peters/Schäfer 2006, S. 9f.).
Neben solchen Formungen, die eine Figur in einem „Bildvehikel“ erkennen lassen, werden im Workshop auch Prägungen bzw. Versichtbarungen der bildnerischen Substanz durch (wieder)erkennbare „Bildobjekte“ untersucht und das Material bezüglich der Aktivierung kognitiver Schemata durch den Betrachter ins Auge gefasst; es wird davon ausgegangen, dass z.B. eine Figur zum Träger eines anderen Bildinhalts werden kann (Pichler/Ubl 2014, S. 30f., 90f.). Relevanz kommt hierbei z.B. Formatierungen und künstlerischen Techniken wie Fragen der Symbiotisierung von und Trennung zwischen Figur, Material und Bezeichnetem zu, insofern die Identität von Material und Zeichen, folgt man Friedrich Piel, die Fiktion des Bezeichneten steigert, womit zugleich das „Andere“ bzw. Abwesende, nicht aber die gestaltete Figur selbst im Bildraum wahrgenommen wird (Piel 2018, S. 85).
Anknüpfungspunkte des Forschungsthemas liegen etwa mit Michael Podros Ansatz der „Verbildlichung“ vor, ein Prozess, in dem sich das Bildobjekt und die medialen Eigenschaften des Werks wahrnehmungsspezifisch differenzieren und ergänzen, was Podro mit einem imaginären Strukturierungsvorgang bzw. Erkenntnisprozess verbindet (Podro 2002, S. 9), wobei die Unterscheidung zwischen Bildobjekt und „Bildvehikel“ Wahrnehmungsaspekte von Figur und Material zu berücksichtigen erlaubt (Pichler/Ubl 2014). Mit Blick auf die Visual Studies bzw. allgemeine Bildwissenschaft lässt sich mit Klaus Sachs-Hombach ein Bild als Ganzes an ein Verständnis des Zeichens binden, wonach diesem auf Basis eines wahrnehmungsspezifischen Kommunikationsakts Inhalt zugeschrieben wird (Sachs-Hombach 2021, S. 91–111). Das Thema der Untersuchung weist auch mit „Die Oberfläche der Zeichen“ (Krüger/Löhr/Tarnow 2014) und jüngeren Erkenntnissen zur materiellen Ausbildung von Wissen und dessen figuraler Fassung (Eusterschulte/Helffenstein/Reufer 2023) Resonanzen auf.
Epistemische Prägungen des bildnerischen Materials sowie dessen Bedeutung für die Formung figuraler Bildinhalte sind in der kunsthistorischen Forschung unzureichend erforscht. Die Relevanz des Forschungsthemas, das ein differenziertes Verständnis der Figur-Grund Konstellation eröffnet, wird neben der sporadischen Behandlung materieller Merkmale von Bildstrukturen auch in der Anwendung des „Zeichen-Begriffs“ auf ein Bild als Ganzes, nicht aber hinsichtlich einzelner Elemente der Bildstruktur, vor allem in literaturwissenschaftlichen und philosophischen Untersuchungen deutlich.
25.7.2024
Anreise
18.30: Begrüßung und Bibliotheksführung durch Prof. em. Dr. Werner Oechslin
26.7.2024
09.00: Dr. des. Maximilian Geiger (Wuppertal/Konstanz): Introduction - Einführung
09.15: Simon Breitenmoser, M.A. (Zürich): Die Linie als Figur. Albrecht Dürers Hl. Hieronymus in der Wüste (um 1496)
10.00: Ass.-Prof. Dr. Sandra Hindriks (Wien): Unähnliche Ähnlichkeit: Anamorphosen und das Wechselspiel von sinnlicher und intellektueller Erfahrung
10.45: Café-Pause
11.15: Dr. des. Zofia Jackson (Zürich): Between text and material(ity): translating medieval romances into woven images. The case of the 15th century Trojan War tapestries
12.00: Jun. Prof. Dr. Markus Rath (Trier): Ausdrucksgestalt und Ausdrucksgehalt. Linie, Farbe und Material bei Niklaus Manuel Deutsch
12.45: Mittagspause
14.30: Janina Burandt, M.A. (Konstanz): Goliaths Stirn und Davids Schulter. Das Potenzial kunsttechnologischer Verfahren für die Entschlüsselung zweier Bilddetails
15.15: Café-Pause
15.45: Alina Wolf, M.Ed. (Wuppertal): Vom selbstreferenziellen zum relationalen Objekt. Das Auge in Zeichenlehrbüchern des 18. Jahrhunderts
16.30: Dr. des. Gilles Monney (Bern): Die Figur in den Alpen als Beispiel ihres Verhältnisses zur Natur vor der Moderne
17.15: Pause
17:30: Prof. Dr. Ulrich Heinen (Wuppertal): Rubens' Malphysiologie. Die Lebensreform der 'Caritas Romana'
19.30: Abendessen
27.7.2024
08.45: Dr. des. Maximilian Geiger: Geschichte, Figur, Zeit: Philippe de Champaignes „Flucht nach Ägypten“
09.30: Dr. Claudia Reufer (Berlin): Die Linie der Figur. Ästhetik und Semantik figuraler Bildlichkeit in Zeichnungen der Renaissance
Abschlussdiskussion
ca. 10.30: Abreise
Reference:
CONF: Die Figur in den Bildkünsten (Einsiedeln, 25-27 Jul 24). In: ArtHist.net, Jun 6, 2024 (accessed Nov 29, 2024), <https://arthist.net/archive/42044>.