Tagung: Werkverzeichnisse und Selbstarchivierungspraktiken von Künstler/innen.
Die Funktion des Werkverzeichnisses besteht traditionell darin, Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken vollständig und objektiv zu erfassen, die Künstler/innen der Nachwelt hinterlassen haben. Somit trägt ein Werkverzeichnis dazu bei, Autorschaft zu festigen, Provenienzen offenzulegen, den Kunsthandel vor Rechtsstreitigkeiten zu bewahren und Erbnachlässe zu sichern. Ein Werkverzeichnis wurde noch im 20. Jahrhundert zumeist nach dem Ableben von Künstler/innen und angesichts eines abgeschlossenen Gesamtwerks – somit aus historischer Distanz – erstellt. Mit der Erweiterung des Werkbegriffs seit den 1960er Jahren ging die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der stabilen Objektstruktur einher, die Werkverzeichnissen bis dahin zugrunde gelegt wurde. Denn es stand nun die Frage im Raum, wodurch sich Werke von Nicht-Werken unterscheiden und ob Notizen, Briefe, fotografische und filmische Dokumentationen, Diskursierungen wie Ausstellungszusammenhänge, Kritiken, Katalogkommentare, ja, sogar Anekdoten und Gerüchte nicht ebenso als Teil eines künstlerischen Werks zu verstehen sind. Mit dem archival turn hat sich der Fokus noch einmal verschoben: Seither wird das Konzipieren von Werkverzeichnissen von vielen Künstler/innen als Teil ihrer genuinen künstlerischen Produktion begriffen. Künstler/innen treten als ihre eigenen Dokumentarist/innen und Archivar/innen, ja als Hüter/innen ihrer Werke auf. Hinzu kommt, dass seit den 1990er Jahren das ortlose „virtuelle Werk“ mitzudenken ist, das seine visuellen Repräsentationen globalen Computernetzwerken verdankt und polysensuelle und interaktiv erfahrbare Datenräume generiert. Im Rahmen der Tagung wird darüber nachgedacht, welche Formen Werkverzeichnisse annehmen können, um sich offen zur eigenen Konstruiertheit bekennen, diskursiv anschlussfähig und prinzipiell veränderbar bleiben zu können. Begleitend zur Tagung findet die Ausstellung Dan Perjovschi "Breaking (the) News" & Lia Perjovschi "Survival Kit" in der Montagehalle der HBK Braunschweig statt.
Programm
Donnerstag, 2. Mai
15:00 Uhr
Begrüßung
Prof. Dr. Ana Dimke, Präsidentin der HBK Braunschweig
Friedemann Schnur, Geschäftsführender Vorstand Die Braunschweigische Stiftung
15:15 Uhr
Einführung
Prof. Dr. Annette Tietenberg, Institut für Kunstwissenschaft, HBK Braunschweig
15:30 Uhr
Das Archiv aufrütteln. Funktion und Status künstlerischer Dokumentation im Künstlerarchiv Raimund Kummer
Ulrike Pennewitz, Kunst- und Informationswissenschaftlerin, UdK Berlin
16:30 Uhr
Autorität für die Ewigkeit. Marina Abramovićs Arbeit am eigenen Nachlass
Dr. Mareike Herbstreit, Paris Lodron Universität Salzburg
18:00 Uhr Abendvortrag
WerkKörper: Entwurfspraktiken der Aufzeichnung
Prof. Dr. Peter J. Schneemann, Universität Bern
Freitag, 3. Mai
9:30 Uhr
Vermächtnis unter Auflage – Die Künstlerstiftung Malte Sartorius
Susanne Schuberth, Die Braunschweigische Stiftung
10:30 Uhr
Wenn aus Anekdoten Werke werden
Terry Fox und die narrative Erweiterung des Formats ,Werkverzeichnis‘
Dr. Lisa Steib, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
12:00 Uhr
Das Verschwinden des Selbst – Vergänglichkeit, Sammlungen und Archivierung im Werk von Dieter Roth
Bianca Strauß, Städtisches Museum Braunschweig
14:00 Uhr Lia und Dan Perjovschi: Das weiße Buch der Securitate versus The Book of Notebooks
Luciana Tamas, HBK Braunschweig
15:00 Uhr Führung durch die von Luciana Tamas kuratierte Ausstellung
Dan Perjovschi "Breaking (the) News" & Lia Perjovschi "Survival Kit"
in der Montagehalle der HBK Braunschweig
Die Tagung findet in Kooperation mit Die Braunschweigische Stiftung im Rahmen des Forums "Spuren künstlerischen Handelns. Künstler*innennachlässe in Braunschweig" statt.
Konzept der Tagung: Prof. Dr. Annette Tietenberg, Institut für Kunstwissenschaft (IKW), HBK Braunschweig
Quellennachweis:
CONF: Werkverzeichnisse und Selbstarchivierungspraktiken (Braunschweig, 2-3 May 24). In: ArtHist.net, 01.04.2024. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/archive/41543>.