Skilling – De-Skilling – Re-Skilling: Care-Arbeit als künstlerische Technik und Können.
Es ist ein Allgemeinplatz, dass sich seit der Erfindung des Ready-Made durch Elsa von Freytag-Loringhoven und Marcel Duchamp und mit dem Aufkommen von Konzeptkunst, Minimal Art und Performance in den 1960er Jahren das Spektrum der Techniken und Arbeitsmethoden, die als ‚künstlerisch‘ gelten, extrem erweitert hat. Auch als ‚weiblich‘ gedachte Handarbeitstechniken und die damit assoziierten Künstler:innen sind mittlerweile viel diskutiert und Teil der zeitgenössischen Kunstszene und Kunstgeschichte. Anders verhält es sich mit den Arbeiten im Haushalt, die zwar als Thema künstlerisch aufgegriffen, jedoch in der kunsthistorischen Rezeption mit wenigen Ausnahmen marginalisiert wurden. Wie fügen sich die als re-produktiv geltenden, repetitiven Tätigkeiten wie Waschen, Putzen, Kochen etc. in die Diskussion um künstlerische Skills, Techniken und Können ein? Kann die Aneignung von Hausarbeit durch Künstler:innen als De- bzw. Re-Skilling (Bishop 2011) bewertet werden? Wenn die Erfindung der Hausfrau und die Hausarbeit „aus Liebe“ eine der grundlegenden Begleiterscheinung der bürgerlichen Gesellschaft und des Kapitalismus ist, welche historischen Perspektiven ergeben sich auf die Arbeit im Haushalt in Bezug auf künstlerische Produktion in vor-kapitalistischen Gesellschaften? In welchem Verhältnis stehen weiblich konnotierte Handarbeit (Stricken, Häkeln, Sticken, Nähen etc.) zur Care-Arbeit und welche Rolle spielt hier der Begriff „Craft“?
Auch die Pflege und Erziehung von Kindern fällt unter Care-Arbeit, ein Aspekt den viele Künstlerinnen auf unterschiedlichste Weise thematisiert haben. Mary Kellys berüchtigtes Post-Partum Document wurde bei seiner ersten Ausstellung Ende der 1970er Jahre für das Ausstellen von dreckigen Windeln skandalisiert mit dem Argument, dass es keine künstlerische Arbeit darstelle, Windeln zu wechseln bzw. sie zum Ausstellungsobjekt zu machen. Welche Rolle spielen beispielsweise nun die ‚Soft-Skills’ der Kindererziehung und Pflege in einer Kunstszene in der „Relational Aesthetics” mittlerweile einen Standard darstellen? Wenn die affektive Arbeit der Kinderpflege mittlerweile unter „Immaterieller Arbeit“ (Negri/Hardt) subsumiert wird, fragt sich wie Künstler:innen mit den durchaus materiellen Bedingungen, Spuren und Techniken der Care- und Sorgearbeit umgehen. Welchen Stellenwert hat die affektive Arbeit der Kindererziehung und Pflege als ‚Soft-Skill’ innerhalb eines erweiterten Verständnisses der Künstler:in als Mutter/ Sozialarbeiter:in/ Kurator:in? Oder sind Werke zum Thema Mütterarbeit unter dem Terminus des „social turn” (Bishop 2006) zu subsumieren? Trotz der Bemühungen der um 1900 entstehenden Haushaltswissenschaften das Haushalten zu professionalisieren bzw. effizienter zu machen, werden Hausarbeit und Pflege sowie das damit verbundene Wissen und die dazugehörigen ‚Skills’ abgewertet und eine angemessene monetäre Anerkennung für Hausarbeit ist bis heute nicht in Sicht. Auch die Forderungen der zweiten Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre, Hausarbeit zu entlohnen, verliefen im Sande. Wie greifen Künstler:innen dieses Thema auf bzw. wie wirft Hausarbeit die Frage nach der Rolle bzw. der Funktion von Technik/Techne im (professionellen) künstlerischen Produktionsprozess auf? Welche (direkte und indirekte) Rolle spielt die Care-Arbeit bei der Definition von Technik, Handarbeit und Kreativität?
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Ablauf:
9.15 Begrüßung
9.30 Bettina Uppenkamp (Hamburg):
Muttermythen - Ammenmärchen. Zum Motiv des Stillens in der Kunst der Frühen Neuzeit
10.15 Christina Lechtermann (Bochum):
Wie die Muschel-Schnecken. Narrative weiblicher Handarbeit in der Vormoderne
Kaffeepause
11.15 Franciska Nowel Camino (Dresden):
Hard skills and soft materials: Videoarbeiten von Julieth Morales, Paola Torres Núñez del Prado und Elvira Espejo Ayca
12.00 Friedrich Weltzien (Hannover):
„Mingei“ in der zeitgenössischen japanischen Textilkunst
Mittagspause
14.00 Leena Crasemann (Hamburg):
Lumpen, Fetzen, Fäden. Zur Arbeit mit textilen Resten in der Gegenwartskunst
Kaffeepause
15.00 Anne Röhl (Siegen):
Repetitive Skills – Zum Verhältnis von weiblich konnotierter Hand- und Carearbeit
15.45 Änne Söll (Bochum):
Implizites Wissen – Flusen, Kunst und Craft
Abschlussdiskussion
Der Workshop ist Teil des DFG geförderten Forschungsprojekts "Kochen, Putzen, Sorgen. Care-Arbeit in der Kunst in West- und Osteuropa, den USA und Lateinamerika seit 1960“ am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Änne Söll und Dr. Friederike Sigler.
Bitte melden Sie sich für eine Teilnahme bis zum 10.03.2024 bei Marius Hoffmann an:
Marius.Hoffmann-r8uruhr-uni-bochum.de
Quellennachweis:
CONF: Care-Arbeit als künstlerische Technik und Können (Bochum, 14 Mar 24). In: ArtHist.net, 28.02.2024. Letzter Zugriff 10.05.2025. <https://arthist.net/archive/41343>.