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‚Kunstschutz‘ im Ersten Weltkrieg und die Historiographien zu Kunst und Kultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Akteure – Netzwerke – Konzepte.
Krieg schont weder Zivilisten noch Kulturgüter – im Gegenteil sind beide immer wieder gezielter Aggression ausgesetzt. Zerstörung und Raub von Kulturgütern, die als Bestandteile des nationalen Erbes und der nationalen Identität gelten, gehören zur Kriegstaktik ebenso wie die Instrumentalisierung von Geschichte zur Rechtfertigung territorialer Annexionspläne – Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine liefert dafür ein drastisches Beispiel.
Ein derartiges Vorgehen ist ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954, einer erweiterten Fassung der 1907 ratifizierten Haager Landkriegsordnung. Die Wirksamkeit dieses (mit einem Vorlauf im Jahr 1899) ersten völkerrechtlichen Abkommens zum Schutz von Kulturgut im Kriegsfall wurde schon wenige Jahre später, während des Ersten Weltkriegs, auf die Probe gestellt.
Die geplante Tagung will die Strategien und Praktiken des Umgangs mit dem kulturellen Erbe auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs in vergleichender Perspektive untersuchen. Ein regionaler Fokus liegt auf dem östlichen und südöstlichen Europa mit Ausblicken nach Kleinasien, wo der Erste Weltkrieg bereits bestehende konfrontative Konstellationen (Balkankriege 1912 und 1913) fortführte und noch bis 1923 regionale Fortsetzungen fand (u.a. Polnisch-Ukrainischer und Polnisch-Sowjetischer Krieg, Unabhängigkeitskriege in den baltischen Staaten, Griechisch-Türkischer Krieg).
Zu fragen ist nach den Vorstufen und nach den längerfristigen Wirkungen der damals entwickelten Konzepte, ebenso wie nach den möglichen Vereinnahmungen für identitätsstiftende und/oder geopolitische Ziele in den nachfolgenden Jahrzehnten – bis hin zum aktuellen russischen Krieg gegen die Ukraine.
Tatsächlich wurden im Ersten Weltkrieg sowohl von den Mittelmächten als auch von der Entente an vielen Kriegsschauplätzen Maßnahmen zum „Kunstschutz im Kriege“ eingeleitet und von Fachleuten – beteiligt waren u.a. Kunsthistoriker, Archäologen, Ethnologen und Historiker – umgesetzt: Notsicherung zerstörter Gebäude, Sicherung beweglichen Kulturguts, Schutz vor Kunstraub, Dokumentation von Zerstörung und Verlust. Erstmals in der Geschichte stand dabei der Schutz des kulturellen Erbes des Kriegsgegners bzw. der besetzten Territorien mit im Fokus, ein Umstand der im Hinblick auf folgende kriegerische Konflikte bis in die Gegenwart ausdrücklich hervorzuheben ist.
Die Inszenierung des eigenen Engagements und dessen Kontrastierung mit dem „Zerstörungswerk“ des Gegners in Wort und Bild diente als Mittel der Propaganda, das alle Kriegsparteien zu nutzen wussten Andererseits wurden die im Rahmen des Kulturgutschutzes durchgeführten Inventarisierungs- und Forschungskampagnen zum Ausgangspunkt eines kunst- und kulturwissenschaftlichen Austausch- und Aneignungsprozesses mit langfristiger Wirkung über die Zwischenkriegszeit hinaus.
Die Kunstschutz-Kampagnen erfassten weite Teile Europas und Kleinasiens, ihre Strategien und Praktiken ähnelten sich. Anders als die Militär-, Politik- oder die Alltagsgeschichte des Ersten Weltkriegs ist das kulturpolitische und historiographiegeschichtliche Themenfeld Kunst- und Kulturgutschutz nur partiell und kaum in vergleichender Perspektive erforscht; dies gilt insbesondere für das östliche Europa.
Vor diesem Hintergrund sollen auf der Tagung folgende Fragenkomplexe erörtert werden:
• Strukturen und Akteure des Kulturgutschutzes an den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs: Fallstudien und vergleichende Perspektiven
• Zwischen Kunstschutz und Propaganda: Strategische Ziele und praktische Maßnahmen des Kulturgutschutzes
• Interferenzen und Kooperationen zwischen örtlichen Akteuren und ihren Fachkollegen in den Reihen der Besatzungsmächte
• Transnationaler methodischer Austausch während der Besatzungszeit und dessen Reflexe in den national(istisch)en Wissenschaftskulturen der Zwischenkriegszeit
• Rechtliche Fragen: Restitution von Kulturgütern zwischen den sich auflösenden Imperien und den neu gegründeten Nationalstaaten und deren Initiativen zur Etablierung/Konstruktion nationaler Patrimonien – Forderungen und Erfolge
• Aus aktueller Perspektive: Welche langfristigen Wirkungen zeigten die Bemühungen um den Kulturgutschutz im Ersten Weltkrieg? Inwiefern können sie als Vorbild für heutige Konflikte dienen?
Die Konferenz bildet den Abschluss des 2020–2024 von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung geförderten Forschungsprojekts „‚Kunstschutz‘ im Ersten Weltkrieg und die Historiographie von Kunst und Kultur in Ostmitteleuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Akteure – Netzwerke – Konzepte“ (DPWS 2020-11, https://www.bkge.de/Projekte/Kunsthistoriker/Projekt_DPWS.php), das vom Oldenburger Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE; Robert Born, Beate Störtkuhl) und dem Institut für Kunstgeschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften / Instytut Sztuki polskiej Akademii Nauk (IS PAN; Ewa Manikowska) getragen wird.
Die Tagung ist ein Kooperationsprojekt der Professur für Denkmalkunde an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder (Paul Zalewski), des BKGE und des IS PAN. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Aufgrund der Förderung durch die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung können die Kosten für Reise und Unterkunft von den Veranstaltern übernommen werden.
Eine Publikation der Ergebnisse ist in der Schriftenreihe des BKGE im De Gryuter Verlag geplant (https://www.degruyter.com/serial/okg-b/html#overview).
Bitte schicken Sie Ihr Exposé (max. 1500 Zeichen incl. Leerzeichen) für einen Tagungsbeitrag (20 Minuten) mit einem kurzen Lebenslauf und Angaben zu Ihrer aktuellen Tätigkeit bis zum 30. September 2023 an: beate.stoertkuhlbkge.uni-oldenburg.de
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'Art Protection' in World War I and the Historiographies of Art and Culture in the First Half of the 20th Century. Stakeholders – Networks – ConceptsEuropa University Viadrina, Frankfurt/Oder - Collegium Polonicum, Słubice, May 13-15, 2024.
Wars spare neither civilians nor cultural assets - on the contrary, both are repeatedly exposed to targeted aggression. The destruction and plundering of cultural assets, which are considered integral parts of national heritage and identity, are every bit a part of the hostile tactics of war as the instrumentalization of history to justify plans for territorial expansion – Russia's war of aggression against Ukraine providing an extreme example of this. This conduct is a clear violation of the provisions of the Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, an augmented version of the Hague Convention respecting the Laws and Customs of War on Land ratified in 1907. The effectiveness of this first international treaty (with an antecedent in 1899) aimed at protecting cultural property in the event of war was sorely tested a few years later, during World War I.
This conference sets out to comparatively examine the strategies and practices of dealing with cultural heritage in the various theaters of the First World War. There will be a regional focus Eastern and Southeastern Europe with a further consideration of Asia Minor, where the First World War continued existing confrontations (the Balkan Wars of 1912 and 1913) as well as regional prolongations until 1923 (including the Polish-Ukrainian and Polish-Soviet Wars, the War of Independence in the Baltic States, and the Greco-Turkish War).
In order to achieve this, we will need to discuss the preliminary stages and longer-term effects of the concepts developed in those days, as well as the eventual appropriation of cultural assets for the purpose of shaping identities and/or geopolitical goals in the following decades – up to and including the current Russian war against Ukraine.
It was during the First World War that both the Central Powers and the Entente initiated measures for “art protection in wartime” in many theaters of war, and that these were implemented by experts such as art historians, archaeologists, ethnologists, and historians. These measures included the emergency protection of destroyed buildings, protection of movable cultural property, protection against art theft, and the documentation of destruction and loss. For the first time in history the protection of the cultural heritage of a wartime adversary or the occupied territories was a focal point, a fact that should be expressly emphasized in view of subsequent armed conflicts up to the present day.
The staging of one's own commitment and contrasting it with the “work of destruction” of the enemy in words and pictures served as a means of propaganda that all warring parties knew how to use. Conversely, the inventories and research campaigns undertaken within the framework of the protection of cultural assets became the starting point for a process of exchange and appropriation in art and cultural studies that had a long-term impact beyond the interwar period.
Art protection campaigns spanned across large areas of Europe and Asia Minor, and their strategies and practices were similar. In contrast to the military, political or everyday history of the First World War, the cultural-political and historiographic-historical subject area of the protection of works of art and of cultural property has been researched only partially and rarely in a comparative perspective; this applies in particular to Eastern Europe.
In light of this, the following sets of questions should be addressed at the conference:
- Structures and stakeholders of the protection of cultural assets in the different theaters of World War I: case studies and comparative perspectives.
- Between art protection and propaganda: Strategic objectives and practical measures of the protection of cultural property
- Interference and cooperation between local protagonists and their professional colleagues among the occupying forces
- Transnational methodological exchange during the occupation and its reflections in the national(istic) scientific cultures of the interwar period
- Legal aspects: The restitution of cultural property between the disintegrating empires and the newly established nation-states, and their initiatives to establish/construct national patrimonies - demands and achievements
- From a contemporary perspective: Which were the long-term effects of the World War I efforts to protect cultural property? To what extent can they serve as a precedent for today's conflicts?
The conference will conclude the 2020–2024 research project funded by the German-Polish Science Foundation 'Art Protection' in World War I and the Historiography of Art and Culture in East-Central Europe in the First Half of the 20th Century. Stakeholders – Networks – Concepts" (DPWS 2020-11, https://www.bkge.de/Projekte/Kunsthistoriker/Projekt_DPWS.php), which is conducted by the Oldenburg Federal Institute for Culture and History of the Germans in Eastern Europe (BKGE; Robert Born, Beate Störtkuhl) and the Institute of Art History of the Polish Academy of Sciences / Instytut Sztuki polskiej Akademii Nauk (IS PAN; Ewa Manikowska).
The conference is a collaborative project between the Chair of Heritage Studies at the European University Viadrina in Frankfurt/Oder (Paul Zalewski), the BKGE and the IS PAN. Conference languages are German and English. Based on funding provided by the German-Polish Science Foundation, the costs for travel and accommodation can be covered by the organizers.
A publication of the proceedings is planned within the BKGE series published by De Gruyter Publishing House (https://www.degruyter.com/serial/okg-b/html#overview).
We invite you to send your proposal (max. 1500 characters incl. spaces) for a presentation (20 minutes) with a short CV and information about your current research activities by September 30, 2023 to: beate.stoertkuhlbkge.uni-oldenburg.de or robert.bornbkge.uni-oldenburg.de
Reference:
CFP: ‚Kunstschutz‘ - 'Art Protection' in WWI (Frankfurt/O. & Słubice, 13-15 May 23). In: ArtHist.net, Jul 29, 2023 (accessed Dec 22, 2024), <https://arthist.net/archive/39907>.