CFP 07.04.2023

Tierbild und Wissenspopularisierung im 19. Jahrhundert (Augsburg, 27-28 Oct 23)

Universität Augsburg, 27.–28.10.2023
Eingabeschluss : 23.06.2023

Robert Bauernfeind

In einer historisch beispiellosen Beschleunigung verbreitete sich in der westlichen Welt des 19. Jahrhunderts zoologisches Wissen in populären Bereichen. Kenntnisse, die noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts nur in den elitären Sphären gelehrter Forscherinnen und Sammlerinnen zirkuliert waren, sollten um 1800 buchstäblich jedem Kind zugänglich werden, indem sie in reich illustrierten pädagogischen Überblickswerken wie Friedrich Justin Bertuchs "Bilderbuch für Kinder" publiziert wurden. Während sich jedoch in der Gelehrtenwelt gerade des frühen 19. Jahrhunderts Skepsis an der Erkenntniskraft von Bildern verbreitete, prägten Publikationen von Bertuchs Bilderbuch bis Alfred Brehms "Thierleben" gerade mit ihren Illustrationen eine mitunter stereotype Vorstellung der weltweiten Fauna. Zugleich ermöglichte die Öffnung zoologischer Anlagen – sowohl ehemals fürstlicher Menagerien als auch bürgerlicher Neugründungen – breiten Gesellschaftsschichten die Möglichkeit, lebende nicht-menschliche Tiere in den bildhaften Arrangements der Landschaftsgärten zu beobachten. Analog dazu boten naturkundliche Museen – auch sie teils aus fürstlichen Sammlungen hervorgegangen, teils von bürgerlichen Vereinen gegründet – die Möglichkeit, Tierpräparate zu sehen, deren Inszenierung nicht selten von künstlerischen Bildgewohnheiten bestimmt war. Über die kleinen, um die Jahrhundertmitte weit verbreiteten Heimaquarien hinaus versprachen mit Glas und Stahl realisierte Großaquarien sogar die bislang obskure Welt der Meeresfauna zur Schau zu stellen; auch sie standen als moderne Varianten der Grotten der Renaissance in einer langen bildgeschichtlichen Tradition. Umgekehrt ermöglichten zoologische Gärten und naturkundliche Museen Künstlern des 19. Jahrhunderts präzise Studien der Tiere. Bedeutende Malerinnen wie Eugène Delacroix nahmen sich immer wieder der Darstellung von Tieren an, Künstlerinnen wie Rosa Bonheur, Edwin Landseer und Paul Friedrich Meyerheim spezialisierten sich auf sie; die Tiermalerei etablierte sich auch an Kunstakademien als eigenständiges Fach. Zugleich verursachte die Verbreitung von Charles Darwins Evolutionstheorie ab der Mitte des Jahrhunderts gravierende Veränderungen in der Wahrnehmung der Fauna, die nicht länger als statische Reihung von Lebensformen im Sinne der traditionellen Naturgeschichte, sondern als dynamischer, sich fortwährend erneuernder Prozess verstanden wurde. Ernst Haeckels "Kunstformen der Natur" zeugen schließlich von einer ästhetisch geleiteten Popularisierung zoologischen Wissens in der ‚Belle Époque‘.

Die projektierte Tagung fragt nach der Rolle der Bilder in der Popularisierung zoologischen Wissens bzw. zoologischer Vorstellungen im „langen“ 19. Jahrhundert sowie nach der Ästhetisierung von Tieren in diesen Bildern. Sie tut dies unter einem weitgefassten Bildbegriff, der nicht nur Malerei, Graphik, Fotografie und Bildhauerei beinhaltet, sondern auch Tierpräparate sowie die ästhetische Inszenierung von Tieren in Museen, in Zoos, Tierschauen und nicht zuletzt in den Weltausstellungen der zweiten Jahrhunderthälfte. Die Tagung soll damit einen kunst- und bildgeschichtlichen Beitrag zu Fragestellungen aus dem Bereich der Human-Animal Studies bzw. Cultural Animal Studies leisten; verwiesen sei hier nur auf grundlegende Texte wie John Bergers "Why look at animals" (1977) und Donna Haraways "Primate visions. Gender, race, and nature in the world of modern science" (1989). Jener konstatierte die Aussichtslosigkeit, unter den Bedingungen menschlicher Inszenierungen einen authentischen Blick auf das Tier und vom Tier zu erlangen, diese beschrieb u.a. die normative Wirkung einer an gesellschaftlichen Konventionen orientierten Inszenierung von Tierpräparaten in naturkundlichen Museen. Die Kunstgeschichte hat auf das vermehrte Interesse an Mensch-Tier-Verhältnissen auch mit Blick auf das 19. Jahrhundert reagiert. So thematisierte etwa die Ausstellung "Fierce Friends. Artists and animals 1750 – 1900" bereits im Jahr 2005 die Tiermalerei des 19. Jahrhunderts und die Ausstellung "Endless Forms. Charles Darwin, Natural Science, and the Visual Arts" im Jahr 2009 die Rezeption der Evolutionstheorie in den Bildenden Künsten. In Hinsicht auf eine ganze Reihe weiterer Ausstellungen zur Tierdarstellung in den Künsten, vor allem aber auf neuere Forschungsprojekte zu deren einzelnen Aspekten im 19. Jahrhundert soll die Tagung aktuelle Positionen zusammenführen. In diesem Sinne richtet sie sich insbesondere an den wissenschaftlichen Nachwuchs (Doktorand*innen und Post-Docs). Ausdrücklich erwünscht sind überdies Beiträge aus benachbarten Fächern wie der Geographie, der Ethnografie, der Geschichte und Literaturwissenschaft, sofern sie sich konkret mit Bildern beschäftigen.

Beiträge sollten in Form von Fallstudien auf Fragen wie die folgenden reagieren:
- Wie gelangten Autorinnen illustrierter populärwissenschaftlicher Werke zu ihrem zoologischen Bildmaterial? Wie verhalten sich Text und Bild in ihren Werken zueinander? Welches Wissen, aber auch welche Stereotype brachte dieses Text-Bild-Verhältnis hervor?
- Welche Bilder erzeugte die Inszenierung von lebenden Tieren in zoologischen Gärten, in Wandermenagerien und in Weltausstellungen? Welche Bilder erzeugte jene von Präparaten und anderen tierlichen Exponaten in Museen? In welche Traditionen lassen sich die Inszenierungen einordnen?
- Wie bedienten sich Künstler
innen des zunehmenden populären Wissens über nicht-menschliche Tiere bzw. der Verfügbarkeit von Tieren als Studienobjekte in Zoos und Museen? Wo bedienten sich die Künstler*innen alter ikonographischer Muster, wo kam es zu neuartigen Bilderfindungen?
- Welches Wissen konnten bzw. sollten die jeweiligen Bilder abrufen, erzeugen und erweitern? Welche Erkenntnisse nahmen Betrachtende tatsächlich mit?
- Inwieweit lassen sich die jeweiligen Bilder und das von ihnen vermittelte Wissen mit Modellen zivilisatorischer, kolonialer und geschlechterspezifischer Dominanzansprüche deuten, wo kommt es ggf. zu Brüchen solcher Deutungsmodelle?
- Gibt es Momente tierlicher Autonomie in den bildlichen Inszenierungen nicht-menschlicher Tiere im 19. Jahrhundert?

Beiträge sollen eine Vortragsdauer von 30 Minuten nicht überschreiten. Um aussagekräftige Abstracts von rund 300 Wörtern nebst einem kurzen Lebenslauf wird bis zum 23. Juni 2023 gebeten:
Dr. Robert Bauernfeind: robert.bauernfeind@philhist.uni-augsburg.de
Dorothee Fischer, M.A.: fischerd@uni-trier.de

Reise- und Übernachtungskosten werden bezuschusst. Eine Publikation der Beiträge wird angestrebt.

Quellennachweis:
CFP: Tierbild und Wissenspopularisierung im 19. Jahrhundert (Augsburg, 27-28 Oct 23). In: ArtHist.net, 07.04.2023. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/archive/38993>.

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