VIGIA — Zeitschrift für Technologie und Gesellschaft
Liebe Autor:innen,
für die zweite Ausgabe von Vigia, einer Zeitschrift für Technologie und Gesellschaft, suchen wir Beiträge zum Thema «Elektroschrott».
Mit der Zeitschrift Vigia möchten wir einen Raum schaffen für emanzipatorische und kritische Beträge zu Technologien im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung. Zweimal jährlich laden wir Autor:innen, Aktivist:innen und Forscher:innen ein, ihr Fachwissen einem interessierten Laien- und Fachpublikum zu vermitteln. Vigia erscheint in Print und online.
Die Beiträge sollen eine Länge von 25'000 Zeichen nicht überschreiten und dürfen gerne auch kürzer sein. Vigia fokussiert auf unterschiedliche Formen schriftlicher Beiträge wie Essays, Berichte, akademische Aufsätze, Reportagen, Kommentare etc. Es sind aber auch andere Formen wie Statistiken, Grafiken, Illustrationen, Karten, Fotografien etc. denkbar. Pro Beitrag bezahlen wir eine Pauschale von 120 CHF.
Bei Interesse sendet uns bis am 26.06.2022 eine Skizze des geplanten Beitrags (inklusive des geplanten Umfangs in Zeichen) in der Länge von ca. einer halben Seite an: Infovigia.tech. Wir werden prüfen, ob und in welcher Länge der Beitrag ins Heft passt, und uns baldmöglichst melden.
Der Redaktionsschluss für die Beiträge ist der 21.08.2022.
Wir werden die Beiträge redigieren und Überarbeitungsvorschläge einbringen. Wir bitten euch diese zu prüfen und die überarbeiteten Beiträge bis am 25.09.2022 einzusenden. Das Heft wird Mitte November erscheinen.
Elektroschrott
Ist mein altes Handy wertloser Elektroschrott, missachteter Datenspeicher oder eine schlummernde Rohstoffmine? Welche Bedeutung kommt Objekten in der globalen Warenzirkulation zu, die bezüglich ihrer ursprünglichen Nutzung obsolet gewordenen sind? Und welche Narrative begleiten diesen Prozess? Solchen und weiteren Fragen widmet sich die zweite Ausgabe von Vigia. Dabei möchten wir uns nicht auf die Zirkulation, die politische Ökonomie des Elektroschrotts und die damit zusammenhängenden Ungerechtigkeiten beschränken, sondern das Heft auch für weitere Themenschwerpunkte öffnen. Beispielsweise landen nicht nur Unmengen an technischen Geräten auf den Deponien, sondern auch die darauf gespeicherten Daten. Komplexe Materialien erfordern wiederum komplexe technische Infrastrukturen (oder äusserst ungesunde Praktiken), um die Rohstoffe wieder nutzbar zu machen. Ausserdem wollen wir uns auch mit den Narrativen und Imaginationen befassen, die Elektroschrott begleiten.
Im Folgenden versuchen wir einige mögliche Themenbereiche anzudenken. Die Auflistung ist jedoch keinesfalls abschliessend:
Koloniale Verhältnisse & Elektroschrott im Wandel
In den letzten Jahren wurde immer wieder aufgearbeitet, wie das informelle Recycling von oft illegal exportiertem Elektroschrott, z. B. von Europa nach Westafrika, unter grauenhaften Bedingungen für Mensch und Umwelt praktiziert wird, oder wie Schiffe gleich selbst in Pakistan oder Bangladesch auf den Strand aufgelaufen lassen und dort durch günstige Arbeitskräfte abgewrackt werden. Womöglich liegt es gerade an den kritischen Interventionen, dass sich an den Bedingungen gegenwärtig etwas zu ändern scheint. Vielleicht aber liegt die Ursache für den (angestrebten) Wandel auch darin, dass ‹Urban Mining› – das heisst die Förderung von Rohstoffen aus entsorgten Geräten oder Objekten – profitabel ist, und man diesen Profit für gewöhnlich nicht allzu lange einem informellen Sektoren überlassen will. Passend dazu entsteht zur Zeit an der ETH Zürich eine grössere Studie zum ungemeinen Materialwert der geschätzten 6 Millionen Smartphones, die nicht entsorgt in Schweizer Haushalten schlummern.
Mit der Geschichte des Elektroschrotts verbunden sind verschiedene materielle wie ideologische und diskursive Transformationsprozesse. Heute importiert beispielsweise Umicore, ein belgisches Bergbauunternehmen, das im kolonisierten Kongo zu Reichtum kam, alte Smartphones aus afrikanischen Ländern. Bergbau betreibt die Firma heute nicht mehr. Das Unternehmen brüstet sich stattdessen mit ökologischem Bewusstsein und Entwicklungshilfe in afrikanischen Ländern. Die Recycling-Erzählung vertuscht dabei eine koloniale Kontinuität. So lässt sich auch heute eine Akkumulation von Rohstoffen beobachten, bei der den informellen Arbeiter:innen – z. B. in der berüchtigten Elektroschrottverarbeitung in Agbogbloshie in Ghana – die ökonomische Lebensgrundlage und einigen Ländern eine bedeutende Rohstoffquelle (erneut) entzogen wird. Schliesslich stammen beispielsweise 90% des in Bangladesch verwendeten Stahls aus abgewrackten Schiffen.
Technischer Abfall und Abfalltechnologien
Elektroschrott ist komplex zusammengesetzt und enthält sowohl potentiell wertvolle als auch potentiell toxische Materialien. Dies bedeutet, dass sich technologische Fragestellungen nicht auf den Müll beschränken, sondern auch auf die Technologien und Infrastrukturen, mithilfe derer die Entsorgung bzw. das Recycling abgewickelt wird. Dabei interessieren wir uns auch für die ökologische Bedeutung von elektronischen Geräten, die nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Entsorgung eine Belastung für Menschen und Umwelt darstellen.
Ein anderes Thema bildet Software als gleichzeitige Ursache wie Lösungsansatz von Elektroschrott: Wenn Programme immer leistungsstärkere Geräte fordern, sinkt deren Lebensdauer. Zugleich gibt es jedoch DIY-Ansätze, in denen Recycling zur Technologieaneignung von unten führt, beispielsweise durch Open Source Software für alte Mobiltelefone, die diese nach deren Ende wiederbeleben und zugleich unabhängig von ihrer Herstellerfirma machen. Offen bleibt auch die Frage nach den Daten, die auf den ausrangierten Geräten bleiben. So galten beispielsweise die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo als eines der meistfotografierten Ereignisse überhaupt. Doch wo sind gut zehn Jahre später all diese Amateur-Fotos hin? Was stellen sich für Fragen, wenn Daten auf Datenträgern gespeichert sind, die auf einer Müllhalde liegen? Welches Potenzial liegt im Recycling von Daten und Software und welches Nachleben führen tote Social-Media-Profile?
Müll erzählen
Ebenso interessant sind die Imaginationen und Geschichten, die Elektroschrott begleiten, beispielsweise in Form von Literatur, Reportagen, Filmen, Fotografie, Musik, Games oder auch populärwissenschaftlichen und PR Texten. Schliesslich muss erst einmal verhandelt werden, ab wann etwas überhaupt als Müll gilt und in der Folge, wie ein sozial erwünschter Umgang damit aussehen kann und soll. Dabei gehören Recycling Imperative heute zu den viel verbreiteten ökologischen Anforderungen an Staatsbürger:innen, worin sich ökologische Motive mit der Stabilisierung von nationaler Gruppenzugehörigkeit und der Aufrechterhaltung von Ordnung vermengen. Wie werden emanzipatorische Lösungen von Müllproblemen und den dabei ausgestossenen toxischen Emissionen imaginiert, was entstehen dabei für Bilder und welche gesellschaftspolitische Rolle spielen sie? Gibt es umsetzbare technische Vorschläge oder nur technosolutionistische Versprechen?
Müllwirtschaft und Müllproteste
Müll ist stets auch Müllwirtschaft und als solche trotz zahlreicher Automatisierungsvorgänge abhängig von menschlicher Arbeit. Daher verdichten sich in dem Thema auch vielfältige soziale und politische Konflikte. Während der letzten Klimakonferenz in Glasgow streikten beispielsweise die gewerkschaftlich organisierten Müllarbeiter:innen und als im Libanon 2015 die Müllabfuhr nicht funktionierte, kam es landesweit zu sozialen Protesten. Wie wird mit Müll Politik gemacht und welche politischen Machtverhältnisse und Widerstandsbewegungen formieren sich rund um das Thema Elektroschrott, oder gibt es geschlechtsspezifische Fragestellungen, die sich bezüglich Elektroschott und seiner Verarbeitung stellen?
Wir freuen uns auf eure Vorschläge, insbesondere auch zu den zahlreichen Themen, die wir oben noch nicht erwähnt haben, und hoffen auf ein spannendes zweites Heft.
Weitere Infos zum Heft finden sich auf www.vigia.tech
Quellennachweis:
CFP: Vigia, Vol. 2: "Elektroschrott". In: ArtHist.net, 28.04.2022. Letzter Zugriff 22.11.2024. <https://arthist.net/archive/36550>.