Call for Papers: Queere Maskulinitäten in der Zeitgenössischen Kunst
- English version below -
Workshop im Rahmen des DFG-Projekts „Männlichkeiten im Umbau. Männerkörper zwischen phallischen und postphallischen Visionen in der Kunst seit 1970“
Organisatorinnen: Prof. Dr. Änne Söll, Maike Wagner, M. A. und Katharina Boje, M. A.
Kunstgeschichtliches Institut der Ruhr-Universität Bochum/Marie-Jahoda-Center für internationale Geschlechterforschung der Ruhr Universität Bochum, 21. und 22. September 2022
Eingabeschluss: 15. Juni 2022
Im Jahr 1991 und mit dem Beginn der Queer Studies beschreibt Sue-Ellen Case den Begriff „queer“ als „das was die dominanten Vorstellungen des Natürlichen attackiert. Das Queere ist monströs, unheimlich und kann Tabus aufbrechen“ (Case, 3). Während der Begriff zunächst im aktivistischen Bereich kursiert und in Zusammenhang mit der AIDS-Krise in den 1980er Jahren verstärkte Anwendung findet, entwickelt er sich in den 1990er Jahren v. a. vorangetrieben durch Theoretiker*innen wie Judith Butler, Eve Kosofsky Sedgwick oder Jack Halberstam zum Terminus innerhalb des akademischen Diskurses. Queer-Theorie und queere künstlerische Praxen stehen seitdem in engem Austauschverhältnis zueinander.
Seit ihren Anfängen ist die Queer-Theorie durch ihre definitorische Offenheit charakterisiert, mit der sie sich heteronormativen Denkkategorien zu widersetzen sucht. So bildet Queerness vielmehr eine Strategie, um Begriffe wie geschlechtliche und sexuelle Orientierung, Identität, Subjekt etc. aufzulösen und sie stattdessen als fluide und in permanentem Wandel begriffen zu verstehen. In diesem Sinne betont José Esteban Muñoz‘ 1996 die Bedeutung des Ephemeren sowie von Relationalität und Sozialität als wesentliche Charakteristika des Queeren (Munoz, 6). David Getsy stellt zudem fest: „While ‚queer‘ draws its politics and affective force from the history of non-normative, gay, lesbian and bisexual communities, it is not equivalent to these categories nor is it an identity” (Getsy, 15).
Zugleich ist der Begriff von Ambivalenzen gekennzeichnet, etwa in Hinblick auf die inkludierten Gruppen: So wird Queerness vorwiegend mit effeminierter Männlichkeit, Dragqueens oder AIDS- Aktivist*innen assoziiert, hingegen bleiben Lesben oder Dragkings innerhalb der Queer-Theorie eher marginalisiert (Jones 2021, 189). Bis heute steht die Queer-Theorie zudem vor der Herausforderung, sich von kolonialen Strukturen zu lösen und diese durch dekoloniale und intersektionale Ansätze kritisch zu beleuchten. So ist insbesondere die US-amerikanische Queer-Theorie, -Bewegung und - Politik durch eine unreflektierte Whiteness geprägt (Jones, 187), während People of Color weitgehend nicht berücksichtigt werden. Gleichzeitig schließt Amelia Jones im Jahr 2021, dass die proklamierte Fluidität von Gender und Sex geradezu als subversive Form der Identität fixiert werde (Jones, 191), sodass das paradoxe Risiko bestehe, neue ‚Homonormativitäten‘ zu schaffen.
Angesichts dieser Entwicklungen seit dem Aufkommen des Begriffs Queerness lässt sich im Sinne von Jonathan Katz‘ „Queering masculinity“ (Katz) davon ausgehen, dass Männlichkeit mittlerweile nicht mehr als „natürlich“ erscheint und nun mehr als diskursiv denn als biologisch definiert gedacht werden kann. Demnach lässt sich Männlichkeit als divers, variabel und im ständigen Werden begriffen verstehen. Daraus ergibt sich weiterhin das Potenzial, Queerness bzw. Queere Männlichkeit in Bezug zu posthumanen und postanthropozänen Theorien zu setzen, die diese Veränderlichkeit als konstitutiv erachten.
Vor diesem Hintergrund möchten wir uns im Workshop queeren künstlerischen Strategien und den Konsequenzen für Männlichkeiten widmen. Zudem wollen wir betrachten, welche Strategien Künstler*innen seit den 1990er Jahren nutzen, um queere Körper und Identitäten ins Bild zu setzen, auf welchen historischen Voraussetzungen diese beruhen und wie sie sich zu den oben genannten Entwicklungen und Ambivalenzen positionieren. Zudem möchten wir untersuchen, welche Herausforderungen und Chancen sich aus diesen Werken für Männlichkeiten und ihre Erforschung bieten. Um uns im Workshop an der Ruhr-Universität diesen queer-künstlerischen Entwürfen neuer Maskulinitäten zu widmen, freuen wir uns auf Beiträge, die sich an bspw. folgenden Fragen orientieren, jedoch nicht auf diese beschränkt sein müssen:
- Wie deuten queere künstlerische Konzeptionen bestehende heteronormative Modelle binärer Geschlechtlichkeit um? Welche neuen Strategien sind dabei in den letzten Jahren entstanden?
- Wie verändern sich männliche Macht und deren Symbolik durch queere Interventionen?
- Welchen Einfluss hatte die AIDS-Krise auf die Darstellung queerer Maskulinitäten und wie wird dies in den Werken sichtbar?
- Wie interagieren queere Identitäten und intersektionale Analysekategorien wie ‚race‘,
disability, class, age etc.? Wie wird dies künstlerisch aufgegriffen?
- Welchen Einfluss haben technologische Körperentwürfe auf queere
Männlichkeitsdarstellungen? Wie können sich posthumane Theorien für queere
Männlichkeiten als produktiv erweisen?
- Wie reagieren Denkrichtung und Entwürfe Hegemonialer Männlichkeit auf queere Konzepte von Männlichkeit?
- Sofern in Anknüpfung an Amelia Jones und Jonathan Katz von einer neuen Queer-Normativität und indes einem queeren ‚Mainstream‘ zu sprechen ist, wie kann dann der Anspruch von Queerness als einer Fluidität von Geschlecht, Sexualität und Identität weiterhin realisiert werden?
- Hat Kunst bzw. haben queere künstlerische (Männlichkeits-)Entwürfe das Potenzial diese aufrecht zu erhalten?
Willkommen sind Beiträge aus den Kunst- und Kulturwissenschaften, der Geschlechterforschung, den Medienwissenschaften sowie fachverwandten Disziplinen. Bitte senden Sie bis zum 15. Juni 2022 einen Abstract (ca. 300 Wörter) sowie einen kurzen CV an Charlotte Kaiser (charlotte.kaiserrub.de). Eine Rückmeldung erfolgt Ende Juli.
Die ausgesuchten Workshopteilnehmer*innen werden gebeten, einen etwa 20-minütigen Vortrag für den 22. September 2022 vorzubereiten. Am Abend des 21. September findet zur Eröffnung des Workshops eine digitale Keynote Lecture von Dr. Peter Rehberg (Schwules Museum, Berlin) statt. Zudem werden ausgewählte Beiträge im Rahmen eines innerhalb des DFG-Projekts herausgegebenen Sammelbandes veröffentlicht. Die ausgewählten Beträge müssen bis Anfang Dezember 2022 eingereicht werden.
Wir planen, den Workshop vor Ort an der Ruhr-Universität Bochum zu veranstalten und parallel über Zoom zu streamen. Sollte dies jedoch angesichts der Entwicklungen der COVID-19-Pandemie nicht möglich sein, wird der Workshop online über Zoom stattfinden. Reise- und Übernachtungskosten werden übernommen.
Literatur:
Case, Sue-Ellen: Tracking the Vampire, in: Differences, Vol. 3, 1991, No. 2
Getsy, David: Queer, Cambridge, Mass. 2016
Jones, Amelia: In Between Subjetcs. A Critical Genealogy of Queer Performance, London/New York 202 Katz, Jonathan: Queering Masculinity, in: Pardo, Alona (Hg.): Masculinities. Liberation through Photography, Ausst.-Kat. Barbican Art Gallery, London 2020, 43-51
Muñoz, José Esteban: Ephemera as Evidence. Introductory Notes to Queer Acts, in: Women & Performance: a journal of feminist theory, No. 8:2
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Call for Papers: Queer Masculinities in Contemporary Art
Workshop as part of the DFG project "Masculinities Under (Re)Construction. Male Bodies Between Phallic and Post-Phallic Visualizations in Art since 1970"
Organized by Prof. Dr. Änne Söll, Maike Wagner, M. A. and Katharina Boje, M. A.
Marie-Jahoda-Center for International Gender Studies and the Art Historical Institute of the Ruhr- Universität Bochum, September 21 and 22, 2022
Proposals must be submitted by June 15, 2022
In 1991 and with the beginning of queer studies, Sue-Ellen Case describes the term “queer” as “a kind of activism that attacks the dominant notion of the natural. The queer is the taboobreaker, the monstrous, the uncanny” (Case, 3). While the term initially circulated in the activist field and was increasingly used in connection with the AIDS crisis in the 1980s, it developed into a term within academic discourse in the 1990s, driven primarily by theorists such as Judith Butler, Eve Kosofsky Sedgwick, and Jack Halberstam. Queer theory and queer artistic practices have been in close exchange ever since.
Since its beginnings, queer theory has been characterized by its definitional openness, with which it seeks to resist heteronormative categories of thought. Thus, queerness provides a strategy to dissolve concepts such as sexual orientation, gender, identity, subject etc., understanding them instead as fluid and in permanent flux. In this vein, in 1996 José Esteban Muñoz emphasized the importance of the ephemeral as well as of relationality and sociality as essential characteristics of queerness (Munoz, 6). Moreover, David Getsy states: "While 'queer' draws its politics and affective force from the history of non-normative, gay, lesbian and bisexual communities, it is not equivalent to these categories nor is it an identity" (Getsy, 15).
At the same time, the term is characterized by ambivalences, for example with regard to the included groups: Queerness is predominantly associated with an effeminate masculinity, drag queens or AIDS activists, whereas lesbians or dragkings remain rather marginalized within queer theory (Jones 2021, 189). To this day, queer theory also faces the challenge of breaking away from colonial structures and critically examining them through decolonial and intersectional approaches. Especially U.S. queer theory, queer movement, and queer politics are characterized by a nonreflective whiteness (Jones, 187) while people of color are largely left out. At the same time, as Amelia Jones concludes in 2021, the proclaimed fluidity of gender and sex is becoming increasingly fixed as a subversive form of identity (Jones, 191), with the result that there is a paradoxical risk of creating new 'homonormativities.'
In light of these developments since the emergence of the concept of queerness, it can be assumed that in the sense of Jonathan Katz's "queering masculinity" (Katz) masculinity no longer appears as "natural" and can be thought of as discursive rather than biologically defined. Accordingly, masculinity can be understood as diverse, mutable, and in a constant state of becoming. This gives rise to the potential of relating queerness and queer masculinity to posthuman and postanthropocentric theories that consider this alterability as constitutive.
Against this background, we would like to address queer artistic strategies and the consequences for masculinities. In addition, we want to consider which strategies artists have been using since the 1990s in order to visualize queer bodies and identities, on which historical presuppositions these are based, and how they position themselves in relation to the developments and ambivalences mentioned above. Moreover, we would like to explore what challenges and opportunities these works present for masculinities and their exploration. In order to address these queer artistic conceptions of new masculinities in the workshop at Ruhr-University Bochum, we are looking forward to contributions that are for example oriented towards, but not limited to, the following questions:
- How do queer artistic concepts reframe existing heteronormative models of binary gender? Which new strategies have emerged in recent years?
- How does male power and its symbolism change through queer interventions?
- Which impact did the AIDS crisis have on the representation of queer masculinities and how is this visible in the artworks?
- How do queer identities interact with intersectional categories of analysis such as 'race', disability, class, age, etc.? How is this addressed artistically?
- Which influence do technological body projects have on queer depictions of masculinity? How can posthuman theories prove productive for queer masculinities?
- How do discourses and conceptions of hegemonic masculinity respond to queer conceptions of masculinity?
- If, following Amelia Jones and Jonathan Katz, we can speak of a new queer normativity and a queer 'mainstream', how can the claims for queerness as a fluidity of gender, sexuality and identity still be realized?
- Do art or queer artistic concepts of masculinity have the potential to maintain this kind of fluidity?
We welcome contributions from art and cultural studies, gender studies, media studies as well as related disciplines. Please send an abstract (approx. 300 words) and a short CV to Charlotte Kaiser (charlotte.kaiserrub.de) by June 15th, 2022. Feedback will be provided by the end of July.
Selected workshop participants will be asked to prepare a 20-minute presentation for the workshop on September 22nd, 2022. A digital keynote lecture by Dr. Peter Rehberg (Schwules Museum, Berlin) will be held on the evening of September 21st to open the workshop.
In addition, selected contributions will be published as part of an anthology edited by the DFG project. The selected papers must be submitted by early December 2022.
We plan to hold the workshop on site at the Ruhr-University Bochum and to stream it via Zoom. However, if this is not possible given the developments of the COVID-19 pandemic, the workshop will be held online via Zoom. Travel and accommodation costs will be covered.
Literature:
Case, Sue-Ellen: Tracking the Vampire, in: Differences, Vol. 3, 1991, No. 2
Getsy, David: Queer, Cambridge, Mass. 2016
Jones, Amelia: In Between Subjetcs. A Critical Genealogy of Queer Performance, London/New York 202 Katz, Jonathan: Queering Masculinity, in: Pardo, Alona (Hg.): Masculinities. Liberation through Photography, Ausst.-Kat. Barbican Art Gallery, London 2020, 43-51
Muñoz, José Esteban: Ephemera as Evidence. Introductory Notes to Queer Acts, in: Women & Performance: a journal of feminist theory, No. 8:2
Quellennachweis:
CFP: Queer Masculinities in Contemporary Art (Bochum, 21-22 Sep 22). In: ArtHist.net, 22.04.2022. Letzter Zugriff 21.11.2024. <https://arthist.net/archive/36488>.